Piraten für die Hamas

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Huthi-Slogan (siehe unten) an einem Haus in Yafaa 2013: „Gott ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“, Foto: Abdullah Sarhan / CC BY-SA 4.0

Seit Monaten machen die jemenitischen Huthis die Schifffahrt im Roten Meer unsicher. Offiziell geht es dabei gegen Israel, weshalb sie zur Kriegspartei geworden sind. Doch die schiitische Rebellengruppe ist mehr als nur einer der vielen Vasallen des Irans.

Von Ralf Balke

In Grünheide in Brandenburg bekommt man sie jetzt zu spüren. Gemeint sind die Angriffe der Huthi-Rebellen am Bab al-Mandab, jener Meerenge zwischen der Küste des Jemen und dem afrikanischen Dschibuti, durch die Containerschiffe oder Tanker rund zehn Prozent des Welthandels transportieren. Wer immer auch via Suez-Kanal durch das Rote Meer in den Indischen Ozean will – oder umgekehrt – kommt an diesem Nadelöhr nicht vorbei. Weil sich die Huthis Ende Oktober 2023 auf die Seite der Hamas geschlagen hatten, begannen sie mit ihren Attacken auf die internationale Seefahrt. Oder sie versuchen mit Raketen und Drohnen das knapp 2000 Kilometer entfernte Israel anzugreifen.

Zwar behaupteten ihre Anführer, dass man nur solche Schiffe ins Visier nehmen würde, die entweder israelische Eigner haben oder Reedereien gehören, an denen Israelis irgendwie beteiligt seien, oder aber israelische Häfen ansteuern. Doch das ist reine Augenwischerei. Wann immer sie die Möglichkeit sehen, einen Frachter oder Tanker außer Gefecht zu setzen oder zu kapern, machen die Huthis das auch. Über zwei dutzend solcher Angriffe mit Schnellbooten, Helikoptern oder Raketen fanden in den vergangenen zweieinhalb Monaten bereits statt. Deswegen haben manche Reedereien wie „Evergreen“ erklärt, keine Aufträge aus Israel mehr anzunehmen. Andere dagegen, wie der dänische Platzhirsch Maersk oder die deutsche Hapag-Lloyd wollen das Rote Meer wegen der Huthis lieber meiden und fahren nun rund um Afrika am Kap der Guten Hoffnung entlang. Das ist sehr zeitaufwendig und bedeutet nicht selten eine Unterbrechung der Lieferketten. Und genau deshalb ist in Grünheide die Produktion des Elektro-Autos Tesla unterbrochen worden. „Aufgrund fehlender Bauteile sind wir daher im Zeitraum zwischen dem 29. Januar und dem 11. Februar dazu gezwungen, die Fahrzeugfertigung in der Gigafactory Berlin-Brandenburg mit Ausnahme einiger weniger Teilbereiche ruhen zu lassen“, erklärte das Unternehmen Ende dieser Woche.

Unter Führung der USA hatte sich bereits im Dezember eine Koalition von mehreren Staaten gebildet, die den Huthis Einhalt gebieten wollen, weshalb Kriegsschiffe in die Region entsandt wurden, um den internationalen Seeweg zu schützen. Und nachdem dieser Tage die schiitische Rebellengruppe wieder Frachter und Tanker mit Drohnen und Raketen attackiert hatten, von denen die allermeisten von britischen und US-Kreuzern abgefangen wurden, gingen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Amerikaner gemeinsam mit den Briten gegen militärische Einrichtungen der Huthis militärisch vor. „Ich werde nicht zögern, bei Bedarf weitere Maßnahmen zum Schutz unserer Bevölkerung und des freien Flusses des internationalen Handels anzuordnen“, erklärte US-Präsident Joe Biden danach.

