Spott-Light: Rot-weiß Winnetou II

0
47

„Kaum ist hier, vor gut zwei Wochen, das erste Spott-Light mit dem Titel Rot-weiß Winnetou ausgegeben worden, so gehen von den Lesern desselben schon zahlreiche Fragen nach dem weiteren Verlaufe der Ereignisse bei mir ein.“ Etwas genauer geredet und weniger mit O-Ton Karl May : Der „weitere Verlauf der Ereignisse“ wurde durch Fragen meinerseits an relevante Handlungsträger*innen der ersten Folge stimuliert. Hinzugerechnet Fragen an seitdem mit Äußerungen zum Thema auffällig Gewordene. Wie etwa den arrivierten Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer.

Von Christian Niemeyer

Darüber sei im Folgenden berichtet – allerdings nicht ohne zuvor das Format zu bedienen, das bei Serien allererst bedient werden muss: nämlich

Was bisher geschah

Die erste Folge von Rot-weiß Winnetou – dies den wenigen Neueinsteigern gesagt, zum fraglos nur gelinden Ärger der Stammleser*innen – brachte in der Hauptsache eine Kritik des Kinderfilms Der junge Häuptling Winnetou, passend zum zeitgleichen (Selbst-)Verbot des Buchs zu diesem Film wg. Rassismus-Vorwürfen durch den offenbar schwer verängstigten Ravensburger Verlag. Entgegen dieser dramatischen Begleitmusik, noch verstärkt durch das Eingeständnis der ARD, man habe Karl-May-Filme, offenbar nicht ohne Grund, schon 2020 aus dem Programm genommen,  vermochte unser Filmkritiker[1], anders als, wie gleich zu zeigen sein wird, jener der Frankfurter Rundschau nichts Rassistisches zu notieren, abgesehen vielleicht vom beharrlichen, sich fast wie ein rot-weißer Faden durchziehenden Bashing der ‚Bleichgesichter‘, deutlicher, und mit einem Zitat aus Rot-weiß Winnetou I: „Vielleicht, so meine klammheimlich Kritik am Verleih, wäre Kevin allein im Indianerland der bessere Titel gewesen, denn das Skript war danach. Ganz klar und ganz May: Der junge, zwölfjährige Winnetou war der eigentlich Held, sein ‚Alter‘, der Häuptling, machte fast alles falsch – und Winnetous Gegner und späterer, gleichaltriger Blutsbruder, ein wirklich grandios aufspielender netter blonder Waisen-Junge, gespielt von Milo Haaf, war eigentlich nur seiner sozialpädagogisch aufschlussreichen Geschichte wegen böse, um am Ende, auf heroische Weise und äußerst pfiffig, Winnetou das Leben zu retten. Insofern: Alles gut, alles in gewohnten Bahnen, zumal um Winnetous Blutsbruder herum, der qua Indianervorbild zum Guten hinfindet, nur Weiße agieren, die dem Klischee des Verkniffenen, Falschen, schlecht Bezahnten, Trotteligen (s. Kevin) neue Glanzlichter aufsteckten. Lustig? Nein, eher albern und tausendmal gesehen (s. Kevin, aber auch Bud Spencer sowie Ottos Schneewittchenfilm).“

 Im zweiten Teil von Rot-weiß Winnetou I dominierte die Frage nach der politischen Verortung und Rezeption Karl Mays unter Einschluss des May-/Hitler-Komplexes, basierend im Wesentlichen auf eigenen Forschungsarbeiten unseres Filmkritikers. Da ich, wie schon gesagt, mit diesem personenidentisch bin, gebietet es die erwähnte Bescheidenheit, Ausführungen aus jener Folge nicht zu wiederholen, abgesehen vielleicht vom Befund in der Hauptsache: May war alles andere als ein Rassist oder gar Antisemit – und Hitler in der Auffassung, er sei es doch gewesen, so isoliert im von ihm geprägten NS-System, dass es im schlimmsten Fall, also dem Endsieg, womöglich noch Festungshaft gesetzt hätte für den Uneinsichtigen, vollstreckt namens der Verfechter der eigentlichen NS-Kolonalismus-Ikone: Carl Peters, gespielt von Hans Albers in einem NS-Propagandafilm von 1941 nach einem Drehbuch des von der Neuen Rechten aktuell, etwa durch den Volker-Gerhardt-Schüler Erik Lehnert, heiliggesprochenen vormaligen Rathenau-Attentäters Ernst von Salomon.

