„Ich wollte in ein Land, wo ich hingehöre“

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Ich treffe mich mit Silvia Berg in Ein Hod, dem Künstlerdorf, südlich von Haifa. Oberhalb des Ortes wohnt sie in einem wunderschön ausgestatteten sehr alten arabischen Kalksteinhaus. Silvias Mutter stammt aus der Nähe von Kassel, der Vater aus einem kleinen Dorf bei Koblenz. Beide Familien können sich in der Nazizeit nach Argentinien retten und überleben.

Die Eltern lernen sich als junge Menschen in Frankfurt am Main kennen, flüchten getrennt nach Argentinien, heiraten dort und am 1. November 1941 wird Silvia geboren und besucht deutsche Schulen. Nur Deutsche leben in ihrer Umgebung, meint sie heute. Nach dem Schulabschluss geht sie 1960 nach Israel und wird eine studierte Krankenschwester. Tuvia Iuster, den Bildhauer aus Braila in Rumänien (1931 bis 2005) lernt sie kennen, zusammen wohnen sie bis zum seinem Tod in Ein Hod.

Tuvia Iuster, Porträt von Liana Horodi

Tuvia ist ein Freund von Marcel Ianko (1895-1984), dem Architekten und Maler aus Bukarest, einen der Urväter des Dadaismus. Ianko hat sich über Paris nach Israel gerettet. Beide Künstler treffen sich im Künstlerdorf Ein Hod. Tuvia Iuster ist Silvias große Liebe, er stirbt 2005 in Ein Hod und wird oberhalb des Dorfes auf dem kleinen Friedhof begraben, Silvia wohnt noch immer im gemeinsamen Haus umgeben von Tuvias Skulpturen und Erinnerungen. Im Künstlerdorf stehen seine modernen Plastiken auf Plätzen und an verschiedenen Ecken. Brancusi, der berühmte rumänische Künstler in Paris, ist Tuvias bildhauerisches Vorbild gewesen.              

Von Christel Wollmann-Fiedler

Chr.: Wir sitzen hier in einer zauberhaften Landschaft in Israel, gegenüber des Künstlerdorfes En’Hod, im Carmelgebirge, wo Du schon lange lebst. Ich weiß, dass Du in Argentinien 1941 geboren wurdest. Auf Deiner Terrasse essen wir hessischen Zwetschenkuchen, den Du selbst gebacken hast. Wie kommt so etwas zusammen?

S.: Ja, das ist meine Kinderstube. Ich bin in Avigdor, einem kleinen Dorf bei Parana geboren, wo nur deutsche Juden wohnten. Mit vier Jahren kam ich nach Buenos Aires. Dort bin ich 1948 eingeschult worden, zu Hause war die deutsche Kultur. Das alles hat sich bei mir eingeprägt und ist hängen geblieben. Das ist ein Teil von meinem Leben.

Chr.: Wie und warum sind Deine Eltern nach Argentinien gekommen, sind in Deutschland geboren worden, seit Generationen lebten sie in diesem Land

S.: Argentinien war das einzige Land, wo Juden noch aufgenommen wurden als Hitler die Juden bereits verfolgte. 1936 kam mein Vater in Argentinien an und erst 1938 meine Mutter. Andere Länder haben die Juden abgewiesen. Meine Eltern wollten leben, waren jung, wollten nicht im KZ sterben, wie ein Teil meiner Familie. Auch wegen anderer politischer Ideen kamen viele Menschen in Konzentrationslager.

Chr.: Du hast Deine Kindheit in Argentinien verbracht, umgeben von der deutschen und der spanischen Kultur und bist mit 19 Jahren nach Israel gegangen.

Ich wollte in ein Land, wo ich hingehöre. In Argentinien wurde mir immer gesagt, dass es nicht mein Land sei und ich hätte hier nichts zu suchen. Dies ist unser Land und nicht Euer Land, meinten die Argentinier und ihr habt hier nichts zu suchen.

