„Die Leute lieben es zu hassen…“

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Martha Gellhorn, 1940, Foto: Ernest Hemingway Photographs Collection 012 010 05619. Public Domain

Martha Gellhorns Reportage Die Araber von Palästina neu aufgelegt

„Zwei Generationen palästinensischer Kinder mussten von Flüchtlingslehrern in UNRWA-Schulen lernen, wie und warum sie ein Problem waren“, schrieb die Journalistin Martha Gellhorn in einem Essay im Juli 1967. „In denselben Jahren haben etwa fünfunddreißig Millionen anderer Flüchtlinge in der ganzen Welt ohne Unterstützung der UNWRA, aber ungehindert von politischen Interessen tapfer und klaglos ihr Problem gelöst und sich ein neues unabhängiges Leben aufgebaut!“

Die renommierte Kriegsreporterin Martha Gellhorn wurde 1908 in St. Louis als Tochter von Edna und George, beide mit deutsch-jüdischen Wurzeln, in ein liberales Elternhaus hineingeboren. Schon früh faszinierte das Mädchen der Journalismus. Bereits in jungen Jahren reiste sie nach Europa, schrieb für US-Magazine über Mode und genoss das bunte und wilde Treiben in Paris. Doch schnell wurde sie des Boheme-Lebens überdrüssig. Martha suchte neue Herausforderungen und fand sie an den internationalen Konfliktherden, über die sie als eine der ersten und wenigen Frauen hautnah und kompetent informierte. Mit ihren Reportagen aus dem spanischen Bürgerkrieg hatten sie sich bald einen Namen gemacht. Leidenschaftlich und mit viel Empathie berichtet die Journalistin fünf Jahrzehnte von den Kriegsschauplätzen rund um den Globus. Sie begleitete auch die US-Armee auf ihrem Siegeszug gegen das NS-Regime und war wenige Tage nach der Befreiung des KZ Dachau vor Ort. „Hinter dem Stacheldraht und dem elektrischen Zaun saßen die Skelette in der Sonne“, berichtet Gellhorn über das unfassbare Grauen. „Sie sind völlig alterslos und gesichtslos; alle sehen gleich aus.“ Schon immer galt ihr Interesse den Unterdrückten, den Verfolgten, ein Ergebnis ihrer Erziehung und Prägung durch ihr Elternhaus. Daher setzte sich Martha Gellhorn auch früh mit dem „Palästina-Problem“ auseinander. Für sie war klar: Juden brauchen eine Heimstatt, einen eigenen Staat, in dem sie vor Verfolgung sicher sind.

1949 reist Martha Gellhorn das erste Mal nach Israel: „Tel Aviv, ein Fluss aus Sand. Staubwolken hängen über dem Meereshorizont am wolkenlosen Himmel. Aufgeregt und glücklich zugleich; eine neue Welt“, notierte sie in ihrem Tagebuch voller Freude. Der junge jüdische Staat war für sie die „Gewähr gegen eine Wiederholung des grässlichsten Verbrechens in der Geschichte.“ Fortan führten sie immer wieder Reisen in das Land. 1961 besuchte sie zudem einige UN-Flüchtlingslager in Jordanien (Westbank), Syrien, Libanon und Ägypten (Gaza). Eine große Reportage über ihre Erfahrungen und Erlebnisse erschien zunächst unter dem Titel „Die Araber von Palästina“ im renommierten Magazin „The Atlantic Monthly“. Gellhorn war entsetzt über den infamen Antisemitismus, mit dem sie konfrontiert wurde: „Den Kindern wird Hass beigebracht, Mörder hätten den Garten Eden gestohlen und ihre Pflicht sei es, ihr Leben für Rache und Rückkehr zu geben“, notierte sie. Auf die Frage an einen jungen Palästinenser, was er beruflich mache, erhielt sie die Antwort „Nichts!“ Auf Nachfrage, was er denn gerne tun würde, sagte er: „Soldat sein und gegen die Juden kämpfen.“

