Von Schlomo Levin (1911-1980) hin zu Walter Lübcke (1953-2019)

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Bild oben: Schlomo Lewin (1978), Foto: A. Freud, CC BY 3.0 / Walter Lübcke, Foto: Regierungspräsidium Kassel, CC BY-SA 3.0

Über einen braunen Faden vom einen Fememord hin zum nächsten

Von Christian Niemeyer

Nachdem im März 2021 unter dem Titel Wer, zum Teufel, ist Rudolf Berthold? Eine kritische Anfrage an Nils Wegner, angetrieben von dem Verdacht, er leiste in einem AfD-nahen Handbuch dem Rechtsterrorismus vom Typ ‚Mord an Walter Lübcke‘ Vorschub auf haGalil ein Text von mir eingestellt wurde, möchte ich heute diese These ausdehnen: Einiges spricht dafür, dass Wegner im Kontext des neu-rechten Chefideologen Erich Lehnert bedacht werden muss und beide einer neuen (AfD)-Zeit vorarbeiten, auf deren Höhepunkt man, etwa in fünfundzwanzig Jahren, nicht des Fememordopfers Walter Lübcke (erschossen 2019) gedenken wird, sondern seines Mörders Stephan Ernst (als neu-rechter Ikone). Mehr als dies: Die durch Investigativjournalisten wie Ulrich Chaussy vorbereitete These, lautet, dass der Lübcke-Mord in Gestalt der Ermordung des in Jerusalem als Sohn eines Rabbiners geborenen jüdischen Verlegers Schlomo Levin (und seiner Lebensgefährtin, beide erschossen 1980) ein frühes Vorbild hat, das, zumal in puncto Täter-Netzwerk, bis heute nachwirkt. Exponiert wird diese These in meinem im August erschienenen Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon, aus dem ich mit freundlicher Erlaubnis des Verlags (Beltz Juventa, Weinheim Basel) den folgenden Abschnitt aus Essay Nr. 13 entnommen habe (dort: S. 444 ff.; Literaturnachweise in den Online-Materialien dieses Buches):

Ein Blick zurück und über den Zaun, Richtung Fretterode sowie Graz

Wohlgemerkt: Ein Blick zurück, nicht im Zorn. Denn rechtsextreme Argumentationsfiguren müssen notwendig verschlüsselt vorgetragen werden, reagieren zumal bürgerliche Kreise, auch dies bestandsnotwendig, keineswegs erfreut auf offene Bekenntnisse vom Typ: „Übrigens, ich bin rechtsextrem, schlimmer: Neonazi, ähnlich etwa wie Patrick Agte!“ Also gibt es, objektiv betrachtet, keinen Grund für mich, zornig zu sein ob der mir durch die Grundanlage des Lehnertschen Argumentierens auferlegte Pflicht, gleichsam induktiv, wie im Vorhergehenden gezeigt, den Auslassungen nachzuspüren, ausgehend von dem Verdacht, wer, wie Lehnert, bevorzugt Gesinnungsliteratur anzuführen vermag (etwa Mohler 1991 und Pflanz 42010) und Forschungsliteratur nur pro forma (etwa Frei 1996 und Raithel 2009) listet, von der im Vorhergehenden beigezogenen aber nichts anführt, wohl nichts zu sagen haben werde. Deswegen allein verfällt aber nicht der mir als Wissenschaftler sehr viel vertrautere Weg gleichsam von oben nach unten, also vom Forschungsstand ausgehend. Er sei hier, auch zwecks Überprüfung meiner Kritik an Lehnert, nachgeholt, ausgehend von der allerneuesten einschlägigen Studie von Felix Bohr unter dem Titel Die Kriegsverbrecherlobby (2018). Sie kam für Lehnert zwar zu spät. Aber dies kann ihm keine Hilfe sein, zumal sie nur weiterführt, was sechzehn Jahre zuvor schon Oliver Schröm & Andrea Röpke unter der Überschrift Stille Hilfe für braune Kameraden (2002) darlegten – auch dies ein Text, den Lehnert scheute, wie der Teufel das Weihwasser, Kunststück: Was hätte er, diesen zur Kenntnis genommen, groß schreiben sollen zugunsten seiner neu-rechten Lesart dieses Themas?

Dass derlei strategisch motivierte Wissensvermeidung nicht für die klügste aller Ideen steht, zeigt übrigens schon Felix Bohrs im Verlauf seiner Schlussbetrachtung dargebotene und das Herz von Lehnerts Ansinnen treffende Frage: „Ist Gauland ein geistiger Nachkomme der Kriegsverbrecherlobby?“ (Bohr 2018: 368) Bohrs Fragehintergrund: Die langjährige Zusammenarbeit der aktuellen, vormals der Hessen-CDU angehörende AfD-Ikone Alexander Gauland mit Alfred Dregger, vormals NSDAP-Mitglied und zu Gaulands Zeiten die alt-rechte CDU-Ikone schlechthin. Dregger war seinerzeit, von Gauland genauestens registriert (vgl. Sundermeyer 2018: 78), Verzeihensbereitschaft im Blick auf NS-Kriegsverbrechen à la Malmedy nicht fremd. Besonders schockierend bei diesem Engagement: Dreggers Einsatz für zwei der „Vier von Breda“, nämlich die SS-Schergen Ferdinand aus der Fünten sowie Fritz Fischer, beide an Judendeportation aus den Niederlanden mit Anne Frank als ikonographischem Opfer beteiligt und besonderer Grausamkeit schuldig, beide 1950 in den Niederlanden zum Tod verurteilt, aber: Beider Strafen wurden 1951 zu „Lebenslänglich“ abgemildert. Wichtiger, hier: In beiden Fällen agierte Dregger im Rahmen seiner Möglichkeiten zugunsten der Verurteilten (vgl. Bohr 2018: 350 f.), und zwar auf Impulse hin, die sich bis auf die „Stille Hilfe“ von Lehnerts Prinzessin zurückführen lassen und auch bei anderen Unionspolitiker Folgen zeitigten, wie insbesondere für Franz-Josef Strauß  nachweisbar, mit der Folge eines sehr rührenden Nachrufs auf ihn 1988 aus einem internen Rundschreiben des Vereinsblättchens Stille Hilfe. (vgl. Schrön / Röpke 2002: 77 f.) Heißt: Lehnerts Artikel von 2017 ist, in der Linie Bohrs gedacht, eine Arbeit im Interesse Gaulands – zieht aber infolge des hier einbezogenen erweiterten Hintergrunds und der Kritik an dessen Unterschlagung auch diesen „Vogelschiss“-Rhetoriker mit herab in den Sumpf des Klandestinen und Peinlichen, dies auch infolge fehlender Diskussion der (Nicht-) Thematisierung der Judenverfolgung und -vernichtung durch Papst Pius XII. sowie um die Nachkriegspolitik desselben mitsamt, wie dargestellt, weiterer kritische Hinweise auf die Neu-Rechts-Ikone Alfred de Zayas und dessen Fürsprecher Karlheinz Weißmann, die der Aufnahme harren, aber ignoriert werden (müssen).