Nach der Einwanderung

Du hast Argentinien auch nach dem 2. Weltkrieg erlebt, wurdest 1947 eingeschult. Nicht nur Juden aus Deutschland haben dort gelebt. Aus Deutschland kamen ganz andere, auch ehemalige Nazis. Habt Ihr mit denen auch zu tun gehabt?

Meine Schule ist 1936 von einer Stiftung gegründet und gebaut worden, von einem Deutsch-Schweizer, für Kinder, die aus Deutschland fliehen mussten und kein Spanisch konnten. Es war eine Grundschule. Halb staatlich war die Schule, nachmittags hatten wir Deutsch und Englisch Unterricht. Nach dem Krieg wurden viele Lehrer aufgenommen, die aus den Konzentrationslagern kamen. Es waren Juden, aber auch Nicht-Juden. Ich hatte einen Deutschlehrer, den ich in meinem Leben nicht vergessen kann. Er war Rabbiner, ein ganz spezieller Mensch. Er hatte keine Kinder, eine kranke Frau, die Kinder haben ihn sehr geliebt, die Kinder haben ihn nie vergessen. Als er alt und krank war haben ihn diese Kinder dann als Erwachsene gepflegt, Dr. Günther Ballin. 1938- 1940 kamen die meisten jüdischen Kinder in diese Schule.

Das andere waren rein deutsche Schulen, die von Juden nichts wissen wollten.

Wir jüdische Kinder mussten uns von anderen sehr unangenehme Sachen anhören.

In der Pestalozzischule, in der ich war, waren auch Kinder von Diplomaten. Das war sehr gut. Es kam einmal ein deutscher Junge, der hat furchtbare Sachen gegen Juden gesagt. Am nächsten Tag kam er nicht mehr in die Schule, man hat ihn herausgeworfen. Natürlich kannte er diese Aussagen von zu Hause.

Wenn man in den Süden des Landes fährt, sieht alles wie in Deutschland aus. Die Nazis sind dort angekommen.

Baron de Hirsch hatte im 19. Jahrhundert Land gekauft in Argentinien für Jüdische Einwanderer. Hat Deine Familie in einem solchen Ort gewohnt?

Wir zogen in den 1950er Jahren in eine Gartenstadt neben Buenos Aires und hatten dort deutsche Nachbarn. 1936 wurde diese Gartenstadt gegründet. Nebenan war ein Flughafen und ein deutsches Unternehmen baute für die Mitarbeiter der Fluggesellschaft diese Gartenstadt. Ein Ehepaar mit einer kleinen Tochter hat sich mit meinen Eltern angefreundet, dann haben sie zusammen ein Bier getrunken und nochmal beim Bier gesessen. Mein Vater fragte woher sie kommen in Deutschland. Der junge Mann erzählte, dass er in Argentinien geboren wurde und sein Vater Vorsitzender bei Siemens in Argentinien war. Er erzählte auch, dass der Vater ihn in den Krieg nach Deutschland geschickt hat, verwundet wurde und seine Frau im Lazarett kennengelernt hat, die dort Krankenschwester war.

Schreckliche Sachen über die Juden hat diese Nachbarin von den Eltern gehört, die Nazis waren. Sie hätte gehört, dass Juden lange Ohren, lange Nasen hätten, Kinder töten würden und vieles mehr. Die Nachbarin wohnte in einem kleinen Dorf in Deutschland, wo sie nie Juden gesehen hat. Meine Eltern waren die ersten, die sie kennengelernt hat und merkte nun, dass das alles nicht stimmt.

Mein Onkel hat bei der Firma Philips in Argentinien gearbeitet. Man hat ihn entlassen, weil er Deutscher war und weil er Jude war. Als Deutscher und Jude hatte man in Argentinien auch keine Chancen. Die Firma Siemens in Argentinien hatte ihn ebenfalls entlassen, was er nie verzeihen würde.