Schockiert über diese tief verwurzelte Feindseligkeit forderte sie, „zukünftig sollten keine UNO-Gelder mehr ausgegeben werden, um Hass zu erzeugen“. Anstatt die internationalen Hilfsgelder für die Ausbildung der jungen Generation zu verwenden, würden sie mit Waffen und Sprengstoff versorgt. „Die UNRWA ist schon immer wie eine heilige Kuh behandelt worden. Niemand hat jemals eine sorgfältige neutrale Untersuchung der Organisation durchgeführt, ihre Erfolge und Misserfolge aufgelistet und ihre Methoden, ihre Finanzen und ihre politische Wirksamkeit überprüft.“

Auch während des Sechstagekriegs 1967 war Martha Gellhorn in Israel und berichtete darüber im Magazin „The Nation“. Sie sprach mit zahlreichen Palästinensern in der Westbank und Gaza. „Es fing immer gut an; Araber haben bezaubernde Umgangsformen“, berichtet sie. Doch „plötzlich von einer Sekunde auf die andere änderte sich die Atmosphäre“. Denn vor dem Krieg rechneten die Araber, berauscht durch die Propaganda, wirklich damit, den jüdischen Staat auszulöschen. Durch den Sieg der Israelis wurde der Hass auf die Juden noch „böser und gnadenloser“. „Vielleicht werden die Araber in dem israelisch besetzten Territorium im Lauf der Zeit zu dem Schluss kommen, dass Friede sich besser bezahlt macht als Propaganda“, notierte Martha Gellhorn gleichwohl hoffnungsvoll, denn „Propaganda erzeugt Hass, und Hass erzeugt Mörder“.

Leider ist ihr Wunsch nicht in Erfüllung gegangen. Noch immer wird dem jüdischen Staat das Existenzrecht abgesprochen. Kein Land der Erde wird seit 76 Jahren militärisch von seinen Nachbarn bedroht und lebt in einem permanenten Belagerungszustand. Mit ihren Reportagen wollte Gellhorn ein wenig „die Tatsachen richtigstellen“, nämlich darauf hinweisen, dass die arabische Behauptung von israelischen Gräueltaten einfach nicht zutraf. „Israel benötigt dringend, was es nicht bekommen kann: die Akzeptanz der muslimischen Welt und Friede. Israel bracht Ruhe.“

Obwohl die Essays vor Jahrzehnten verfasst wurden, haben sie nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Gellhorn beschreibt die Realität des „Palästina-Problems“ in aller Deutlichkeit: den nicht enden wollenden Kampf der Israelis ums Überleben und das Verharren der von 700.000 auf mittlerweile fünf Millionen angewachsenen Gruppe der palästinensischen „Flüchtlinge“ in ihrer vermeintlichen Opferrolle; sie fühlen sich verfolgt, benachteiligt und „lieben den Hass“. Doch für „Juden gibt’s es kein anderes angestammtes Land als Israel!“

Die „Araber von Palästina“ ist ein wichtiges und erhellendes Buch, das neben den Reportagen über die arabischen „Flüchtlinge“ noch Texte zum Eichmann-Prozess und den Sechstagekrieg enthält. Abgerundet wird der Band durch ein vorzügliches Nachwort von Klaus Bittermann. Sein Beitrag „Blinde Flecken der Solidarität mit Palästina“ zeigt die Kontinuität der weltweiten Feindschaft und Empathielosigkeit gegenüber allem Jüdischen. Daher werde man das am 7. Oktober 2023 größte verübte Massaker seit der Shoa den Juden nie verzeihen. Es scheint, als hätte man nur drauf gewartet, dass sich der israelische Staat zur Wehr setzt, um die Juden als Täter, als „zionistische Kolonialisten“, zu stigmatisieren. – (jgt)

Martha Gellhorn, Die Araber von Palästina. Reportagen über arabische Flüchtlinge, Eichmann und den Sechstagekrieg, edition TIAMAT Berlin 2024, 174 Seiten, 18 €, Bestellen?