Aber mehr als dies: Wenn man ganz genau auf den von Lehnert aus guten Gründen ignorierten Forschungsstand achtet, kann man nicht umhin, über Felix Bohr (2018) und dessen von ihm übrigens auf recht unschöne Weise[1] ins Abseits gerückte Vorredner Oliver Schröm & Andrea Röpke (2002) bei Norbert Frei (1996) sowie Ernst Klee (1991) zu landen, schließlich gar bei Jörg Friedrich (1984) und dessen bewusst spektakulär gehaltener Frage aus seinem Buch Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik (1984), „wo die 200 000 – 300 000 Personen geblieben sind, welche die Endlösung der Judenfrage, die Beseitigung der unnützen Esser (Euthanasie), den Tod von drei Millionen Kriegsgefangenen und den Justizmord an 30 000 Deutschen ins Werk gesetzt haben.“ Die Antwort des damaligen Trotzkisten, an zahllosen Beispielen belegt:

„Die Tätergemeinschaft hat sich spurlos in die Nachkriegsgesellschaft verflüchtigt, ist dort nicht weiter auffällig geworden und stirbt gegenwärtig friedlich aus. Den Aufbau von Demokratie und Rechtsstaat hat der NS-Täter nicht behindert. Das größte geschichtsbekannte Verbrechen wurde mit dem größten Resozialisationswerk abgeschlossen.“ (Friedrich 1984: 2)    

Die neu-rechte Schickeria, hart geworden unter Vokabeln wie „Vogelschiss“ (Gauland), schaut inzwischen betreten auf Sätze wie diese (vgl. Weißmann 2012: 64) – und feiert Friedrich wegen Bestsellern über den anglo-amerikanischen Bomben-Holocaust in Dresden im Februar 1945 wie Der Brand (2002) als im eigenen Lager angekommen, im Trainingslager derer, um genau zu sein, in welchem sich das Volk der Täter als Volk der Opfer inszenieren und so für neue Großtaten in Form reden kann, mit Lehnert als Vorturner.

Schockierend in diesem Zusammenhang das fernere Schicksal eines der im Vorhergehenden erwähnten Aufklärungsbücher, des besten und mitreißendsten, meiner bescheidenen Meinung nach, das im Übrigen dem unerbittlichen Aufklärer Simon Wiesenthal alle Ehre einlegt, etwa am Fall des Anton Malloth: SS-Mann, beschäftigt gewesen im Gestapo-Gefängnis „Kleine Festung Theresienstadt“, 1948 Todesurteil in CSSR in Abwesenheit, lebte Malloth unbehelligt in Meran, wurde 1988 in die Bundesrepublik abgeschoben, gedeckt von der „Stillen Hilfe“ um Gudrun Burwitz sowie geschützt von einem Oberstaatsanwalt unter Deckung von Wolfgang Clement (SPD) – aber er wurde gesucht vom Enkel eines Opfers, der klug genug war, Wiesenthal einzuschalten, mit dem Erfolg, dass Malloth schließlich doch noch, 2001, zu lebenslänglich verurteilt nach Auftauchen eines Zeugen in Sachen einer anderen Mordsache von 1943. Dies also ist der Fall Malloth nach diesem Buch (vgl. Schröm / Röpke 2002: 184 ff.), das gleichwohl, besser: deswegen ins Fadenkreuz der Extremsten unter den Neuen Rechten gelang, im Nachgang übrigens zum auf das „linke Netz“ unter Einschluss Röpkes gerichteten Aufmerken des neu-rechten Ideologen und Aufpassers Felix Krautkrämer (2010) und ausgedehnt auf Röpkes Fürsprecher Hajo Funke, am 17. Juni 2015 Laudator bei der Verleihung des Paul-Spiegel-Preises für Zivilcourage an die vielfach preisgekrönte Journalistin und Politologin. Ihn, Funke, nimmt inzwischen ein gewisser (besser: gewissenloser) Friedrich Pfad in seinem Buch Die NSU-Affäre & Das Trio (2019) ins Visier, korsettiert von einem martialischen, aber sinnfreien Nietzsche-Zitat auf dem Rückumschlag, auf dem Cover Pinocchio mit Lügen-Nase zeigend sowie den Untertitel so deutend, als gälte es, Funke als Teil von „Das Trio“ (mitsamt Röpke & Schröm) zur Fahndung auszuschreiben, in deutlicher Anspielung auf das fürwahr mörderische NSU-Trio, suggerierend, deren Mordtaten seien im Vergleich ja noch harmlos. Warum diese exaltierte, maßstabslose Gegenwehr, auf die einzugehen mir zunächst entbehrlich schien?

Ein Grund könnte sein, dass das Buch von Schröm & Röpke den Auftakt gab für eine Reanalyse des spezifisch deutschen Staatsversagen, sei es im Blick auf alt-rechtes Nazitum, sei es im Blick auf neu-rechten Terror vom Typ NSU. Deswegen wohl auch präsentiert uns unser aller Pfad-Weiser namens, angeblich, Friedrich Pfad die Mutter all dieser Schlachten als eine von vollster Unschuld, eröffnet sein Pamphlet von 2019 also, überraschend wohl für jeden aus der Neuen Rechten, der um Lehnerts Aufschlag von 2017 nicht weiß, mit einem Loblied auf Helene Elisabeth Prinzessin von Isenburg, eine „internationale Berühmtheit“ (Pfad 2019: 11), deren Biografie ein weiterer Band des Verfassers brächte, basierend auf dem Nachlass, der nun im „Archiv Wistana Verlag“ läge – ein Schweizer Verlag übrigens, der keine weiteren Bücher verlegt als eben diese beiden des Herrn Pfad und den man eben deswegen normalerweise „Selbstverlag“ heißt. Wie man sieht: Ist all‘ dies doch Wahnsinn, so hat es immerhin Methode, passt, beispielsweise, wie B, zu Lehnerts A von 2017.

