Trauer und Wut haben den gestrigen Tag in Israel bestimmt. Trauer und Wut über den Tod von weiteren sechs Geiseln. Mittlerweile ist bekannt, dass die sechs, die in einem 20 Meter tiefen Tunnel in Rafah aufgefunden wurden, durch gezielte Kopf- und Genickschüsse von Hamas Terroristen hingerichtet wurden, in der Nacht von Donnerstag oder Freitag. Trauer und Wut, weil es schon seit langem ein Abkommen geben sollte, dass die Geiseln nach Hause bringt. Ein Abkommen, dass durch immer neue Forderungen Netanyahus torpediert wird, so sehen es die Familien der Entführten und viele Israelis.
Zuletzt hatte Premier Netanyahu dafür gesorgt, dass sein Kabinett dafür stimmt, dass die Forderung nach einer israelischen Präsenz an der Grenze zu Ägypten, der sog. Philadelphi Route, in einem Abkommen festgeschrieben wird. Und das entgegen den Aussagen von Militärs, Sicherheitsexperten, auch entgegen der Auffassung von Generalstabschef und Verteidigungsminister, die alle betonen, dass man sich um diese Grenze auch später kümmern könnte. Es ist offensichtlich, dass die Entführten nicht Netanyahus oberste Priorität sind.
Auf spontanen Demonstrationen den ganzen Tag über, einer großen Demo in Jerusalem zeitgleich zur Kabinettssitzung und schließlich auf einer Großdemonstration am Abend vor dem Hauptquartier der Armee in Tel Aviv entlud sich Zorn und Enttäuschung über die eigene Regierung. Über 300.000 Menschen waren dorthin gekommen.
Am Nachmittag hatte Arnon Bar David, Vorsitzender der nationalen Gewerkschaft Histadrut, einen Generalstreik für Montag angekündigt. Das Abkommen werde „aus politischen Gründen“ nicht vorangebracht, sagte er dabei und rief die Bevölkerung auf, demonstrieren zu gehen. Betroffen sind Einkaufszentren, Banken, ein Teil des öffentlichen Nahverkehrs und auch der Ben Gurion Airport. Schon zuvor hatten mehrere Stadtverwaltung angekündigt, morgen zu streiken, darunter Tel Aviv, Herzlija, Raanana, Givatajm, Haifa, Beersheva und viele weitere. Krankenhäuser laufen im „Schabbat“-Modus.
Der Druck auf Netanyahu und sein Kabinett, in dem derzeit nur Verteidigungsminister Gallant als Stimme der Vernunft zu hören ist, ist groß. Ob er zu einem Umdenken reicht, wird sich zeigen.