Seit dem 13. Oktober 2023 findet eine erklärte anti-Israel-Kampagne in der internationalen Holocaust- und Genozidforschung statt. Aus einer vermeintlich pro-palästinensischen, „israelkritischen“ Perspektive argumentierend, attestieren Forscher, die auch Mitglieder des International Network of Genocide Scholars (INoGS) sind, einen Genozid in Gaza.
Von Verena Buser, Historikerin, Berlin
Dem 2005 in Berlin gegründeten Netzwerk ist es zu verdanken, dass eine vergleichende Genozidforschung vorangetrieben wurde. Nun dient diese Forschung mittlerweile der Delegitimierung des Krieges in Gaza und seinem Framing als Völkermord. Holocaust und Genozid Inversion, insbesondere historische Analogien zum deutschen Völkermord an den Herero und Nama in Deutsch Südwestafrika und dem Krieg in Gaza, liefern das vermeintliche Erklärungsmodell für das Vorgehen der israelischen Armee in Gaza. Bewaffnet mit postkolonialer Theorie und mithilfe einer unkritischen Rezeption der aus Gaza stammenden Informationen sind ihre „Meinungen“ nun Tatsache. Dies mag daran liegen, dass sie unter der „Ich als“-Perspektive Meinungen als Fakten darstellen und die auch als solche als Expertenmeinungen publiziert werden. Sie werden fleißig unterstützt durch Juristen für Straf- und Völkerrecht, die juristisch einwandfrei im Sinne der Klage Südafrikas den Völkermord als buchstäblich erwiesen betrachten. Und auch Amnesty International ist seit Dezember 2024 überzeugt, es handele sich um Völkermord. In vorauseilendem Gehorsam berief sich der deutsche Zweig von Amnesty auf die Holocaustforscher Omer Bartov und Amos Goldberg, ebenso auf die Sonderberichterstatterin der UN, Francesca Albanese. Diskutiert wird dabei allerdings nicht, dass Amnesty die Definition von Völkermord nach Raphael Lemkin angreift.
Maßgeblich verbreitet durch den katarischen Sender AlJazeera, ist nunmehr eine Situation in Deutschland erreicht, bei der Veranstaltungen, Demonstrationen, Diskussionen, soziale Medien, aber auch Intellektuelle und „Kulturschaffende“ bis hin zu politischen Parteien unwidersprochen, besagten „Genozid in Gaza“ behaupten können und es damit unwidersprochen von politischen Entscheidungsträgern sogar ans Brandenburger Tor schaffen. Das nennt sich „Meinung“ und nicht etwa Diffamierung (es gibt kein Gerichtsurteil) oder Volksverhetzung.
Mangelnde Quellenkritik in der deutschen Presse
Seit Veröffentlichung von „A Textbook Case of Genocide“ des einseitig argumentierenden Holocaustforschers Raz Segal, sechs Tage nach den genozidalen Massakern der Hamas in Israel tragen maßgeblich zur Feststellung des angeblichen Völkermords aktivistische Akteure aus der Holocaust- und Genozidforschung bei. Nunmehr heißt es, dass sich angeblich immer mehr Forscher diesem Urteile anschließen – es gäbe einen „Konsens“, es handele sich um Völkermord. Das ist nicht der Fall. Hierzu zählen unzählige offene Briefe von Akademikern in Deutschland, aktivistisches Vorgehen wie die „Resolution to Oppose Scholasticide in Gaza“ sorgen aber dafür, diesen Eindruck zu verbreiten. Deutsche Forschende schlossen sich dem kritiklos an, wie das „Statement von Berliner Lehrenden“ oder das jüngste tendenziöse Schreiben „Offener Brief von Lehrenden, Universitätsangestellten, Studierenden und Bürger*innen an Bundeskanzler Merz, 9. Juli 2025“ belegen.