Wer nach all‘ dem nun, redlich erschöpft, denkt, damit müsse es nun allerdings genug sein, dem muss ich leider den zweiten Teil der Kapitelüberschrift ins Gedächtnis rufen, also den Blick über den Zaun hinein nach Fretterode, auf dass er dort vielleicht – Stichwort NSU – der Begegnung eines gewissen V-Manns (und NSU-Vertrauten) namens Tino Brand ansichtig werde, tête-à-tête mit dem NPD-Funktionär Thorsten Heise, etwa, wie dies der freie Journalist Andreas Förster vor acht Jahren so anschaulich zu schildern wusste, am „vom Hausherrn errichteten Stein für die Gefallenen des I. Panzer-Korps der Waffen-SS“ (Förster 2013: 181), das dieser 2006 von Marienfels aus auf sein Privatgrundstück verbracht hatte. (vgl. Linsler / Kohlstruck 2018: 314) Heißt: Der Waffen-SS-Flüsterer Lehnert brachte 2017 mit seinem Artikel in einem AfD-nahen Handbuch eine Thematik zur Wiederaufführung, die eigentlich, etwa über Joachim Peipers bis in jüngste Zeit hinein in rechtsextremen Blättern nachgedruckten Brief Wort aus Landsberg, zur NPD-DNA gehört. Damit schließt sich der Kreis. Denn in unmittelbarer Nähe Heises wohnt Lehnerts Gesinnungsgenosse Björn Höcke, dem Heise nach eidessstattlichen Versicherungen von Dorfbewohnern 2008 beim Einzug in sein neues Haus half (SP Nr. 44/27.10.2018: 29) und dem Höcke offenbar auch seine zunehmende Politisierung über rechtsnationale Kreise der Jugendbewegung zu danken hat, ebenso wie die „bei Treffen der ‚Stimme der Mehrheit‘, einem Kreis rechtsnationaler Publizisten und Unternehmer, in dem gegen den ‚epidemischen Sozial- und Asylmissbrauch‘ agitiert wurde“ (ebd.: 30) Aus dieser Zeit resultiert auch Höckes Freundschaft mit Götz Kubitschek, des Weiteren seine Bekanntschaft mit Martin Hohmann, zusammenfassend gesprochen: der Höcke, den wir kennen, mit ausgeprägt islamophober Tendenz und der Neigung, Nazi-Rhetorik zu adaptieren, und sei es unter seinem mutmaßlichen Pseudonym Landolf Ladig. Jedenfalls sind unter diesem Namen 2011 und 2012 in den NPD-Blättern Eichsfeld-Stimme und Volk in Bewegung Texte erschienen, die „Höckes verquastem Sound zum Verwechseln ähnlich sind. Der Soziologe Andreas Kemper fand so viele Indizien dafür, dass sich sogar der AfD-Bundesvorstand Kempers Recherchen zu eigen machte, im Antrag auf Höckes Parteiausschluss. Höcke dementierte die Autorschaft, ging aber nie juristisch gegen die Vorwürfe vor.“ (SP Nr. 44/27.10.2018: 29; vgl. Kienholz 2020: 97 ff.) Womit sich der Kreis noch enger schließt, ist es doch die rechtsextreme Zeitschrift Volk in Bewegung, die sich im Kampf um Rehabilitierung von Landsberg-Häftlingen wie Peiper besonders engagiert hat (vgl. Linsler / Kohlstruck 2018: 313) – als dessen allerjüngstes, klandenstinstes Produkt der in diesem Essay analysierte zweiseitige Handbuchartikel von Lehnert zu gelten hat, den man womöglich auch im Kontext des vormaligen Bundeswehr-Fallschirmjägers (und AfD-Politikers) Andreas Kalbitz zu sehen hat, insofern dieser „bis 2015 einen von Neonazis, SS-Offizieren und NPD-Funktionären gegründeten Verein namens ‚Kultur und Zeitgeschichte, Archiv der Zeit‘ [leitete].“ (Hock / Naumann 2019: 56)

Damit aber noch immer nicht genug, wobei wir noch einmal auf Franz-Josef Strauß eingehen müssen. Dessen oben erwähnter Kontakt zur Stillen Hilfe über deren langjährigen Vereinsvorsitzenden, den NS-Veteranen-Anwalt Rudolf Aschenhauer, lief, der 1980 aufgrund seiner einschlägigen Kontakte zu den Organisatoren einer Strauß-Reise ins Pinochet-Chile gehörte (vgl. Schröm / Röpke 2002: 77 f.) – 1980, wie hier zu erinnern ist (s. Prolog Nr. 17), im Jahr des Oktoberfestanschlags des Gundolf Köhler sowie des Fememords von Uwe Behrendt an Schlomo Lewin (und Gattin) aus Rache für Lewins 1977er Kritik an einem von der Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG) organisierten Auschwitz-Kongress in Nürnberg unter Teilnahme von Holocaust-Leugnern. Die Parallelen zum Fememord an Walter Lübcke liegen auf der Hand, ebenso, dass die seinerzeit von Strauß diagnostizierte Harmlosigkeit der WSG sowie des Karl-Heinz Hoffmann (vgl. Roth 2016: 89) komplementär der Verharmlosung von NS-Tätern durch Strauß‘ Chile-Planer Aschenhauer ist. Lange her, könnte man hier schulterzuckend einwenden – wenn sich Verharmlosungen dieser Art nicht durchzögen bis in die Gegenwart unter dem Term „Staatsversagen“. Behrend beispielsweise, Hoffmanns Vize und bei ihm am Tag vor der Tat bei Hoffmann nächtigend, hatte am Tatort einige Indizien hinterlassen, die auf Hoffmanns Mittäterschaft hinweisen. Aber das Behrend im September 1981 im Libanon Suizid begangen haben soll, wurde Hoffmann – 1986, fünf Jahre später – allein angeklagt, aber in der Mordsache freigesprochen und wg. anderer Delikte zu 9 ½ Jahren verurteilt. 1989 wurde er mit günstiger Sozialprognose freigelassen; er habe glaubhaft zu erkennen gegeben, dass er sich von seiner Vergangenheit losgesagt habe. (vgl. Chaussy 32020: ….) Tatsächlich aber nahm Hoffmann nach wenigen Jahren wieder Kontakte zu ehemaligen WSG-Mitgliedern auf, die inzwischen zur NPD gehörten. Ab 1998 hatte Hoffmann Kontakt zum Chef der Republikaner in Jena, der wiederum in Verbindung mit Ralf Wohlleben vom NSU stand. 2004 gründete er eine Stiftung zur Sanierung des von ihm gekauften Ritterguts Sahlis – vormals Eigentum des NS-Dichters Börries von Münchhausen (vgl. Niemeyer 2013: 173) – und erhielt von der CDU-Landesregierung zwischen 2005 und 2007 insgesamt 131.848 € Förderung, mit dem Vermerk, man müsse ihm zubilligen, Lehren aus der Vergangenheit zu ziehen. Wohl eher nicht: 2010 fand auf dem Gut ein Treffen der NPD statt, wenig später ein Arbeitseinsatz von fünf Neonazis. Im Juli 2013 folgte wg. Hoffmanns Schulden die Zwangsversteigerung, 2017 ein Gutachten, wonach er die zum Denkmalschutz gedachten Fördermittel großenteils zweckwidrig verwendet habe. Während dessen hatte Hoffmann seine Kontakte zur Neonazi-Szene wieder aufleben lassen, referierte am 11. September 2011 in Hausdorf (Colditz) über die WSG vor einhundert Neonazis, darunter solchen aus dem NSU-Umfeld wie André Kappe und Ralf Wohlleben. Anschließende Razzien bei verfassungsschutzmäßig überwachten Teilnehmern dieses Treffens führten zum Verdacht der Planung eines Sprengstoffanschlags auf die Landtagsageordnete Katharina König-Preuss. Nachdem im November 2011 der NSU aufgeflogen war, stufte die Staatsanwaltschaft Gera Hoffmann dem Unterstützerumfeld desselben zu. 2014 nahm Hoffmann an einer Veranstaltung der Burschenschaft Frankonia teil, wo vor ihm schon Horst Mahler aufgetreten war. Auch Stephan Ernst, der Mörder Walter Lübckes, hatte in seinem Prozess einen brieflichen Kontakt zu Hoffmann eingeräumt. (vgl. Steinke 2020: 52) Kurz: Fast alle Wege der Fahndung in Sachen Rechtsterrorismus resp. ihm günstiger Think Tanks weisen nach Thüringen sowie, um nun der Überschrift Referenz zu erweisen, nach Graz.     