Die Tinte unter der hier leicht erweiterten Filmkritik war kaum getrocknet – und damit kommen wir nun zu Rot-weiß Winnetou II –, als, 24 Stunden später, der Hamburger Kolonialismusforscher Jürgen Zimmerer, offenbar nicht sonderlich besorgt um das, was andere zu den von ihm thematisierten Problemen geschrieben hatten, zuschlug mit der Gegenthese, also, wie ich zu seinen Gunsten annehme, den einen Carl mit dem anderen, mit „K“ geschriebenen verwechselte. Dies also ist ein Kernthema dieser zweiten Folge, deren Plot nun etwas genauer in Augenschein genommen sei.    

 Was ab jetzt geschieht

Thema von Rot-weiß Winnetou II sind, wie angedeutet, negative Erfahrungen, die ich als Verfasser von Rot-weiß Winnetou I in den letzten zwei Wochen zu verbuchen hatte. Allererst jene mit  Hadija Haruna-Oelker, die ich am 26. August nach ihrer Meinung zu Rot-weiß Winnetou fragte. Sie war sich, ähnlich wie der ihrer Alterskohorte zugehörende perfekte Externalisierer Nick Kyriogos bei den US-Open, keinerlei Schuld bewusst, stellte schlicht in Abrede, im Januar 2022 einen falschen Aufschlag in Sachen des Kinderfilms Der junge Häuptling Winnetou gegeben zu haben und monierte, wie ein Polit-Profi, ich hätte sie falsch zitiert. Des Weiteren empfahl Sie mir „zur Anregung“ die Filmkritik Ihres Kollegen Daniel Kothenschulte von der Frankfurter Rundschau vom 16. August. Deren Eröffnungssatz allerdings durchaus irritierte: „Dies ist keine Filmkritik“, lautete der erste Halbsatz, weitergeführt mit: „denn nach einer Stunde hatte ich genug von rassistischen Darstellungen indigener Völker Nordamerikas.“ Hatte Kothenschulte möglicherweise im falschen Kino gesessen und einen Film mit Johne Wayne oder gar Ronald Reagan gesehen? Oder hatte er seiner jungen Kollegin Haruna-Oelker einen Gefallen tun wollen? Oder, um die schlimmste Variante zu bedenken: Hatte ich, der nach einer Stunde in diesem harmlosen Kinderfilm gerade einmal mein Eis aufgeschleckt hatte, womöglich das Gemüt eines Fleischerhundes (übrigens eine Diagnose meiner Frau, wobei ich allerdings hinzufügen muss, dass sie ein Faible hat für Hunde aller Art)? Zumal ich mich in meiner Antwort an Haruna-Oelker vom nämlichen Tag kaltlächelnd dagegen verwahrte, sie falsch zitiert zu haben.

Während ich ihr dies schrieb, zitierte ich still für mich nach Rot-Weiß Winnetou, was Haruna-Oelker am 31.1.22 in der Frankfurter Rundschau (FR) zum Film Der junge Häuptling Winnetou, der damals uraufgeführt werden sollte, geschrieben hatte: „Der Trailer verspricht Übles, was rassistische Klischees samt geschichtsrevisonistischer Romantisierung von Kolonialismus und dazugehörigen Völkermord angeht.“ Dass es ihr um das Ganze geht, zeigt der Nachsatz: „Aber wer will schon den Spirit von Karl May auflegen. Bravo! Oder Helau.“ (FR v. 31.1.22) Und, Fleischerhund-gemäß, fragte ich sie in jener meiner zweiten Mail, ob das „Helau!“ auf Karl May etwa nicht „auf Ihrem Mist gewachsen“ sei und dass sie mich mit Ihrem Filmkritiker verschonen möge, hinzusetzend: „Herr Daniel Kothenschulte hat ja noch nicht einmal den Film ganz gesehen, den er kritisieren sollte!“ Ich setzte noch hinzu, wiederum nicht sehr fein: „Und ein Claqueur aus eigenem Haus nutzt Ihnen gar nichts, handelt Ihnen und der FR eher den Vorwurf ein, des Kampagnenjournalismus zu frönen.“ Daraufhin kam – wem wundert’s? – eigentlich nichts mehr, abgesehen vielleicht von einem Abschiedsgruß („Alles Gute für Sie“) nach Art einer besorgten Krankenschwester – irgendwie cool, also passgenau zu meiner Diagnose: Popjournalismus.

