Die deutschen Templersiedlungen in Palästina aus jüdischer Perspektive

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Sarona Templer Siedlung Anfang 1900, Foto. United States Library of Congress's Prints and Photographs division, ID matpc.04724

Den Machtantritt der Nationalsozialisten begrüßten sie inbrünstig und in Adolf Hitler projizierten sie allergrößte Hoffnungen, zugleich lehnten sie, allem Anschein nach mehrheitlich, den Antisemitismus ab. Man hatte schließlich in Judenland Wohnsitz bezogen, war häufig von Juden abhängig und erlebte Juden als Menschen wie Du und ich. — Die deutschen Templer in Palästina. — Wie wurden die eigentlich von Juden wahrgenommen?

Von Robert Schlickewitz

Wer sich für die Geschichte des Zionismus, für die Einwanderung von Juden nach Palästina und für die Herausbildung der späteren israelischen Gesellschaft interessiert, der stellt rasch fest, dass zu diesen Themen zahlreiche frühe Arbeiten in deutscher Sprache vorliegen. Arbeiten, deren Autoren sich Einzelaspekten oder der Gesamtsituation der Menschen in Palästina angenommen haben.

Im vorliegenden Fall, in dem auf die deutschen Templersiedlungen aus jüdischer Sicht eingegangen wird, soll aus einem Buch zitiert werden, das von einem anerkannten Wirtschaftswissenschaftler stammt, der sich der Beschreibung des Aufbaus des Judenstaats aber auch der Volkswirtschaften anderer Länder des Nahen Ostens angenommen hat.

Dr. oec. publ. (Abraham) Alfred Bonne, oder außerhalb Deutschlands (Avraham) Alfred Bonné (auch A. Boneh bzw. Alfred Boneh), war Leiter des Wirtschaftsarchivs für den Vorderen Orient in Jerusalem und später Professor der Hebräischen Universität gewesen.

Alfred Bonné kam am 16. November 1899 im mittelfränkischen Nürnberg als Sohn von Nathan Bonne (1863-1933) und dessen Frau Bertha Bonne (1874-1929) zur Welt. Nach Beendigung seines Studiums der Nationalökonomie in München siedelte er 1925 nach Palästina über, wo er in seinem Fach tätig bleiben konnte. In Jerusalem 1931 zum Leiter des Wirtschaftsarchivs für den Vorderen Orient (Economic Archives for the Near East) ernannt, bekleidete er diesen Posten bis 1936. Dann wechselte er zur Hebräischen Universität, an der er ab 1944 Volkswirtschaftslehre unterrichtete. Seine Forschungen widmete er den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften mit Fokus auf Palästina und den Ländern des Nahen Ostens. Zu Beginn der 1950er Jahre lehrte Prof. Dr. Bonné, der mehrere bedeutende Monographien und andere wissenschaftliche Arbeiten verfasste oder mitverfasste, an der renommierten US-amerikanischen Columbia-Universität; später betrieb er, ausgestattet mit einem Stipendium der Ford-Stiftung, Forschungen an der Harvard Universität. 1955 machte ihn die Jerusalemer Hebräische Universität zum Dekan ihrer Kaplan School of Economics and Social Science. Auf Basis des von ihm begleiteten und wissenschaftlich analysierten Aufschwungs der israelischen Volkswirtschaft hatte Bonné eine Theorie der „verpflanzten Entwicklung“ (implanted development) für unterentwickelte Länder erarbeitet. Dabei besteht die Unterstützung durch die entwickelten Länder in individuell festzulegenden, gezielten Investitionen.

Nach längerer Krankheit verstarb Prof. Dr. Alfred Bonné am 18. Dezember 1959 im Alter von sechzig Jahren am Ort seines langjährigen Wirkens. Er war verheiratet gewesen mit Teda Theres Bonne, geborene Stein, (1901-1995) aus Emden in Niedersachsen. Dr. Yochanan Bonne (1929-1987) war beider Sohn.

