Die AfD und ihr Think Tank I

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In diesen Tagen erscheint in der von Micha Brumlik, Hajo Funke, Franz-Michael Konrad sowie Christian Niemeyer besorgten Reihe Bildung nach Auschwitz als deren Bd. 2 das Buch Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps & Putins Untergang. Eine Kritik mit Stil- und Denkmitteln Nietzsches, Weinheim Basel 2023. Aus diesem Grund bringen wir ab heute in unregelmäßig erscheinenden Folgen mit Genehmigung des Verlags Beltz Juventa Auszüge aus Vorstufen zu diesem Buch unter Einschluss nicht verwendeter Passagen, also eine Art Making of. Heute: Allgemeine Grundlagen

Von Christian Niemeyer

Die ‚Neue Rechte‘ ist, was Deutschland und Österreich angeht, völkische Bewegung wie die ‚Alte Rechte‘, belehrt, nach 1945, zumeist jedenfalls, um die Einsicht, dass der II. Weltkrieg nicht hätte sein dürfen und die Shoa sowie die Euthanasie genauso wenig. Noch etwas kürzer geredet, auch auf die Gefahr hin, Ellen Kositza würde, falls sie dies läse, in Schnappatmung verfallen:

Die ‚Neue Rechte‘ ist letztlich ‚Hitler light‘, plus einiger anderer Ideen, die man bei (gleichfalls) geistig nicht ganz Sattelfesten aufgeschnappt hat.

‚Hitler light‘ meint hier so etwas wie die Fortschreibung des „Glaubensbekenntnisses der Naiven“ (Basil 1966: Umschlag) Wenn das der Führer wüsste im Dritten Reich, nun in der Zeit nach 1945 und gedacht als Allheilmittel der Ewiggestrigen, die darauf schwören, dass Hitler (wie sie selbst) nichts gewusst habe von dem Grauen – denn sonst, ja: sonst wäre das alles nicht passiert: das alles, von dem man nun zum ersten Mal höre und was einen allerdings arg übertrieben dünke.

Meister in dieser Art von „Verstellungskunst“ waren NS-Dichter wie Hans Grimm. Grimms Märchen Warum – Woher – Aber Wohin? (1954), gerichtet an Sohn und Tochter, gehören wohl zu den schrecklichsten Grusicals auf dem deutschen Büchermarkt der frühen Adenauerära, vom Anliegen her vergleichbar jenem des Grimm-Kumpels Will Vesper, der nach den Erinnerungen seines Sohnes am Mittagstisch u.a. erzählte:

Hitler ist zum Krieg gezwungen worden, das Weltjudentum hat ihm schon 1933 den Krieg erklärt […]. Die Massaker der Polen konnte sich keine Nation, die etwas auf sich hält, gefallen lassen. (zit. n. Vesper 1981: 144)

Reden wie diese waren damals gängig in Elternhäusern mit NS-Belasteten, nicht immer allerdings mit so brisantem Hintergrund. Denn der hier Zitierte ist Bernward Vesper, verlobt zu dieser Zeit mit Gudrun Ensslin, die ihm wenig später von Andreas Baader weggeschnappt wurde. Kurz: Was in dem vom Sohn kolportierten Zitat des Will Vesper zutage tritt, ist ein Mosaikstein in der Geschichte der RAF (vgl. Niemeyer 2015a: 207 ff.). Auf ihm steht  geschrieben, dass das eine, die NS-Belastung der älteren Generation, mit dem anderen, dem Entsetzen der nachwachsenden 68er Generation, etwas zu tun hat, letztere insoweit als Protestgeneration gelesen werden darf und mithin in ihrer Empörung ein Stück weit gerechtfertigt ist. Selbst wenn es mit dieser, wie im Fall Vesper jun., einige Zeit brauchte und zunächst noch die Verehrung des Vaters dominierte.

Nicht so Karlheinz Weißmann, von Ellen Kositza 2013 im Schlüsseltext Tristesse Droite als „einer unserer Vordenker“ (Kositza/Kubitschek 2015: 8) herausgestellt. Der Will Vesper mit Vokabeln wie „SA-Barde“, „Verehrer Hans Grimms“, „Anhänger der Reichspartei“ hinreichend vorgestellt zu haben wähnt; ebenso wie er dies für seinen Sohn annimmt, der, so Weißmann „gerade noch unter Pseudonym für die National-Zeitung geschrieben und allen Ernstes daran gedacht hatte, eine Gesamtausgabe des väterlichen Werks zu veröffentlichen“; um schließlich, 1971, sein Leben, nach dem Scheitern seiner Beziehung zu Gudrun Ensslin, „eine ziellose, durch Drogen zerstörte Lebensphase“ (Weißmann 2017: 52), mittels einer Überdosis Schlaftabletten zu beenden.

Dass das eine mit dem anderen etwas zu tun hat, wird unterschlagen, darf nicht sein, weil dies hieße, den 68ern mehr Ehre zu erweisen als geplant. Und um auch diese nicht außer Betracht zu lassen: Will Vespers Wiedergänger und Nachbeter tragen viele Masken, etwa auch jene des Jörg Haider et tutti quanti bis hin zu Björn Höcke und seinem Kumpel André Poggenburg in unseren Tagen, die uns erzählen wollen, Hitler habe auch gute Sachen gemacht oder gut Seiten gehabt, er habe die Autobahnen gebaut, und dass man selbst Erbe eines arisierten Vermögens sei, bedürfe weit weniger Erläuterung denn – so weiland Jörg Haider – der Dreck am Stecken des Ariel Scharon. Insofern ist nun vielleicht etwas plausibler als zuvor, was ‚Hitler light‘ meint und die ‚Neue Rechte‘ damit zu tun hat. Wie man an diesen älteren Blättern aus meinem Schwarzbuch Neue/Alte Rechte (2021) – Band 1 der Reihe Bildung nach Auschwitz – entwundenen Darlegungen sieht: Mir wird es ja wohl noch erlaubt sein, das Sonnendeck als im Prinzip verdient in Betracht zu ziehen.

