„Ein Moment der Einigkeit“

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Die Ereignisse rund um den 7. Oktober haben das Sicherheitsgefühl der israelischen Gesellschaft zutiefst erschüttert. Das betrifft ebenso die nichtjüdischen Israelis, die gleichfalls zahlreiche Opfer zu beklagen haben. Viele von ihnen leisten nun einen Beitrag zur Verteidigung des Landes oder helfen, wo sie nur können.

Von Ralf Balke

Manche Bilder sprechen eine deutliche Sprache. So zeigte am 19. November Peki’in, ein mehrheitlich von Drusen bewohntes Örtchen mit rund 6.000 Einwohnern ganz im Norden Israels, reichlich Flagge. Der Anlass sollte ein trauriger sein. Denn Tausende Menschen waren gekommen, um Major Jamal Abbas, Kommandeur des 101. Fallschirmjägerbataillons, die letzte Ehre zu erweisen. Der 23-Jährige, der aus Peki’in stammt, starb im Kampf gegen die Hamas. Und er gehörte zu der rund 150.000 Personen zählenden Minderheit der Drusen, die bereits sechs solcher Militärbegräbnisse dieser Tage erlebte – angesichts der Tatsache, dass sie nur 1,5 Prozent der israelischen Bevölkerung stellen, ein besonders hoher Blutzoll. Wie immer bei solchen Anlässen wechseln sich die blau-weißen Fahnen des Staates Israels mit den bunten Bannern der Drusen ab. Denn neben den Tscherkessen, einer anderen, aber nur etwas mehr als 4.000 Personen zählenden Minderheit, unterliegen drusische Männer als einzige nichtjüdische Gruppe der Wehrpflicht. Drusen sind in den höchsten militärischen Positionen zu finden, Hunderte von ihnen sind in den vergangenen Jahrzehnten für den Staat Israel gestorben. So auch nach dem 7. Oktober. Andere wie beispielsweise Salman Habaka gehörten zu den ersten Soldaten, die im Kibbuz Be’eri eintrafen und viele Menschenleben gerettet hatten. Auch er fiel knapp einen Monat später im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen. Die Loyalität der Drusen gegenüber dem israelischen Staat steht außer Zweifel, das bewiesen sie erneut in den Wochen nach dem „Schwarzen Schabbat“.

„Die drusische Gemeinschaft hatte schon lange vor der Gründung des Staates eine ganz besondere Beziehung zu Israel“, erklärt Dr. Amir Khnifess, Vorsitzender des Israelisch-Drusischen Zentrums. „Was wir in den vergangenen Wochen gesehen haben, und zwar der Beitrag, den viele drusische Soldaten und Offiziere für die Sicherheit leisten, ist ganz normal. Das ist wenig überraschend, denn drusische Soldaten haben an allen Kriegen teilgenommen, die Israel seit 1948 geführt hat.“ Aber auch die Zivilbevölkerung in den drusischen Ortschaften in Galiläa oder auf dem Carmel ist aktiv. Es haben sich Dutzende von Initiativen gebildet, die die Familien der von der Hamas verschleppten Menschen unterstützen, den aus dem Umland des Gazastreifens oder der libanesischen Grenze Geflohenen helfen und die Verpflegung von Militärangehörigen mit übernommen haben. Bereits unmittelbar nach dem 7. Oktober richtete das israelisch-drusische Zentrum in Isfiya nahe Daliat al-Carmel eine Hilfszentrale ein. Drusische Freiwillige greifen beispielsweise den Analysten der Armee mit ihren Kenntnissen der arabischen Sprache bei der Auswertung von Propagandamaterial der Hamas unter die Arme, durchforsten die sozialen Medien nach Terrorgruppen sowie deren Sympathisanten und versuchen, in Aufnahmen arabischer Fernsehsender Personen aus dem Umfeld der Hamas zu identifizieren.