Einmal so in Brast und aus Gründen der gender correctness versorgte ich gleich danach einen Mann, Haruna-Oelkers und Kothenschultes Chef Thomas Kaspar mit Rot-Weiß Winnetou und endete versöhnlich, nämlich mit: „Es wäre schön, wenn Sie auch einmal anderen Auffassungen Raum geben, zumal die Debatte durch die Einlassungen von Zimmerer (Hitlers May) in immer flacheren Gewässern dümpelt.“ Hierauf kam keine Antwort – vermutlich, weil Kaspar nicht entgangen war, dass die Vokabel „flaches Gewässer“ auch auf seinen Filmkritiker anspielte. Deutlicher: auf den Umstand, dass Kothenschulte infolge seiner Weigerung, den Film, den er rezensieren sollte, sich überhaupt bis zum Ende anzuschauen, sich klugerweise auf gleichsam Vor-Filmisches beschränkte, etwa auf Kritik am „Redfacing“ der eigentlich weißen Schauspieler. Wo wir damit schon bei der Hautfarbe sind, ob aufgemalt oder, wie bei Ukraine-Reportern gängig, durch Sonnenbrand verschuldet oder wie auch immer: um den eigentlichen Skandal des Films Der junge Häuptling Winnetou konnte unser FR-Filmkritiker in seiner mit der Losung „Dies ist keine Filmkritik“ eröffneten Filmkritik natürlich nicht wissen; den nämlich – eben schon angedeutet –, dass dieser Film für das wohl heftigste, bis heute nicht geahndete Bleichgesichter-Bashing der neueren Filmgeschichte steht. So betrachtet ist übrigens der Versuch von „SUK“ vom Spiegel, zumindest doch gut zehn Tage später, nämlich am 3. September, als die Karawane schon längst weitergezogen war, endlich auch ein Wort zur inzwischen fast zu Tode gehechelten Causa beizutragen, vielleicht dem übergeordneten Ziel einzuordnen, aus Gerechtigkeitsgründen nicht nur ‚Bleichgesichtern‘, sondern auch ‚Rothäuten‘ den Zugang zum Titel „Trottel des Monats“ zu eröffnen. Wovon ich rede? Nun, natürlich vom Apachen Gonzo Flores. Der sich auf die Frage von „SUK“, wie er zur Kritik an Karl May vom Typ „Verharmlosung der Vernichtung der Ureinwohner“ stünde,  zu der offenbar witzig sein sollenden Bemerkung verstieg: „Karl May […] ist besser als die Darstellungen hier in den USA, wo es bis 1993 ein Gesetz gab, das erlaubte, Apachen zu töten. Da ist Winnetou vergleichsweise fortschrittlich.“ (Der Spiegel Nr. 36 /3.9.2022: 80) Der Skandal ist nicht so sehr diese Antwort, sondern das Schweigen des Interviewers nach dem Motto: „Lieber den O-Ton eines Betroffenen, zumal wenn er unterhaltsam ist, als ermüdende Rückfragen nach den Textgrundlagen des so Urteilenden.“ Eine Haltung, die das schleichende Eindringen des Popjournalismus auch in die einstige feste Burg des Investigativjournalismus erklären könnte. Dass die FR von derlei Verfall gleichfalls betroffen ist, haben wir eben angedeutet und in Rot-weiß Winnetou am Beispiel der FR-Kolumnistin Hadija Haruna-Oelker erläutert, endend mit dem Ratschlag: „Ein wenig Sachverstand – statt ungehemmter Urteilsfreude – schiene mir also gerade in diesem Themenfeld durchaus erwünscht.“ Gender correct, wir mir scheint, dass dieser Ratschlag nun auch adressiert werden kann in Richtung eines Mannes (Gonzo Flores), wenn nicht gar zwei: seinen Interviewer. Oder gar drei. Womit wir bei einem einleitend bereits erwähnten Namen sind: Jürgen Zimmerer.

