Alain Finkielkraut kritisierte schon vor vierzig Jahren, dass der Holocaust in der französischen Linken relativiert wurde. Sein damaliges Buch erschien erst jetzt in deutscher Übersetzung. Gute Gedanken werden darin aber allzu häufig durch eine essaystische Schreibe überlagert.
Von Armin Pfahl-Traughber
Den Begriff „Geschichtsrevisionismus“ kann man politisch und wissenschaftlich verstehen. Letzteres meint die Änderung der Deutung historischer Ereignisse, welche durch neue Fakten oder neues Hintergrundwissen motiviert ist. Ersteres meint eine neue Darstellung, die durch eine politische Ideologie motiviert ist. Mit einem Geschichtsrevisionismus von rechtsextremistischer Seite hat man es etwa zu tun, wenn der Holocaust als Menschheitsverbrechen geleugnet oder relativiert wird. Derartige Auffassungen kamen übrigens nicht zuerst in Deutschland, sondern in Frankreich auf. Bereits seit Ende der 1940er Jahre erschienen im Nachbarland einschlägige Publikationen, meist von ehemalige Kollaborateuren und deren ideologische Sympathisanten. In den 1970er Jahren machte diesbezüglich ein ansonsten kaum bekannter Literaturwissenschaftlicher auf sich aufmerksam: Robert Faurisson. Er leugnete mehrfach in Artikeln und Büchern, dass an Juden eine systematische Massenvernichtung durchgeführt wurde.
Erstaunlicherweise unterstützten ihn einige linke Intellektuelle, die angeblich nur für seine Meinungsfreiheit eintraten. Das bekannteste Beispiel dafür war Noam Chomsky, ein vehementer Kritiker der US-Politik. Aber auch Jean-Gabriel Cohn-Bendit, der Bruder von Daniel, trat öffentlich für Faurisson und dessen „Meinungsfreiheit“ ein. Dies motivierte Alain Finkielkraut, einen der bekanntesten französischen Philosophen, 1982 zu einer kritischen Monographie zum Thema. Über vierzig Jahre später erschien mit „Revisionismus von links. Überlegungen zur Frage des Genozids“ eine deutsche Übersetzung. Angesichts gegenwärtiger Deutungen – insbesondere aus der postkolonialistischen Ecke – zum Holocaust sollten damit bestimmte Kontinuitäten von linken Zerrbildern veranschaulicht werden. Denn ebendort lassen sich Bemühungen gegenüber der Judenvernichtung ausmachen, mittels eines eigenen Revisionismus deren historischen Stellenwert zu relativieren. Dieser Bezug muss in der Gegenwart bewusst sein, will man die deutsche Neuausgabe der Schrift verstehen.
Angesichts der Darstellungsform von Finkielkraut fällt es nicht leicht, zum Inhalt einen einfachen Zugang zu bekommen. Dies hängt nur begrenzt mit den vielen zeitgenössischen Bezügen zusammen, finden sich dazu doch erläuternde Fußnoten. Es geht um einen Essay ohne klare Struktur, springt der Autor doch bei den Inhalten hin und her, gleichzeitig ergeht er sich in abstrakten Formulierungen mit vieldeutigen Kommentaren. Auch wenn mehr Klarheit durch das von Niklaas Machunsky erstellte ausführliche Nachwort geschaffen werden sollte, so gelingt dies in der Gesamtschau bei der Lektüre nicht unbedingt. Gleichwohl offenbart der Autor viele linke Dogmen und Fehldeutungen, wozu auch das Desinteresse gegenüber der Judenfeindschaft zählte, war diese doch in eine Klassenkampf-Logik als gesondertes Thema nicht einordbar. Einschlägige Auseinandersetzungen galten als Konflikte zwischen unterschiedlichen bürgerlichen Spektren. Denen gegenüber meinte man sich in der politischen Auseinandersetzung nicht in einem linken Sinne positionieren zu müssen.
Für dieses Desinteresse lieferte Finkielkraut eine Fülle von historischem Stoff, wobei die Formulierung „Revisionismus von links“ nicht ganz zutreffend wirkt. Denn so bedenklich die Auffassungen von links waren, so können sie doch mit den Deutungen von rechts nicht gleichgesetzt werden. In polemischer Absicht neigte der Autor allzu häufig zu übertreibenden Zuspitzungen. Als Beispiel mag folgender Satz dienen: „Das offensichtliche ist widerlegt: nicht aus Hass auf die Juden wird Hitler von seinem Versuch des Völkermords freigesprochen, sondern aus einer abstrakten Liebe zur Arbeiterklasse“ (S. 45). Derartiges macht die Ausrichtung der Kritik nicht falsch, denn die angesprochenen Doppelmoralen der Linken lassen sich bis heute konstatieren. Berechtigt ist auch eine mahnende Anmerkung wie die, wonach ein einseitiger Blick „uns blind gegen die nichtfaschistischen Formen des Antisemitismus“ (S. 139) macht. Viele kluge Gedanken gehen aber in essayistischen Reflexionen mit unklarer Struktur unter. Dagegen hilft auch das gute Nachwort kaum.
Alain Finkielkraut, Revisionismus von links. Überlegungen zur Frage des Genozids, Freiburg 2025 (Ca Ira-Verlag), 203 S., 26 Euro, Bestellen?