Gute Juden, schlechte Juden

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Kaum im Amt, planen einige von Benjamin Netanyahus neuen Koalitionspartnern radikale Veränderungen in Justiz und Gesellschaft. Selbst das Rückkehrgesetz steht plötzlich zur Disposition. Für die Beziehungen zwischen Israel und den jüdischen Gemeinschaften in der Welt kann das alles tiefgreifende Folgen haben.

Von Ralf Balke

Manche Politiker haben eine merkwürdige Reise hinter sich. Avi Maoz ist so einer. In den 1980er Jahren zählte der 1956 als Avigdor Fischheimer in Kiryat Shmuel bei Haifa geborene Sohn zweier Shoah-Überlebender noch zu den Aktivisten, die sich für die Freilassung von Personen wie Natan Sharansky aus dem Gulag eingesetzt hatten. „Let my People go“ lautete damals ihr Slogan. Juden in der Sowjetunion sollten, so ihre Forderung, das Recht erhalten, das Land zu verlassen und nach Israel einzuwandern. In den 1990er Jahren machte Avi Maoz dann Karriere in der Partei Yisrael BaAliyah, einer politischer Gruppierung, die sich die Interessen der jüdischen Einwanderer aus der früheren UdSSR auf die Fahnen geschrieben hatte und 2003 mit dem Likud zusammentat. Jahre später landete er bei der Splitter-Partei Noam, deren Vorsitzender er mittlerweile ist, und für die der 66-Jährige jetzt als einziger Vertreter in der Knesset sitzt. Und heute liest sich seine politische Agenda wie der Plan für ein gesellschaftliches Rollback. Man mag weder Homosexuelle, noch Araber und möchte auch nicht, dass Frauen bei den israelischen Streitkräften dienen. Bei Avi Maoz und Noam dreht sich alles um das eine Thema, und zwar das, was sie „jüdische Identität“ nennen. Und diese funktioniert ebenfalls nur auf Basis von Ausschlusskriterien. Deshalb sind ihm und seinen Parteigenossen das Reformjudentum und Israelis, die aus halachischer Perspektive keine hundertprozentigen Juden sind oder einfach nur säkular leben möchten, ein Dorn im Auge.

In der Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu wird Avi Maoz nun im Range eines stellvertretenden Ministers im Büro des Ministerpräsidenten Chef einer noch zu gründenden Behörde, die sich, so sieht es der Koalitionsvertrag vor, um genau diese „jüdische Identität“ kümmern soll. Das klingt erst einmal recht harmlos – doch zugleich wird Avi Maoz damit die Kontrolle über Nativ erhalten, und zwar jener Anfang der 1950er Jahre gegründeten Regierungsorganisation, die früher für die Kontakte zwischen Israel und den Juden hinter dem Eisernen Vorhang zuständig war und heute vor allem die Einwanderung von Juden aus den postsowjetischen Staaten voranbringen soll – ein Thema, das vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine und den sprunghaft angestiegenen Zahlen von jüdischen Zuwanderern sowohl aus Russland als auch der Ukraine selbst, massiv an Bedeutung gewonnen hat. Nativ prüft zudem, ob Personen, die nach Israel kommen wollen, auch das Recht auf Aliyah haben – sprich, dass es sich um „richtige“ Juden handelt.

