Spott-Light: Friendly Fire auf Uffa Jensen?

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Einleitend, um die Überschrift zu erläutern, auch meine Unsicherheit, die sich im Fragezeichen ausspricht: Ich kenne Uffa Jensen, diesen Antisemitismusforscher von der TU Berlin, persönlich, wir haben mal ein Bier getrunken zum Fachsimpeln über den uns verbindenden Kampf gegen rechts. Wir sind beide Suhrkampautoren, arbeiten beide an einer TU, er in Berlin, ich als i.R. an jener in Dresden, wir können uns also auf Augenhöhe begegnen. Von da her also das „Friendly“.

Von Christian Niemeyer

Woher dann aber das „Fire“, das mir durch den Sinn kam, als eben unser Sammy laut bellend vom Typ „Unfriendly Flyer“ durch die winterkalte Novembernacht galoppierte!? Als habe er in unserer Siedlung den international mit Haftbefehl gesuchten und der Nekrophilie verdächtigen[1] Kriegsverbrecher Putin aufgespürt. Der wiederum bis gestern noch sämtliche Kraftwerke in der Ukraine in Schutt und Asche hatte legen wollen, um den Westen mittels Hunderttausender Kälteflüchtlinge zu destabilisieren, auf dass sein vom Moskauer Patriarchen (und vormaligen KGB-Agenten) Kyrill I. als „heiliger Krieg“ gesegnetes Massaker[2] zum glücklichen Ende geführt werden könne. Was rechtfertigt, Uffa Jensen als „Friend“ zu listen, ihn aber gleichwohl unter „Fire“ zu nehmen nach Pädagogenart?

Nun, vielleicht sollte ich antworten: Eben dies, also meine mir fachlich ja durchaus zukommende Pädagogenart. Die mir rät, genau jetzt, wo der uns allen seit Februar aufgenötigte Tanz auf dem Vulkan auf der Kippe zum Guten steht, nicht unbedacht klandestine Strategien der Gegenseite zu übernehmen. Etwa jene des heimlichen Chefideologen der Neuen Rechten, Erik Lehnert. Der sich 2006 mit einer 2007 auf Amazon von einem gewissen Edgar Morales begeistert gelobten Arbeit über Karl Jaspers bei Volker Gerhardt & Gerd Irrlitz an der Humboldt-Universität promoviert hatte, um mit seinem Beitrag In der Festung – Leben im Verborgenen? zum 65. Geburtstag Gerhardts (2009) unter Berufung auf Carl Schmitt seinem Doktorvater gleichsam die lange Nase zu zeigen, indem er als sein Ideal bekundete, dass „man den inneren Vorbehalt behält und nach außen eben Zustimmung heuchelt.“ „Der arme Doktorvater!“, schrieb ich mir dazu an den Rand sowie: „Danke, werter Herr Doktor, für diesen wichtigen Hinweis! Dann setze ich mir jetzt eine Maske über und stürme im Interesse der Aufklärung ihre Burg vom Bautyp Graf Klandestin!“

Platz 2 auf der nach oben offenen neu-rechten Lügenbaron*in-Skala gebührt dem Karlheinz-Weißmann-Schüler (am Gymnasium in Northeim) Benjamin Hasselhorn, der seinen größten Unsinn unter dem Namen Martin Grundweg abzusondern scheint, so wie Alfred de Zayas mittels seiner Maske Gerald Franz; ähnlich wie dies Michael Klonovsky tut oder jedenfalls doch billigt im Blick auf seinen mutmaßlichen Rezensenten, den Junge-Freiheit-Autoren Michael Dienstbier. Nimmt man noch den Junge-Freiheit-Historiker Thorsten Hinz hinzu, der 2008 den vorerwähnten de Zayas aus seinem Personenregister verbannte und im Text mit dem 1980 vom Spiegel eingeführten Attribut „amerikanischer Historiker“ unkenntlich werden ließ, um niemand auf die Idee kommen zu lassen, die Neue Rechte nähme vor allem des kämpferischen Anti-Amerikanismus wegen an diesem alt-rechten kubanischen Juristen (und Uradeligen) Interesse, müsste man dem aktuell als „Thilo-Sarrazin-für Arme“ Furore machenden Fritz Söllner von der TU Ilmenau fast schon dankbar dafür sein, sich für sein verfassungsfeindliches Gerede in seinem Buch Krise als Mittel zur Macht (2022) von seiner Schwester unter Klarnamen auf Amazon hochjubeln zu lassen. Mit Verlaub: Nietzsches „Jeder tiefe Geist trägt eine Maske“ taugt hier nicht als Entschuldigung, liegt doch die Betonung auf „tief“, nicht auf „Maske“. Was aber hat dies mit Uffa Jensen zu tun, welchen Erziehungsauftrag meine ich mir als des siebzehn Jahre Älteren im Blick auf seine Person konkret anmaßen zu können?[3]