Warum Graz? Weil hier, nebst Schnellroda unweit Fretterode, der zweite Think Tank der Neuen Rechten heimisch ist, gleichsam die österreichische, demnächst offenbar heim ins Reich zu holende Filiale. Filiale? Oh ja: Was in Schnellroda Götz Kubitschek heißt, lautet in Graz auf den Namen Wolfgang Dvorak-Stocker, dessen Ares Verlag das Pendant abgibt zum Antaios Verlag und dessen Zeitschrift Neue Ordnung dem nahekommt, was in Schnellroda unter dem Titel Sezession vom Band läuft, produziert von einem Autorenstamm, der deutliche Überschneidungen aufweist.[2] Unterschiede bewegen sich in Größenordnungen, wie ein Automobilbauer sie zwischen Konzerntöchtern ausmachen würde, um die Sache mal auszupreisen: Schnellroda geht in Richtung Audi, Graz in Richtung VW, deutlicher: VW do Brazil, womit mir mitten im Thema sind, insofern, wie im vorhergehenden Abschnitt gezeigt,  sehr viele NS-Kriegsverbrecher dort Unterschlupf fanden, via Rattenlinie, die im Vatikan ihren Ursprung hat, deutlicher: bei Bischof Alois Hudal. Dessen Spuren gleichfalls nach Graz weisen, wo er 1885 als Sohn eines Schuhmachermeisters geboren wurde, dort zuletzt (1923), vor seinem Wechsel nach Rom, Professor für Altes Testament war, um im Juli 1958 letztmals in diese schöne Stadt zurückzukehren, um im Dom von Graz sein Goldenes Priesterjubiläum zu feiern. (vgl. Hudal 22018: 317) Übrigens ohne jedes schlechte Gewissen ob des von ihm nicht aufgehaltenen schrecklichen Endes katholischer Opfer des Holocaust wie Edith Stein oder NS-verfolgter Priester wie Johnannes Schulz und Josef Zilliken als Ergebnis einer Szene aus der Akte Nr. 462a (vgl. Eberle / Uhl 2005: 123), die uns Hitler und Göring im Juni 1940 als duo infernale vom Typ Psychopathen offenbart, das sich diabolisch weidet am ferneren Schicksal zweier von Göring aus nichtigem Anlass (verletzte Eitelkeit) ins KZ Dachau expedierter (und dort 1942 auf grausame Weise zu Tod gekommener) katholischer Geistlicher (eben Schulz und Zilliken). Bleibt die Frage, was das Ganze mit „VW-do-Brazil“-Graz und „Audi“-Schnellroda zu tun hat, ganz zu schweigen mit Erik Lehnert. Nun, ganz einfach: Dvorak-Stocker (resp. sein Vater) war eigentlich immer schon Hudals Hausverlag. Insoweit war es unvermeidlich, dass irgendwann auch ein Text pro Hudal in der Neuen Ordnung erscheinen musste, selbstredend ein stramm-rechter, wie schon der Titel dieses 2012 erschienen Aufsatzes belegt: Gerechigkeit für Bischof Hudal. Kein „braunes Schaf“, sondern ein wahrer Mann der Caritas. Dieser Text – nur um die Überschrift zu erklären – griff eine am 28. Mai 2000 per ARD/ORF in Umlauf gebrachte, im „braunen Schaf“ kulminierende Hudal-Attacke des Salzburger Weihbischofs Andreas Laun an, friendly fire also, wenn man bedenkt, dass Laun, wie gezeigt (s. Essay 17) und aktuell sichtbar anhand seines nun vollständigen Übertritts ins Lager der Rechtspopulisten, Covidioten und Verschwörungstheoretiker, mit einem Aufsatz in der Neuen Ordnung oder auch auf Sezession sicherlich großen Erfolg einheimste. Die Sache ein wenig gedreht ins Richtige, würde die Einschätzung etwas anders lauten und das Tragische am Fall Laun herausheben: Ein einziges Mal hat er in den letzten zwanzig Jahren etwas Richtiges gesagt – und wird prompt von den Neuen Rechten verhauen. Denn die Diagnose „braunes Schaf“ bringt nach allem, was wir bisher über Hudal wissen, dessen Problem trefflich, vielleicht noch zu verharmlosend, auf den Punkt, erlaubt unserem Verfasser aber eine Pointe, die, und damit kommen wir zu Lehnert, wie abgeschrieben wirkt aus dessen Aufsatz 1951 über die Landsberger Häftlinge inklusive der im Malmedy-Prozess von der US-Siegerjustiz Abgeurteilten. Wir lesen nämlich, wohlgemerkt: 2012 erschienen, in der Neuen Ordnung:

