So ist ein neuer schmaler Band von David Grossman betitelt, der soeben im Hanser Verlag erschienen ist. Er versammelt sieben Reden und Texte des israelischen Schriftstellers, der seit Jahrzehnten, gemeinsam mit seinen Kollegen A. B. Jehoshua und dem mittlerweile verstorbenem Amos Oz als redegewandter Streiter für den Friedensprozess bekannt ist.
Fünf dieser Texte entstanden vor dem 7. Oktober 2023. Der älteste stammt vom Februar 2017, die Rede Grossmans bei der Münchner Sicherheitskonferenz, in der er um Hilfe bittet, um den Friedensprozess wieder in Gang zu bringen: „Ich bitte Sie, alles zu tun, was in Ihren Kräften steht, um die beiden Seiten zusammenzubringen und den Dialog zu erneuern, dem beide schon seit Jahren mit der seltsamen Logik der Selbstzerstörung aus dem Weg gehen.“
In einer Rede anlässlich einer Demonstration auf dem Habima-Platz am 22.05.2021 in Tel Aviv, beklagt er den „todbringenden Teufelskreis“, den Israel und Hamas geschaffen haben und „einem gleichsam automatischen Mechanismus folgen, ihre Aktionen immer nur wiederholen können, und nur jedes Mal mit noch stärkerer Kraft.“ Das Land hatte gerade gewaltsame Ausschreitungen zwischen jüdischen und arabischen Israelis erlebt. Den echten Kampf bezeichnete Grossman in seiner Rede aber nicht zwischen Arabern und Juden, „sondern auf beiden Seiten zwischen jenen, die danach streben, in Frieden und in einer fairen Partnerschaft zusammenzuleben, und denen, die sich seelisch und ideologisch von Hass und Gewalt nähren.“
Am 20.03.2023, mitten in den Auseinandersetzungen um die sog. Justizreform, als Israel sich „in einer der schwersten Krisen, die das Land je kannte“ befand, äußerte er sich optimistisch über die neu entfachte Liebe vieler Israelis zu ihrem Land: „Denn plötzlich wird vielen Israelis klar, dass man dieses Land lieben kann – und das ist keine kitschige, sentimentale Liebe, keine faschistische, an Götzendienst grenzende Bewunderung, sondern eine Hingabe mit wachem Blick, mit dem Wunsch, dieses Land wieder zu einem Zuhause zu machen in dem ehrlichen Streben, mit unseren Nachbarn und Nachbarinnen in Frieden zu leben.“
Grossman äußerte dabei sogar Verständnis dafür, dass die Besatzung in den Protesten nicht zum Thema gemacht wurde, um einen breiten Konsens zu schaffen. In einem Text vom Juni 2023 sagte er dazu jedoch auch, dass man sich damit abgefunden habe, „dass unsere Kinder und Kindeskinder zum Leben mit dem Schwert verdammt sind und nicht selten durch das Schwert fallen.“ Auch Grossmans Sohn Uri fiel im zweiten Libanonkrieg. „Heute scheint der Gedanke an die Besatzung und deren Folgen, die Verdrängung, das Verlogene ihres Daseins die meisten israelischen Bürger kaum noch zu belasten, von Schuldgefühlen ganz zu schweigen. Intuitiv und erfinderisch, wie sie ist, bringt die israelische Mehrheit es fertig, »damit zu leben« (gern würde ich hier schreiben, »es herauszufiltern«).“
Mit „Schwarzer Schabbat“ ist ein Text überschrieben, den Grossman nach dem 7. Oktober veröffentlichte. Mit der Regierung geht er darin hart vor Gericht: „Unzählig die Wunder, unzählig die Opfer und Heldentaten von Soldaten und Zivilisten, doch ein jedes erinnert
an den kriminellen Leichtsinn unserer Sicherheitsdienste, deren Chefs sich selbst – und uns – jahrelang davon überzeugt haben, wir wären hier in der Region die Stärksten und Raffiniertesten, aufs Kriegshandwerk verstünde sich niemand besser als wir.“ Das Gefühl, verraten worden zu sein, sitze tief. „Die Regierung hat ihre Bürger verraten“.
Er stellt jedoch unmissverständlich klar, dass sich der 7. Oktober „mit Israels Vorgehen und Vergehen in den besetzten Gebieten seit 1967 weder relativieren noch rechtfertigen“ lässt. „Ich spreche von der Tiefe des Israelhasses, von der schmerzhaften Einsicht, dass wir Israelis nun wohl auf ewig unter höchster Anspannung und in ständiger Kriegsbereitschaft leben müssen.“
Er bete und hoffe, „dass sich im Westjordanland einige Palästinenser trotz des Abscheus gegen die israelischen Besatzer bereitfinden werden, sich von dem zu distanzieren, was
ihre Landsleute aus dem Gazastreifen angerichtet haben, sei es durch praktische Maßnahmen, sei es durch eine öffentliche Verurteilung. Ich als Israeli habe kein Recht,
ihnen Vorschriften zu machen. Als Mensch aber habe ich jedes Recht, ja, sogar die Pflicht, ihnen humane, ethische Verhaltensformen abzuverlangen.“
In einer Trauerrede für die Terroropfer am 16.11.2023 in Tel Aviv war er vom Zusammenhalt und der Solidarität der Israelis nach dem 7. Oktober tief ergriffen. „Trotz allem, was geschehen ist, steigt in uns die Ahnung auf, es könnte nun möglich sein, zum zweiten Mal einen neuen Staat aufzubauen – gemeinsam mit euch, den Bewohnern der Städte und Gemeinden, der Kibbuzim und Moschawim. Mit euch, eurer Kraft, eurem Mut könnte uns ein ganz neuer Anfang gelingen.“
Ob er diese Hoffnung auch heute noch hat? Während sich Israels Premier Netanyahu noch immer nicht seiner Verantwortung für den 7. Oktober bekannt hat, werden die Gräben wieder tiefer, die Diskussionen schärfer. In einem Interview im israelischen Fernsehen sagte Grossman kürzlich, dass die Idee des Friedens auch nach dem 7. Oktober nicht tot ist. Denn es gäbe keine andere Lösung, auch jetzt nicht. Im Gegenteil, vielleicht sei die Region gerade jetzt näher als bisher an einer Lösung.
Wer sich etwas Neues aus der Feder Grossmans erhofft, wird nicht fündig. Die meisten der versammelten Texte sind bereits in der Presse zu lesen gewesen. Dennoch ist der schmale Band lesenswert, Grossmans Optimismus bleibt eine Inspiration.
David Grossman, Frieden ist die einzige Option, Hanser Verlag 2024, 64 S., Euro 10,00, Bestellen?