Israelis im Visier der Mullahs

0
39

Warnungen vor Anschlägen gehören für die Israelis zum Alltag. Doch selten wurden sie so konkret ausgesprochen wie dieser Tage, als die Regierung ihren Bürger vor Reisen in die Türkei abriet. Denn nach der Erschießung eines ranghohen Mitglieds der Revolutionsgarden in Teheran hatten der Iran Vergeltung angekündigt – wieder einmal.

Von Ralf Balke

Bis dato verlief alles relativ glimpflich. Als am 19. Juni in Eilat und Jerusalem fast eine Stunde lang die Sirenen erklangen, drohte nicht wirklich wie schon oftmals zuvor ein Raketenangriff aus dem Gazastreifen. Vielmehr handelte es sich um einen Fehlalarm, aller Wahrscheinlichkeit nach ausgelöst durch iranische Hacker, wie tags darauf Israels National Cyber Security Directorate (INCD) erklärte. Die Tatsache, dass iranische Medien voller Schadenfreude darüber berichteten, man habe die Israelis wie Hasen aufgescheucht und in die Schutzräume geschickt, scheint diese Vermutung zu bestätigen. Und es war nicht die erste spektakuläre Cyber-Attacke der Iraner. Einige Beispiele: Im Frühjahr 2020 beispielsweise hatten Hacker im Dienste der Mullahs versucht, die Wasserversorgung in Israels Küstenregion lahmzulegen – jedoch erfolglos. Gelungen dagegen war ihnen im vergangenen Oktober das Kapern der schwulen israelischen Datingplattform Atraf, woraufhin die persönliche Daten zahlreicher User geleakt wurden.

Vorfälle dieser Art verweisen auf die Bedrohung für Israelis durch das Mullah-Regime und seine Handlanger. Und sie kann sehr konkret werden. So warnte vor wenigen Tagen die Regierung in Jerusalem explizit vor Reisen in die Türkei. Wer sich bereits im Lande aufhalte, solle es „so schnell wie möglich“ verlassen, erklärte Yair Lapid. Es bestehe eine „unmittelbare Gefahr“ durch iranische Agenten, und zwar in Istanbul. „Sollten Sie sich bereits dort befinden, kehren Sie so rasch wie möglich nach Israel zurück“, so der Außenminister weiter. „Wenn Sie einen Flug nach Istanbul gebucht haben sollten, sagen Sie ihn ab. Kein Urlaub ist es wert, dass Sie Ihr Leben aufs Spiel setzen.“ Mitte Juni wurde deshalb für die Türkei die höchste Alarmstufe ausgerufen, wodurch sich das Land sich plötzlich in einer Liga mit dem Iran, Afghanistan oder Burkina Faso befand, allesamt Staaten, die Israel gegenüber ausgesprochen unfreundlich eingestellt sind. Israelis wurde aber nicht nur nahegelegt, auf touristische Reisen in der Türkei vorerst zu verzichten. Zugleich empfahl der Nationale Sicherheitsrat allen Israelis, die sich dort aufhielten, in ihren Hotels zu verbleiben und auf keinen Fall Unbekannten die Tür zu öffnen. Und überhaupt sollte man sich jegliche Mühe geben, in der Öffentlichkeit nicht als Israeli erkennbar zu sein und Orte, die von Israelis gerne frequentiert werden, zu meiden. Selten zuvor waren derart deutliche Warnungen artikuliert worden.

Am Mittwoch dann wurde die höchste Alarmstufe wieder zurückgenommen. Denn die türkischen Behörden vermeldeten bald schon erste Fahndungserfolge. „Aufgrund gemeinsamer israelisch-türkischer Bemühungen konnten gleich mehrere Anschläge auf türkischem Boden verhindert und zahlreiche Terroristen verhaftet werden“, erklärte Noch-Ministerpräsident Naftali Bennett. Von acht Personen, fünf davon iranische Staatsbürger, war in den türkischen Medien die Rede. Aufgeteilt in vier Kommandos mit jeweils zwei Personen sollten sie im Auftrag des iranischen Geheimdienstes als Touristen getarnt Israelis entführen oder ermorden. Auch ein ehemaliger israelischer Diplomat und dessen Frau sollen unter den Zielpersonen gewesen sein. Beide seien umgehend mit einem vom Mossad gecharterten Privatflugzeug außer Landes gebracht worden. Zwar hatten die Terrorwarnungen aus Jerusalem die Regierung in Ankara erst einmal verärgert. Ungern wollte man sich als unsicheres Reiseland bezeichnet wissen. Dennoch wirft die Kooperation zwischen israelischem und türkischen Geheimdienst ein Schlaglicht auf die veränderten Beziehungen beider Länder. Nach Jahren der Feindseligkeit, befeuert vor allem durch die Rhetorik von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, scheinen die Türkei und Israel sich nun wieder angenähert zu haben.