„Auch Schuldige haben Anspruch auf ein faires Verfahren. Die Schauprozesse unter der Regie der verfahrensrechtlich unzuständigen USA aber beruhten großteils auf falschen Zeugenaussagen und erfolterten Geständnissen. In Verfahren zur Erreichung von Zielsetzungen wurden folgende Foltermethoden nachgewiesen: Dunkelhaft, ständige Störung der Nachtruhe, Vorbereitung der Verhöre durch Schläge mit Fäusten und Metallstangen, Fußtritte gegen Schienbeine und Geschlechtsteile, Überstreifen von blutverkrusteten, übelriechenden Kapuzen…“ (Duswald 2012: 328)

So, in diesem Tenor, geht dieser Bericht – nicht etwa einer aus der Strafkolonie IK-2 in Pokrow, wo der „Killer“ (Joe Biden) Putin gerade vor unser aller Augen Alexej Nawalny über die Wupper gehen lässt – aus den früheren 1950er Jahren, Deutschland unter US-Siegerjustiz leidend, noch drei Absätze weiter, ohne jeden Quellenbeleg, ehe dann die Pointe folgt, gleichfalls knallhart:

„Die Verfahren unter der Ägide der Alliierten waren daher menschenrechtswidrig […]. Sie waren mit Fehlern behaftet, von denen jeder einzelne Nichtigkeit bewirkt. Nicht Urteile wurden verkündet, sondern Nichturteile. Die Vollstreckung von Nichturteilen ist ein Verbrechen.“

Ehe dann die Pointe folgt, um die es dem Verfasser geht und gehen muss, soll das Ganze den Zweck erfüllen, der in der Überschrift angesprochen ist: dem einer Verteidigungsrede pro Hudal gegen die Angriffe Launs:

„Für diejenigen Menschen, denen Hudal zur Flucht verhalf, galt die Unschuldsvermutung (Art. 11 der Allgemeinen Menschenrechte). Und dieser entspricht auch die Unschuldsgewißheit bezüglich des Bischofs.“ (ebd.: 329) 

Einiges spricht dafür, derjenige, den ich hier zitierte, „Duswald“, wäre in Wirklichkeit Lehnert, der 2012 unter eben diesem Pseudonym schon einmal ein wenig geübt habe für seinen Artikel von 2017 – besser wohl für ihn, andernfalls der Eindruck bliebe, er habe 2017 kaum mehr geliefert als das Plagiat des 2012 erschienen Textes eines Vorredners aus der Grazer Filiale. Den man sich als über dieses Plagiat Empörten, also als seinen Feind besser nicht wünscht, heißt, um damit diese Katze aus dem Sack zu lassen: Duswald gibt es wirklich, wie zumal die Antifa Österreich weiß resp. bitter erfahren musste im Blick auf diesen, wie mir in Anspielung auf den eben erwähnten Höcke-Skandal scheint, „Heise“ Lehnerts, denn: Fred Duswald ist ein berüchtigter Neonazi, zu besichtigen beispielsweise auf dem NPD-nahen Youtube-Kanal Nordland TV, wo auch Rechtsradikale wie der Holocaustleugner und ‚Volkslehrer‘ Nikolai Nerling sowie der Burschenschaftler Philipp Stein zu Gast sind. Ansonsten sondert Duswald gerne Beschimpfungen von KZ-Häftlingen aus Mauthausen ab nebst anderem Unsäglichen, gerne im inzwischen, nicht zuletzt Duswalds wegen, eingestellten FPÖ-nahen Blatt Die Aula. Das Motiv dafür findet sich in jenem 2012er Artikel angedeutet. Denn wenn, wie Duswald hier ausführte, für alle von Hudal über die Rattenlinie Exportierte die „Unschuldsvermutung“ gilt und unser Bischof aus dem Schneider namens „braunes Schaf“ (Laun) ist – ja, so die perverse Logik dieses Neonazis, dann sind die Juden wahrscheinlich selbst schuld, dass sie im KZ landeten, müssen also irgendetwas verbrochen haben, können mithin, siehe Duswalds Beschimpfung der Überlebenden des KZ Mauthausen, auch weiterhin beschimpft werden. Muss man in diesem Zusammenhang wirklich noch erwähnen, dass diesen Überlebenden der Hudal-Antipode Simon Wiesenthal zugehört? Vermutlich nicht, es reicht auch so, deutlicher: Es reicht, die krankhafte Logik unseres bald neunzigjährigen Neonazi zu umschreiben, der, vierzig Jahre älter als Lehnert, offenkundig nichts mehr werden will als dies: ein von Anderen, mit Vernunft, vor allem aber mit Herz Ausgestatteten verachteter alter weißer Mann. Dafür, vor diesem Schicksal, schreckt unser blühender Recke aus Schnellroda zurück – und vermeidet deswegen die Pointe, zu der jener, seines ob Hudal verblendeten Verlegers zuliebe[3], bereit ist. Dies – fehlende Konsequenz – ist aber beileibe nicht der einzige in diesem Essay erhobene Vorwurf an die Adresse Lehnerts. Der allerletzte, finale kann ihm nicht erspart werden: Duswald weist einen Vorredner auf, nämlich den oben bereits erwähnten Sönke- Sören-Neitzel-Schwiegervater und berüchtigten Geschichtsrevisionisten Dirk Bavendamm. 2019, anlässlich der Verleihung des dereinst auch an Erich Priebke [4] verliehenen Huttenpreises der 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären[5] begründeten Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) (vgl. Dudek / Jaschke 1984, Bd. I: 47 ff.) an Duswald trat, neben André Poggenburg, auch Bavendamm als Redner auf, wodurch in Erinnerung kam (vgl. Maegerle 2019), dass dieser 2010 in der Preußischen Allgemeinen Zeitung die Siegerjustiz-These erstmals verfochten hatte, für die Duswald, wie gesehen, 2012 in der Neuen Ordnung ad Alois Hudal warb sowie, verschlüsselt, auch Lehnert 2017 im Staatspolitischen Handbuch. Ein fürwahr feines Umfeld also, in welchem sich unser Jungspund da wiederfindet, deutlicher: ein Sumpf, in dem sich nur Krokodile wohlfühlen dürften und  aus dem es kein Entrinnen gibt, zumal angesichts des Klassikers unter den Kalauern: Unwissenheit schützt nicht vor Strafe.