Basis dafür ist das Rückkehrgesetz, das allen, die mindestens ein jüdisches Großelternteil vorweisen können, den Zugang zur israelischen Staatsbürgerschaft ermöglicht. Und der Mann, der sich in den 1980er Jahren für die Einwanderung von sowjetischen Juden stark gemacht hat, will nun genau diese massiv einschränken. Seiner Meinung nach kämen zu viele Menschen nach Israel, die aus halachischer Perspektive eigentlich keine Juden seien. Deshalb plant er eine Veränderung des Rückkehrgesetzes. Geht es nach seinem Willen, soll die sogenannte Großelternklausel gestrichen werden. Darüber hinaus will man den Definitionen der Orthodoxen bei der Beantwortung der Frage, wer Jude ist und wer nicht, Vorrang geben und konservative oder reform-orientierte Interpretationen außen vor lassen. Und einer weiteren Zuwanderung aus Äthiopien wäre gänzlich der Riegel vorgeschoben – schließlich betrachten zahlreiche religiöse Autoritäten der Orthodoxie Juden aus dem afrikanischen Land nicht wirklich als solche. Die Religiösen Zionisten und die Rechtsextremen von Otzma Yehudit weiß Avi Maoz dabei auf seiner Seite. Und um sein Vorhaben durchzuboxen, schreckt der Noam-Vorsitzende auch vor Lügen nicht zurück. So behauptete er vor wenigen Wochen beispielsweise in einem Beitrag auf der Nachrichtenplattform Arutz Sheva, dem Sprachrohr der Religiösen Zionisten, dass „Hunderttausende von Nicht-Juden nach Israel einwandern“ würden. Zwar verzeichnete die Statistikbehörde des Landes für das Jahr 2022 ein Rekordhoch – es kamen über 70.000 Neueinwanderer, so viele wie seit der Jahrtausendwende nicht mehr. Doch darunter befanden sich allenfalls ein paar Tausend Nichtjuden, also die nichtjüdische Partner oder Familienangehörigen von einwanderungsberechtigten Juden.

Die Besetzung von Nativ mit Avi Maoz ist nicht die einzige personelle Entscheidung von Benjamin Netanyahu, die zu Problemen mit der Diaspora führen kann. Denn die geplante Streichung der Großelternklausel trifft keinesfalls nur bei den jüdischen Gemeinschaften in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion auf Kritik, sondern fast überall in der Diaspora. Aber auch die Ernennung von Amichai Chikli zum Minister für Diaspora-Angelegenheiten und den Kampf gegen Antisemitismus könnte sich zu einer einer Belastungsprobe entwickeln. Denn der Sohn eines konservativen Rabbiners, der in einem Kibbuz lebt, und als Abgeordneter der Yamina-Partei von Ex-Ministerpräsident Naftali Bennett einer der ersten war, der aus der Acht-Parteien-Koalition ausscherte und damit ihr vorzeitiges Ende einläutete, hat eine starke Aversion gegen all das, was er unter Reformjudentum versteht. Dieses wiederum repräsentiert die stärkste Strömung innerhalb der jüdischen Communities in den Vereinigten Staaten, der weltweit größten Diaspora-Gemeinschaft, die zudem mit zu den wichtigsten Unterstützern des Staates Israels zählt. Er verachtet das Reformjudentum geradezu. Zugleich bezeichnete Amichai Chikli die Regenbogenflagge als ein antizionistisches Symbol und setzte jede Form der Kritik an Israel aus diesen Reihen mit Antisemitismus gleich, weshalb alle liberalen jüdischen Gruppen in den Vereinigten Staaten seiner Meinung einfach besser schweigen sollten. „Die Reformbewegung hat sich den falschen Anschuldigungen der radikalen Linken angeschlossen, die behaupten, die Siedler seien gewalttätig“, behauptete er beispielsweise in der „Jerusalem Post“. „Deshalb kann ich mich nicht mit ihnen identifizieren. Sie kehren zu ihren deutschen Wurzeln zurück, sind antizionistisch und antinationalistisch. Es ist eine Tragödie, dass dies alles geschehen kann.“

