NS-Eliteschule und jüdischer „Wartesaal“ – Feldafing zwischen 1934 und 1953

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US-General Dwight D. Eisenhower besuchte im September 1945 das DP-Camp Feldafing, Foto: aus dem besprochenen Band (ushmm)

„Wir landeten am 30. April 1945 in der Nähe von Tutzing, wo wir dann von den amerikanischen Truppen befreit wurden. Nach der Befreiung wurden wir nach etwa drei Tagen in der ehemaligen NS-Führungsschule in Feldafing untergebracht“, notierte Max Mannheimer in seinem Überlebensbericht. Er und hunderte andere waren mit einem „Evakuierungszug“ aus dem KZ Lagerkomplex Mühldorf in Feldafing gestrandet.

In diesem beliebten Touristenort am Ufer des Starnberger Sees war 1934 die „Reichsschule der NSDAP“ gegründet worden. Bis Kriegsende wurde in dieser NS-Kaderschmiede eine Elite im Geiste des Nationalsozialismus herangebildet – hunderte von Schülern zu fanatischen „Volksgenossen“ erzogen. Da sich in unmittelbarer Nähe auch ein Außenlager von Dachau befand, konnten die bestens versorgten „zukünftigen Herrenmenschen“ auf die zur Sklavenarbeit herangezogenen KZ-Häftlinge herabblicken, die in ihren gestreiften Sträflingsanzügen nicht zu übersehen waren. Auch etliche NS-Größen hatten ihre Söhne nach Feldafing geschickt. Als Unterkünfte dienten die zahlreichen Strandvillen, die zuvor „arisiert“ worden waren oder durch „Ankauf“ in den Besitz der Nationalsozialisten gelangten. Daneben befanden sich für die zahlreichen Schüler noch etliche kasernenähnliche Bauten.

Nach Kriegsende quartierte die US-Armee Überlebende eines KZ-Todesmarsches in die Gebäude ein. Weitere befreite KZ-Häftlinge folgten, so dass sich Feldafing ab Anfang Mai 1945 zu einem der größten jüdischen DP-Camps in Bayern entwickelte. Bis zu 5.000 Juden lebten zwischen 1945 und 1953 in diesem autonomen jüdischen Schtetl am Starnberger See, bis sie eine neue Heimat in Israel, den USA, Kanada oder Australien gefunden hatten. Es entstanden eigene Schulen, Sportvereine, Kultureinrichtungen, jiddische Zeitungen und Synagogen. Der erste Jom-Kippur-Gottesdienst, mit Tausenden von Gläubigen, fand im September 1945 unter freiem Himmel statt – geleitet von dem charismatischen Klausenburger Rebben Jekusiel Jehuda Halberstam, der als einer der wenigen chassidischen Rabbiner die Vernichtungslager überlebt hatte. „Erstmals seit Kriegsbeginn konnten wir uns ohne Angst vor Entdeckung an Gott wenden,“ erinnert sich ein Zeitgenosse. „Als das Totengebet El Maleh Rachamim angestimmt wurde, durchschnitten Schluchzen und gellende Schreie die Luft.“ Prominenter Gast dieses außergewöhnlichen Ereignisses war US-General Dwight D. Eisenhower. Sein Besuch machte Feldafing weltbekannt. Zahlreiche englischsprachige Zeitungen, aber auch die deutsch-amerikanische Emigrantenzeitung AUFBAU, berichteten über das Camp und seine Bewohner.

Das jüdische DP-Assembly Center Feldafing, eines der größten und ersten dieser jüdischen „Wartesäle“, war bislang mehr oder weniger ein weißer Fleck auf der historischen Landkarte. Lediglich eine Magisterarbeit aus dem Jahr 1994 hatte bis dato die Einrichtung im Blick. Mit der Publikation „Traum und Albtraum. Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit“ liegt über die NS-Eliteschule und den jüdischen Neubeginn am Ort der Täter nun eine detaillierte und quellengesättigte 500 Seiten umfassende reich bebilderte Arbeit vor. Dank sei Marita Krauss und Erich Kasberger, die dieses lange verdrängte Kapitel der bayerischen Heimatgeschichte nach rund 80 Jahren dem Vergessen entrissen haben. – (jgt)

 

Marita Krauss/Erich Kasberger, Traum und Albtraum. Feldafing im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, 504 Seiten, Volk Verlag München 2024, ISBN: 978-3-86222-504-0, 39,90 €, Bestellen?