Ihm, diesem berühmten Kolonialismusforscher von der Uni Hamburg, machte ich am 26. August mit Rot-weiß Winnetou sowie einem weiteren, am 2. November 2021 auf HaGalil eingestellten Text[2] bekannt – leider wieder einmal etwas undiplomatisch (Ich weiß: Meine große Schwäche, aber ich arbeite daran, schöpfe also die Parole „lebenslanges Lernen“ bis zum bitteren Ende aus). Ich eröffnete meine Mail nämlich mittels der Worte: „Mit Entsetzen habe ich gelesen, was Sie in verschiedenen Medien zum Komplex May/Hitler ausgesagt haben. Es ist fern jeder Sachkunde und ramponiert Ihr Image als renommierter Kolonialismusforscher nachhaltig.“ Einverstanden: Schriebe mir jemand in diesem Ton („Bitte, liebe Leser*innen, lassen Sie’s!“), würde ich natürlich auch sofort verstummen wie ein Fisch. Insofern, lieber Kollege Zimmerer: Es war nicht so gemeint – sondern eher wie folgt: Ihre am 26. August per Berliner Zeitung in Umlauf gebrachte These, es sei „kein Zufall, dass Adolf Hitler und SS-Chef Himmler große Karl-May-Fans waren“, ist nicht wirklich eine eines Wissenschaftlers würdige Aussage, wohl aber von starker Suggestivkraft, wie sie auch am Volksgerichtshof des Roland Freissler gängig, weil wirkungsvoll war. Bemühen Sie sich also bitte für die Zukunft wieder um die am Beginn Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn Ihnen zur Pflicht auferlegte, auf Argumente und Belege setzende Redeweise. Denn ansonsten schädigen Sie die Autorität des Arguments und mithin das darauf gründende Vertrauen, das der BZ offenbar Anlass gab, Sie um Auskunft zu bitten in der Causa May resp. des Films Der junge Häuptling Winnetou. Insgesamt nährt Ihre in jener Ausgabe der BZ zitierte, offenbar durch die FR-Kolumnistin Hajita Hanuta-Oelker angeregte Aussage, „der Rassismus und der Kolonialismus“ würden „quasi die DNA der Geschichten von Winnetou, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi“ ausmachen, für mich den Verdacht, Sie hätten, wie Ihre Vorrednerin sowie Alina Schwermer von der taz[3], nichts von May gelesen und mit der Forschung über diesen nichts am Hut, nähmen also eine ausgewiesene Popjournalistin als jenes Maß, an welchem auch Sie sich in Zukunft messen lassen wollen. Dazu passt dann, dass Sie sich am 28. August um 7:10 nachm. per Twitter eine von 4.000 Menschen (inzwischen sind es weit mehr als 12.000) unterzeichnete, von meinem Kollegen Andreas Brenne (Uni Potsdam) dankenswerterweise (mit-) angeregte Petition pro differenzierter Winnetou-Debatte mittels der Worte verunglimpften: „Wow, 4000 Unterschriften für das Recht auf ein kolonialistisches und rassistisches Weltbild in der Jugendliteratur.“ Angesichts dieser Ihrer geradezu bösartigen Umdeutung einer auf Differenzierung pochenden Resolution will mir zu Ihren Gunsten eigentlich nur noch die Überlegung einfallen, dass Sie womöglich, wie bereits angedeutet, Karl May mit Carl Peters verwechselt haben – und auch andere Passagen aus dem Ihnen oben anempfohlenen Text Jenseits von Europa nicht zur Kenntnis nahmen, etwa die folgende, mit welcher wir nun ganz nahe heranreichen an Gegenwartsprobleme sondergleichen, so dass eine weitere Zwischenüberschrift angebracht scheint, etwa die folgende:

Von dem Harmlosen hin zu den wirklich Bösen: Die AfD und ihr ganz ohne Karl May gestrickter Neo-Kolonialismus à la Marc Jongen & Co.

Wie die Überschrift schon andeutet, geht es im Folgenden um das, was, wie gesehen, Hajita Haruna-Oelker bereits im Fall des Films Der junge Häuptling Winnetou für gegeben ansah: „Der Trailer verspricht Übles, was rassistische Klischees samt geschichtsrevisonistischer Romantisierung von Kolonialismus und dazugehörigen Völkermord angeht.“ Welche Vokabeln, werte Kollegin, haben Sie dann in Vorrat, um die folgende Darstellung, zu lesen als eine Art Trailer für einen Film über die auf die Zukunft gerichteten Kolonialisierungsvorstellungen der AfD, zu qualifizieren? Wovon ich rede? Nun, ich rede von dem was Sie (und Herr Professor Zimmerer) besser gelesen hätten vor ihrem Vernichtungsurteil in Sachen Karl May. Etwa:

„Vorab[4] gilt es dabei wohl festzuhalten, dass […] die zentralen Vokabeln der Neuen Rechten auf „Heimat“ oder „Deutschland zuerst“ [lauten], also zum Inhalt [haben], Afrika mögen doch bitte draußen bleiben, jenseits des Mittelmeers, besser vielleicht: in ihm. Wenn bei all dem überhaupt ein Zusammenhang gesehen wird mit dem deutschen Volk und einem ihm gebührenden Fiskalaufkommen, dann eher ex negativo nach dem Muster: Jeder Euro Flüchtlings- resp. Entwicklungshilfe ist ein verlorener Euro, verloren vor allem für den Einheimischen aus dem Segment der Homogenen, der sich redlich abmüht, aber von den Regierenden systematisch um das ihm Zustehende gebracht wird, im Zweifel: namens einer unangemessenen „Humanitätsduselei“ bezüglich des Fremden und Flüchtenden, der sich gefälligst mit seiner Herkunftsregion abfinden und in ihr die Sache zum Besseren wenden soll. So betrachtet scheint zu gelten, dass der Kolonialismus aus neu-rechter Sicht so out ist wie nur irgendetwas – abgerechnet natürlich eine (im AfD-Sinne) politisch korrekte Lesart desselben. Diese zu forcieren, scheint jedes Mittel recht. Eingeschlossen die hingeworfene Bemerkung Michael Klonovskys, der den gegen Otto Friedrich von der Groeben (1657-1728) erhobenen Vorwurf, er sei in den transatlantischen Sklavenhandel verstrickt gewesen, „gröblichen Rufmord“ (Klonovsky 2015: 42) nannte – ein Argument wie aus der Demagogenschmiede, da ohne Ross und Reiter gebaut und allein auf Wirkung abstellend. Wahr hingegen ist nach neueren, von Bartholomäus Grill vor Ort gesicherten Erkenntnissen, dass, im Nachgang zu den Holländern, auch die Preußen zwischen 20 000 und 30 000 Slaven von der Goldküste nach Amerika verschifften. Und dass der Große Kurfürst, der zwei Fregatten unter dem Kommando von der Groebens Richtung Goldküste schickte, „der erste Deutsche war, der den Menschenhandel förderte.“ (Grill 2019: 22) AfD-typische Geschichtsklitterung also?

Wohl nicht ganz geschichtsklitternd geurteilt, wenn man den 11.12.2019 einbezieht, als Marc Jongen namens der AfD-Bundestagsfraktion einen Antrag stellte im Deutschen Bundestag, Deutsch-Ostafrika und die Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes 1905-1907 betreffend, ebenso den Umgang mit Hetero und Nama (rassistisch: Hottentotten) in Deutsch-Südwestafrika 1904-1908. Zugestanden wird, dass es „unverhältnismäßige Härten und Grausamkeiten“ gab, aber von „einem systematischen oder vorsätzlich herbeigeführten Völkermord oder gar einer Kontinuität zwischen diesen Grausamkeiten und den Verbrechen der NS-Zeit kann indes keine Rede sein“ (Drucksache 19/15784: 1) – eine erkennbar beschönigende Rede, sei es angesichts der Einzelheiten, etwa jener von Rebecca Habermas (2016) unter dem Titel Skandal in Togo am Beispiel eines vergewaltigenden Kolonialbeamten gezeichneten, sei es das auf Vernichtungskrieg und „Rassenkampf“ hinauslaufenden Agieren des vom Kaiser eingesetzten Generals Lothar von Trotha (vgl. Nuhn 1989: 260 ff.), das auch unter dem Titel The Kaiser’s Holocaust thematisiert wird. (vgl. Olusoga/Erichsen 2010: 138 ff.; Gietinger 2017: 81 ff.) Kein Thema indes für die AfD resp. Jongen & Co., deren Anliegen auf die Klage hinausläuft, dass die dunklen Seiten des deutschen Kolonialismus zu schwarz gemalt würden, die „gewinnbringenden Seiten“ (zit. n. Conze 2020: 15) hingegen erinnerungspolitisch keinen Niederschlag fänden – ein Motiv, dass im Hohen Haus in Berlin zum Vortrag zu bringen ja nur dann Sinn macht, wenn diese ‚gewinnbringende Seite‘ auch im Blick auf die zukünftige Politik stärker ins Kalkül gezogen werden soll, inklusive der vorgenannten ‚unverhältnismäßigen Härten und Grausamkeiten‘ – die in Zukunft vermeiden zu wollen als leichthin abgebbares Versprechen in die gleichsam allerletzte Waagschale geworfen wird.

Heißt zugleich, und über dieses Beispiel hinausgehend anhand eines weiteren erläutert: Der Vergangenheit gedenkt man resp., wie hier, Jongen & Co., also die AfD-Bundestagsfraktion vom Dezember 2019, gerne, und dies tut auch Erik Lehnert von der neu-rechten Kaderschmiede IfS gerne, der gleichfalls, so 2014 im neu-rechten Staatspolitischen Handbuch, der klinisch bereinigten Erinnerung huldigt, also eine ohne Vokabeln wie Genozid, Massaker oder Versklavung zu schreibenden verehrenden Geschichtsschreibung favorisiert, etwa zu „Abenteurern“ wie „Carl Peters (Deutsch-Ostafrika) und Adolf Lüderitz (Deutsch-Südwestafrika), die auf eigene Faust in Afrika Verträge mit den örtlichen Herrschern abschlossen und sich so großen Landbesitz sicherten.“ (Lehnert 2014: 125) Viel genauer muss man es ja nicht wissen, sollte diese wohl heißen – zumal nicht angesichts einer Erinnerungspolitik wie jener Lehnerts. Der in jenem Artikel, aus dem wir eben zitierten, ausgerechnet Trothas Mittäter in Sachen Hetero und Nama, Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964), gedachte resp. eines dort, „ungefähr auf halbem Weg zwischen Kasama und Mpika im nördlichen Sambia“ (ebd.: 124), vorfindbaren Denkmals, dem „Lettow-Vorbeck-Denkmal“.