Was sich aber nicht ändern wird, ist die Tatsache, dass Israelis weiterhin vom Iran bedroht werden. Und es sind nicht nur israelische Staatsbürger. Auch jüdische Einrichtungen in anderen Staaten können Ziel eines terroristischen Angriffs werden. Das beweist ein Blick in die Vergangenheit. Unvergessen der verheerende Anschlag auf das Gemeindezentrum AMIA (Asociacón Mutual Israelita Argentina) vom 18. Juli 1994. 85 Menschen fanden damals den Tod, mehr als 300 wurden verletzt. Genau wie der Angriff auf die israelische Botschaft in der argentinischen Hauptstadt nur zwei Jahre zuvor, galten Hisbollah und damit der Iran als Urheber. Auf Basis der Ermittlungen des argentinischen Sonderstaatsanwalts Alberto Nisman wurden 2007 schließlich sechs Iraner sowie ein Libanese auf die Fahndungslisten von Interpol gesetzt, darunter Ahmad Vahidi, ein iranischer General und späterer Verteidigungsminister. 2012 schließlich tötete ein Selbstmordattentäter im bulgarischen Burgas fünf israelische Touristen sowie einen bulgarischen Busfahrer. Auch dieser blutige Terroranschlag ging auf das Konto von Hisbollah und dem Iran. Last but not least hatte ein iranisches Kommando im Oktober 2021 versucht, den israelisch-zypriotischen Geschäftsmann Teddy Sagi zu ermorden. Ein Sprecher des israelischen Ministerpräsidenten betonte, dass es sich keinesfalls um einen Vorfall mit kriminellen Hintergrund handelte, wie es zuerst hieß, sondern eindeutig um einen Terroranschlag. Und dieser galt, so eine Erklärung des Unternehmens von Teddy Sagi, nicht allein ihm, sondern gleich mehreren auf Zypern lebenden Israelis.

Die geplanten Anschläge auf israelische Touristen in der Türkei, hinter denen der Iran steckt, seien nur ein Beispiel von vielen, betonte Lapid. Als Drahtzieher dahinter vermutet er Hossein Taeb, den Chef des Geheimdienstes der iranischen Revolutionsgarden. Dieser würde versuchen, Sayad Khodayari zu rächen, ebenfalls ein hochrangiges Mitglied dieser dem Mullah-Regime besonders treu ergebenen Streitmacht. Für seinen Tod wie auch den anderer Revolutionsgardisten macht die Islamische Republik Israel ebenso verantwortlich wie für das mysteriöse Ableben gleich mehrerer Luft- und Raumfahrtingenieure, die in irgendeiner Form an Rüstungsprojekten arbeiten. Aus dem israelischen Verteidigungsministerium hieß es dazu, das Hossein Taeb aus diesen Gründen wohl massiv unter Druck gestanden habe, endlich Erfolge vorweisen zu können. Er sei „wie ein verwundetes Tier“ gewesen und wollte um jeden Preis Anschläge gegen Israelis verüben, weshalb er denn auch die iranischen Terrorzellen in der Türkei aktivierte. Nur ging die Rechnung nicht auf. Seine Agenten wurden verhaftet und Hossein Taeb verlor daraufhin seinen Posten, ausgerechnet an dem Tag, an auch der iranische Brigadegeneral Ali Nasiri in Teheran verhaftet wurde, da man ihn der Spionage beschuldigte.

