Görz in Slowenien, gehörte einst zur Habsburger Monarchie. Internationales Flair wehte durch die Straßen und Gassen der Stadt, verschiedene europäische Sprachen wurden gesprochen. Nach dem ersten Weltkrieg schrumpfte die Donaumonarchie und Görz wurde italienisch.
Von Christel Wollmann-Fiedler
Nach dem 2. Weltkrieg wurden erneut in Europa Grenzen gezogen. Gorizia blieb italienisch. Die Slowenen liebten die Stadt ebenso und verzichteten nicht so ganz auf ihre liebgewonnene kulturelle Metropole und schufen 1947 hinter der Grenze in Jugoslawien Nova Gorica (Neu-Görz) als sozialistische Musterstadt. 1991 entstand erneut die Republik Slowenien. Beide Städte wurden gekürt und bekamen zusammen in dieser herrlichen Landschaft den Titel Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2025. Ein wunderbarer europäischer Gedanke.
Nicht gleich um die Ecke, nein, viele Katzensprünge nördlich liegt Chemnitz die sächsische Stadt in Deutschland, die Stadt mit dem größten Karl-Marx-Kopf der Welt, meine ich. Diese Stadt im Norden, die mit einer völlig anderen Vergangenheit jahrelang in der DDR wichtig war, wurde umgetauft und erhielt den Namen Karl-Marx-Stadt, 1989 durfte sie sich über den alten gewohnten Namen freuen.
Vor 1939 wurde die Stadt mit ihrer Textilindustrie und dem Maschinenbau zum „Sächsischen Manchester“. Viele jüdische Magnaten waren für die Textilindustrie zuständig. Eine große und angesehene jüdische Gemeinde war dort zu Hause bis auch hier die jüdische Bevölkerung von den Nazis enteignet, gehetzt und ermordet wurde.
1930 baute Erich Mendelssohn, der bekannte Architekt aus Berlin, in Chemnitz das Kaufhaus Schocken. In Palästina bekam er 1934 erneut einen Bauauftrag von Salman Schocken für die Schocken-Villa und die Schocken-Bibliothek in Jerusalem in Rechavia. Frau Schocken schwärmte für die moderne eigenwillige Architektur von Mendelssohn. Unweit richtete sich der Architekt Erich Mendelssohn sein Atelier in der Windmühle ein.
Nicht nur Schocken bekam in Chemnitz sein Kaufhaus. Auch die jüdische Familie Tietz ließ sich vom Architekten Wilhelm Kreis aus Düsseldorf ein stattliches Warenhaus errichten. Tietz hatte meist jüdische Mitarbeiter. Hermann Fürstenheim fungierte als Direktor und wehrte sich vehement während der Novemberpogrome 1938 gegen die Arisierung des Warenhauses und wurde von den Nazis in seinem Wohnhaus erschossen.
Die Villa Esche, die Jugendstilvilla, oben auf dem Hügel darf nicht vergessen werden. Der belgische Architekt Henry van de Velde baute für den Textilfabrikanten Herbert Eugen Esche auf dem berühmten Kapellenberg 1903 die wunderbare Villa mit dem schönen Park.
Die romanische, sehr repräsentative Synagoge auf dem Kaßberg wurde 1938 niedergebrannt und abgerissen. An dieser Stelle steht seit Jahren eine Gedenksäule. Fast alle Gemeindemitglieder wurden in den Osten deportiert und ermordet. Alfred Jacoby, der Architekt aus Offenbach, baute 2002 die neue Synagoge mit Gemeindehaus, in der Stollberger Straße.
Für die berühmte Bauhauskünstlerin, Designerin, Fotografin, Malerin und Bildhauerin, Marianne Brandt (Marianne Liebe), 1893-1938, wurde in ihrem Elternhaus in der Heinrich-Beck-Straße von der Marianne Brandt Gesellschaft, ein kleines, sehr interessantes Museum eingerichtet mit Brandts Designprojekten aus der Bauhauszeit.