Warum? (Gemeint ist mit dieser Frage selbstredend nicht dieses Denkmal, sondern der Grund für das Gedenken an es?) Deutlicher: Warum gedenkt ein neu-rechter Ideologe aus Deutschland 2014 des angeblichen „Löwen von Afrika“ dessen, der vor Ort, mit sehr viel mehr Grund (vgl. Grill 2019: 57), bekannt als „der Herr, der unser Leichentuch schneidert“? Ein ‚Herr‘, der, so resümierte Ralph Giordano, Macher der Fernsehdoku Heia Safari – Die Legende von der deutschen Kolonial-Idylle in Afrika (1966), Lettow-Vorbecks Autobiographie Mein Leben (1957),

„der sich das rassistische Wertesystem der Kolonialepoche bis an sein Ende bewahrt hat; der die Meinung vertrat, daß die betrügerischen Verträge zwischen unwissenden und eingeschüchterten Häuptlingen und dem deutschen Kaiserreich ein Akt des Völkerrechts gewesen seien; der die massenhafte Niedermetzelung von Afrikanern in den Kolonialkriegen als ‚Befriedung‘ bezeichnet und sich zu General von Trotha und berserkerhaften Herrenmenschen wie Hans Dominik und Carl Peters bekannte.“ (Giordano 2000: 136 f.)

Hierzu passt, dass Lettow-Vorbeck den Freikorps nahestand und beim Kapp-Putsch seinem Lieblingsgewerbe nachging. Ein ‚Herr‘, zu dessen Verehrern der HJ-Obererzieher Helmut Stellrecht (1942: 153) gehört und der ein auch nach 1945 unbelehrbarer Nazi war, der gleichwohl zur Empörung von Ralph Giordano bei seiner mit militärischen Ehren vollzogenen Beisetzung vom damaligen Verteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU), 1913 in Deutsch-Ostafrika als Sohn eines Offiziers geboren, zur „Leitgestalt der Bundeswehr“ erklärt wurde (vgl. Giordano 2000: 135 ff.; Grill 2019: 57) und der von allen, die etwas von der Sache verstehen (etwa auch Nuhn 1989: 210 f.; Schulte-Varendorff 2006: 144 f.) mit äußerster Skepsis betrachtet wird?

Die Antwort kommt nicht ohne Verweis auf den Versailler Vertrag aus, durch welchen, was die deutschen Kolonien in Afrika angeht, den „Raub [der Kolonien] ‚im Namen der Moral‘ vollzogen und die Beute unter sich aufteilten.“ Dies ist nicht, wie man meinen könnte, O-Ton Hitler, dies ist O-Ton Lehnert (2014: 126), der noch eine Lektion hinzusetzt, die er in die Worte kleidet:

„Wie alle Kolonialmächte hatte Deutschland vor Ort mit Aufständen, mit Korruption und Mißwirtschaft zu kämpfen, weshalb die Kolonien in Deutschland umstritten blieben.“ (ebd.: 125)

Heißt: Die aufständischen, korrupten und von Natur aus (übersetzt: ihrer rassisch begründeten Faulheit wegen) zur Misswirtschaft neigenden Afrikaner waren in der Kolonialismusepoche I schuld an allem ihrem ferneren Übel, nicht aber etwa jene, die dort gar nichts zu suchen hatten und ohne jedes schlechte Gewissen einen Genozid nach dem anderen veranstalteten. Nochmals: Kein Wort hierzu bei Lehnert, der auf diese Weise wohl die Lektion ins Abseits drängen will, die auf dem Stand des Jahres 2014 die einzig angemessene gewesen wäre:

Wie fast alle Länder der ‚Dritten Welt‘ hatte Südwestafrika (vorm. Rhodesien) mit Kolonialmächten, in diesem Fall Deutschland, zu tun, gegen dessen Rassismus und Menschenverachtung es sich nur mithilfe von Aufständen erwehren konnte, um der vollständigen Ausplünderung und Ausrottung zu entgehen.