Sichern wir das Ergebnis: Hudals Buch Römische Tagebücher. Lebensbeichte eines alten Bischofs, enthaltend Hudals Abhandlung Die Grundlagen des Nationalsozialismus (1936), steht zumal nach Erscheinen von Lehnerts Artikel wie eine Art ‚Weißer Elefant‘ mitten im Porzellanladen der Neuen Rechten zumal der Filiale in Schnellroda, dies insbesondere wegen des Nachworts des Neonazis Fred Duswald, dem die unausgesprochene Frage an die Kollegen bei „Audi“ zu danken ist: „Was ist denn nun eigentlich mit Bischof Alois Hudal? Wie bewerten Sie, Erik Lehnert, nun seine Rolle – im Vergleich etwa zum Agieren der ‚Stillen Hilfe‘ der Prinzessin, zu der sie sich eigentlich auch nie wirklich geäußert haben? Und würden auch Sie, wie Kollege Duswald, die Unschuldsvermutung auf sämtliche NS-Kriegsverbrecher ausdehnen, mindestens aber auf die von Hudal über die Rattenlinie expedierten?“ Um die Sprengkraft dieser Frage zu ermessen, müssen wir ein wenig genauer hineinschauen in das Buch, als dessen Verteidiger sich Duswald geriert und das in der Forschung unter dem – Launs Rubrizierung von 2000 rechtfertigenden – Titel Hitlers Mann im Vatikan (Sachslehner 2019) abgelegt wird. Nicht zu Unrecht, hatte doch Hudal die Grundlinien seiner Hilfspolitik pro Nazis nach 1945, speziell die „Rattenlinie“ mit Zielländern wie Argentinien, Brasilien, Spanien, Ägypten und Syrien betreffend, fixiert. Im Mai 1951, also im für Lehnert interessanten Zeitraum, erreichte Hudal beispielsweise, unter Einbindung auch Konrad Adenauers, die Freilassung Otto Wageners, des oben bereits erwähnten ‚König von Rhodos‘. Heißt: Unser Bischof aus Graz, für viele von Himmlers schuldbeladenen Kriegern der allerletzte Strohhalm und (deswegen?) in Sönke Neitzels Deutsche Krieger (2020) ohne jede Erwähnung, ebenso wie seine Gegenspieler Simon Wiesenthal sowie Fritz Bauer, hatte die Frechheit, in seiner Lebensbeichte voller Stolz auszurufen: „Ich habe gegen tausend [Ausweiskarten für Österreicher, meist flüchtige Nazis; d. Verf.] unterschrieben.“ (Hudal 22018: 229) Nach, wie er wohl wähnte, rechter Christenart interessierte ihn jeder Nazi in Not – gesetzt, er sei, wie Hudal, ein fanatischer Gegner des jüdischen Bolschewismus und entnazifizierbar qua Christentum oder in dieser Frage reumütig. Dabei ging Hudal bis zum Letzten – insofern damit auch der Tod des Otto Freiherrn von Wächter (1901-1949) gemeint ist, der am 13. Juli 1949 in Rom in den Armen Hudals starb. (vgl. Sands 2020: 277) Dieser hatte ihn, „der den Angriff der SS auf den Ballhauslatz im Juli 1934 kommandierte, bei dem der Bundeskanzler Engelbert Dollfuß gefallen war“ und den Hudal beschönigend „Vizegouverneur von Polen“ (Hudal 22018: 298) nennt, zuvor unter falschem Namen in Rom versteckte. Kaum weniger schlimm als dies: Hudal tat in einem Schreiben an das Päpstliche Staatssekretariat vom 12. September 1949 Berichte über diesen Skandal als Verleumdung eines „Journalisten jüdischer Rasse und protestantischer Konfession“ (Klee 1991: 49) ab – und gab eben damit zu erkennen, dass ihm das biblische Lügeverbot nicht einen Pfifferling wert ist und Antisemitismus nach Art der Nazis inzwischen zu einer zweiten Haut geworden war, das Kreuz bei ihm also in eins ging mit dem Hakenkreuz.

Von daher erklärt sich dann auch alles andere wie von selbst, etwa der Fall des SS-Oberführers Johann Feil, der „eigentliche Befehlsgeber der Pogromnacht in Innsbruck“, der über Hudals Rattenlinie nach Argentinien entkam, ebenso wie Gerhard Lausegger, als Führer eines SS-Kommandos verantwortlich für den brutalen Mord am Vorsteher der Israelitischen Kultusgemeinde Innsbruck, Richard Berger, den dessen Sohn als Soldat der Britischen Armee kurz zuvor gestellt hatte. (vgl. Steinacher 2008: 271 ff.) Nicht ganz so tragisch, dafür aber auskunftsträchtiger für unser Thema im Engeren: Hudal beschäftigte als Fluchthelfer Karl Haß (vgl. Schröm / Röpke 2002: 145 ff.; Klee 2003: 230f.; Hammerschmidt 2014: 497 f.), wie der gleichfalls von Hudal bei seiner Flucht unterstützte Erich Priebke, beteiligt am von Herbert Kappler aus Rache für einen Anschlag mit der Folge von 33 Toten angeordneten Massaker an 335 Geiseln in den Ardeatinischen Höhlen im März 1944 in Rom. (vgl. Messserschmidt 2005: 277) Auch hier an Bord, allerdings nicht als Fluchthelfer – Kappler war 1947 in Rom zu lebenslänglich verurteilt worden –, sondern als Tröster von Rang: eben unser Bischoff, der mit Kappler, der sich als „Opfer italienischer Unrechtsjustiz“ inszenierte, derart intensiv korrespondierte, dass massiver Beistand für diesen via Deutschland resultierte, mit der Folge, dass der zuständige Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) dem Bischof im April 1951 herzlich dankte für „selbstlosen und nachhaltigen“ Einsatz für den „Personenschutz der als Kriegsverbrecher angeklagten beziehungsweise verurteilten deutschen Gefangenen.“ (zit. n. Bohr 2018: 75) Ein Sound, mit Verlaub, der 1951 noch bei der FDP heimisch war, aber auch bei der AfD heimisch werden dürfte – jedenfalls bei einer durch Lehnert belehrten, zumal wenn dieser nun doch lernte, im Fahrwasser Duswalds resp. in jenem Kay Nerstheimers zu paddeln. Solange dies nicht geschieht, bleibt nur, wie dieser Fall lehrt, die Wende rückwärts, also von der AfD zur NPD.

