Eine späte Ehrung für Mucki Koch

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Foto: R. Kaufhold

In Köln-Weidenpesch wird eine Straße nach der Edelweißpiratin Gertrud „Mucki“ Koch benannt

Von Roland Kaufhold

Erst als die 1924 in Köln als Tochter eines Kesselschmieds und einer Apothekerin geborene Kölner Edelweißpiratin Gertrud „Mucki“ Koch (1.6.1924 – 21.6.2016) sehr betagt war, mit 78 Jahren, sprach sie erstmals über ihren jugendlichen Widerstand als Edelweißpiratin gegen die Nationalsozialisten. Und über den hohen Preis, den sie als Mitglied einer kommunistisch-widerständigen Familie – ihr Vater wurde 1942 im Konzentrationslager Eschwege ermordet – zahlen musste. Zu stark war in den Jahrzehnten zuvor die Angst vor einer, erneuten, gesellschaftlichen Ausstoßung gewesen.

2006 erschienen Mucki Kochs Lebenserinnerungen an ihr Engagement in ihrer Autobiografie Edelweiß (vgl. Kaufhold 2020a); da war sie 82. Seitdem trat Gertrud „Mucki“ Koch regelmäßig als eine der ganz wenigen noch lebenden Zeitzeuginnen in Köln auf, um, im kölschem Tonfall, von ihrem gemeinsamen jugendlichen Widerstand zu berichten.

Am 20.6.2016 verstarb die seit über einem halben Jahrhundert in Köln-Nippes in der Hartwichstrasse lebende Mucki, umsorgt von ihrem griechischstämmigen Freund Filos, in Köln (Kaufhold 2024b). In Nachrufen und in Gedenkveranstaltungen rund um den Edelweißpiratenclub von Jan Krauthäuser wurde an Muckis Mut und an ihren schwierigen Lebensweg erinnert. Nicht in Köln, aber im benachbarten Troisdorf, benannte sich 2019 eine Gesamtschule nach Gertrud Koch. Anlässlich ihres vierten Todestages veröffentlichte die Schule ein berührendes Video für Mucki, in dem sie ihre breitgefächerte pädagogische Erinnerungsarbeit an ihre Namensgeberin dokumentierte. 2021 veröffentlichte Michaela Küpper den fiktiven Roman „Die Edelweisspiratin“, in dem Gertrud Koch die Protagonistin war. Zu ihrem 100.ten Geburtstag wurde ihr Wirken auf haGalil erinnert (Kaufhold 2024a, b). 

Mucki Koch (Mitte) und weitere Edelweißpiraten, Foto: (c) Jan Krauthäuser

Und nun wurde soeben unweit ihres Nippeser Wohnortes, im benachbarten Köln-Weidenpesch, in einem Neubaugebiet eine Straße nach ihr benannt. Neun Jahre nach ihrem Tode. Mucki, die sich im hohen Alter, schon nahezu erblindet, tränenreich an ihre verstorbenen, teils ermordeten Wegbegleiter erinnerte, hätte sich sehr darüber gefreut, wie auch über das Nippeser Edelweisspiratendenkmal.

Mucki Kochs Porträt am Edelweißpiraten-Denkmal in Köln, Foto: R. Kaufhold

Mucki im Weidenpescher Simonsveedel

Seit zwei Jahren dauern die Arbeiten im neuen Weidenpescher Simonsveedel an. Auf einem ehemaligen wilden Wiesengelände nahe der Neusser Straße – diese führt auch zu ihrem früheren Wohnort – werden etwa 800 Wohnungen gebaut. Eine der drei neu entstehenden Straßen ist nach Mucki – „Gertrud-Koch-Straße“ benannt. Als kürzlich die ersten Wohnhäuser fertig waren und Bewohner fanden, wurde ein Straßenschild mit ihrem Namen aufgestellt.

Eine weitere Straße dort, die übrigen Häuser dort sind noch im Rohbau, wird nach der Kölner kommunistischen Widerständlerin Margarete – genannt Grete –  Humbach benannt. Diese war 2005 im Alter von 100 Jahren verstorben. In ihrem Elternhaus am Sülzgürtel 8 hatte sich der antifaschistische Kreis des Nationalkommittees Freies Deutschland (NKFD) versammelt. Im Herbst 1944 wurde dieser von den Nationalsozialisten ausgehoben, 49 Genossen wanderten in Gestapo-Haft. Heute erinnert an der Hausfassade eine schwarze Gedenktafel an diesen Ort des linken Widerstandes in Köln (vgl. Finkelgruen (2020).