Merke: Es ist diese Lektion, welche die Neure Rechte und mithin auch die AfD auf dem Stand des Jahres 2014 in Vergessenheit bringen will, um Kolonialismusepoche II ins Werk zu setzen, getarnt durch die Botschaft, dass irgendwann mal ein hinreichend Selbstloser die dem Afrikaner eigene Tendenz zur Korruption und Misswirtschaft beenden helfen muss – und dies sei die AfD.

Soweit gediehen mit seinen Überlegungen, kamen Lehnert, wie es scheinen will, die Bundestagswahlen 2017 gerade recht, deutlicher: sein neuer Job als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Fachhochschulprofessors und ‚deutsch-afrikanischen‘ AfD-MdB Harald Weyel, hatte dieser doch in seiner Dissertation von 1993 über Dekolonialisation eine Argumentation entwickelt, die jener Lehnerts von 2014 nahekam – und die schließlich in jene des erwähnten 2019er Bundestagsantrags der Jongen et al. (vgl. Drucksache 19/15784) – an dem selbstredend auch Weyel mitwirkte – einfloss. Kurz: (Neo-)Kolonialismus geriet plötzlich zu einer Option Deutschlands auch für die (AfD-)Zukunft, gleichsam als späte Rache an den 1919er Siegermächten – eine Vokabel, die hier nicht ganz unbedacht steht. Sie kann nämlich zur Not auch dahingehend belegt werden, dass Weyel unter ‚Siegermacht‘ auch seinen Vater versteht, also einen farbigen US-Soldaten, der ihn und seine Mutter schändlich verließ, sein fraglos nicht freudvolles ‚Besatzungskind‘ im Deutschland der 1960er Jahren also durchaus erschwerte – und nun damit leben muss, dass sich sein Sohn mit pro-kolonialistischen Thesen (seiner AfD) im Deutschen Bundestag recht weit aus dem Fenster einer Ausstellung legt, die am liebsten klug ausgewählte Neu-Kolonialisierte aus aller Welt vorführen würde (zu Lasten der durch die wirtschaftliche Not bei latentem Islamismus ins Land getriebenen Flüchtlinge, wenn nicht gar, à la Merkel, ins Land gelockten ‚Invasoren‘). Um diese Ableitung nachvollziehen zu können, empfiehlt sich ein Interview mit dem 2021 wiedergewählten MdB, die uns Weyel als ein Opfer eines von seinem Vater verlassenes Besatzungskind zeigt.

Aber auch unabhängig von diesen Zusatz steht außer Frage, dass Lehnert nicht auf eigene Faust arbeitet, wie das 2019 nachgereichte Wort Andreas Lombards von der „explosiven Heuchelei von Versailles“ (Lombard 2019: 166) zeigt, aber auch der 2017 nachgereichte, Deutsche Daten betitelte fünfte und letzte, diesmal von Lehnert als Allein-Herausgeber verantwortete Teil dieses Handbuchs. Besonders interessant an diesem: Ein der Gründung des deutschen Kolonialvereins am 6. Dezember 1882 gewidmeter Beitrag von Gerald Franz, in welchem (erneut) alle verschont werden, auch Carl Peters, und wo es zum Ende des Kolonialismus 1918 heißt:

„Verblieben sind unübersehbare deutsche Spuren in den früheren Kolonien wie Ost- und Südwestafrika“ (Franz 2017: 132),

aber mit keiner Zeile erwähnt wird, dass sich diese Spuren vor allem in Gestalt bleichender Knochen Zehntausender von Eingeborenen nachweisen lassen, die in der Summe das ergeben, was oben als The Kaiser’s Holocaust angesprochen wurde, womit zugleich anerkannt ist, dass man „von einer Vorbildfunktion der deutschen Kolonialkriege“ (Brumlik 2004: 16) für den Nationalsozialismus sprechen kann. (vgl. auch Messerschmidt 2002: 107) Dies zeigt schon der Umstand, dass KZ-Ärzte wie Josef Mengele sowie Eugeniker wie Theodor Mollison und Eugen Fischer „ihre ersten Forschungen an Eingeborenen während des Kolonialkrieges in Deutsch-Südwestafrika vor[nahmen].“ (Brumlik 2004: 16)