Für Dr. Amir Khnifess, der selbst als Hauptmann der Reserve eingezogen wurde, ist all das keine Überraschung. „Israel befindet sich derzeit in einer Krise und steht an zwei Fronten im Krieg, im Süden und im Norden“, betonte er gegenüber der „Jerusalem Post“. „Dies ist eine Zeit, in der alle Gemeinschaften ihre Loyalität gegenüber dem Staat unter Beweis stellen sollten. Die Drusen sehen sich selbst als integralen Bestandteil der israelischen Gesellschaft, als Teil des Staates Israel. Es ist ihr Land, und ihr Beitrag ist eine Selbstverständlichkeit.“ Dabei gab es in den Monaten vor dem Krieg durchaus interkommunale Spannung. Einerseits waren die Drusen nicht gut auf die Regierung zu sprechen, weil drusisches Land auf dem Golan für den Bau von Windkraftanlagen beschlagnahmt werden sollte, was zu massiven Protesten geführt hatte. Andererseits hatten zwei andere Entwicklungen bei den Drusen zu Irritationen und einer Entfremdung geführt, und zwar das sogenannte Kaminitz-Gesetz von 2017, das harte Strafen für illegal errichtete Gebäude vorsieht, aber als diskriminierende Maßnahme gegen Nichtjuden verstanden wird, weil Baugenehmigungen in drusischen oder arabischen Kommunen schwerer zu erhalten sind. Und da ist natürlich noch das vor fünf Jahren verabschiedete Nationalstaatsgesetz, das Israel als jüdischen Staat bezeichnet, was die nichtjüdischen Minderheiten des Landes als Diskriminierung bewerten. Bei der Beerdigung von Major Jamal Abbas sagte denn auch sein Großvater Gideon Abbas, der einst selbst Colonel bei der israelischen Armee war: „Ich schäme mich für all die rassistischen Gesetze in diesem Land. Wir teilen das gleiche Schicksal, und das nicht erst seit heute.“ Von den anwesenden Regierungs- und Militärvertretern forderte er: „Es ist an der Zeit, dass Sie uns ehrlich in die Augen sehen.“ Und Gideon Abbas war nicht der einzige, der sich so äußerte: Auch Scheich Muwafaq Tarif, ein hochrangiger Vertreter der Drusen, verlangte von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, das Nationalstaatsgesetz zu ändern, um Israels Minderheiten die gleichen Rechte zu garantieren.

Offensichtlich kommt Bewegung in die Sache. Vor über zwei Wochen kündigte Netanyahu, dass er eine Gesetzgebung zur Verankerung des Status der drusischen Gemeinschaft in Israel vorantreiben werde. Auch Außenminister Eli Cohen und der Fraktionsvorsitzende des Likud, Ofir Katz, gaben daraufhin eine Erklärung ab, in der es heißt: „In den kommenden Tagen werden wir einen Entwurf für ein Grundgesetz für die drusische Gemeinschaft vorlegen, das den wichtigen Status der drusischen Gemeinschaft im Staat Israel verankern soll.“ Sowohl die Partei der Nationalen Einheit als auch Oppositionspolitiker Yair Lapid unterstützen diesen Vorschlag. Sogar von Seiten der Ultraorthodoxen kam Zustimmung. „Besser spät als nie“, so Yitzhak Goldknopf von der Partei Vereintes Torah Judentum. „Ich begrüße diese wichtige Initiative, die historische Gerechtigkeit für die drusische Gemeinschaft in Israel schaffen wird.“