„Es war eine Selbstverständlichkeit, gegen Hitler zu kämpfen“

Einige Stationen aus Mucki Kochs Leben und Wirken (Kaufhold 2020a, 2024a, b):

Im August 1942 regnen Flugblätter von der Glaskuppel des Kölner Hauptbahnhofes. Sie enthalten Aufrufe gegen die Nazis. Eine der Beteiligten dieser wagemutigen Widerstandshandlung ist die 18-jährige Gertrud „Mucki“ Koch. Jahrzehntelang sprach „Mucki“ nicht über ihren Widerstand gegen das Unrechtsregime. Peter Finkelgruen und dessen Freud Jean Jülich waren ab Mitte der 1970er Jahre in Köln die Ersten, die das kollektive Schweigen durchbrachen.

„Es war eine Selbstverständlichkeit, gegen Hitler zu kämpfen.“ Und: „Wir sahen keine andere Möglichkeit, gegen den Krieg und das Unrecht anzugehen. Wir konnten nicht tatenlos zusehen“, erinnerte sich Koch über 60 Jahre später in ihrer Autobiografie an ihre frühe antifaschistische Grundhaltung (Koch 2006).

In Köln am 1.6.2024 unter dem Namen Gertrud Kühlem geboren und aufgewachsen, schließt sie sich – den erwarteten Beitritt in den Bund Deutscher Mädel verweigert sie – als Jugendliche den Roten Jungpionieren an. Nach deren Verbot geht sie 1938 zu einer Edelweißpiratengruppe. Der großen, konkreten Gefahr sind sich die Jugendlichen bewusst. Man legt sich Tarnnamen zu: „Mucki“, „Mücke“, dieser Name erscheint der 14-Jährigen am passendsten. Die Kölner Studiobühne hat diese Szene der Namensgebung bei ihrem Theaterstück „Edelweißpiraten“ (2024) auf der Bühne präsentiert. 

Mucki möchte nicht nur ihre bündischen Jugendlieder singen. Sie ist aktiv am Widerstand beteiligt, hilft beim Herstellen und Verteilen illegaler Flugblätter. Sie schreiben im Herbst 1943 antinazistische Parolen auf Kölner Hauswände wie: „Macht endlich Schluss mit der braunen Horde!“

Die Atmosphäre der Angst prägt auch ihre Jugendgruppe. Täglich konnte man den Verfolgungsdruck der Nazibehörden erleben und deren Unterstützung durch die Mehrheit der Kölner Bevölkerung. Ihr Vater Peter, ein Kommunist, wird ab 1933 mehrfach verhaftet, 1939 in das Konzentrationslager Surwold verschleppt: „Ich litt extrem darunter, dass man mir meinen Vater weggenommen hatte. Den Gedanken, dass man ihn schlug, konnte ich kaum ertragen. Am meisten vermisste ich die Abende, an denen ich stundenlang mit ihm auf dem Ledersofa saß und wir zusammen Bücher lasen.“ (Koch 2006, Kaufhold 2020a) 1942 „verstirbt“ ihr Vater im Konzentrationslager: „Auf der Flucht erschossen“ steht im Gestaoposchreiben an seine Ehefrau.

Nach der Nazizeit traute sich über drei Jahrzehnte lang niemand in Köln, an die widerständigen Edelweißpiraten zu erinnern. Die Unangepassten, Widerständigen waren die Ausgestoßenen. Peter Finkelgruen, Jean Jülich, Michael Jovy, Gerhart Baum, Prof. Ulrich Klug und Matthias von Hellfeld waren die Ersten, die das kollektive Schweigen in Köln durchbrachen – und hierdurch immer neue Gegenkräfte und Verleugnungsstrategien auslösten (Kaufhold 2020b, Finkelgruen 2020). Psychologisch betrachtet dauern die Verleugnungsbemühungen zumindest bis 2005 an. In der Fachliteratur zu den Kölner Edelweißpiraten ist dies präzise dokumentiert und analysiert worden (vgl. Kaufhold 2020b).