Immer wieder steht bei diesem aktivistischen, sich als sorgenvoll im Sinne von Gaza handelnden Vorgehen der Genozidvorwurf im Raum. Es ist schon ein Beharren und Insistieren darauf. Bei diesem unkritischen Verbreiten spielt auch die deutsche Presse eine entscheidende Rolle, indem sie verzerrte, einseitige Positionen („Meinungen“) veröffentlicht und scheinbar das zu belegen sucht, was eh schon in den Köpfen ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist das unkritische, in Dauerschleife sich wiederholende Interviewen des Holocaustforschers Omer Bartov. Ein exzellenter Forscher zum Holocaust, dessen Äußerungen allerdings für anti-Israel-Propaganda genutzt werden, die er gerne befeuert. Bartov ist einer der Unterstützer des durch den Literaturwissenschaftler Michael Rothberg gegründeten „Genocide and Holocaust Crisis Network“, das dadurch in Erscheinung tritt, die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus anzugreifen und die Erinnerung an den Holocaust für das noch in den Kinderschuhen steckende mangelhafte Erinnern an die (deutschen) Kolonialverbrechen verantwortlich zu machen (kurz gesagt: Holocausterinnerung ist zu dominant). Das Netzwerk hat personelle Überschneidungen mit INoGS und somit auch zum „Journal of Genocide Research“, das seit Ende 2023 mit dem Forum Israel-Palestine eine anti-Israel-Kampagne führt, u. a. in dem es unter Verwendung des Konzepts der „permanenten Sicherheit“ des Genozidforschers A. Dirk Moses, dem schon vor Jahren durch die Forschenden Ali Tonguç Ertuğrul , Sabri Deniz Martin und Vojin Saša Vukadinović vorgeworfen wurde, migrantische Stimmen für antizionistische Positionen zu instrumentalisieren.
In Deutschland sind die Positionen von Omer Bartov äußerst beliebt. Mindestens zwanzig Mal kam er zu Wort. Ein Beispiel: In der Berliner Zeitung vom 13. Oktober 2023 durfte er behaupten, dass die Hamas zwar „verabscheuungswürdige Verbrechen“ begangen habe, dies aber nur deshalb geschah, um auf das Leid in Gaza aufmerksam zu machen. Und auch hier durfte er verzerrenden Informationen im Zuge der Klageeinreichung Südafrikas vor dem IGH in Den Haag verbreiten, wie, ein Genozid in Gaza sei „plausibel“. Nein, das hat der IGH nie gesagt. Ein Tiefpunkt war am 27. Januar 2025 erreicht, dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, achtzig Jahre nach der Befreiung von Auschwitz. Der Spiegel veröffentlichte ein Interview mit Bartov, übertitelt mit der ahistorischen Frage „Gaza gleich Auschwitz?“. Es folgte das Zitat Bartovs „Der Holocaust dient Israel als Lehre der Unmenschlichkeit“. Bereits kurz darauf wurde diese Überschrift zwar geändert, doch bleibt der Beitrag ein einseitiger, diffamierender Angriff auf den Staat Israel. Das Interview und mehrere folgende auf Deutschlandfunk, in der ZEIT und auf anderen Plattformen, belegen, wie undifferenziert der Krieg in Gaza rezipiert und wie unausgeglichen Kritik an die israelische und palästinensische Seite formuliert wird.
Die Abwesenheit der Hamas und ihrer Unterstützer
Hamas und ihre Unterstützer kommen weder bei progressiven Holocaustforschern, noch bei Amnesty vor, in der deutschen Presse werden die Ziele der Hamas dethematisiert. Und so finden die nachweisbaren Verbrechen der Hamas wie Erschießungen, angekündigte „Säuberungen“ politische Missliebiger bzw. Oppositioneller und Folter an der palästinensischen Zivilbevölkerung nur am Rande Eingang oder werden auf mena-watch und anderen kritischen Plattformen diskutiert. Seit dem 15. Juli und der Veröffentlichung des Interviews mit Bartov unter dem Titel „Ich bin Genozidforscher. Ich erkenne ihn, wenn ich ihn sehe“ reicht es zu sagen, „Omer Bartov sagt, es ist Völkermord“. Selbst erlebt.