Die Huthis haben es so geschafft, innerhalb weniger Wochen mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen als in den über 25 Jahren ihrer Existenz als radikal-islamistische Bewegung. Sie selbst bezeichneten sich ursprünglich als „Ansar Allah“, zu Deutsch: „Helfer Gottes“, das Label Huthi-Rebellen bezieht sich auf ihren 2004 bei Auseinandersetzungen mit der jemenitischen Armee getöteten religiösen und ideologischen Leitfigur Hussein al-Huthi. Ihre Anhängerschaft rekrutiert sich aus der schiitischen Bevölkerung des Jemens, genauer gesagt der Zaiditen, einer eigenen Strömung innerhalb des schiitischen Islams, die sich gegen die sunnitische Zentralregierung in Sanaa positioniert hatte, was zu einem blutigen Bürgerkrieg mit schätzungsweise 400.000 zumeist zivilen Opfern führte, der trotz der Tatsache, dass die Huthis seit 2014 sowohl die Hauptstadt des Jemens als auch große Teile entlang der Küste kontrollieren, immer noch weiter schwelt. Militärische und sonstige Unterstützung erhielten sie dabei vor allem aus dem Iran.

Ziel dieser schiitischen Strömung ist die Errichtung eines Imamat, in dem eigentlich den Nachkommen der Enkel des Propheten Mohammed, Hasan und Husain, die Führungsrolle zukommt. Weil das aber bei den Zaiditen mit dem Problem verbunden ist, dass sie keine entsprechende Genealogie akzeptieren, muss ihr Anführer ein Mann sein, der sich durch besondere physische und spirituelle Eigenschaften auszeichnet und mit Waffengewalt durchsetzt. In der Huthi-Bewegung ist das Ganze noch durch einen radikalen Antisemitismus angereichert, der zunehmend in den Mittelpunkt gerückt ist. So lautet die Slogans auf ihrer Flagge folgendermaßen: „Allah ist groß! Tod den USA! Tod Israel! Verdammt seien die Juden! Sieg dem Islam!“ Zu spüren bekam das auch die Handvoll Juden, die bis vor wenigen Jahren noch im Jemen lebte. Während die Mehrheit der einst 50.000 Juden des Landes ohnehin schon vor Jahrzehnten geflohen ist, verschärfte sich ihre Lage bereits während der Präsidentschaft von Ali Abdullah Saleh, der 2017 von den Huthis ermordet wurde. Aktuell gibt es im ganzen Jemen nur noch einen einzigen Juden, und zwar Levi Salem Musa Marhabi. Dieser sitzt seit März 2016 im Gefängnis. Sein Vergehen: Er hätte anderen Juden dabei geholfen, ihre Tora aus Familienbesitz bei der Flucht aus dem Jemen mitzunehmen. Darüber hinaus betrachten die Huthis aber auch andere religiöse Minderheiten als ihre Feinde, beispielsweise Christen und Mitglieder der Bahai-Gemeinschaft.

Auch ansonsten nehmen die Huthi-Anführer kein Blatt vor den Mund, wenn es um Juden geht, erst recht nicht nach dem 7. Oktober. So finden sich auf Ansarollah.com, der offiziellen Webseite der Huthis, zahlreiche Dokumente des abgrundtiefen Hasses. Beispielsweise ein Text, der Abdul Malik al-Huthi zugeschrieben wird, einem der hochrangigen Mitglieder ihres Politbüros. „Die zionistischen Juden sind der größte Feind der Nation, die mit der Besatzung Palästinas, der Bedrohung unserer Heiligtümer und ihrem Ziel, Palästina zum Ausgangspunkt für die Kontrolle der gesamten muslimischen Nation zu machen, eine große Gefahr für die Nation darstellen“, heißt es darin. „Sie streben danach, in diesem geografischen Raum eine wichtige Position in der Realität der Nation und der Welt einzunehmen, um ihren globalen Einfluss zu vergrößern.“

