Ist Trumpismus ohne Trump möglich?

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Schwierige Frage: Wenn ich sie bejahe, beleidige ich Trump, wenn ich sie verneine, Putin. Andererseits: Wenn man dem US-Journalisten Craig Unger („Trump in Putins Hand. Die wahre Geschichte von Donald Trump und der russischen Mafia“; Econ: Berlin 2018) folgt, steckt der eine (Trump), ja ohnehin im anderen (Putin), nach Art der russischen Maruschka-Puppen. Mit – aktuell – Putin oben auf. Denn niemand hat unmittelbar vor und natürlich während des noch laufenden Überfalls auf die Ukraine derart viel gelogen wie dieser Lügenbaron des Jahrgangs 1952 (abgesehen vom letzten dieses Formats vom Jahrgang 1889).

Einige Beispiele: Mindestens 30 Labore für Bio- und Chemiewaffen habe man in der Ukraine entdeckt, konnte in letzter Minute den „Neo-Nazis und Drogensüchtigen“ in Kiew das Handwerk legen – und, natürlich, der Klassiker, am 10. März von Lawrow („His masters voice!“) in Antalya zum Vortrag gebracht: „Wir haben die Ukraine nicht angegriffen!“ So betrachtet ist Putin aktuell der noch bessere Trump – noch konsequenter lügend des eigenen Machterhalts wegen, sich den Staat als Beute sichernd, schrittweise auch die Presse und die Medien, vor allem aber, woran bei Trump zum Glück nie zu denken war: unbesorgt als der agierend, dessen Metier Trumps Nachfolger Joe Biden auf die einfache Formel „Killer!“ brachte. Inzwischen wissen wir alle und haben es sprachlos zur Kenntnis nehmen müssen, dass dieses Urteil dringend der Ergänzung bedarf um die Vokabel: „Kriegsverbrecher!“ Was aber folgt daraus für unsere Ausgangsfrage? Nun, hoffentlich doch und diesmal für alle Zeiten: „Nie wieder! Nie wieder Krieg! Nie wieder Diktatur! Nie wieder Fanatismus!“ Deswegen, in Fortsetzung der hier am 28. März präsentierten Abrechnung mit den Putinizern in und der neben der AfD, eine weitere mit jenen nützlichen Idioten Putins, die, wie Michael Klonovsky (Beinahe-AfD-Bundestagsabgeordneter für Chemnitz 2021) im Sommer 2018, aus Moskau kommend, ihr „Pionierehrenwort“ (oh Gott!) dafür einlegten, dass mit der Krim (und dem Abschuss eines holländischen Passagierflugzeugs?) Putins Hunger gestillt sei. Nach diesem Zitat aus dem folgenden Text nun dieser selbst, unverändert und nicht-kursiviert, auf dem Stand Sommer 2021.

Von Christian Niemeyer

Donald Trump ist Geschichte – aber nicht der Trumpismus, wie in KW 5/2021 deutlich wurde, als die neu ins Repräsentantenhaus gewählte Republikanerin Marjorie Taylor Greene, als „Trump auf Stöckelschuhen“ nicht unzutreffend beschrieben, in einer Fraktionssitzung das Wort ergriff und der Redakteur der Schaumburger Zeitung vermutlich einige Mühe walten lassen musste, nicht in haltloses Lacher zu verfallen, als er Folgendes niederlegte:

„Die Frau behauptet, dass satanische Demokraten und Hollywoodgrößen einen Kindesmissbrauchsring betreiben. Sie unterstützte einen Aufruf zur Exekution von Parlamentssprecherin Nancy Pelosi. Das Schulmassaker in Portland wurde nach ihren Angaben von Waffengegnern inszeniert, und die Waldbrände in Kalifornien, so behauptete sie, seien von einer jüdischen Bankiersfamilie mit einem Laser aus dem Weltall entzündet worden.“ (SZ Nr. 030 (259) v. 5. Februar 2021: 2)

Wie man sieht: Alles ist normal, von Trump aus betrachtet. Und: Es bedarf nicht Trumps persönlich, um Irrsinn dieser Art abzusetzen – Trumpismus reicht vollkommen, vorerst beschreibbar als Gefühl nach vier Jahren Irrsinnsberieselung à la Trump, derlei müsse dann wohl normal sein und alles daneben daneben und alles davor verrückt. Wie aber lässt sich Trumpismus, dieses fürwahr etwas extrem geratenes Beispiel in den Hintergrund drängend, beschreiben? Und wie die Geschichte desselben?