Veröffentlichungen von Prof. Dr. Alfred Bonné:

Palästina. Leipzig 1932.
Palästina. Land und Wirtschaft. Leipzig 1933. (2. Aufl.; 3. Aufl. Online, Leipzig 2013).
Steimatzky’s Palästina-Führer. Jerusalem 1935. (Gemeinsam mit Ze’ev Vilna’i).
Der neue Orient. Eine Einführung in das wirtschaftliche und staatliche Werden der Orientländer. Tel Aviv 1937.
Statistical Handbook of Middle Eastern Countries. Palestine, Cyprus, Egypt, Iraq, the Lebanon, Syria, Transjordan, Turkey. Jerusalem 1944. (gemeinsam mit Gershon Cyderovich).
The Economic Development of the Middle East. An Outline of Planned Reconstruction after the War. London 1945.
Transjordan, an Economic Survey. Jerusalem 1946. (Gemeinsam mit Adolf Konikoff).
State and Economics in the Middle East. A Society in Transition. London 1948.
Studies in Economic Development (1957).

Quellen zu Prof. Dr. Bonné:

B. Kimmerling: Bonné, A. Alfred In: Wilhelm Bernsdorf, Horst Knospe (Hg.): Internationales Soziologenlexikon. Band 1: Beiträge über bis Ende 1969 verstorbene Soziologen. 2. neubearbeitete Auflage. Stuttgart 1980.
https://www.jta.org/archive/dr-bonne-dean-of-israel-school-of-economics-dead-funeral-today
https://www.geni.com/people/Alfred-Bonne/6000000000810048426
https://de.wikipedia.org/wiki/Alfred_Bonne
https://www.encyclopedia.com/religion/encyclopedias-almanacs-transcripts-and-maps/bonne-alfred-abraham
https://worldcat.org/identities/lccn-n81012516/
https://www.deutsche-biographie.de/gnd124582893.html

Das Kapitel zu den deutschen Templersiedlungen ist dem Band Palästina. Land und Wirtschaft. Zweite Auflage. Leipzig 1933, erschienen bei der „Deutschen Wissenschaftlichen Buchhandlung“, entnommen.

An der Beschriftung des Buchumschlags fällt unwillkürlich der Schriftzug „Billige Ausgabe“ auf. Dies darf mitnichten als Abwertung verstanden werden, ist vielmehr der zeittypische Hinweis darauf, dass es sich nicht um die teure, hart gebundene, sondern um die weich (gebundene) „Studienausgabe“ handelt. 

Die hart gebundene Erstausgabe war 1932 erschienen und ist ebenso wie die zweite Auflage der Ehefrau des Gelehrten gewidmet. Prof. Dr. Bonné gliederte seine, heute noch lesenswerte, Veröffentlichung in die Hauptkapitel: Natürliche und staatliche Bedingungen (Historisches, Land, Klima, Bevölkerung, Finanzen und Verwaltung), Urproduktion (Landwirtschaft, Fellachenwirtschaft, jüdische landwirtschaftliche Siedlung, deutsche Templersiedlungen, Bodenrecht, Bodenfrage, Produktionszweige, Bodenschätze, Fischerei, Forstwirtschaft), Industrie, Gewerbe, Handel (auch Handwerk, Banken, Genossenschaftswesen), Verkehrswesen (Verkehrsmittel, Post, Telephon, Touristenverkehr, Kurorte), Berufsstände und wirtschaftliche Organisationen (inkl. Arbeiterbewegung und -organisation). Der Anhang besteht aus Karten und ausgewählten Spezialinformationen (Kosten, chem. Analysen-Resultate, diverse Statistiken, Bestimmungen, Deklarationsauszüge etc.)

[Der hier wiedergegebene Auszug zu den deutschen Templersiedlungen findet sich auf den Seiten 138ff. Die Orthographie wurde beibehalten, lediglich die Fußnoten, die im Original jeweils pro Seite gezählt werden, wurden durchgezählt. Ausgelassen (…) wurde ein Verweis auf eine Stelle im Buch.]

 

V. Die deutschen Templersiedlungen (1)

Die deutschen Templersiedlungen in Palästina spielen im Rahmen der palästinensischen Landwirtschaft keine ins Gewicht fallende Rolle. Sie sind aber wegen ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer erfolgreichen landwirtschaftlichen Arbeit von Bedeutung.