Nun, vermutlich ahnen zumindest doch Stammleser*innen dieses wunderbaren deutsch-jüdischen Nachrichtenmagazins bei einem Blick auf Jensens allerneueste Veröffentlichung allmählich, worauf ich hinauswill. Richtig: Auf die am 9. September 2021 hier unter dem Titel Von Schlomo Levin (1911-1980) hin zu Walter Lübcke (1953-2019). Über einen braunen Fememord zum nächsten[4] dargebotene Geschichte, die Jensen gut ein Jahr später, ohne mich zu erwähnen, gleichfalls darbietet, nämlich in seinem Buch Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik (Suhrkamp: Berlin 2022). Der Ausgangspunkt dieser beiden Geschichten führt uns zurück in das Jahr 1980, also zum Oktoberfestanschlag des Gundolf Köhler sowie, noch etwas weiter zurück, zum Fememords von Uwe Behrendt an Shlomo Lewin (und Gattin) aus Rache für Lewins 1977er Kritik an einem von der Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) organisierten Auschwitz-Kongress in Nürnberg unter Teilnahme von Holocaust-Leugnern. Die Parallelen zum Fememord an Walter Lübcke liegen auf der Hand, allerdings nicht für Uffa Jensen, ebenso, dass die seinerzeit von Strauß diagnostizierte Harmlosigkeit der WSG sowie des Karl-Heinz Hoffmann[5] komplementär ist zur Verharmlosung von NS-Tätern durch Franz-Josef-Strauß‘ Chile-Planer Rudolf Aschenauer. Lange her, könnte man wegen Uffa Jensens fehlender Aufmerksamkeit auch für diesen Namen schulterzuckend einwenden – aber nicht so lange her, dass der Veröffentlichung von Jürgen Roth als eine unter zahlreichen bis hin zu meinen genannten 2021er Veröffentlichungen nicht mehr gedacht werden könnte. Genau dies aber tut Jensen, wohl, um seinen Untertitel (Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus) zu rechtfertigen. Dies erklärt wohl auch, dass Hajo Funkes Studie Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz (2018) unbeachtet bleibt und der nun wirklich vor Einschlägigkeit strotzende Namen Ulrich Chaussy (Oktoberfest. Das Attentat. Wie die Verdrängung des Rechtsterrorismus gelang (2014) erst auf S. 235 ins Spiel kommt, zusammen mit dem Eingeständnis, er, Jensen, sei „keineswegs der Erste“, der sich in diesem Thema versuche, brächte aber „viele zusätzlichen Informationen“[6] Einverstanden: Dies dem Verlag (Suhrkamp) gegenüber gleich zu Beginn eingeräumt, wäre es wohl kaum zu einem Vertrag gekommen. Muss ich jetzt noch ein weiteres Wort sagen zu meinem Erziehungsauftrag, dem kaum mehr inhäriert als Gorbatschows Forderung nach Perestroika, mit der in der Zeit nach Putin bitter ernst gemacht werden muss, um unser aller Überleben willen? Ich denke: Nein!

Konzedieren kann man gleichwohl, dass Uffa Jensen hin und wieder eine wirkliche Entdeckung gelingt. Hierzu gehört fraglos nicht seine Erläuterung zum Stichwort ‚Bromberger Blutsonntag‘, es sei in diesem Ort „kurz nach dem Einmarsch in Polen zu Unruhen gekommen, bei denen Deutsche wie Polen getötet wurden.“ (Jensen 2022: 248) Denn dies ist nahe dran an NS- sowie Neo-Nazi-Geschichtsklitterung, die sich durch Nutzung jenes Buches, das ignoriert zu haben ich ihm zum Vorwurf mache, hätte vermieden werden können, ganz abgesehen von einem anderen, 2013 erschienen und seit 2022 in zweiter Auflage verfügbaren.[7] Was ich mit ‚wirkliche Entdeckung‘ meine, ergibt sich aus dem Haupttext, zu dem diese Fußnote eine Erläuterung geben wollte und in welchem Jensen einen 1979 erschienenen Text Karl-Heinz Hoffmanns (Das aktuelle Thema: Brandopfer 1939) als Beleg dafür liest, dass Neonazis wie Hoffmann den ‚Bromberger Blutsonntag‘ als „unser eigenes deutsches ‚Holocaust‘-Ereignis“ deuteten (ebd.: 87) – eine Maßlosigkeit sondergleichen, die einen frieren macht. Was mich – deswegen habe ich eben hingewiesen auf mein von Jensen ignoriertes Buch zu diesem Themenkomplex – unter Bezug auf einen Passus aus diesem Buch (vgl. Niemeyer 2021: 395) erinnert an Rudolf Augsteins Einwand gegen Ernst Noltes Argument (aus seinem Buch Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945), jene Vokabel (‚Bromberger Blutsonntag‘) bezeichne einen ‚tendenziellen Genozid‘ der Polen an den Deutschen: „Dies ist entweder Nazitum oder Unwissenheit.“ (in: Der Spiegel v. 4. Januar 1988: 141) Meint: Hätte Jensen mein Buch gelesen, könnten wir jetzt friedlich debattieren. So müssen wir streiten, letztlich auch mit denen aus Lektorat und Beirat, die ihn so schlecht beraten haben, dass seine Danksagung durchaus als Schimpftirade gelesen werden könnte.