Der Schriftsteller Stefan Hermlin, 1915-1997, wurde in die jüdische Kaufmannsfamilie als Rudolf Leder geboren. Schon jung ging er in den Kommunistischen Jugendverband. Noch in der Nazizeit reiste er nach Paris, wo Jahre darauf ein Internierungslager folgte und rettete sein Leben und das seiner Tochter vor den Nazis in die Schweiz. Jahre nach dem Weltkrieg siedelte er sich ganz bewusst in der DDR an und wurde wie Stefan Heym einer der bekanntesten Schriftsteller. Hermlin wurde ein enger Freund von Erich Honecker. Die Eltern von Hermlin (Leder) konnten 1934 nach London fliehen, wo sie in einem Arbeitslager unterkamen. Der Bruder Alfred ging zur Royal Air Force und stürzte 1943 über Kanada ab. Ein Stolperstein wurde für ihn gesetzt.
Helmut Flieg erblickte die Welt in einer jüdischen Chemnitzer Kaufmannsfamilie und gab sich später den Künstlernamen Stefan Heym, 1913-2001. In Berlin beendete er die Schule und bekam 1935 ein Stipendium für die USA, dann arbeitete er als Chefredakteur in New York. 1942 erschien dort in englischer Sprache sein erster Roman, 1943 bekam er die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, 1952 verließ er die USA in Richtung DDR. Seine sozialistische Literatur passte zum Regime DDR, die ihm auch den Nationalpreis verlieh. Doch auch so manche Schimpf und Schande musste er von der DDR-Regierung über sich ergehen lassen.
Warum so viel über Chemnitz? 2025 ist auch diese Stadt zusammen mit Göerz-Gorizia-Nova Gorica in Slowenien, zur Kulturhauptstadt Europas gekürt worden. Ein großartiges Europäisches Geschenk.
Nun muss ich rasch zu „meinem“ Weltkulturerbe kommen und warum ich im April 2025 nach Chemnitz gefahren bin. Mich zog es geradezu nach Chemnitz, nicht wegen des riesigen Karl-Marx-Kopfes. Dringend suchte ich im Dorf Rottluff bei Chemnitz die Spuren von Karl Schmidt, der 1884 in diesem wunderschön gelegenen Dorf geboren wurde. Rottluff liegt im Westen von Chemnitz und wird 1929 ein Stadtteil der Stadt an dem Flüsschen Chemnitz.
Der Vater betreibt eine Mühle, in der auch Karl geboren wird und seine Kindheit und Jugend in dieser Wohnmühle verbringt. 1905 geht er nach Dresden und hängt noch rasch den Namen Rottluff an den Geburtsnamen Schmidt. Mit diesem Namen, Schmidt-Rottluff, wird er ein bekannter und wichtiger Künstler des Impressionismus und gründet 1905 mit anderen Künstlern „Die Brücke“, die nur acht Jahre besteht.
Oberhalb der Mühle lässt der Vater ein Landhaus bauen, direkt neben Weiden und Wiesen mit grasenden Tieren, in einer zauberhaften Landschaft von Chemnitz. Auch der Künstler Karl Schmidt-Rottluff verbringt im 2. Weltkrieg einige Jahre mit seiner Frau Emy in diesem schönen modernen Haus. Sein Atelier in Berlin-Friedenau war kriegszerstört. Bereits 1946 verließen Emy und Karl Schmidt-Rottluff Sachsen wieder in Richtung Berlin.
Das sanierte Landhaus der Familie Schmidt ist im April 2025 ein Museum geworden und zeigt den Werdegang des Künstlers, auch Bilder und andere künstlerische Objekte des berühmten Impressionisten Karl Schmidt-Rottluff. Ein Novum für die Stadt Chemnitz, ein wichtiger Punkt für die Gäste, die die Kulturhauptstadt Chemnitz in Sachsen besuchen werden.