Auch hier waren es nicht materielle Erwägungen und gewinnversprechende Aussichten gewesen, die die europäischen Siedler bestimmten, sich in Palästina niederzulassen. Als Gegenmittel gegen das religiöse und soziale Elend der Zeit sollte eine Gemeinschaft aller derjenigen gegründet werden, die mit der Verwirklichung der christlichen Grundsätze, unabhängig von Kirche und Staat, Ernst machen wollten. Christoph Hoffmann und G. D. Hardegg, die Führer der Bewegung, die aus pietistischen Kreisen in Württemberg kamen und dort einige tausend Anhänger fanden, sahen in Palästina das Land, in dem die Tempelgemeinde ihre Ideen zur Durchführung bringen sollte.

Nach einem verfrühten und mißglückten Siedlungsversuch in einem fieberverseuchten Grund der Ebene Esdraelon, der der Mehrzahl der Siedler das Leben kostete, entschlossen sich im Jahre 1868 Hoffmann und Hardegg mit ihren Familien nach Palästina zu wandern und gründeten im Jahre 1869 die deutsche Kolonie bei Haifa. In den nächsten Jahren folgten dann weitere Gründungen: Jaffa 1869, Sarona bei Jaffa 1871, Rephaim nahe bei Jerusalem 1872. Die Kolonie Sarona war eine rein landwirtschaftliche Siedlung, während in den anderen Kolonien nur ein Teil der Einwohner Landwirtschaft betrieb. Trotz schwerer Opfer, die die Entwicklung der Ackerbaukolonien auf dem oft völlig versumpften Boden kostete, gediehen die Siedlungen; Anfang des 20. Jahrhunderts wurden dann, um der Landnot der Kolonistensöhne zu steuern, die Kolonien Wilhelma (1902) östlich von Jaffa, Betlehem westlich von Nazareth (1906) und daneben Waldheim (1907) (2) gegründet.

Über die Einwohnerzahl, Fläche und Hauptkulturen der deutschen Kolonien unterrichtet folgende Tabelle (Stand 1927) (…). (3)

[Name der Kolonie/Gründungsjahr/Einwohnerzahl 1931/und 1914/Fläche (m. Dunam) 1931/ und 1914/wichtigste Betriebszweige 1931]:

Jerusalem/1872/500/350/–/–/Städtische Kolonie
Haifa/1869/509/700 (4)/–/–/Städtische Kolonie
Jaffa/1869/256/350/–/–/Städtische Kolonie
Sarona/1871/251/225/6400/7300/Orangen, Getreide, Milchwirtschaft, Gemüse, Wein
Wilhelma/1902/230/229/10 000/9200/ Orangen, Getreide, Milchwirtschaft, Gemüse, Wein
Betlehem/1906/100/60/7034/6900/Getreide, Milchwirtschaft, Wein und Wald
Waldheim/1907/78/100/8000/6900/Getreide, Milchwirtschaft, Wein und Wald
Neuhardhof/1892/10/–/1500/–/Milchwirtschaft, Getreide
Bir Salem/1892/10/10/3400/3200/Orangen, Wein

Die Bevölkerungszahl der deutschen Kolonien ist in den letzten zwei Jahrzehnten stabil geblieben; der Geburtenüberschuß ist durch Auswanderung ausgeglichen worden. Die wirtschaftliche Lage der städtischen und ländlichen Siedlungen ist gut. Die bei der englischen Besetzung im Jahre 1917 und 1918 evakuierten deutschen Siedler konnten im Jahre 1920 zurückkehren und sich wieder ihres alten Besitzes erfreuen. Durch die wirtschaftliche Belebung des Landes nach dem Kriege, den Aufschwung des Handels, die Ausdehnung der Städte und die Prosperität der Orangenkulturen ist auch die wirtschaftliche Position der deutschen Kolonien sehr gestärkt worden. Die Angehörigen der deutschen Kolonien nehmen in den Städten geachtete Positionen ein; sie betreiben Schiffsagenturen, Kommissionsgeschäfte, mechanische Werkstätten und Handwerk u. a.; in den landwirtschaftlichen Siedlungen sind neben Milchwirtschaft, Getreide- und Gemüseanbau in den letzten Jahren besonders die Orangenkulturen entwickelt worden. Die in den jüdischen Getreidesiedlungen aktuellen Rentabilitätsprobleme bestehen für die deutschen Wirtschaften nicht oder nur in geringem Maße, da diese Betriebe, abgesehen von dem größeren Umfang der Wirtschaften, der Bodenfläche usw., als Lohnarbeiter arabische Arbeitskräfte verwenden, deren Ansprüche und Lohn erheblich niedriger sind als die jüdischen Arbeiter.