Solche Positionen werden schwerlich dazu geeignet sein, das Verhältnis zwischen Israel und der Diaspora in der Welt zu verbessern. Eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Schon seit Wochen macht man sich in der jüdischen Welt Sorgen darüber, in welche Richtung die israelische Politik abdriften könnte. Erst kürzlich hatten mehrere hundert Rabbiner in den Vereinigten Staaten sich dazu verpflichtet, in ihre Gemeinden keine Personen einzuladen, die der Partei der Religiösen Zionisten, Otzma Yehudit oder Noam angehören. Und so manche der Äußerungen von Amichai Chikli werden zu einer weiteren Distanz führen. Denn die Pläne der Regierung von Benjamin Netanyahu, die Kriterien, wer als jüdisch gilt und wer nicht, neu zu definieren, treffen dort auf Unverständnis und Ablehnung. Nachman Shai, Amichai Chiklis Vorgänger im Amt, sieht die Entwicklung ebenfalls kritisch. Er selbst hatte sich immer wieder mit Vertretern der konservativen und reform-orientierten Strömungen getroffen. Nun befürchtet auch Nachman Shai, dass es angesichts der feindseligen Haltung aus Israel zu einer Entfremdung kommen könnte. Die Tatsache, dass Amichai Chikli als erste Amtshandlung die Zusammenarbeit mit einer NGO aufkündigte, die von seinem Vorgänger nur wenige Wochen vorher zur Mitarbeit an einer PR-Kampagne im Ausland verpflichtet wurde, zeigt bereits die Richtung an. Die Begründung: Die Organisation hätte angeblich Kontakte zu israelischen „Linken“. Auch ein anderes Abkommen, das mit den konservativen und reform-orientierten Strömungen in den USA abgeschlossen wurde, um das Image Israels unter jungen und liberalen Juden zu verbessern, steht nun wohl zur Disposition.

Auch andere haben ein Problem mit den Vorstößen von Avi Maoz oder Amichai Chikli. Einer davon ist Doron Almog. „Das jüdische Volk ist heute polarisiert“, sagte der Vorsitzende der Jewish Agency dieser Tage gegenüber der „Times of Israel“. „Das birgt die Gefahr, dass ein Teil davon nicht miteinbezogen wird.“ Für ihn ist es selbstverständlich, dass die Nachkommen von Juden als solche betrachtet werden – auch wenn sie nicht immer den religionsgesetzlichen Kriterien entsprechen. „Juden haben in ihrer Geschichte so viel durchgemacht – Pogrome, Diskriminierung, Verfolgung.“ Wenn deshalb manche von ihnen im Laufe der Zeit nichtjüdische Partner gefunden und geheiratet haben, so sollte das nicht als Ausschlusskriterium gelten, argumentiert er. Das gilt erst recht nicht, wenn sie sich mit dem jüdischen Staat verbunden fühlen und bereit sind, ihr Schicksal mit dem von Israel zu verknüpfen, weshalb Doron Almog die Vorstöße von Avi Maoz oder Amichai Chikli ablehnt. „Es würde sich so anfühlen, als ob Israel diesen Menschen die kalte Schulter zeigt. Durch die Aufhebung der >Enkelklausel< oder die Änderung des Rückkehrgesetzes würde ihnen der Staat die Botschaft senden: Ihr gehört nicht zu uns.“ Gleiches darf auch nicht gegenüber denjenigen passieren, die den konservativen oder der reform-orientierten Strömungen angehören. Deshalb hatten Doron Almog und sechs weitere führende Vertreter internationaler zionistischer Organisationen, darunter der Jewish Federation of North America, der World Zionist Organization und Keren Hayesod, vor einigen Tagen Premierminister Benjamin Netanyahu ein Schreiben zukommen lassen. „Die Jewish Agency ist die Exekutive des jüdischen Volkes und zugleich die Stimme des Judentums in der ganzen Welt. Unsere politischen Meinungen gehen oft weit auseinander, aber wir glauben daran, dass es einen Platz für alle geben muss.“, so Doron Almog weiter. „Deshalb haben wir dem Ministerpräsidenten geschrieben und ihn gebeten, den Status quo nicht zu ändern, da ein solcher Schritt zur Spaltung zwischen Israel und der Diaspora führen kann.“ Ob ihre Stimmen gehört werden oder nicht, das wird sich noch zeigen. Avi Maoz oder Amichai Chikli dürften sie jedenfalls kaum beeindrucken.

Bild oben: Logo von Nativ