Die Edelweißpiraten Jean Jülich (1929 – 2011) und Fritz Theilen (1927 – 2012) hatten bereits ab Ende der 1940er Jahre – und dann erneut ab Mitte der 1970er Jahre –  erlebt, dass jedes Erinnern  an die Edelweißpiraten vergeblich und gefährlich war. Die ganz wenigen Mutigen blieben die gesellschaftlich Ausgestoßenen (Kaufhold 2021). Der 1942 in Shanghai geborene jüdische Journalist Peter Finkelgruen ist der Erste, der in Köln ab 1978 hartnäckig zu dem Schicksal der Edelweißpiraten arbeitet. Ihm schließt sich sein Freund Jean Jülich an (vgl. Finkelgruen 2020, Jülich 2003, Kaufhold 2020b). Es folgten weitere 20 Jahre des kollektiven Schweigens. Auch Mucki Koch schweigt.

Erst in ihrer Autobiografie (Koch 2006) schreibt sie über ihre Gestapohaft ab 1942 im Kölner EL-DE Haus. Sie wird durch den gefürchteten Gestapobeamten Högen brutal verhört und mehrere Monate im Gestapogefängnis Brauweiler festgehalten: „Die einzelnen Verhöre dauerten mal zehn Minuten, dann auch wieder zwei oder drei Stunden. Jedes Mal wollte Hoegen wissen, wo sonst noch „Nester“ wären. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte es ihm nicht sagen können. Ich wusste es nicht.“

Trotz der Folter sagt sich die 18-Jährige: „Sollten sie mich doch totschlagen, mich würden sie nicht verbiegen können. Die grausamen Schläge zeigten mir auch, dass sie Angst hatten. Sie fürchteten den jugendlichen Widerstand der Edelweißgruppen.“ (Koch 2006, vgl. Kaufhold 2020a, b)

Am Wichtigsten ist ihr die Rehabilitation von Kölns mutigstem Widerständler: Dem am 10.11.1944 gemeinsam mit zwölf weiteren Jugendlichen und Widerständlern hingerichteten Hans Steinbrück (vgl. Finkelgruen 2020): „Ich kannte ihn nicht persönlich, aber meine Mutter hatte mir von ihm erzählt, als wir abends im Stroh lagen. Er war aus dem KZ-Außenlager Köln-Messe geflohen und hatte andere Geflüchtete, Juden, Deserteure und Zwangsarbeiter, um sich gesammelt. Er soll sogar die Idee gehabt haben, das EL-DE-Haus in die Luft zu sprengen.“

Peter Finkelgruen hat Hans Steinbrück in seinem Buch „Soweit er Jude war..“ ein Denkmal gesetzt. Dass der mutige Steinbrück sogar von den Verantwortlichen des EL-DE Hauses über Jahrzehnte entwertet wurde, bleibt eine Ungeheuerlichkeit und ist Beleg für die Fortdauer der gesellschaftlichen Verleugnungsstrategien zu den NS-Verbrechen.

1943 wird Mucki freigelassen, sie flieht nach Süddeutschland. Sie trifft ihre Mutter wieder, gemeinsam leben sie bis zum Kriegsende auf einem Bergbauernhof. Nach dem Krieg engagiert sie sich bei der KPD. Und sie arbeitet als Straßenbahnschaffnerin, bei der Drogenhilfe und als Seniorenvertreterin. Ab 2007, da ist sie 83, ereilen sie dann doch symbolische Auszeichnungen (Rheinlandtaler, Heine-Büste, Bundesverdienstkreuz).

Ihre „Rehabilitation“ durch den Kölner Regierungspräsidenten Jürgen Roters im Jahr 2005 war für sie „die Krönung meines Lebens“, beschließt sie ihr Autobiografie.

Ein Nippeser Edelweißpiratendenkmal

Die Namensbenennung der Köln-Weidenpescher Straße nach Gertrud Koch wird nun ergänzt durch die Einweihung eines Edelweißpiratendenkmals in Köln-Nippes. Die Einweihung des Denkmals „Singender Baum“ – gestaltet von Grigory Berstein und Friedhelm Gauchel – auf dem Nippeser Leipziger Platz fand am 30.4.2025 statt. Unweit dieses Platzes hatte sich im Oktober 1942 der Nippeser Club der Edelweißpiraten getroffen.