Fußnoten:

1) Vgl. K. Götz, Das reichsdeutsche christliche Element in Palästina. Ztsch. „Palästina“ 1931, Heft 5-6, S. 195ff. – Zur Geistesgeschichte der Tempelbewegung bis zum Jahr 1884 ist das Werk von Lange, Geschichte des Tempels, Jerusalem 1889, nach wie vor Hauptquelle.
2) Waldheim ist als landwirtschaftliche Siedlung von Mitgliedern der Kolonie Haifa gegründet worden, die sich nach der im Jahre 1878 begonnenen Spaltung der Tempelgemeinde wieder der preußischen Landeskirche anschlossen.
3) In den Ziffern der Tabelle sind auch die nicht der Tempelgesellschaft angehörigen deutschen Christen in Palästina eingeschlossen.
4) Mit Neuhardhof.

Eine weitere jüdische Quelle aus den 1930ern, das Philo-Lexikon. (Philo-Lexikon. Handbuch des Wissens. Dritte Auflage. Berlin 1936. Nachdruck: Frankfurt am Main 2003):

Templer, fromme evangelische Siedler, wanderten aus Schwaben Ende d. 19. Jahrhunderts nach Pal. aus, wo sie in eigenen Siedlungen wohnen.

Ein nichtjüdisches, deutsches Lexikon jener Jahre ergänzt:

Templer, (1)…

2) pietistische Sekte aus Württemberg, die heute ihren Wohnsitz fast nur noch in Palästina hat. Gründer des „Deutschen Tempels“ (heute „Tempel-Gesellschaft“) war Chr. Hoffmann, der sie 1866 mit Hardegg nach Palästina führte. –

Templerkolonien, die etwa 2000 Seelen umfassenden deutschen Kolonien Haifa (etwa 330 Templer), Jafa (226 T.), Rephaim (bei Jerusalem), Sarona, Wilhelma, Betlehem (bei Haifa), Waldheim und Neuhardthof. Wirtschaftlich herrscht Gemüse-, Orangen- und Weinbau vor. Ferner gibt es Schulen (Lyzeum „Tempelstift“ in Jerusalem), ein Krankenhaus, die „Bank der Tempel-Gesellschaft“ in Jafa und verschiedene Musik-, Lese- und Sportvereine.

(Der Grosse Herder. Vierte Auflage. Freiburg im Breisgau 1935.)

Mehr als ein halbes Jahrhundert später konnte man einem großen deutschen Nachschlagewerk entnehmen:

Tempelgesellschaft, 1861 von Christoph Hoffmann (*1815, †1885) in Württemberg unter dem Namen „Dt. Tempel“ gegründete apokalyptische Gemeinschaft, die das Ziel verfolgte, alle wahren Christen als das neue Israel nach Jerusalem zu führen, um dort den „Bau des Tempels“ (Eph. 2, 19-22), d.h. den prophetisch vorherverkündigten Gottesstaat, zu errichten. Religiös vertritt die T. einen theolog. Liberalismus; ein formuliertes Bekenntnis und feste liturg. Formen werden abgelehnt. Ihre Aufgabe sieht sie in der „Ausbreitung christl. Gemeinschaft“ und in der Arbeit an „der Aufrichtung des Reiches Gottes auf Erden“. Siedlungen der T. entstanden v. a. in Palästina (bis zum Zweiten Weltkrieg). Heute leben noch 1300 Templer in Australien und etwa 600 in der Bundesrepublik Deutschland. Sitz der T. ist Stuttgart. 1970 trat die „Volkskirchenbewegung Freie Christen“ dem Freundeskreis der T. bei.

C. Hoffmann: Stimmen der Weissagung über Babel u. das Volk Gottes (1849); ders.: Mein Weg nach Jerusalem, 2 Bde. (1881-84); K. Hutten: Seher, Grübler, Enthusiasten (12. Aufl. 1982); Templer-Handbuch. Texte uns Informationen zum Verständnis der T., hg. v. P. Lange (1992).

(Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden. 19. Aufl. Mannheim 1993)

https://en.wikipedia.org/wiki/Templers_(Pietist_sect)
https://de.wikipedia.org/wiki/Tempelgesellschaft

Bild oben: Sarona Templer Siedlung Anfang 1900, Foto. United States Library of Congress’s Prints and Photographs division, ID matpc.04724