Von all dem also will die Neue Rechte, wohl in Abwehr eines weiteren Schuldkults, sowohl 2014 (Lehnert) als auch 2017 (Franz) als auch 2019 (Jongen & Co.) nichts wissen. Auch nicht davon, dass es Hitler war, der, unter den Vorzeichen der Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkrieges, auch Deutschlands Anspruch als Kolonialmacht wieder herzustellen gedachte, mit der Folge, dass das Gespenst des Kolonialimperialismus nach 1933 wieder auflebte, in Fortsetzung der in Jugend- wie Pfadfinderbewegung folgenreichen Träume künftiger Größe. Insoweit kann man nur hoffen – muss aber zweifeln angesichts von Alexander Gaulands „Vogelschiss“-Rhetorik –, dass das Ende Hitlers lehrreich ist für die Neue Rechte in Deutschland. Gesetzt, diese käme nicht auf die Idee, den ihr eingangs dieses Abschnitts attestierten Mängel in betreffs einer zeitgemäßen Bewertung deutscher Kolonialisierungsverbrechen zu vervollständigen, indem sie erneut den 1942 von Hitler ins Auge gefassten osteuropäischen Raum anpeilt. Denn da, soviel ist wohl gewiss, wird Freund Putin fraglos nicht mehr mitspielen.“

Soweit der zitierte Text (Literaturhinweise im Online-Anhang zu jenem Schwarzbuch, für Mutige auch via Mail an den Verfasser). Nun aber noch, wie bei Winnetou II der „Schluß des 2. Bandes“, auch in Rot-weiß Winnetou II ein Schlussabschnitt, hier unter der Überschrift:

Meine Schluss-Bitte an Hajita Haguna-Oelker, Alina Schwermer und Jürgen Zimmerer:

Geht es, für die Zukunft, vielleicht etwas weniger lärmend, mehr getragen von dem Bemühen um eine (nur durch gründliche Lektüre zu erwerbende) „richtige Meinung“? Die ja, laut Nietzsches buchstäblich „letzter Erwägung“ vom Dezember 1888/Januar 1889, geeignet sein sollte „der Kriege [zu] entrathen“. Vor allem des absurden Krieges um Karl May zugunsten des Kampfes gegen die wirkliche Gefahr; und die kommt, wie immer eigentlich schon in Deutschland, von rechts. Deswegen, werter Herr Kollege Zimmerer, der sie sich im Bayerischen Rundfunk (zit. wird hier n. Peter Jungblut, BR 24, 29.08.2022, 01:26 Uhr) dahingehend vernehmen ließen: „Teile ihrer (Hitlers und Himmlers; d. Verf.) Ostbesatzungspolitik […] orientiert sich an Vorstellungen von der ‚Eroberung des Wilden Westens‘, wie sie sie aus den Büchern Karl Mays entnommen haben.“ Treibt Ihnen die Lektüre des bisher von mir Geschrieben bzw. Zitierten nicht wenigstens jetzt allmählich die Schamesröte ins Gesicht, wenn Sie also so wollen: eine Art Redfacing der neuen Art? Oder haben Sie schlicht keine Zeit für derlei, weil sie ja schon wieder auf dem Kriegspfad sind, diesmal, wie man so hört, gegen die soeben verstorbene Queen, ihrem verschwiegenen Kolonialismus und den gestohlenen Kronjuwelen auf der Spur? Dann wünsche ich Mut und Kraft und neige dem zu, was Jungblut gleichfalls über sie kolportiert: nämlich dass Sie in ihrer „Zunft nicht mehr ernstgenommen werden“….

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer Professor (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Letze wichtige Veröffentlichung: Sex, Tod, Hitler. Eine Kulturgeschichte der Syphilis (1500-1947) am Beispiel von Werken vor allem der französischen und deutschsprachigen Literatur. Heidelberg 2022.

[1] Eigentlich könnte hier auch stehen: „ich“, aber die Ichform ist ja, passend zu unserer, wie ich sie mal nennen will, Epoche der ‚Neuen Bescheidenheit‘ (bescheiden sind vor allem die an sich kostenlosen Gedanken), verpönt.
[2] Jenseits von Europa. Über Kolonialismus, sexualisierte Gewalt, rassistischen Sexualmord und Syphilis am Beispiel von Karl May und seines Antipoden Carl Peters (s. https://www.hagali.com/2021/11/jenseits-von-europa/), wiederum entwickelt aus meinem in Fußnote 3 Schwarzbuch, diesmal: Kap. 10.[3] Die uns schwer anheitert mit Sätzen wie: „Sie (May-Bücher, d. Verf.) sind dermaßen rassistisch, deutschtümelnd und frauenfeindlich, dass man nur hoffen kann, Sigmar Gabriel weiß gar nicht, was drinsteht.“ (taz v. 30. August, 10: 56) (Womit er sich, unter uns gesagt, nicht unterschiede von seiner Antipodin).
[4] Wie eben angedeutet, zitiere ich hier nach der in Fußnote 3 angegebenen Quelle.