Gleichwohl ist dieser Aufenthaltsort nicht nur aus ökologischen Gründen problematisch, sondern weil es noch keinen Grund zum Feiern gibt. Also wieder ans Werk, mit zwei weiteren Erläuterungen: Am Beginn dieses Buches stehen drei Kapitel zu methodologischen Fragen sowie eines zur Psychologie des Fanatismus, der bei Donald Trump besonders auffällig ausgeprägt zu sein scheint, aber auch Putin leitete in seinem Kampf gegen Alex Nawalny. Dann der ultimativen Schock: Putins durch das Versagen des Westens in Afghanistan gestärkter Mut, im Februar 2022 einen Überfall auf die Ukraine zu riskieren, der im Ergebnis, wie bei einem Pokerspieler, der trotz schlechten Blatts all in geht, alles ins Wanken brachte, auch, und einmalig wohl in der Weltgeschichte, die beiden Systeme, die sich um diese zwei führenden Männer der Welt allmählich gruppiert hatten und aktuell in Zeitlupe zeitgleich kollabieren: der Putinismus und der Trumpismus, als deren gemeinsamer Nenner der schon in der Bush/Blair-Ära beginnende Machiavellismus (nach Niccolò Machiavelli, s. BNA1-0: 66) zu gelten hat.

Angewürzt übrigens mit einem Maskulismus, der Gruseln macht, aber offenbar ansteckend wirkt, mit Alexander Dobrindts (CSU) Spott auf die „Klima-RAF“ als allerneustem Zeichen sowie Friedrich Merz (CDU) Erhebung über ukrainische „Sozialtouristen“ als vorletztem. Die durchaus volksverhetzende, von der Bild am Sonntag angestiftete Anti-Asylbewerber-Holzerei von Andrea Lindholz (CSU) (vgl. Kap. 5.3) bedurfte es da schon nicht mehr, um Platz zu schaffen für die Einsicht, dass ein Gleichmachen mit dem Müll diesen keineswegs beseitigt und letztlich auf ein Nullsummenspiel mit Nullen hinausläuft. Gesetzt, diese schon für Horst Seehofer (CSU) schwer verständliche Botschaft käme endlich in den Köpfen auch der bajuwarischen Maskulisten femininer Anmutung an, ob nun mit oder ohne Stöckelschuhe, bleibt eigentlich nur noch die Ausschaltung der republikanischen „Stöckelschuh-Generation“ um Kari Lake, welche in Arizona eine krachende Niederlage erlitt. Dann bestehen vielleicht doch noch Chancen, sich dem in Deutschland von Aimée van Baalen (Die letzte Generation) zu Recht beschworenen Gefahr von 700 Millionen Klimaflüchtlingen seriös und mit Maßnahmen vom Typ ground breaking zuzuwenden.

Mit einem allerdings wird es, so die im Titel dieses Buches ausgesprochene erläuterte Prognose, vorbei sein: mit der AfD. Ihr, erst als Fünfte Kolonne Trumps, dann Putins auftretend und noch vor zwei Jahren unter Jörg Meuthen auf dem Weg zu einer koalitionsfähigen Partei, droht das Ende als leicht zu entschleiernde Bestie im Thüringer sowie Grazer NPD-Gestrüpp, vor der es dem deutschen Michel nur solange nicht grauste, solange sie ihm mit dem Versprechen, sie sei eigentlich eine „Friedenspartei“, Unterschlupf bot. Björn Höcke steht gerade im Begriff, dies zu ändern mit seiner am Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2022 in Gera gehaltenen Rede, welche, wie wir noch ausführlich zeigen werden (vgl. Kap. 5), der AfD neuen, Hitler-affinen bellizistischen Geist einhauchen soll, der sich im Verlauf des Jahre 2023/24 als toxisch erweisen dürfte für diese Partei, gleichsam als Kirsche auf der Torte zu Putins Untergang. Denn eines gilt wohl nach diesem fast ein Jahr währenden Alptraum als gewiss, nicht ohne Absicht mit einem „Kubaner“ gesprochen, Ernest Hemingway. Der in der Bar El Floridita sechzig Jahre nach seinem Tod zumindest doch noch als Bronzefigur sitzt: „Wem die Stunde schlägt!“ Denn, belehrt durch die Zeichen „1945“ sowie „Nürnberg“, wird in der nächsten Zeit ab diesem Punkt ground zero nicht das ganze ABC abgearbeitet werden, sondern nur das A (wie Abrechnung) sowie, mit gewissem Abstand, das V (wie Versöhnung). Wie A auf Russisch ausbuchstabiert werden wird oder auf Ukrainisch oder, wahrscheinlich, auf UN-Basis, ist nicht mein Thema – wohl aber, wie es mit A (wie AfD) abrechnungstechnisch geredet, Reparationszahlungen an die Ukraine eingeschlossen, weitergehen wird. Mein Vorschlag dazu liegt mit diesem Buch vor: Es bringt eine Abrechnung mit dieser Partei, nicht an und für sich, sondern konzentriert auf jene Phase, in welcher sie als „im Sog von Trumps & Putins Untergang“ befindlich wahrgenommen werden kann.

Fortsetzung folgt.

–> Die AfD und ihr Think Tank im Sog von Trumps und Putins Untergang