100 Raketen in einer Stunde

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Screenshot Cumta App, Raketenalarm vom 12.03.

Die Situation an Israels Nordgrenze eskaliert schrittweise weiter. Während wir noch um die öffentliche Meinung in Bezug auf Gaza kämpfen, versuchen zu erklären und den Bildern des Krieges mit Argumenten beizukommen, kann man sich diese Versuche in Bezug auf den Norden schenken. Dieser Kampf ist verloren, in den Medien in Deutschland liest man noch nicht einmal das Mindestmaß an Objektivität und korrekter Darstellung der Fakten.

Ein aktuelles Beispiel. „Israel greift Hisbollah-Stellungen im Libanon an“ titelt der Spiegel heute Morgen und faselt von einem Grenzkonflikt. Die letzten Attacken Israels seien „Vergeltung“ für die Luftangriffe der Hisbollah auf den Golan gewesen. Seit Beginn des Gazakriegs komme es fast täglich zu gegenseitigen Angriffen.

So kann man es auch sagen. Korrekter wäre allerdings: Seit dem 7. Oktober unterstützt Hisbollah die Hamas und greift fast täglich israelische Dörfer und Kibbutzim in der Grenzregion an. Etwa 80.000 Israelis mussten evakuiert werden und leben seit Monaten in provisorischen Unterkünften. Kirjat Schmona, eine Stadt mit gut 20.000 Einwohnern, ist verwaist. In den Kibbutzim an der Grenze sind nur wenige Menschen zurückgeblieben, um den landwirtschaftlichen Betrieb aufrecht zu halten. Hühner werden nicht evakuiert. Dafür aber Opfer des Beschuss aus dem Libanon. Von dort wird täglich mit Panzerabwehrraketen geschossen. Die fliegen tief, lösen nicht immer Alarm aus, lassen sich gut zielen. Wer also in den Kibbutzim zurück geblieben ist, kann nicht gemütlich auf der Straße seines Wohnortes spazieren gehen, weil er dann nämlich evtl. von einer Panzerabwehrrakete getroffen wird. Im Januar starben der 48jährige Barak Ayalon und seine Mutter Mira in Kfar Yuval bei einem solchen Angriff der Hisbollah. Anfang März Patnibin Maxwell, ein indischer Gastarbeiter. Insgesamt starben auf israelischer Seite 16 Menschen, Soldaten und Zivilisten.

„Israel will erreichen, dass sich die Hisbollah wieder hinter den 30 Kilometer von der Grenze entfernten Litani-Fluss zurückzieht – so wie es eine Uno-Resolution aus dem Jahr 2006 vorsieht“, schreibt der Spiegel. Richtig. Nur das kann nämlich die Sicherheit der Bewohner im Norden garantieren. Das ist kein Grenzkonflikt, sondern die einzige Möglichkeit, den Norden Israels wieder bewohnbar zu machen.

Natürlich ist eine weitere Eskalation, ein „richtiger“ Krieg mit der Hisbollah nicht in Israels Interesse, denn das hätte auch in Israel verheerende Auswirkungen. Auch in Tel Aviv ist die Nervosität zu spüren, die Sorge vor einem solchen Krieg. Die Israelis horten Trinkwasser und Konserven, Notgeneratoren sind ausverkauft und in WhatsApp-Gruppen wird darüber diskutiert, was genau nun hysterisch sei oder viel mehr angemessene Vorsichtsmaßnahme.

Von einer diplomatischen Lösung ist man im Moment noch weit entfernt. In den letzten Tagen hat sich die Taktik der Hisbollah verändert, statt dem sehr genauen Beschuss mit Panzerabwehrraketen, gibt es seit einigen Tagen breit gestreuten Beschuss auf zivile Gebiete. Dass es dabei noch keine Opfer auf israelischer Seite lag, liegt daran, dass Hisbollah bisher keine Präzisionsraketen verwendet. Angenehm ist die Situation trotzdem nicht. Die Raketenalarme reißen nicht ab, von normalem Leben kann im Norden keine Rede sein. Heute Morgen wurden innerhalb von einer Stunde 100 Raketen aus dem Libanon auf den Golan abgefeuert. Ein neuer Schritt in Richtung Eskalation, die eine Seite aktiv voran treibt. Das sollte auch so benannt werden.