Mein Vorschlag wäre, das im „Stöckelschuh-Beispiel“ dominierende Muster – Fake News – in ein definierendes Merkmal zu verwandeln und etwas zu vereinfachen, etwa in Gestalt der Vokabel ‚Lüge‘, die ja durchaus biblischen Zuschnitts ist, insofern sie von alters her als verpönt gilt und als strafbewehrt, sei es in Gestalt der Strafe Gottes, des weltlichen Richters oder des häuslichen Vaters resp. der Mutter, der Tante, des Nachbarn, des Geschwisterchens, der Lehrerin resp. dem Lehrer resp. das Lehrer, sorry, ich wollte sagen: das Buch, die Heilige Schrift mit einbegriffen. Derart viele Ermahner, Ermahnerinnen, allgemeiner: derart viel Ermahnendes also musste Majorie Taylor Greene in den Wind schlagen, allein ihres Auftritts in der konstituierenden Sitzung ihrer Fraktion im Repräsentantenhaus wegen – immerhin auch eine Leistung, die fast in die Nähe von Zivilcourage rückte, wäre da nicht der Zweifel, ob es dieser Dame nicht auch ein wenig ums Aufmerken Dritter gegangen wäre. Insoweit kommen wir mit Überlegungen dieser Art nicht recht weiter, können nur als weitgehend gesichert betrachten, dass die Lüge offenbar in den letzten Jahren einen Imagewandel sondergleichen hingelegt hat, beinahe einen Seitenwechsel weg vom Verpönten hin zum Erstrebenswerten. Mit dem uns noch genauer (s. Glosse Nr. 18) beschäftigenden Ergebnis, dass sie es im April 2029 bis in ein Schlafzimmer in Greifswald schaffte. Bei dieser Gelegenheit vertiefend erörtert und hier schon einmal im ersten Grundzug: Von wem ausgehend erfuhr die Lüge diesen Imagewandel?

Nun, mein anderer Vorschlag wäre, es mal mit Trumps Vor-Vor-Gänger George W. Busch zu versuchen, mit dem Ziel, der republikanischen Trumpismus als Folge des durch Busch freigesetzten Machiavellismus zu deuten. Etwas ausführlicher geredet: Die USA haben sich im Sog des Schocks von nine/eleven, namentlich des spektakulären Anblicks der einstürzenden Twin Towers in New York vom 11. September 2001 mit über 3.000 Toten infolge von Flugzeugeinschlägen, die erst im Nachhinein als islamistische Terroranschläge dechiffriert werden konnten, unter dem damaligen US-Präsidenten George W. Busch aus Desinteresse an einer aufklärenden, sozialwissenschaftlichen Erklärung zu einem Paradigmenwechsel entschlossen, den beispielsweise Hajo Funke (2003) unter der Headline Der amerikanische Weg rekonstruierte. Ein Essential dieses Weges, bei dieser Rekonstruktion ins Zentrum gerückt (vgl. Funke 2003: 10 ff.): Dem Bösen wurde fortan die Rechnung präsentiert, nach dem vom US-Soziologen Michael Butter beschriebenen Muster:

„Für viele ist es leichter, dass ein Bösewicht die Strippen zieht, als dass man gar nicht weiß, was vor sich geht.“ (zit. n. Sp. Nr. 21/16.5.2020: 32)

Das damit skizzierte Narrativ des Bösen kam, was Deutschland angeht, erneut zur Aufführung ein gutes halbes Jahr später im Zusammenhang des Erfurter Amokläufers Robert Steinhäuser – mit achtzehn Opfern, zumeist Lehrern –, ein auch durch Lehrerversagen in die Verzweiflung getriebenen Schüler, der in der maßgeblichen veröffentlichten Meinung fast schon als ‚Schläfer‘ nach Art der nine/eleven-Killer ausgelegt wurde und jedenfalls als gleichsam anlasslos böse galt, auch, weil sich auf diese Weise die Zurechnung der Schuld auf andere, etwa Lehrer, Mitschüler und Eltern vermeiden ließ (s. Essay Nr. 1) – so, wie Busch eines jedenfalls nicht wollte: Eine Diskussion mit dem schockiert vor dem Fernseher sitzenden US-Teenager der white-collar-Szene. Dieses Interesses wegen nicht sozialwissenschaftlich ausgewiesen antworten zu müssen, entschloss sich Busch namens der Mehrheit der US-amerikanischen Väter, die Karte mit der Überschrift „Das Böse“ auszuspielen, mit Nordkorea einerseits und Bagdad anderseits, jeweils verortet auf der „Achse des Bösen“, was wenig austrug in Sachen der Motivklärung und für einen unüberwindbaren Graben sorgte zwischen Opfern und Tätern.

