Die „Democratic Socialists of America“ wenden sich der Israelfeindlichkeit zu

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Protest in New York angeführt von den Democratic Socialists of America und Jewish Voice for Peace am 20. Oktober 2023, Foto: 4kbw9Df3Tw/CC0

Die „Democratic Socialists of America“ sind die größte sozialistische Organisation in den USA. Aus einer israelfreundlichen Ausgangsposition heraus entwickelten sie sich über die Jahre hin zu einer israelfeindlichen Position. Ansätze dazu gab es bereits vor dem 7. Oktober 2023. Austritte von und Kritik an prominenten Mitgliedern stehen für diesen Umbruch.

Von Armin Pfahl-Traughber

Gegenwärtig lösen Hamas-Apologie und Israelfeindlichkeit in linken Organisationen heftige Zerwürfnisse aus. Unabhängig von diesem thematischen Bezug stehen sie für inhaltliche Differenzen, die grundsätzlicher Art bezogen auf das demokratische und menschenrechtliche Selbstverständnis sind. Ein erschreckendes Beispiel dafür sind die 1982 gegründeten „Democratic Socialists of America“ (DSA). Sie entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten zur größten sozialistischen Organisation der USA. Aus europäischer Blickrichtung vertraten sie Positionen einer linken Sozialdemokratie, ähnlich denen der früheren Reformpolitik derartiger Parteien in Skandinavien. Zu den Begründern gehörte auch Michael Harrington (1928-1989), einer ihrer bedeutendsten Intellektuellen und Organisatoren. Er kritisierte ebenso offensiv die Armut in seinem Land wie die Repressionen in der Sowjetunion. Harrington nahm gegenüber Israel eine solidarische Position ein, gleichzeitig kritisierte er die affirmative Einstellung gegenüber der PLO in linken Romantisierungen.

Derartige Auffassungen wurden auch breit bei den DSA vertreten, was Kritik an den späteren Likud-geführten Regierungen nicht ausschloss. Den Aufschwung der DSA erlebte Harrington nicht mehr, denn erst in den 2010er Jahren stiegen die Mitgliederzahlen stark an. Waren es im Gründungsjahr nur 5.000, so 2016 schon 25.000 und 2021 gar 95.000 Menschen. Diese Entwicklung hing mit einer anwachsenden öffentlichen Kapitalismuskritik zusammen, ablesbar einerseits an der Occupy-Wallstreet-Bewegung und andererseits an den Kandidaturen von Bernie Sanders und den jeweiligen öffentlichen Wirkungen. Gleichzeitig änderte sich aber auch die Ausrichtung gegenüber Israel, nahmen doch die DSA eine immer negativere Haltung gegenüber dem jüdischen Staat ein. So beschloss man 2017 die BDS-Unterstützung, also die Boykottforderungen gegenüber Israel. Eine Bekräftigung erfolgte 2019 in einem erneuten Beschluss, kombiniert mit einer Arbeitsgruppengründung zur Palästinasolidarität. Die Änderungen der Positionen erfolgten demnach lange vor 2023.

Welche konkreten Folgen sie hatten, soll anhand zweier prominenter Mitglieder veranschaulicht werden: Im ersten Fall geht es um Maurice Isserman, einen bekannten Historiker der politischen Linken, der auch durch eine Biographie über Harrington bekannt wurde. Er gehörte zu den DSA-Gründern und trat nach über vier Jahrzehnten aus ihnen aus. Die Begründung für diese Entscheidung veröffentlichte Isserman in „The Nation“, wobei er die Entwicklung der DSA thematisierte, aber auch die Gründe für seinen persönlichen Schritt vortrug. Zunächst soll der letztgenannte Aspekt ein Thema sein. Dazu schrieb Isserman: „Ich ging, um gegen die politisch und moralisch bankrotte Reaktion der DSA-Führung auf das schreckliche antijüdische Pogrom der Hamas vom 7. Oktober zu protestieren.“ Deutlich heißt es: „Eine Organisation, die nicht in der Lage ist, eine rechtsterroristische Gruppe zu verurteilen, die sich zum Ziel gesetzt hat, so viele jüdische Zivilisten … zu ermorden … hat das Recht verwirkt, sich demokratisch-sozialistisch zu nennen.“