Kritik in der internationalen Presse wird hierbei in deutschen Redaktionen nahezu vollständig ignoriert oder in Form einer „kritischen Diskussion“ unter dem Motto „Völkermord – Ja oder Nein?“ aufgegriffen. Der US-amerikanische Historiker Jeffrey Herf, der Militärexperte John Spencer, der drei Mal in Gaza war, oder die israelischen Forscher Danny Orbach, Jonathan Boxman, Yagil Henkin und Jonathan Braverman, die sich ausdrücklich gegen die These eines Völkermords in Gaza stellen, werden mit keinem einzigen Wort in Deutschland erwähnt. Und auch das „Policy Briefing des Antisemitismusbeauftragen im Land Brandenburg“, Andreas Büttner, in dem ausdrücklich zu einer quellenkritischen Rezeption und gegen den inflationären Gebrauch des Genozidbegriffs aufgerufen wird, bleibt ungehört in den Redaktionen. Fraglich ist, warum weite Teile der deutschen Presse, bis auf eine einzige Ausnahme, kaum Informationen aufgreift, die sich gegen das Framing des Kriegs in Gaza als „Genozid“ wenden, obwohl solche Korrektive ja durchaus vorhanden sind.
Vielleicht ist es die Befürchtung, nicht israelkritisch genug zu sein und von aktivistischen Journalisten oder Nahostexperten mit viel Meinung diffamiert zu werden? Oder ist es banaler Antisemitismus, der sich hinter einer vermeintlich israelkritischen Position verbirgt? Oder ist es der etwas naive Glaube, antizionistische Positionen und die Abwesenheit der Kritik von palästinensischen Führungen und Terrorangriffen würden den Nahostkonflikt lösen?
Vor Kurzem hat der israelische Forscher und Rechtsanwalt Russell Shalev seine Studie „Hamas‘ October 7th Genocide: Legal Analysis and the Weaponization of Reverse Accusations: A Study in Modern Genocide Recognition and Denial” veröffentlicht, die die genozidalen Massaker des 7. Oktober 2023 untersucht. Hierin führt er unter anderem aus: „Aus Sicht der Hamas ist der palästinensisch-israelische Konflikt nicht nur ein territorialer Disput zwischen Palästinensern und Israelis, sondern in erster Linie ein „Religions- und Glaubenskrieg“ zwischen dem Islam und dem Judentum, zwischen Muslimen und Juden.“ Diese Ausführungen dürfen nicht ignoriert werden, und es muss endlich eine ausführliche Debatte über Hamas und die anderen acht Terrororganisationen geben, die die Verbrechen des 7. Oktober zu verantworten haben.
Es grenzt schon an Realitätsverweigerung und es ist Grund zum Fremdschämen, dass eine solche Diskussion nicht stattfindet. Wer kennt die „Palästinensische Mujahideen-Bewegung“, die für das Erwürgen mit bloßen Händen von Ariel und Kfir Bibas und die Ermordung ihrer Mutter Shiri verantwortlich zeichnet? Warum ist es erlaubt, dass Amnesty Deutschland mit Ibrahim I. einen Vertreter der PFLP zu Wort kommen lässt, eine Organisation, die ebenfalls an den Massakern des 7. Oktober 2023 im Süden Israels beteiligt war? Derweil posaunt Ghazi Hamad, Angehöriger des Politbüro der Hamas, unwidersprochen heraus, die Anerkennung eines palästinensischen Staates sei die „Früchte“ des 7. Oktober. Und es war Ali Baraka, Angehöriger der Hamas im Libanon, der ganz offen zugab, dass „die Israelis sind dafür bekannt [seien], dass sie das Leben lieben. Wir hingegen opfern uns selbst. Wir betrachten unsere Toten als Märtyrer.“ Ein vorläufiger Höhepunkt unkritischer journalistischer Berichterstattung war das Interview der Journalistin Sophia Maier für die der taz mit Walid Kilani, Sprecher der Hamas im Libanon. O-Ton: „Warum mit der Hamas sprechen? Weil es essentiell ist, ihre Positionen, ihren Antrieb und ihre Forderungen zu kennen, um ein vollständiges Bild zu bekommen. Weil das Journalismus ist.“ (Zitat auf LinkedIn). Unbequeme Fragen nach den Geiseln, der genozidalen Obsession zur Zerstörung Israels und ähnliche Themen kamen hier nicht auf. Weil das Journalismus ist?
