Der nationalrevolutionäre Autor Ernst Niekisch (1889-1967) gilt als früher NS-Gegner und Widerständler. Seine Bücher wurden aber offenbar nicht gelesen: Antisemitismus prägte seine „Geschichtstheorie“, Hitler kritisierte er von rechts als Legalisten.
Von Armin Pfahl-Traughber
Sein bekanntestes Buch dürfte „Hitler – ein deutsches Verhängnis“ von 1932 gewesen sein. Gemeint ist dessen Autor Ernst Niekisch, ein bekannter Publizist in der Weimarer Republik. Bestärkt wird die Botschaft des Titels noch durch das Titelbild, zeigt es doch einen SA-Mann im Totengerippe. So fand die Broschüre, denn es ging nur um 36 Seiten Text, große Verbreitung. Niekisch galt fortan als früher Warner und relevanter Widerständler. Der 1889 Geborene war zunächst in einem Arbeiterrat und in der SPD aktiv, bekannte sich aber ab den 1920er Jahre zu einer nationalrevolutionären Orientierung, die als links und rechts geltende Ideologiefragmente zusammenführte. Bedeutsam wurde Niekisch als Publizist in seiner eigenen Zeitschrift, bezeichnenderweise als „Widerstand. Blätter für sozialistische und nationalrevolutionäre Politik“ 1926 gegründet. Nach 1933 betätigte er sich auch aktiv gegen den Nationalsozialismus im Widerstand, was dann zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe führte. Erst durch das Kriegsende kam Niekisch wieder frei.
Dieser persönliche Lebensweg beeindruckt und lässt ihn als überzeugten Widerständler erscheinen. Doch adelte ihn moralisch und politisch auch sein Engagement und seine Publizistik? Zu dieser Auffassung kann man in der Bilanz kaum kommen, wenn man auch Buchinhalte und nicht nur Buchtitel liest. Dies gilt bereits für die erwähnte Broschüre über Hitler, wo dieser nicht aus demokratischer, sondern aus rechter Perspektive eine Verdammung erfährt. Es heißt darin etwa: „Die demokratische Maschinerie war auf deutschem Boden in Gang gesetzt worden, um Deutschland zu zerstören; Hitler gelang es, sie so umzuschalten, daß sie gegen den Urheber, den Geist des Westens, zu funktionieren begann“ (S. 7). Dann habe sich aber Hitler legalistisch dem System angepasst: „Dieser Demokratismus kennzeichnet den Nationalsozialismus von Anfang an …“ (S. 10). Denn: „Der Nationalsozialismus gliederte sich bewußt dem Abendlande ein; daß er faschistisch, bürgerlich-zivilisatorisch, demokratisch-parlamentarisch, legal wurde …“ (S. 29).
Die hier zum Ausdruck kommende besondere Distanz dem Nationalsozialismus gegenüber wurde bei Niekisch nicht näher wahrgenommen. Gleiches gilt für sein Buch „Die dritte imperiale Figur“ von 1935, das Antisemitismus in eine absonderliche „Geschichtstheorie“ integrierte. Demnach sei die historische Entwicklung von „imperialen Figuren“ bestimmt gewesen, dabei wäre der „ewige Jude“ dem „ewigen Römer“ gefolgt. Über mehrere Kapitel hinweg wird dann ein antisemitisches Klischee von Niekisch an das andere gereiht. Ein paar Beispiele veranschaulichen dies ohne notwendigen Kommentar: „Als Rom den Juden völkisch einebnen und ‚verdauen‘ wollte, sonderte dieser das ‚Gift‘ des Christentums ab …“ (S. 13). Oder: „Der Jude liebt es, seine existentielle Gebundenheit an die ökonomische Ratio zu verschleiern …“ (S. 23). Oder: „Die Freimaurerei will … die staatsschöpferische Rechtssatzung und das kirchenschöpferische Dogma … liquidieren und durch das jüdische Gestaltungsprinzip, die Anarchie schaffende Geldherrschaft, ersetzen“ (S. 56f.).
So sei die Geschichte von der „imperialen Figur“ des „ewigen Juden“ mit geprägt worden, was auch für die ökonomische Geschichte gegolten hätte: „Die kapitalistische Maschinerie war aus dem Geiste des ewigen Juden geboren; aber sie war nur eine Etappe auf dem Wege zum jüdischen Endziel“ (S. 116). Hier ist Antisemitismus kein bloßes Ressentiment, sondern Weltanschauung. Niekisch trat 1946 der SED bei und gehörte 1949 der ersten „Volkskammer“ an. Nach dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 legte er immerhin alle Funktionen nieder und ging in den Westen. In Berlin starb Niekisch 1967. Bekannte linke Intellektuelle würdigten ihn später mit pathetischen Worten: Für Wolfgang Abendroth war er ein „furchtloser Streiter“, für Sebastian Haffner der „wirkliche Gegenspieler Hitlers“. Ob Beiden die genannten Bücher von Niekisch bekannt waren? Heute wird mit Anerkennung von der „Dissidenz als Lebensprinzip“ bei ihm in der Neuen Rechten („Sezession“, Nr. 120/2024) gesprochen. Das Buch „Die dritte imperiale Figur“ will man dort auch nicht kennen.