Du hättest damals auch nach Deutschland gehen können.

Da habe ich nie dran gedacht, nie im Leben! Wieder zurück, dorthin, wo man meine Eltern und Großeltern vertrieben hat?

Nun, es hätte ein Neuanfang sein können.

Vor über 50 Jahren war das alles noch nicht möglich. 1960 sah die Welt in Deutschland noch ganz anders aus und die Konzentrationslager waren zu nahe. Heute ist das alles anders.

Du hast Dich in Israel sehr gut und sehr schnell eingewöhnt. Es ist kein europäisches Land, ein Land mit Palmen, ungeheurer Hitze, Wüste und völlig anderen Lebensgewohnheiten.

Genau, das habe ich, doch meine Kultur habe ich trotzdem behalten.

Das merke ich, wir essen Pflaumenkuchen. Nein, Zwetschenkuchen. Wie bist Du in diesem zauberhafte Künstlerdorf Ein Hod gelandet. Da kommt nicht jeder hin, man muss Künstlerin oder Künstler sein, hörte ich.

Das stimmt. Ich lernte meinen späteren Lebensgefährten Tuvia Iuster kennen, der damals hier lebte. Ich habe mich immer für Kunst interessiert, habe auch Kunstgewerbe studiert in Argentinien, bevor ich in Israel Krankenschwester wurde. Ich fühlte mich zu dem Künstlerdorf hingezogen, natürlich auch zu Tuvia. Er war ein ganz spezieller Mensch. Er war auch sehr verschlossen, und ich wollte diese Nuß knacken. Zum Nußknacken brauchte ich Zeit, so nahm ich mir Zeit, immer noch Zeit, dann hatten wir uns zusammengelebt, bis wir nicht mehr auseinander konnten.

 

Tuvia Iuster wurde ein berühmter Bildhauer, ein rumänischer Bildhauer, kam aus Braila in der Großen Walachei im Südosten von Rumänien.

Ja, aber in Bukarest ist er groß geworden, hat dort gelebt. Tuvia war ganz das Gegenteil von mir. Er war wild, er war laut, Manchmal fragte ich ihn, was er für eine Kinderstube hatte. Die Großmutter von Tuvia war eine Tschaikowski und kam aus Polen. Im ersten Weltkrieg kam die Familie nach Rumänien.

Vielleicht war er doch ein richtiger Rumäne?

Es gibt auch Rumänen, die sehr fein sind, aber er war wild und sehr temperamentvoll. Er hat all das gehabt, was ich nicht hatte und ich habe das gebraucht, was er hatte, wie er war. Wir haben uns gut verstanden und es war wunderschön. Es war für mich auch sehr gut, dass wir seine Kinder, die bei ihm lebten, aufgenommen haben. Sie waren damals in einem schwierigen Alter. Sie brauchten ein ordentliches Zuhause, was ich ihnen gab. Nicht so „bohemisch“ wollten sie es haben. Tuvia war ein richtiger Bohemien und unendlich charmant war er auch.

Wir sitzen hier auf der Terrasse des Hauses, was er erneuert hat, immer wieder umgebaut und erweitert hat. Sicherlich ist es jedes Jahr schöner geworden. Es war das frühere arabische Schulhaus. Du bist umgeben von seinen Skulpturen, große und kleine, Tuvia Iuster war Bildhauer. Du lebst hier oben mit seinen künstlerischen Werken auf karstigem Grund, gegenüber von Ein Hod. Du schaust auf das Künstlerdorf.

Der schönste Platz, den es gibt auf der ganzen Welt! Es ist für mich ein Stück vom Paradies!

Warum ist Tuvia nach Israel gekommen?

Tuvia war Zionist. Dann hörte er von Marcel Janco und über Ein Hod. Da wollte er unbedingt hin, das war sei Künstlerziel.

Erzähle mir von Marcel Janco..