Beim zweiten Fall geht es um Alexandria Ocasio-Cortez, die seit 2019 für die Demokraten als DSA-Mitglied dem Repräsentantenhaus der USA angehört. Durch ihr Engagement zu sozial- und wirtschaftspolitischen Fragen ist sie über die Medien sehr bekannt geworden. Dafür steht ihr Namenskürzel AOC in der Öffentlichkeit. Auch zu Israel und dem Nahost-Konflikt positionierte sie sich in verschiedenen Zusammenhängen, jeweils in einem einseitig kritischen, wenn auch nicht immer unberechtigten Sinne. „Apartheidstaat“ und „Massaker“ kamen und kommen inflationär in ihren Statements zum Thema vor. AOC gehört auch zu den prominenten BDS-Unterstützern. Gleichwohl entzogen ihr die neue DSA-Führung die materielle und politische Unterstützung. Folgende Gründe wurden dazu von der Leitung angegeben: Sie habe einer Erklärung zugestimmt, wonach das Abstreiten des israelischen Existenzrechtes eine antisemitische Position sei. Auch hätte AOC die Finanzierung der als „Iron Dome“ bekannte israelischen Raketenabwehr unterstützt.

Für die Auffassungen, die mittlerweile bei den DSA kursieren, seien hier einige Beispiele genannt: In einer ersten Erklärung nach dem Hamas-Massaker wurde die verantwortliche Organisation gar nicht erwähnt, stattdessen war vom „israelischen Apartheidsregime“ die Rede. Einzelne Aktivisten sprachen ohne erfahrene Distanzierung von Hängegleitern, welche mit ihren Gewaltakten dann Widerstandshandlungen vollzogen hätten. Die DSA-Connecticut twitterten von einem „beispiellosen antikolonialen Kampf“. Ähnlich meinten die DSA-San Francisco, dass man den „Befreiungskampf“ der Palästinenser als „Widerstand“ unterstützte. Und bei DSA-Seattle hieß es: „Dekolonialisierung – vom Fluss bis zum Meer. Nicht nur Gaza und das Westjordanland, wir wollen alles 48.“ All diese Beispiele wurden in der Erklärung von Isserman genannt. Derartige Auffassungen und Aussagen findet man auch in den Erklärungen des „International Committee“, wogegen die DSA-Führung offenbar gelegentlich mit einfachen Löschungen, aber nicht mit inhaltlichen Richtigstellungen interveniert.

Doch wie erklärt sich die Entwicklung hin zu einer israelfeindlichen von einer israelfreundlichen Haltung? Dazu soll noch einmal an die Erklärung von Isserman erinnert werden. Er verwies auf den Eintritt neuer Mitglieder, die aus politisch „sektiererischen“ Kontexten stammten, womit Angehörige etwa marxistisch-leninistisch orientierter Gruppen gemeint waren. Sie hätten eigentlich die Auffassungen der „reformistischen“ DSA abgelehnt, aber so die Chance zur Einflussgewinnung gesehen. Dabei habe gerade die Einschätzung des Nahost-Konfliktes eine wichtige Rolle gespielt, konnte man damit doch den moderaten Flügel um der eigenen Führungskontrolle willen überwinden. Die neue Dominanz der dogmatischen Kräfte erkläre auch, warum DSA-Kandidaten mit nur gemäßigter Kritik der israelischen Politik nicht mehr unterstützt wurden. So erging es im erwähnten Fall auch Ocasio-Cortez. Bilanzierend betrachtet sind die DSA nicht mehr die von Michael Harrington, sie haben ihre demokratische und sozialpolitische Orientierung mehr und mehr aufgegeben.

Hinweise zu den genutzten Quellen:

– Maurice Isserman, Why I Just Quit DSA (23. Oktober 2023), in: www.thenation.com.
– Ocasio-Cortez Loses the Democratic Socialists Endorsement over Israel (11. Juli 2024), in: www.nytimes.com.

Folgende Analysen hat der Autor zu DSA und Michael Harrington vor Jahren veröffentlicht:

– Michael Harrington – ein demokratischer Sozialist in den USA. Eine Erinnerung an den „Mann, der die Armut enthüllte“, in: Perspektiven ds, 34. Jg., Nr. 1/2017, 219-227.
– Der demokratische Sozialismus der Democratic Socialists of America. Auffassungen und Entwicklung der größten sozialistischen Organisation in den USA, in: perspektiven ds, 36. Jg., Nr. 2/2019, S. 118-129.