Wichtig dabei, und sei es als Wiedergutmachung: Dass Lehnert den Kelch mit der Aufschrift ‚Alois Hudal‘ bei Gelegenheit gänzlich leert, mit nachfolgender Berichtspflicht an alle ihm bekannte Rechtskatholiken. In den ‚Kelch‘ gehört auch Josef Schwammberger, ein SS-Oberscharführer, der seinen abgerichteten Schäferhund auf entkleidete jüdische Häftlinge hetzte und den Hudal im März 1949 mit Pass und Geld zur Flucht per Rattenlinie via Argentinien ausstattete. (vgl. Klee 2003: 571) In den ‚Kelch‘ gehört des Weiteren der gleichfalls aus Graz stammende ‚Schlächter von Riga‘, Eduard Roschmann, den Hudal über die Rattenline via Argentinien geholfen hatte und den sein Gegenspieler Simon Wiesenthal mittels eines mit Frederick Forsythe ausgeheckten Tricks, zu welcher die Wiederbelebung der ODESSA-Mär gehort, auffliegen ließ. (vgl. Segev 2010: 317 ff.)  Aber auch um die ganz großen Namen hat sich Hudal gekümmert, etwa um den ob seiner Hilfe erkennbar erstaunten Franz Stangl (vgl. Hammerschmidt 2014: 146 f.), des Weiteren um Adolf Eichmann sowie Josef Mengele, allesamt ausgestattet von Hudal mit falschen Papieren und allesamt gejagt von Simon Wiesenthal, der sich insoweit als wichtigster Gegenspieler Hudals verstehen lässt (vgl. Sachslehner 2019) – nur, um Erik Lehnert einen allerletzten Fingerzeig zu geben, in wessen Richtung er konvertieren müsste, um eines Imagewandels in Richtung der Guten sicher sein zu können. Vergebliche Liebesmüh‘, wie die Überlegung lehrt, dass Lehnert mit Sicherheit sehr viel eher angezogen sein dürfte von Hudals Lesart, auch in den Genannten lediglich „so genannte ‚Kriegsverbrecher‘“ zu sehen, die „vielfach persönlich ganz unschuldig“, „ihren Peinigern“ – eine, so Daniel J. Goldhagen, empört diese Aussagen Hudals zitierend und übersetzend, Umschreibung für: „Die Justizbehörden der Alliierten.“ (Goldhagen 2002: 232) Unterstützt wurde Hudal – für Goldhagen kaum mehr als der „Rädelsführer“ einer „kriminellen Vereinigung“ (ebd.) – bei diesem Tun sowohl von Pius XII. sowie dessen engen Mitarbeiter Giovanni Montini, später Papst Paul VI. – 2014 von Papst Franziskus heiliggesprochen – sowie der „Stillen Hilfe“ der Prinzessin von Isenburg, Lehnerts Schweigen auch zu all dem ist also skandalös, allerdings durchaus stimmig, insofern es zum erwähnten Widerstand der AfD gegen die Umbenennung der Pacelliallee passt als auch zu dem Umstand, dass Hudals in einem Neonazi wie Fred Duswald einen allerletzten Fürsprecher gefunden hat. An ihn als auch gleich danach an Lehnert wäre folgerichtig die Frage zu stellen: Alles Unschuldslämmer, die Vorgenanten (Wagener, Wächter, Feil, Lausegger, Haß, Priebke, Kappler, Schwammberger, Roschmann, Stangl, Eichmann und Mengele), inklusive ihres Fluchthelfers, ein „wahrer Mann der Caritas“ und jedenfalls alles andere als ein „braunes Schaf“? Oh Himmel, hilf‘ ein letztes Mal, Erik Lehnert nämlich dabei, den Mut zu einem klaren „Nein!“ und zur Umkehr zu findern, anders als Duswald, bei dem in dieser Frage Hopfen und Malz verloren scheinen!

Sichern wir das Ergebnis: Erik Lehnert, einem der Starautoren der Neuen Rechten sowie aktuell Mitarbeiter eines AfD-MdB, ist anzulasten, in seinem im Vorhergehenden genauestens analysierten zweiseitigen Handbuchartikel 1951 (2017) die zentrale These zur Vergangenheitsbewältigung von 1946/47 aus der Feder von Karl Jaspers, die ihm als Erarbeiter einer Doktorarbeit über diesen kaum unbekannt geblieben sein dürfte, komplett ins Abseits gerückt zu haben, aus leicht durchschaubaren Motiven. Denn Jaspers Satz, Mitschuld bedeute, „daß in unserer Überlieferung als Volk etwas steckt, mächtig und drohend, das unser sittliches Verderben ist“ (zit. n. Zentner 1974: 21), lässt sich im Kontext des bisher Gesagten problemlos auch so deuten, als stünden Lehnert und die von ihm geistig befeuerte AfD im Begriff, erneut „sittliches Verderben“ über das deutsche Volk zu bringen, woraus wiederum folgt, dass derlei Einvernehmen mit der gleichgerichteten damaligen Klage von unverbesserlichen und gewissenlosen Alt-Nazis beschämend ist und dazu autorisiert, Neu-Rechte wie den MdB-Mitarbeiter Lehnert Neo-Nazi zu nennen, dessen hier in Rede stehender Artikel ihm zweifellos die Ehrenmitgliedschaft in einem Nachfolgeverband der Waffen-SS – so es derlei heute noch gibt – eingetragen hätte.

So betrachtet war der vorstehende Versuch, das von Willi Winkler (2019) geknüpfte braune Netz der 1950er Jahre bis in die Gegenwart hinein auszurollen, vielleicht doch nicht ganz vergebens. Er, der Versuch, ging dahin, die unheimliche Wiederkehr einer schon in der NS-Zeit Furore machenden „monumentalen“ (statt, wie von Nietzsche gefordert, „kritischen“) Historie unter neu-rechten Vorzeichen nachzuweisen. Mitgedacht dabei, um noch einmal den Namen Sönke Neitzel ins Spiel zu bringen: Dass die Gefahren eines mehrheitlich auf Verehrung abstellenden militärisch-„wissenschaftlichen“ Apparats in Zukunft deutlicher bedacht werden müssen. Etwas plakativ gesprochen: Wissen an sich muss unser aller Primärziel sein, nicht Wissen für sich, deutlicher: Wissen für sie – für jene also, die Neitzels einleitend erwähntem Diktum („Soldaten sind Krieger, die kämpfen und auch töten müssen“) meinen Auftrieb geben zu müssen. Da sei Forschung vor, etwa in der Linie der von Neitzel ignorierten Geschichte einer kriegerischen Kultur (2008: Untertitel) aus der Feder Wolfram Wettes. Ihr Hauptergebnis, in einem jenen Neitzels korrespondierenden Lehrsatz gebracht und von mir etwas frei reformuliert: „Deutsche Soldaten, zumal solche in der NS-Zeit, waren viel zu lange und auf viel zu grausame Weise eben dies, ‚Krieger, die kämpfen und auch töten müssen‘, als dass wir uns derlei und die Waffen dafür, etwa Annegret Kramp-Karrenbauers Drohnen, erneut als Ideal aufschwatzen lassen sollten.“ Exemplarisch: Neitzels Begeisterung über Heeresinspekteur Jörg Vollmer, der „immerhin in einer Rede [betonte], dass der Kampf der ‚Wesenskern soldatischen Daseins‘ sei“, ebenso seine Freude darüber, dass 2014 „sich nahezu jeder zweite deutsche Offiziersanwärter des Heeres auch als Kämpfer [betrachtete]“ (Neitzel 2020: 580 f.), dünkt mir ein wenig wie ein schauerlicher Nachklang aus einer Parallelwelt, von der ich wünschte, sie läge hinter uns, wie die Welt der Pubertiers oder jene des Nils Wegner, der sich, wie gezeigt, ob der Me 262 begeisterte, als gäbe es nicht das Elend jener Zwangsarbeiter, die sie zusammenschreiben mussten.