Initiiert wurde die Denkmaleinweihung durch die Initiative Nippeser Edelweißpiraten um Heinrich Bleicher, Diana Siebert und Marc Urmetzer. Die Straßenbenennung nach Gertrud Mucki Koch und das Nippeser Edelweißpiratendenkmal – beides hätte Mucki Koch sehr gefreut.

Für die Nippeser Bezirksbürgermeisterin Dr. Diana Siebert ist Mucki Koch ein Vorbild für heutige Kölner Jugendliche: Diese habe mit ihren Widerstandsaktionen während der Nazizeit enormen Mut gezeigt. Solchen Mut bräuchten wir heute. „Deshalb bin ich sehr für den Vorschlag, nach ihr eine Straße in dem neuen Wohngebiet Simonsveedel in Weidenpesch zu benennen“, betont sie gegenüber haGalil.

 

Literatur

Gerhart Baums Rede über Peter Finkelgruen und die Edelweißpiraten im Sommer 2020: https://www.youtube.com/watch?v=ucKHeR2PwBA&t=10s

Finkelgruen, P. (2020): „Soweit er Jude war…“. Moritat von der Bewältigung des Widerstandes – die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944“. Mit einem Vorwort von Gerhart Baum. Herausgegeben von R. Kaufhold, A. Livnat und N. Englhart. BoD. ISBN-13: 9783751907415 https://www.bod.de/buchshop/soweit-er-jude-war-peter-finkelgruen-9783751907415

Gedenkstätte Deutscher Widerstand (o. J.): Gertrud Koch, 1. Juni 1924 – 21. Juni 2016. Internet: https://www.gdw-berlin.de/vertiefung/biografien/personenverzeichnis/biografie/view-bio/gertrud-koch/

Jülich, J. (2003): Kohldampf, Knast un Kamelle. Ein Edelweißpirat erzählt sein Leben. Köln: KiWi.

Kaufhold, R. (2020a): Gertrud „Mucki“ Koch : Meine Jugend als Widerstandskämpferin, in: Finkelgruen (2020), S. 279-285.

Kaufhold, R. (2020b): Die „Kölner Kontroverse“? Bücher über die Edelweißpiraten. Eine Chronologie. In: Finkelgruen, P. (2020): „Soweit er Jude war“, S. 217-342.

Kaufhold, R. (2021): Die Kölner Edelweißpiraten „als Vierte Front in Köln“. Kriminalisierung versus Anerkennung des jugendlichen politischen Widerstandes, in: Lernen aus der Geschichte, 2021: https://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/15208

Kaufhold, R. (2024a): „Es war eine Selbstverständlichkeit, gegen Hitler zu kämpfen“. Die widerständige Kölner Edelweißpiratin Gertrud „Mucki“ Koch wäre soeben 100 geworden, haGalil, 6.2004: https://www.hagalil.com/2024/06/mucki-koch/

Kaufhold, R. (2024b): „Es war eine Selbstverständlichkeit, gegen Hitler zu kämpfen“. Zum 100.ten Geburtstag von Gertrud „Mucki“ Koch, in: Nippes-Magazin 2/2024, S. 4 (Sommer 2024).

Koch, G. (mit R. Carstensen) (2006): Edelweiß. Meine Jugend als Widerstandskämpferin.

Simsek, M. (2014): Mucki, die Edelweißpiratin. WDR, Erlebte Geschichte, 5.10.2014 (2 Teile): https://www1.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/erlebtegeschichten/gertrudkoch102.html

Theilen, F. (1984): Edelweißpiraten. Geschichte eines Jugendlichen der trotz aller Drohungen nicht bereit war, sich dem nationalsozialistischen Erziehungsanspruch unterzuordnen. Mit einem Vorwort von M. von Hellfeld. Köln: Pahl-Rugenstein.

Transparent tv (2004): Portrait von Mucki Koch: https://www.youtube.com/watch?v=VKkyFdNn0oo