Marcel Janco war ein Maler, ein Architekt, ein Künstler, der die Da-Da –Bewegung angefangen hat. Außerdem war er auch ein Rumäne, der aber lange in Paris gelebt hat. Seine Frau war auch eine Iuster und Tuvia hat gemeint, sie wäre ein Teil von seiner Familie. Also wollte er unbedingt in diese Künstlersiedlung.

Wann hat Janco die Künstlersiedlung gegründet und was war es zuvor für ein Dorf?

1953 gründete er die Künstlersiedlung, seit 1948 waren die Häuser Ruinen. Die Araber, die hier gelebt haben, mussten weg, weil 1948 der Unabhängigkeitskrieg war. Unten an der Straße waren die englischen und israelischen Soldaten und haben auf die Häuser oben geschossen, von oben haben die Araber sich gewehrt und nach unten geschossen. Die Armee hatte sie aufgefordert zu verschwinden und Ihnen gedroht, dass sie sonst sterben werden. Hier oben am Haus sind noch zwei Einschüsse zu sehen.

Dann sind die Araber auf die Flucht gegangen. Nochmal zu Dir und Tuvia. Seit wann wohnst Du in diesem wunderschönen alten arabischen Kalksteinhaus?

1989 bin ich hierher gezogen. Mit Tuvia lebte ich hier siebzehn Jahre zusammen.

Tuvia hätte auch in Rumänien bleiben können. Es ist ein Land, in dem Kunst und Kultur seit eh und je geschätzt wird.

Nein, er wollte nicht dort bleiben. Er fühlte sich nicht wohl, war auch im Gefängnis, weil er Zionist war. Zehn Jahre vor ihm gingen seine Eltern nach Israel. Ihn hat die Regierung nicht mitgelassen. Er sollte zum Militär, was er auf keinen Fall wollte. Dann ist er zu den Zigeunern geflohen. In diesem rumänischen Buch steht das alles, wie er zu den Zigeunern gekommen ist, wie er Zigeuner wurde. Nicht jeder konnte zu ihnen, nicht jeden haben sie zu sich gelassen. Ein Paar Jahre war er bei ihnen bis er eine Zigeunerin angefasst hatte, was er nicht durfte. Da musste er von ihnen weg. Danach ging er nach Bukarest und begann mit der Bildhauerei. Bei großen Bildhauern hat er an der Kunstakademie in Bukarest studiert, doch bleiben wollte er auf keinen Fall in Rumänien und verließ das Land eines Tages.

Sein Wunschland war Israel. Hat er gerne hier gelebt, ist sein Wunsch in Erfüllung gegangen?

Ja, er hat ja auch seine beiden Kinder hier alleine erzogen. Die Mutter der Kinder lebt in Amerika. Die Kinder wollten von ihm nicht weg, obwohl er ihnen oft angeboten hat zur Mutter zu gehen. Er hat mit ihnen über die Gefahren, über die Kriege in Israel gesprochen. Sie wollten nichts davon wissen.

Silvia, Deine Eltern sind in Argentinien geblieben und Du bist nach Israel gegangen. Doch weiß ich, dass sie später in Israel einwanderten. Haben sie sich im Land an der Levante wohl gefühlt?

Meine Mutter ist ein halbes Jahr danach gestorben. Mein Vater hat noch 20 Jahre hier gelebt und war glücklich.

Hast Du die Spuren der Eltern und Großeltern in Deutschland gesucht?

Ich war einmal im Geburtsort meiner Mutter. Sie ist aus Spangenberg bei Kassel. Dort habe ich nach dem Haus gesucht, in dem sie geboren wurde, das gibt es nicht mehr. Die Schule in Melsungen, in die sie ging, habe ich gefunden. Sie hat mir viel davon erzählt. Auch erzählte sie mir, wie schön Melsungen wäre. Ich war sehr enttäuscht, weil ich kein Wort Deutsch gehört habe. Fast nur Türkisch wurde gesprochen. Ich wollte doch so gerne den hessischen Dialekt hören. Aber ich hörte ihn nicht. Mutters Vorfahren kamen aus Toledo, waren sephardische Juden.