Apropos Wegner, apropos Neue Rechte und um damit von Neitzel abzusehen und unsere drei im Vorhergehenden thematisierten Musketiere streng zu fixieren: Schon gar nicht lass‘ ich mir derlei Ideal aufschwatzen vom neu-rechten Think tank aus Schnellroda oder Graz, also von neu-rechten Ideologen, die auf schamlose Weise die Quellen ignorieren und bei denen auf jedes einzelne gesprochene Wort 1.000 Lügen gehen – wie im Vorhergehenden gezeigt. Was daraus zu folgern ist im Blick auf die einleitend angesprochene Entscheidung der Desiderius-Erasmus-Stiftung (ad Lehnert) oder die zwischenzeitlich angesprochene Humboldt-Universität (ad Lehnert), soll hier außerhalb der Betrachtung bleiben, zumal derlei vor Ort entschieden werden muss. Und da scheint mir, was den erstgenannten Punkt angeht, bei Namen wie Erika Steinbach ja alles in besten Händen.

Oder etwa nicht?

Oder etwa noch was?

Ach ja: Am Ende soll man ja auf den Anfang schauen, auf den Anfang etwa von Sönke Neitzels Buch, zumal dort Erstaunliches steht über einen Bundeswehr-Oberleutnant namens Franco A., den wir bereits aus Prolog Nr. 10 kennen und der uns bei Neitzel unter seinem Klarnamen Franco Albrecht begegnet, der sich seit Mai 2021 vor dem OLG Frankfurt/M. wegen Planung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verantworten muss. Und was sagt Deutschlands einziger und damit führender Militärhistoriker zu diesem Bürschchen und zu dem Bundeswehr- und MAD-Versagen in diesem Fall? Nun, die erste Seite seines Bestsellers Deutsche Krieger zum Maßstab genommen, ist ihm ganz anderes wichtig, fällt doch Albrecht für ihn, gleichsam als Game Changer, heraus aus der uns „lieb gewordenen Vorstellung vom Soldaten als global social worker“ und gibt eher Zeugnis für „eine ganz andere Berufsidentität: jene des Kämpfers, der sich in eine weit zurückreichende Ahnenreihe des Kriegers stellt“ (Neitzel 2020: 11) – eine, wie mir scheinen will, fatale Einordnung, mittels derer Neitzel alle die Bausteinchen, die ich im Vorhergehenden für einen notwendigen Kampf gegen rechts wieder umstürzt. Denn Neitzels Ideal des Kriegers lässt ja dann auch Platz für einen gefährlichen Rechtsterroristen wie Albrecht als Teil der Avantgarde des neuen, bellizistisch gestimmten Bundeswehr-Mainstream vom Typ Neitzel – plus Lehnert & Co. Dies macht mir Sorge, zusätzlich zum Applaus, auf den Neitzel trifft, neben dem angesprochenen und durchaus nicht mehr privaten Umstand, dass er sich seit 1996 eines prominenten Schwiegervaters namens Dirk Bavendamm erfreuen kann, also eines bekennenden rechtsradikalen Historikers, der, wie sein Auftritt bei der GfP zeigt, sich NPD-Zuspruchs erfreuen kann.

Das ist auch erschreckend.

Prof. Dr. Christian Niemeyer, Erziehungswissenschaftler und Psychologe, Jg. 1952, geb. in Hameln, Prof. (i.R.; seit 2017) f. Sozialpädagogik an der TU Dresden (ab 1992), davor FU Berlin (1988-92), geschäftsführender Herausgeber der Zeitschrift für Sozialpädagogik (seit 2002), Nietzscheforscher, zahlreiche Bücher, für August 2021 ist angekündigt: Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz, Bd. 1), mit Online-Material. 796 S., 39,95 Euro, Weinheim Basel.

Bild oben: Schlomo Lewin (1978), Foto: A. Freud, CC BY 3.0 / Walter Lübcke, Foto: Regierungspräsidium Kassel, CC BY-SA 3.0

[1] Im hier in Rede stehenden Fall mit dem Vermerk: „Die Publikation […] bleibt häufig im Bereich des Spekulativen.“ (Bohr 2018: 403)
[2] Dies zeigen Namen wie Benedikt Kaiser, Gerd-Klaus Kaltenbrunner, Götz Kubitschek, Martin Lichtmesz und Andreas Vonderach. Eine Besonderheit: Per Interview schaltet sich hin und wieder die AfD-Parteiprominenz ein, etwa in Gestalt von Alexander Gauland und Björn Höcke.
[3] Hudals Buch wird seit 2018 vom ARES Verlag nach dem print-on-demand-Verfahren in Vorrat gehalten, gleichsam aus Verpflichtung gegenüber einer auf das Jahr 1955 zurückgehenden Verabredung des Verlags mit dem Autor.  
[4] Weitere Preisträger (Auswahl): David Hoggan, Hans Grimm, Heinrich Härtle, Arno Breker, Erich Kern, Adolf von Thadden, Holle Grimm, Wilfred von Owen und Gerhard Frey. Referenten auf Kongressen der GfP (seit 1975, Auswahl): David Irving, Gerd Schulze-Rhonhof, Reinhard Uhle-Wettler, Annelies von Ribbentrop sowie Thor von Waldstein – Listen wie aus dem Gruselkabinett des ‚Doktor Haldenwang‘, in die aufgenommen zu werden Götz Kubitschek offenbar fürchtet nach Art des vielbeschworenen Teufels (vgl. Kubitschek….
[5] Helmut Sündermann, Kurt Zisel, Erich Kern, Herbert Böhme und Peter Kleist. Unter den Mitgliedern ragen die Namen Hjalmar Schacht, Erwin Guido Kolbenheyer sowie Will Vesper (vgl. Dudek / Jaschke 1984, Bd. I: 47) sowie Annelies von Ribbentrop heraus, die in Sündermanns rechtsradikalem Druffel-Verlag ebenso publizierte wie Heinrich Härtle.