Zusammen mit dem damals erstmals im großen Maßstab genutzten Instrument der Fake News, genutzt insbesondere im Zusammenhang der legendären „smoking gun“, die man insbesondere im Irak bei Saddam Hussein ausgemacht habe, waren damit die Grundlagen gelegt für den offen völkerrechtswidrigen Busch/Blair-Krieg, dem von deutscher Seite aus Gerhard Schröder – sein bleibendes Verdienst – widersprach, anders übrigens als seine spätere Nachfolgerin Angela Merkel. Die Folgen dieses Krieges waren fürchterliche und ließen den Nahen Osten geradezu explodieren, haben zur Zerstörung des Irak und infolge einer „umstrittenen Besatzungspolitik letztlich zum Entstehen des Islamischen Staats beigetragen.“ (Funke/Nakschbandi 2017: 78) Langfristig ist als Kollateralschaden, zumal unter Donald Trump, die fast völlige Erosion des nun einmal von ganz oben, durch Busch/Blair, verratenen Moral- und Wertesystems des Westens, insbesondere des biblisch zentralen Lügeverbots, zu notieren, dies weltweit, sei es durch Putin (s. Glosse Nr. 3) und sein zur Staatsdoktrin erhobenes völkerrechtswidriges Vorgehen auf der Krim und in der Ukraine samt nachfolgendem Lügenmanagement mit ansteckender Wirkung auf Nordkorea; sei es, siehe Dieselgate, durch die leider etwas zu freie Wirtschaft. Und dies alles zur irgendwie passenden Hintergrundmusik aus Übervölkerungsängsten, Klimakatastrophe und kriegsbedingten Flüchtlingsbewegungen. Nicht zu vergessen: Dies gleichsam als Ende einer Epoche, die mit dem Versprechen an die Menschen weltweit begonnen hatte, was nun, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks, folge, sei eine Ära des ewig währenden Friedens und des Wohlstands, der berühmten ‚blühenden Landschaften‘ Helmut Kohls also.

Das Gegenteil ist aktuell zu beobachten, unter autoritären, rechtspopulistischen und islamophoben Regimes auf der ganzen Welt, sei es in Brasilien, Ungarn, Polen oder Belarus, bei Hintanstellung globaler Gefahrenbekämpfung vor dem Hintergrund des Klimawandels zugunsten nationaler Stärkemetaphern. Mittenmang dabei: Die AfD, etwa in Gestalt von Markus Frohnmaier, Sprecher von Alice Weidel mit pro-russischem Zuschnitt und Zustimmung zur Annexion der Krim durch Putin. 2014 gründete er, inzwischen MdB, die Jugendorganisation der AfD („Junge Alternative“) und trug dort den Spitznamen „Frontmaier“, wohl wegen Sätzen wie (aus einer Rede vom 28. Oktober 2015 in Erfurt):

„Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk […] gemacht.“ (zit. n. Bensmann 2017: 112)

Russlandfreunden wie diesem stramm zur Seite stehend: Michael Klonovsky. Der am 30. Juni 2018, also pünktlich zu Beginn seines neuen Jobs bei Alexander Gauland und als käme er direkt aus Moskau, sein „Pionierehrenwort“ dafür einlegte, dass die Russen andere Gebiete „nicht mehr annektieren wollen“, aber sich die Krim „aus geostrategischen Gründen nicht wegnehmen lassen [konnten], schon gar nicht von einem Land, das mit der NATO liebäugelt.“ (Klonovsky 2019: 312) Ein Präventivkrieg also, wenn man so will – was weitergedacht und den Denkfehler Klonovskys sichtbar gemacht, eigentlich auf einen veritablen und in Moskau gar nicht gern gehörten Putin/Hitler-Vergleich hinausläuft. Und, aus gegenteiliger Perspektive bedacht, den Kampf gegen rechts weltweit beinahe schon aufwertet zu einem von überlebenssichernden Rang. Was uns wiederum eine gewisse Unduldsamkeit abverlangt gegenüber ebenso gebildeten wie sprachbegabten Demagogen wie Klonovsky, den auf die Couch zu legen sich einiges in mir sträubt, selbst wenn uns die Vokabel ‚polnischer Selbsthass‘ hier, wie noch zu zeigen sein wird (s. Essay Nr. 11), eine gewisse Orientierung verleiht.