Richtig und wichtig bleibt sie gleichwohl: Jensens Subsumtion von Verharmlosungen des Oktober 1980 bis in die Gegenwart unter dem Term „Staatsversagen“. Behrend beispielsweise, Hoffmanns Vize und bei ihm am Tag vor der Tat bei Hoffmann nächtigend, hatte am Tatort einige Indizien hinterlassen, die auf Hoffmanns Mittäterschaft hinwiesen. Aber da Behrend im September 1981 im Libanon Suizid begangen haben soll, wurde Hoffmann – 1986, fünf Jahre später – allein angeklagt, aber in der Mordsache freigesprochen und wg. anderer Delikte zu 9 ½ Jahren verurteilt. 1989 wurde er mit günstiger Sozialprognose freigelassen; er habe glaubhaft zu erkennen gegeben, dass er sich von seiner Vergangenheit losgesagt habe.[8] Tatsächlich aber nahm Hoffmann nach wenigen Jahren wieder Kontakte zu ehemaligen WSG-Mitgliedern auf, die inzwischen zur NPD gehörten. Ab 1998 (dieser Zeitraum entschwindet dem Radar Uffa Jensens) hatte Hoffmann Kontakt zum Chef der Republikaner in Jena, der wiederum in Verbindung mit Ralf Wohlleben vom NSU stand. 2004 gründete er eine Stiftung zur Sanierung des von ihm gekauften Ritterguts Sahlis – vormals Eigentum des NS-Dichters Börries von Münchhausen – und erhielt von der CDU-Landesregierung zwischen 2005 und 2007 insgesamt 131.848 € Förderung, mit dem Vermerk, man müsse ihm zubilligen, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Wohl eher nicht: 2010 fand auf dem Gut ein Treffen der NPD statt, wenig später ein Arbeitseinsatz von fünf Neonazis. Im Juli 2013 folgte wg. Hoffmanns Schulden die Zwangsversteigerung, 2017 ein Gutachten, wonach er die zum Denkmalschutz gedachten Fördermittel großenteils zweckwidrig verwendet habe. Während dessen hatte Hoffmann seine Kontakte zur Neonazi-Szene wiederaufleben lassen, referierte am 11. September 2011 in Hausdorf (Colditz) über die WSG vor einhundert Neonazis, darunter solchen aus dem NSU-Umfeld wie André Kappe und Ralf Wohlleben. Anschließende Razzien bei verfassungsschutzmäßig überwachten Teilnehmern dieses Treffens führten zum Verdacht der Planung eines Sprengstoffanschlags auf die Landtagsageordnete Katharina König-Preuss. Nachdem im November 2011 der NSU aufgeflogen war, stufte die Staatsanwaltschaft Gera Hoffmann dem Unterstützerumfeld desselben zu. 2014 nahm Hoffmann an einer Veranstaltung der Burschenschaft Frankonia teil, wo vor ihm schon Horst Mahler aufgetreten war. Auch – gleichfalls von Uffa Jensen ignoriert – Stephan Ernst, der Mörder Walter Lübckes, hatte in seinem Prozess einen brieflichen Kontakt zu Hoffmann eingeräumt.[9] Kurz: Fast alle Wege der Fahndung in Sachen Rechtsterrorismus resp. ihm günstiger Think Tanks weisen nach Thüringen, nach Fretterode, um genau zu sein.

Aber dies ist schon wieder eine ganz andere Geschichte, die demnächst in diesem Theater kommt, unter dem Titel: King Kong vor Alpenkulisse, wütend Audi-Fahrzeuge von sich werfend. Ein wenig klandestin, ich gebe es gerne zu. Aber, wie der Volksmund (oder ist es der Fußball-Hooligan?) so schön sagt: „Von unseren Gegnern lernen, heißt siegen lernen!“    

Uffa Jensen, Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik, Suhrkamp Verlag 2022, Bestellen?

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin

[1] www.hagalil.com/2022/10/geheimrede-zu-putin/

[2] www.hagalil.com/2022/10/bloodymir-kyrill/

[3] Näheres hierzu in meinem neuen Buch: Die AfD im Sog von Trumps & Putins Untergang (i.V.)

[4] www.hagalil.com/2021/09/levin-luebcke/ nach einem Kapitel aus meinem Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Reihe Bildung nach Auschwitz) (Beltz Juventa 2021: 447 ff.)

[5] Jürgen Roth: Der tiefe Staat. Die Unterwanderung der Demokratie durch Geheimdienste, politische Komplizen und den rechten Mob. München 2016, S. 89.

[6]  Uffa Jensen: Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Berlin 2022, S. 235.

[7] Christian Niemeyer: Die dunklen Seiten der Jugendbewegung. Vom Wandervogel zur Hitlerjugend. Mit einem Vorwort zur 2. Auflage von Micha Brumlik. München 22022: 160 f.

[8] Ulrich Chaussy: Das Oktoberfest-Attentat und der Doppelmord von Erlangen. Wie Rechtsterrorismus seit 1980 verdrängt wird. Berlin 32020, S. 236.

[9] Ronen Steinke: Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt. München 2020, S. 220.