Die Huthis im Jemen verstehen sich als Teil dessen, was der Iran die „Achse des Widerstandes“ bezeichnet, also das Mullah-Regime selbst und seine Verbündeten. „In der aktuellen Krise haben die Huthis eine deutlich größere Risikobereitschaft an den Tag gelegt als der Iran, die libanesische Hisbollah, Assads Syrien oder die pro-iranischen Milizen im Irak“, lautet dazu die Einschätzung von Michael Knights, Sicherheitsexperte am Washington Institute for Near East Policy. In diesem Kontext spielt selbstverständlich Teheran die zentrale Rolle, wenn es um die militärische Hardware geht, die die Huthis einsetzen – ohne diese „Entwicklungshilfe“ wären die Huthis nie imstande gewesen, Israel anzugreifen oder etwa die Schifffahrtsrouten im Roten Meer. Doch agieren sie auf eigene Initiative, also recht autonom, weil sie ideologisch und in ihren Feindbildern ein „Seelenverwandter“ des Irans – so die Worte Knights – sind.

Zwar handelt es sich bei den Huthis ebenso wie bei den Handlangern Teherans im Libanon um Schiiten. Aber anders als die Hisbollah, die quasi von Anfang an vom Iran seit den frühen 1980er Jahren aufgebaut und gedrillt wurde, sind die Huthis aus den Wirren eines dysfunktionalen Staates wie dem Jemen hervorgegangen. Auch begannen die Revolutionsgarden des Iran erst relativ spät damit, die Huthi-Milizen auszubilden und auszurüsten, und zwar vor knapp zehn Jahren als sich Saudi Arabien in den jemenitischen Bürgerkrieg einmischte. Nun zeigen sich die Erfolge dieser Aufrüstung: Für Israel ist eine weitere Front entstanden, wenn auch weit weg und nicht von so unmittelbarer Bedrohung wie durch die Hisbollah oder Hamas. Aber der israelische Außenhandel kann empfindlich durch die Attacken auf die internationale Schifffahrt gestört werden.

„Dies ist ein hochriskantes Spiel, da in Washington immer mehr Stimmen laut werden, die den Iran zur Verantwortung ziehen wollen“, kommentiert Alex Vatanka, Direktor des Iran Programm am Middle East Institute, ebenfalls in Washington, die Piraterie der Huthis im Roten Meer. „Vorrangig wurden Schiffe mit Verbindungen zu Israel angegriffen, während Öltanker verschont blieben. Dennoch sind die Warnungen aus dem Westens für Teheran so beunruhigend, dass iranische Beamte wiederholt bestritten haben, an den Angriffen der Huthi auf die Schifffahrt im Roten Meer irgendwie beteiligt zu sein.“ Darüber hinaus gibt es weitere Probleme. „Noch vor wenigen Jahren hatten sich regimetreue Kommentatoren in Teheran damit gebrüstet, dass der Iran bald nicht nur einen, sondern gleich zwei kritische maritime Engpässe für den internationalen Handel kontrollieren werde, und zwar die Straße von Hormuz im Persischen Golf und den Bab el-Mandab. Doch wenn es hart auf hart kommt und die Spannungen im Roten Meer zunehmen, bleibt abzuwarten, ob das iranische Regime wirklich bereit ist, einen offenen Konflikt mit den Vereinigten Staaten zu riskieren – und ob es den nötigen Einfluss auf die Huthis hat, um sie im Zaum zu halten.“

Genau das könnte sich schwierig gestalten. „Wir werden weiterhin israelische Schiffe oder solche, die die Häfen des besetzten Palästina anlaufen, daran hindern, das Rote Meer zu befahren, und zwar so lange, bis die Aggression aufhört und die Belagerung unserer standhaften Brüder im Gazastreifen beendet ist“, ließ Yahya Sarre, ein Sprecher der Huthi-Rebellen noch am Mittwoch im Fernsehen verlauten. Auch von den amerikanischen Reaktionen auf die Piraterie will man sich nicht beeindrucken lassen und damit weitermachen. Und zwar solange, bis, wie es Mohammed al-Bukhaiti, ein anderer Huthi-Sprecher, am Montag verkündete, Washington Israel dazu gebracht haben wird, „seine Aggressionen gegen Gaza“ zu stoppen.