Daraus folgt indes wiederum nicht, die (individual-)psychologischen Aufschlüsse, die uns Trumps Wahlniederlage gibt, seien gering zu achten. Um ganz oben, beim Chef, zu beginnen: Geschichte ist, an sich seit November 2020, eine Person, die schon 2017 Schwierigkeiten offenbarte, nach dem Tod einer in Charlottesville von einem Neonazi überfahrenen Gegendemonstrantin deutlich „zwischen bekennenden Rassisten und deren Gegnern [zu] unterscheiden.“ (Wolff 2018: 437) Und dessen dem durchaus kompatibler letzter Joke in seiner ersten Wahlkampfdebatte Ende September 2020 mit Joe Biden auf Proud Boys lautete und mit seiner Ausrede anderntags ausklang, er wisse gar nicht, wer diese ob ihrer Erwähnung in jener Sendung jubilierende, 2018 vom FBI als extremistisch eingeordneten neo-faschistische Schlägertruppe sei, die er aufgefordert hatte, sich am Wahlabend „bereit zu halten“, sollte die Mehrheit gegen ihn laufen. Dass diese Botschaft auch andernorts wahrgenommen wurde, zeigte sich gut zehn Tage später, als Mitglieder der Wolverine Watchmen aufflogen, die, im Nachgang wohl zu dieser Bemerkung aus jener Wahlkampfdebatte und einer Aufforderung Trumps per Twitter vom April 2020, Michigan „zu befreien“, eben dies intendierten, insofern sie planten, die wegen ihrer Corona-Maßnahmen zuvor von Trump heftig kritisierte dortige demokratische Gouverneurin Gretchen Whitmer zu entführen, um ihr einen Prozess wegen Verrat zu machen. Im Oktober 2020 wurden in dieser Sache mehrere Mitglieder der regierungsfeindlichen Boogaloo Bois angeklagt. (SP Nr. 4/23.1.2021) Gut, so gesehen, dass Trump, der schon jene Proud Boys als ihm nicht bekannt ausgewiesen hatte, in Sachen Wolverine Watchmen ähnlich argumentierte. Stimmen beide Ausreden – was man zunächst einmal zugunsten Trumps annahm, ersatzweise er sich der Aufforderung zum Bürgerkrieg schuldig hätte sprechen lassen müssen –, wäre an sich auf Unzurechnungsfähigkeit zu erkennen, geltend zu machen auch für noch einmal zehn Tage vorgetragene Beschimpfung Whitmers, die das Publikum animierte zu skandieren: „Lock her in! Lock them all in!“

Wer dachte, dies sei nicht mehr zu toppen, wurde durch Trumps Kommentar zu einer Geländewagen-Attacke auf Bidens Wahlkampfbus in Texas (am 2.11.2020) eines Besseren belehrt: „I love Texas!“ Ehe der ultimative Schock kam, also der 6. Januar 2021, der Sturm auf das Kapitol in Washington D.C., ausgehend von einem analogen Spruch: „I love Pennsylvania Avenue!“ Gemeint war damit jene vom Weißen Haus in Richtung Kapitol weisende legendäre, insgesamt elf Kilometer lange Straße in Washington D.C., die Donald Trump seine Anhänger an jenem fatalen Januartag 2021, vor dem Kapitol redend, zu gehen wies. „Pennsylvania Avenue“ kennt der Kinobesucher aber auch von einer überlangen Schnittsequenz auf ein Straßenschild, mit dem Kapitol im Hintergrund, aus dem Thrillers Arlington Road (1999). Der Hintergrund: Diese Straße ist in etwa von diesem Abschnitt an seit dem Oklahoma City Bombing vom 19. April 1995 (verschärft seit nine/eleven) für den Autoverkehr gesperrt – ein dezenter Hinweis also darauf, dass dieser geniale Thriller (mit Jeff Bridges und Tim Robbins in den Hauptrollen) zwar seinem Skript nach von einem ganz anderen, fiktiven Anschlag auf ein FBI-Gebäude handelt, aber durchaus als Anspielung auf jenen 1995er Anschlag mit 168 Toten und mehr als 800 Verletzten verstanden werden kann, also auf den schlimmsten Anschlags in den USA vor nine/eleven. Was aber hat dies mit Trump zu tun?