All das verweist nicht nur auf die sich verschärfenden Spannungen zwischen Iran und Israel, sondern zeigt ebenfalls, wie nervös das Mullah-Regime mittlerweile ist. Denn offensichtlich ist es Israel gelungen, den iranischen Geheimdienst zu infiltrieren, wie dieser Tage Mohammad Ali Abtahi, ein ehemaliger Vizepräsident, der New York Times verriet. Die Absetzung von Hossein Taeb sowie die Verhaftung von Ali Nasiri wären Beispiele für das grassierende Misstrauen innerhalb des Sicherheitsapparates. „Die Ereignisse im Iran und das Ausmaß der israelischen Operationen haben unsere mächtigste Geheimdienstorganisation wirklich erschüttert“, sagte er. „Die Professionalität unserer Sicherheitsdienste war eigentlich immer eine der Säulen für die Sicherheit der Islamischen Republik und genau diese wurde in den vergangenen Monaten stark beschädigt“, so Mohammad Ali Abtahi weiter. „Israel gibt nie zu, dass man Iraner getötet habe“, ergänzt Dennis Ross. „Aber es wird in der Regel davon ausgegangen, dass Israelis für zahlreiche Tötungen und Anschlägen verantwortlich sind“, so der frühere Nahost-Unterhändler mehrerer US-Administrationen gegenüber dem Magazin „Foreign Policy“. „Das ist sicherlich der Fall bei der Tötung von Funktionären, die mit dem Iranischen Revolutionsgarden in Verbindung stehen, oder von Wissenschaftlern, die das iranische Atomprogramm vorantreiben.“

Auch im virtuellen Raum schlug Israel wohl jetzt zurück. So sprach Naftali Bennett am Dienstag auf der Cyber Week-Konferenz in Tel Aviv eine deutliche Warnung aus, und zwar genau einen Tag, nachdem gleich mehrere iranische Stahlunternehmen von einem Cyber-Attacke lahmgelegt wurden. „Wir gehen nicht in Teheran herum und richten Chaos an – das war nie unsere Vorgehensweise. Aber unsere Politik lautet: Wer immer auch sich mit Israel anlegt, zahlt einen hohen Preis“, so der scheidende Ministerpräsident. Zugleich betonte er die großen Vorteile der solcher Operationen gegenüber der konventionellen Kriegsführung: „Man kann heute mit Cyber-Attacken gegen den Feind Ergebnisse erzielen, für die man früher 50 oder 100 Kommandosoldaten mit großem Risiko hinter die feindlichen Linien schicken musste“, erklärte er. „Jetzt lassen sich mit ein paar intelligenten Leuten, die an einer Tastatur sitzen, dieselben Effekte erreichen. Es ist also ein Kinderspiel. Und deshalb werden solche Cyber-Attacken unweigerlich eine, wenn nicht sogar die wichtigste Dimension der zukünftigen Kriegsführung werden.“ Nur hätte er erwähnen sollen, dass die Gegenseite ähnlich denkt und Israel ebenfalls auf diese Weise angreift, manchmal sogar mit Erfolg.

Und es bleiben die Versuche des Irans, Israelis überall auf der Welt zu ermorden. Dafür riskieren die Mullahs sogar die Verschlechterung der Beziehungen mit anderen Staaten. So haben nach Bekanntwerden der Vorgänge in der Türkei die ägyptischen Sicherheitsdienste den Iran eindringlich davor gewarnt, Israelis anzugreifen, die sich in Ägypten aufhalten. „Ägyptische Beamte teilten ihren iranischen Kollegen mit, dass man es nicht akzeptieren werde, wenn seine Sicherheitsbehörden in den schwelenden Konflikt zwischen Tel Aviv und Teheran verwickelt werden“, hieß es dazu in einem Bericht der von Katar finanzierten Tageszeitung Al-Arabi Al-Jadeed. Offensichtlich hatte es in der Vergangenheit Bemühungen der Iraner gegeben, Ägypter dazu zu motivieren, sich daran zu beteiligen. Und Ägypten dürfte nicht der einzige Ort sein, wo sie es versucht haben. Israelis bleiben also weiterhin im Visier der Mullahs.

Bild oben: Türkische Behörden verhaften am 23. Juni eine mutmaßliche iranische Terrorzelle, die Israelis in Istanbul angreifen wollte (Screen capture/CNN Turkey)