Der 7. Oktober ließ aber auch die arabischen Israelis näher an den Staat rücken. Das zeigt eine Mitte November veröffentliche Umfrage des Israel Democracy Institute (IDI). Sie ergab, dass sich 70 Prozent der arabischen Bürger „mit dem Staat Israel und seinen Problemen verbunden fühlen“ – ein nie dagewesener Rekordwert. Noch im Juni hatten nur 48 Prozent der arabischen Bürger erklärt, sich mit dem Land zu identifizieren. Auf die Frage, ob sie Israel verlassen würden, wenn sie eine andere westliche Staatsbürgerschaft erhalten könnten, erklärten 59 Prozent, dass sie bleiben würden. 58 Prozent bewerteten Israels Widerstandsfähigkeit in Kriegszeiten als hoch. Allerdings äußerten sich nur 27 Prozent der arabischen Befragten in der Novemberumfrage optimistisch über Israels Zukunft, ein Rückgang gegenüber 40 Prozent in der Juniumfrage. „Der Gaza-Krieg 2021 hatte in Israel einen beispiellosen internen Konflikt aus, bei dem einige arabische Bürger im Namen der palästinensischen Solidarität zu Gewalt gegen jüdische Bürger griffen“, kommentiert Mark Dubowitz, Direktor der Foundation For Defense of Democracies (FDD) in Washington diese Zahlen. „Das ist dieses Mal nicht geschehen.“ Ferner erklärte er: „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass alle Bürger des jüdischen Staates, nachdem sie die absolute Brutalität der Hamas, die auch vor israelischen Araber nicht Halt machte, erleben mussten, seine zivilisatorischen Stärken wieder zu schätzen wissen.“ Und Enia Krivine, Israel-Expertin der FDD ergänzt: „Auch wenn Israel mit seiner sehr diversen Bevölkerung immer noch vor vielen Herausforderungen steht, so erlebt es dennoch gerade einen Moment der Einheit. Von Seiten der israelisch-arabischen Führung gehen gerade wichtige Signale aus, dass sich die Einstellung der arabischen Bevölkerung Israels seit den Unruhen von 2021 wohl grundlegend geändert hat.“

Auch die Wahrnehmung der dritten großen Minderheit in Israel, und zwar den Beduinen, dürfte nach dem 7. Oktober eine andere geworden sein. Zum einen mussten sie zahlreiche Opfer in ihren Reihen beklagen. Durch den unmittelbar an diesem Tag einsetzenden Raketenbeschuss durch die Hamas wurden sofort vier Kinder in der Ortschaft Kuseife im Süden Israels getötet. Es waren nicht die einzigen, es sollten noch rund zwei Dutzend mehr werden. So verlor die weitverzweigte Ziyadne-Familie gleich mehrere Angehörige, einer wurde am Strand von Zikim ermordet, vier weitere in den Gazastreifen verschleppt. Erst zwei von ihnen, die Geschwister Bilal und Aisha Ziyadne kamen dieser Tage während der Feuerpause frei. Einem anderem, Yousef Ziyadne, gelang es, mit seinem Fahrzeug mehrere Dutzend Teilnehmer des Nova-Rave in Sicherheit zu bringen und so ihr Leben zu retten. Aber auch sie sind wütend auf die israelische Regierung. Weil viele ihrer Ortschaften als illegal gelten und nicht als Kommunen anerkannt sind, gibt es keine Schutzräume. Selbst Rahat, die größte Beduinen-Stadt mit einer Bevölkerung von 80.000 Menschen und keinesfalls illegal, verfügt nur über ganze zehn Bunker. Zwar gab es viele Hilfsaktionen seitens jüdischer Israelis für die Beduinen, doch die allermeisten wurden von Nichtregierungsorganisationen auf die Beine gestellt und weniger von offizieller. Das wird sich ändern müssen. Auch der Held des Nova-Festivals, Yousef Ziyadne, hatte gegenüber den Medien erklärt, die Regierung müsse sich mehr um die Beduinen kümmern, „weil wir auch Teil dieses Landes sind.“ Er fügte hinzu: „Wir sind eine Nation – wir sind Israelis. Wir leben hier zusammen und müssen das alles gerade gemeinsam durchleben.“

Bild oben: Die Geschwister Aisha und Bilal Ziyadne, die nach 54 Tagen Geiselhaft frei kamen