Auch war ich in dem kleinen Dierdorf neben Koblenz, in dem mein Vater geboren wurde. Dort war ich auf dem Friedhof, sein Geburtshaus habe ich gesucht, das Haus der Großeltern und Urgroßeltern. Es war sehr aufregend. Ich habe alles gefunden, und dann war es genug. Mein Großvater hatte ein Geschäft, ein Modegeschäft, Mode und Moderation Dierdorf. In diesem Geschäft ist jetzt eine Druckerei, doch die Originaltür des Modegeschäfts gab es noch. An der Tür war noch zu lesen: Abraham Hirschfeld, Mode und Moderation. Unglaublich war für mich, dass diese Kristalltür noch existierte. Ach, alles war so aufregend!

Vaters Vorfahren kamen mit den Römern nach Rheinland Pfalz

Die Eltern haben sich erst in Argentinien kennengelernt?

Nein bereits in Deutschland. Eine Cousine meines Vaters war eine Kollegin von meiner Mutter und mein Vater war zwei Jahre, 1936, vor meiner Mutter, 1938, nach Argentinien ausgewandert. Damit meine Mutter dann auch auswandern durfte, musste er sie als seine Braut anmelden. Sie kam vom Schiff und direkt mussten sie heiraten, sonst hätte man sie nach Deutschland zurückgeschickt.

Viele haben sich mit dieser Art Heirat das Leben retten wollen.

Die Eltern mit Silvia und ihrem Bruder

Von den Vorfahren, den Großeltern und Urgroßeltern hast Du gefunden in Spangenberg bei Kassel und in Dierdorf bei Koblenz und der Name des Urgroßvaters ist sogar noch zu lesen. Wo sind die Großeltern aus Dierdorf geblieben und die aus Spangenberg damals in der Hitlerzeit?

Die Dierdorfer sind mit dem Vater nach Argentinien geflohen und dort gestorben. Die Mutter meiner Mutter ist über China nach Argentinien geflohen, hat dort nur ein paar Wochen gelebt und starb. Der Großvater war bereits 1919 gestorben.

Wie Du erzählst, wohnst Du schon lange in Ein Hod, kennst hier jedes Haus, jede Künstlerin und jeden Künstler. Ich denke, Du hast auch Ursula Malbin gekannt als Künstlerin, als Bildhauerin, als Frau?

Sie ist ein besonderer Typ und nicht sehr freundlich zu den Menschen, sehr konzentriert auf sich selbst. Sie ist eigenartig, doch wenn sie jemanden mochte, dann hat sie ihn wirklich gern gehabt. Wenn nicht, musste man einen großen Bogen um sie machen. Ich hatte Glück, weil ich Deutsch gesprochen habe.!

Sie hat ungeheuer fleißig an ihren Plastiken gearbeitet. Ich bin begeistert fotografierend durch den Skulpturenpark in der HaZiyont Ave in Haifa gelaufen. 38 Skulpturen, nur von ihr und die Stadt hat den Park gestiftet und erhält ihn.

Diese Plastiken hat sie in Genf gearbeitet, nicht hier in Ein Hod.

Ach, in Genf? Und wie hat sie ihre Zeit in Ein Hod verbracht?

Sie ist auf dem Berg herumgelaufen, hat archäologische Reste gesucht, sich für die Archäologie sehr stark interessiert. Sie hat hier keine Bildhauerarbeit angefertigt.

Weißt Du, wann Ursula Malbin nach Israel gekommen ist?

Ich weiß es nicht genau, doch denke ich ungefähr 1967. Ihr Haus und den Garten in Ein Hod hat sie verkauft, wohnt jetzt 99jährig bei Genf. Sie ist schon alt. Vor ein paar Monaten war sie hier als sie das Haus verkauft hat

Dann hat sie in Ein Hod alle Zelte abgebrochen. Du hast hier einen anderen, sehr bekannten Nachbarn, nämlich Arik Brauer aus Wien. Er pendelt auch zwischen Wien und Ein Hod. Welche künstlerische Arbeit hat er in Ein Hod bearbeitet?

