Kein Kompromiss in Sicht

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Gestern Abend stellte Israels Präsident seinen Kompromissvorschlag für die Reform des Justizwesens vor, verbunden mit sehr eindringlichen Worten, dass das Land kurz vor einem „Bruderkrieg“ stehe. Während die Oppositionsführer den Vorschlag begrüßten und als gute Grundlage für weitere Gespräche bezeichneten, wies Ministerpräsident Benjamin Netanyahu den Vorschlag noch vor seiner nächtlichen Abreise nach Berlin zurück. Heute demonstrieren erneut Zehntausende Menschen bei einem landesweiten Protesttag.

Herzog warnte, der „Abgrund“ sei jetzt im 75. Jahr Israels zum Greifen nah. Ein Bürgerkrieg sei eine rote Linie, die er auf keinen Fall zulassen werde. Sein Vorschlag versuchtת verschiedene Elemente der „Justizreform“ der Koalition aufzugreifen, schwächt einige ab und streicht andere ganz. So enthält Herzogs Vorschlag beispielsweise die Notwendigkeit, dass sog. Grundgesetze vier Lesungen benötigen, wobei in der vierten Lesung eine Mehrheit von 80 Abgeordneten notwendig ist.

In Bezug auf die heftig umstrittene Möglichkeit, wie der Oberste Gerichtshof in die Gesetzgebung eingreifen kann, legt Herzogs Vorschlag fest, dass der Oberste Gerichtshof keine gerichtliche Überprüfung von Grundgesetzen durchführen, sondern nur einfache Gesetze aufheben kann. Um festzustellen, dass ein Gesetz ungültig ist, muss der Oberste Gerichtshof dies mit einem erweiterten Gremium von nicht weniger als 11 Richtern und mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der Richter des Gremiums tun. Ohne eine solche Mehrheit könnte der Oberste Gerichtshof nur die „Unvereinbarkeit des Gesetzes“ erklären, ohne seine Gültigkeit zu beeinträchtigen, damit die Knesset es erneut prüft

Der Ausschuss zur Auswahl der Richter soll laut Herzogs Entwurf elf Mitglieder umfassen – ohne Mehrheit für die Koalition, die nur noch vier Vertreter stellen kann. Dem Ausschuss gehören der Justizminister, zwei weitere von der Regierung gewählte Minister, der Präsident des Obersten Gerichtshofs, zwei Richter und drei Mitglieder der Knesset an – einer von der Koalition und zwei von der Opposition aus verschiedenen Fraktionen. Darüber hinaus wird es zwei öffentliche Vertreter – Anwälte – geben, die vom Justizminister ernannt werden, jedoch nur mit Zustimmung des Obersten Präsidenten. Die Auswahl der obersten Richter erfolgt nur mit einer Mehrheit von sieben Mitgliedern, was bedeutet, dass wie auch heute ein breiter Konsens erforderlich ist. Dem Komitee, so wird vorgeschlagen, sollen mindestens vier weibliche Mitglieder angehören – und ein arabischer Vertreter.

Herzog schlägt in seinem Entwurf außerdem vor, einen „breiten Verfassungsprozess“ einzuleiten mit dem Ziel, eine „umfassende Charta der Grundrechte“ zu formulieren.

Währenddessen ist am heutigen Donnerstag ein „Tag der Eskalation des Widerstands“ ausgerufen worden. In der Nacht hatten Künstler und Aktivisten in Jerusalem einen roten Pfad zum Obersten Gerichtshof gesprüht.

Der Morgen begann mit Demonstrationen von Eltern und Kindern, in Tel Aviv marschieren Zehntausende Demonstranten in den Straßen, Studenten, Künstler, Reservesoldaten, alt und jung aus den unterschiedlichsten politischen Lagern. Netanyahu wird sich heute auch in Berlin mit Kritik und Demonstrationen konfrontiert sehen.

Die große Frage bleibt, ob sich die Koalition von den vielen Appellen und Demonstrationen beeindrucken lässt und die „Blitz“gesetzgebung anhält. Oder ob sie alle Warnungen in den Wind schlagen und Israel weiter an den Rand des Abgrunds namens „Bruderkrieg“ stoßen.