Die Freilassung von Ohad, Eli und Or am Samstag hat für Israelis und Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt Assoziationen mit Bilder von Schoah-Überlebenden hervorgerufen. Auch wenn man keine Vergleiche mit der Schoa ziehen will, das Bild des „Muselmanns“ drängt sich auf. Die Bilder zeigen aber vor allem eines: die noch in Gaza verbliebenen Geiseln haben keine Zeit mehr! Sie müssen so schnell wie möglich nach Hause kommen!
Es war wieder eine große Hamas-Vorstellung. Auch wenn sie geordnet ablief, keine chaotischen Szenen mehr, keine Menschenmassen mehr, die sich um die Autos und die Geiseln selbst drängen. Dafür eine noch viel perfider zynisch ausgearbeitete Show. Die Bühne dekoriert mit englischen und hebräischen Slogans, die direkt auf Netanyahu und seine Parole vom „kompletten Sieg“ anspielen. Im Hintergrund lief nicht „feierliche Musik“, lieber Spiegel, sondern brachiale Propagandamusik!
Dann die Unterschriften mit dem Roten Kreuz, es muss alles sehr ordentlich zugehen bei Hamas. Sogar ein Stempel ist jedes mal mit dabei. Endlich werden die drei Geiseln dann aus den Autos auf die Bühne gebracht, jeder von zwei vermummten bewaffneten Hamas Terroristen flankiert. Zwei der Geiseln, Ohad Ben Ami und Eli Sharabi, haben braune Kleidung bekommen, wie Häftlingskleidung, um offensichtlich eine Analogie zu den palästinensischen Häftlingen herzustellen, die im Gegenzug freigelassen werden. Auf ihrer Brust Schilder, die sie auf Hebräisch als „Häftlinge der Al Aksa Brigaden“ ausweisen. Or Levy erhielt eine Art Militärkleidung, da er offensichtlich als Reservist gesehen wurde.
Alle drei sind sehr stark abgemagert, wackelig auf den Beinen, sonnenempfindlich. Und müssen dann noch ein „Interview“ über sich ergehen lassen, in dem sie sich für die Freilassung und die gute Behandlung durch Hamas bedanken müssen. Das Ganze ebenfalls in Hebräisch, für israelische Ohren bestimmt.
In den israelischen Nachrichtensendungen gibt es sofort Diskussionen, wie Israel darauf reagieren sollte. Tatsächlich sind die Möglichkeiten begrenzt, Druck auf Hamas auszuüben, eine derartige Inszenierung in Zukunft zu unterlassen. Eine Kürzung der humanitären Hilfe oder eine Verzögerung der Freilassung palästinensischer Gefangener wären jeweils ein klarer Verstoß gegen das Abkommen. Der Deal mit dem Teufel.
Nach ihrer Ankunft in Israel und den ersten Stunden mit Familienangehörigen wוrden erste Details bekannt. Die drei erhielten in der letzten Woche mehr Essen und Wasser, offensichtlich um sie etwas „besser vorzeigbar“ zu machen. Dass es die ganze Zeit über genug Essen gab, bezeugen nicht nur die wohlgenährten Terroristen um sie herum, sondern auch die Tatsache, dass die drei aus der Mitte des Gazastreifens entlassen wurden, ein Gebiet, in dem es dauerhafte Versorgung gab. Die Aushungerung ist Teil der Hamas-Terrorstrategie gegenüber den Geiseln, die berichten, sie hätten teilweise nur eine Viertel Pita am Tag zu essen bekommen.
Ohad, Eli und Or wurden die meiste Zeit unterirdisch in Tunneln und ohne Tageslicht festgehalten. Im Gegensatz zu anderen entlassenen Geiseln hatten sie auch keinen Zugang zu Radio oder Fernsehen. Sie wussten nicht um das Ausmaß des 7. Oktober, auch nicht über das Schicksal ihrer Familien.
Eli Sharabi sagte auf der Bühne der Hamas, dass er sich freue, bald seine Frau und Töchter wieder zu sehen. Die drei verbrannten am 7. Oktober im Schutzraum ihres Hauses. Eli erfuhr davon erst gestern nach seiner Rückkehr.


Eli verlor auch seinen Bruder Jossi, der ebenfalls am 7. Oktober mit ihm aus dem Kibbutz Beeri entführt wurde und während eines israelischen Angriffs in Gaza ums Leben kam. Seine Leiche wird weiter in Gaza festgehalten.
Ohad Ben Ami, der auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, wurde ebenfalls aus Beeri entführt, gemeinsam mit seiner Frau Raz, die im November 2023 frei kam. Ohad hat drei Töchter, die gemeinsam mit Raz unermüdlich für seine Freilassung kämpften.
Or Levy hat einen kleinen Sohn Almog, er war 2 Jahre alt am 7. Oktober. Seine Eltern ließen ihn für eine Nacht bei den Großeltern und fuhren auf das Nova Festival. Seine Mutter Einav wurde ermordet. Ors Familie kümmert sich seitdem um den kleinen Almog. Er wusste, dass seine Mutter nicht zurückkehren wird, und dass sein Vater „verloren“ gegangen ist und man ihn sucht. Gestern dann endlich das Wiedersehen. „Du hast sehr lange gebraucht, um wiederzukommen“, hat Almog seinem Vater gesagt.
Or wurde aus dem sog. „Todesbunker“ entführt. Er und seine Frau Einav hatten mit vielen weiteren, die vor dem Überfall der Hamas auf das Nova Festival flüchteten, Schutz in einem kleinen Bunker am Straßenrand gesucht. Es gibt Aufnahmen davon, wie Hamas diesen Bunker angreift. Immer wieder werfen die Terroristen eine Handgranate hinein, immer wieder wirft sie jemand wieder hinaus. Aner Shapria, ein Soldat der Nahal Brigade, der an diesem Tag Urlaub hatte und ebenfalls das Nova Festival besuchte, stand am Eingang des Bunkers und warf die Granaten wieder und wieder hinaus. Die achte Granate explodierte in seiner Hand und tötete ihn. Der Bunker wurde darauf gestürmt, 16 der Schutzsuchenden im Bunker wurden ermordet.
Or wurde aus dem Bunker herausgezogen und auf einen Pickup geworden, ohne zu wissen, was mit seiner Frau passiert war. Aus dem Bunker wurde auch der schwer verletzte Hersh Goldberg-Polin entführt. Or fragte gestern nach ihm, war sich sicher, dass er bereits freigelassen wurde und hörte von Hershs Ermordung in Gefangenschaft. Zwei weitere Männer, die aus dem Bunker entführt wurden, Elia Cohen und Alon Ohel, sind weiter in Gaza gefangen.
Und wie geht es weiter? Israels Regierung scheint keine Eile zu haben. Zwar soll heute eine Delegation nach Doha reisen, jedoch ohne ein Mandat für Verhandlungen der nächsten Phase, sondern nur um technische Details der derzeitigen Phase zu besprechen. Und auch das Kabinett soll erst am Donnerstag zusammenkommen. „Wie kommt es, dass das Kabinett nach den schockierenden Fotos von Eli, Ohad und Or nicht sofort zusammentritt? Welche Beweise sind noch nötig, damit die Entscheidungsträger die dringende Notwendigkeit der Freilassung der verbliebenen 76 entführten Menschen verstehen?“, fragt zu Recht das Forum der Familien der Entführten.