Ja. Vieles hat er gemacht. Die gesamten Bildhauerarbeiten, die er für das Kulturkaufhaus Merkaz Castra am Fliman Boulevard in Haifa angefertigt hat, sind hier entstanden. Er arbeitet immer noch. Nächste Woche hat er eine große Ausstellung in Wien, heute ist er nach dort geflogen. Er ist auch schon älter. Ich glaube er ist weit über 80

Du bist hier umgeben von Europäern und jüngeren Einheimischen..

Ja, stimmt. Ich neige sehr zu den Europäern als zu den anderen. Ich spreche auch eine europäische Sprache. Habe in mir eine europäische Kultur.

Ich sage nur, hessischer Pflaumenkuchen!

Ich habe eine Freundin, die war mit einem Israeli verheiratet. Sie ist keine Jüdin. Ich verstehe mich mit ihr wunderbar. Wir haben sicherlich die ähnliche Kultur. Sie ist in mir drin, und sie wird nie verschwinden. Mein Vater fühlte sich in Deutschland als Jude aufgenommen und bezeichnete sich als Deutscher mosaischen Glaubens. Doch ist er eher Argentinier geworden als ich. Er hat das Argentinische so stark angenommen, wie ich es niemals gekonnt habe.

Wie erklärst Du Dir das?

Weil er aus Deutschland fliehen musste, weil er in Argentinien aufgenommen wurde, weil er dem Tot in Hitlerdeutschland entfliehen konnte.

Als Du mit 19 Jahren in Israel angekommen bist, bist Du nicht gleich im Künstlerdorf Ein Hos gelandet.

Zuerst war ich drei Jahre in einem Kibbutz in der Nähe von Aschkelon, dann war ich fertig mit dem Militär und ging nach Haifa, weil ich studieren wollte. Eigentlich fühlte ich mich gut im Kibbutz und wollte Kindepflege studieren. Das war damals auch ein Beruf, den es heute nicht mehr gibt. Danach arbeitete ich im Krankenhaus. Im Kibbutz sagte man mir „Wir lassen Dich unsere Kinder nicht behandeln“. So blieb ich im Rothschild Krankenhaus, wo man mich haben wollte. Im Krankenhaus hatte ich eine interessante Begegnung mit der Oberschwester. Sie sah aus wie meine Mutter, sie lief wie meine Mutter. Ich hatte das Gefühl, sie haben zusammen gelernt. Mit meiner Mutter sprach ich darüber. Sie wollte die Gemeinsamkeiten von mir erfahren. Nun, sie benimmt sich wie Du, sie läuft wie Du. „Oh, wie kannst Du so etwas sagen“. Meine Mutter war sehr aufgebracht und meinte, ich sei bös. Meine Mutter hatte im Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt am Main gearbeitet. Ich sollte die Oberschwester fragen, doch ich erwiderte, dass ich Angst vor ihr hätte.

Eines Tages war ich in Argentinien und besuchte meine Mutter und die Großmutter im Altenheim. Siehst Du, die Schwester da hinten ist auch eine aus Frankfurt meinte ich. Daraufhin sagte sie: „Ich glaube es Dir, laufe ich wirklich so?“ „Genaus so!“ sagte ich. Diese war tatsächlich eine Schwester aus dem Jüdischen Krankenhaus in Frankfurt. Als ich älter wurde, habe ich mir einen ähnlichen Schritt angewöhnt.

Warum wollten Sie im Kibbutz nicht, dass Du ihre Kinder behandelst?

Die Kinder waren schon älter, so 10, 15 Jahre. „Von so einem jungen Ding, wie Du, lassen wir unsere Kinder nicht behandeln“.