Ganz klar muss gesagt werden: Hamas hat kein Interesse an einem palästinensischen Staat. Diese Aussagen sind schlichtweg gelogen und zeigen ganz klar, wie sehr sich die islamistische Terrororganisation westliche Narrative aneignet („ein palästinensischer Staat ist der einzige Weg zum Frieden“), um ihrem Ziel der Zerstörung des Staates Israel näherzukommen. Hatte sie nicht eine Woche vor den 7. Oktober-Massakern Wahlen versprochen? Auch das war gelogen. Hamas dachte tasächlich, der 7. Oktober sei der Startpunkt für die Zerstörung des Staates Israel. Eine eindeutige genozidale Botschaft, die in Deutschland ebenfalls dethematisiert wird.
Auswirkungen einer einseitigen Berichterstattung zum Krieg in Gaza
Weltweit ist es mittlerweile normal, im Namen des Kampfes gegen den „Genozid in Gaza“ alles und jeden anzugreifen, der als jüdisch oder Israeli identifiziert wird, sich mit Israel solidarisiert und sich nicht ausdrücklich antiisraelisch oder antizionistisch positioniert. Der vermeintliche Genozid legitimiert Aufrufe und Taten von Hass, Propaganda und Gewalt. Schon jetzt findet diese nicht mehr „nur“ in den sozialen“ Medien statt, sondern vor allem auch anlässlich sogenannter pro-palästinensischer Demonstrationen, die nach dem 7. Oktober nicht rein zufällig weltweit mit ungeahnter Wucht gegen Israel agierten und keinerlei Forderungen an die Hamas und ihre Unterstützer richteten. Doch diese wird auch durch progressive Holocaust- und Genozidforscher nicht gesehen bzw. sie möchten dies nicht sehen. Und so kann sich der Antisemitismus weiter globalisieren, legitimiert im Namen der Meinungsfreiheit. Nicht umsonst warnt Hudhaifa Al Mashhadani, Leiter der Deutsch-Arabischen Schule Ibn Khaldun in Berlin-Neukölln, mit Unterstützung des Elternbeirates der Schule vor den Teilnahme an diesen Demos.
In Zeiten, die eine „multidirektionale Erinnerung“ als progressiv feiert, bleibt die Rezeption des Gaza-Krieges eigentümlich monodirektional und ist alles andere als „kritisch“. Die einseitige Diffamierung und Dämonisierung des Staates Israel als genozidale Macht, die Gaza intentional zerstört, hat auch Auswirkungen auf Israelis und Juden in Deutschland. Die Bedrohungslage steigt mit jedem Tag, mit jedem Sommerfest, was die LINKE mit Hamas-Anhängern im Namen der Palästina-Solidarität feiert. Dabei lässt sich eines historisch feststellen: Palästinensische Führungen sind militärisch unterlegen, verfügen aber über eine unschlagbare Waffe, die linke, rechte und muslimische communities eint: Den Antisemitismus. Schon im Sommer 2024 hat die Amadeu Antonio Stiftung in Berlin auf diese antisemitischen Allianzen verwiesen.
Es ist dringender denn je, endlich wirklich kritisch zu berichten und nicht unter dem Deckmantel der Palästina-Solidarität Hass und Hetze zu verbreiten. Denn wer die Verbrechen der Hamas und ihrer Unterstützer verschweigt, schadet auch denjenigen, in dessen Namen die Palästina-Solidarität agiert und sich zu positionieren vorgibt: den Palästinensern selbst.