Nochmal vom Frankfurter Gespräch zu Dir. Du bist nach Israel gegangen, in ein neugegründetes, komplett jüdisches Land. Wie streng jüdisch wurdest Du zu Hause erzogen?

Sehr liberal. Meine Mutter sagte, sie wäre antiklerikal. Dann würde sie mit dem Land klar kommen.

Dann kommst Du mit dem Land zurecht, in dem es so viele fromme Juden gibt?

Nun, jetzt immer weniger. Die Tradition war bei den Eltern immer da und nun auch hier bei mir. Meine Großmutter meinte irgendwann einmal, dass sie ihre Schwiegertochter (meine Mutter) von der Frömmigkeit abgehalten hätte. Ich habe mich gut damit arrangiert.

Du hast in Argentinien keine großen Zeremonien mitgemacht?

Nein, wir haben die Feiertage gehalten. Am Freitag auch zusammen gegessen, zusammen die Shabbatkerzen angezündet, aber sonst war alles liberal. Der Schinken hat mir immer gut geschmeckt. Mein Vater hat sogar welchen verkauft.

War Tuvia ein gläubiger Mensch?

Nein, nein, er war mit einer Nichtjüdin verheiratet, doch zur Tradition hielt er auch.

Der Skulpturengarten in Haifa ist sehr schön angelegt und die Kommune kümmert sich um die Pflege. Wir sprachen bereits darüber. Ich habe allerdings Schwierigkeiten mit den Plastiken von Ursula Malbin. Sie sind unheimlich realistisch, fast sozialistisch, keineswegs modern. Wie ist sie in Israel damit angekommen? In Ein Hod wird ja auch hin und wieder künstlerisch experimentiert. Tuvia hat ganz anders gearbeitet als Bildhauer

Man hat sie hier respektiert, weil sie Ursula ist, eine alte Frau und Bildhauerin. Sie wurde nicht anerkannt in Israel. Sie wollte ihre Skulpturen dem Jüdischen Museum in Berlin stiften, doch sie wollten sie nicht. Darüber hat sie sich geärgert, sie ist ja Berlinerin. Eine hätten sie wenigstens nehmen können. Der Mann von Malbin war auch Bildhauer. Sie konnten beide in der Hitlerzeit in die Schweiz fliehen und kamen von dort nach Israel. Sie hat immer ein Bein in der Schweiz gehabt. Sie pendelte zwischen Genf und Ein Hod.

Tuvia hat immer gesagt, dass sie realistisch ist und keine Anatomie kann. Ja, das ist Ursula.

Es ist trotzdem unglaublich, dass die 33 Bronzen im Skulpturenpark aufgestellt wurden.

In das Buch dort hat sie hereingeschrieben, dass sie mit dem halben Ort zerstritten ist und mit denen sie noch nicht gestritten hat, wird sie noch streiten. Wenn sie mit ihrem Jeep unterwegs war, musste man aufpassen und weit wegspringen. Sie ist schon ein spezieller Typ Frau.

Du hast mit Tuvia Hwritt gesprochen und irgendwann ward ihr beide gemeinsam in Rumänien?

Nein, nein nie in Rumänien.

Irgendwo las ich, dass Tuvia eine sehr große Gemeinsamkeit mit Brancusi hätte, den berühmten rumänischen Bildhauer, der Anfang des vorigen Jahrhunderts in Paris gelebt hat.

Oh, ja, der war ein großes Vorbild, auch Giacometti, obwohl sie sehr unterschiedliche Bildhauer waren.

Danke, Silvia, für das schöne Gespräch und den wunderbaren Zwetschenkuchen.

*Mutter – 1911 – 1986
*Vater – 1910 – 2003

*Tuvia Iuster – 1931 – 2005
*Ursula Malbin – 1917 – 2020

Das Grab von Tuvia Iuster

Alle Fotos: C. Wollmann-Fiedler / Privat