Vordergründig nichts, wäre da nicht der wenige Monate vor nine/eleven hingerichtete Attentäter Timothy McVeigh, ein Golfkriegsveteran mit posttraumatischer Belastungsstörung. Er wurde offenbar, wie auch Anders Breivik, inspiriert vom (verbotenen) S/F-Roman The Turner Diaries des US-Naziführers William Pierce (1933-2009), von dem ausgehend, wie Gideon Botsch (2012: 109) sowie Tanjew Schultz (2018: 260 f.) gezeigt haben, eine Spur weist bis hin zu den NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Eine Nebenspur, gewiss, deswegen vorerst zurück auf die Mainstreet: McVeighs via Pierce belehrter toxischer Rassismus (und Antisemitismus) muss im Kontext der geistigen Lage der USA der 1960er Jahre als Symptom verbucht werden, etwa auch mit Seitenblick auf die Attentate auf die Kennedys, aber auch auf Martin Luther King, des Weiteren auf den Rassismus des Präsidentschaftskandidaten George Wallace. Summarisch zu gedenken ist in diesem Zusammenhang auch der rechte, sowohl antiintellektualistische als auch antisemitische US-Protest gegen die Kritische Theorie à la Adorno & Co., in pejorativer Wertung, die Thomas Grumke in einer brillanten Studie von 2004 nachahmt: gegen eine „kleine Gruppe aus Deutschland geflohener jüdischer Philosophen“ (Grumke 2004: 177) – ein Widerstand, der seit den 1990er Jahren unter der von Trump rehabilitierten Losung „America first“ geführt wird.

So betrachtet scheint etwas transparenter als zuvor, was ‚Trumpismus ohne Trump‘ meint, und auch die Frage, wie die Sache speziell in Deutschland weitergehen könnte, wird allmählich beantwortbar, wobei es unbedingt hilfreich ist, den seit nine/eleven zügig in Mode gekommenen Machiavellismus in der Politik zumal des Bush/Blair-Lagers zu beachten, also die in Il Principe (1532) aus der Feder Niccoló Machiavellis niedergelegte Lehre, dass – zitiert wird hier aus dem (neu-rechten) Staatspolitischen Handbuch des IfS – „die Selbsterhaltung des eigenen Gemeinwesens zentrale Norm politischen Handelns sein muß und in bestimmten Situationen auch ein (nach herkömmlicher Auffassung) amoralisches Handeln erfordert.“ (SH 2: 89) Dieses Zitat stammt vom neu-rechten Historiker Hans-Christof Kraus, schon vor seinem Ruf nach Passau (2007) einer der rührigsten Mitarbeiter an Caspar von Schrenck-Notzings Lexikon des Konservatismus (1996), in welchem sich aus der Feder von Johannes Rogalla von Bieberstein folgende Bestimmung findet zum Lemma Verschwörerthesen:

„Sie sind nicht gekennzeichnet durch unparteiisches Erkenntnisstreben, vielmehr sind sie interessengebundene Instrumente des politischen Kampfes, dienen der Mobilisierung der eigenen Parteigänger und der Stigmatisierung der Gegner. Soweit sie nicht in machiavellistischer Weise hergestellt und gehandhabt werden, sind sie ein ins Aggressive gerichteter Ausdruck der Angst, die in Krisen aus einer realen vielfach zu einer wahnhaft-neurotischen wird.“ (Rogalla von Bieberstein 1996: 574)

Dies ist wunderbar treffend auf den Punkt gebracht und sei hier zumal unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, dass ausgerechnet ein Rechtspopulist, wiederum unter Berufung auf Machiavelli, das Betriebsgeheimnis aller heutigen Verschwörertheorien sowie aller damaligen und noch kommenden Fake-News-Propagandisten ausplaudert, sein eigenes eingeschlossen, und dieses lautet auf: Trumpismus ohne Trump ist möglich – quod erat demonstrandum.

Aber mehr als dies, gab doch das eben beigezogene Lexikon des Konservativismus von 1996 zusammen mit Schrenck-Notzings (Buch-)Nachlass den Nucleus ab für die Berliner Bibliothek des Konservatismus, die wiederum als Szenetreff der Neuen Rechten mit Hans-Christof Kraus als gerne gesehenen Gast gilt. Kein Wunder, gilt Kraus doch als Intimus Schrenck-Notzings, dieses 2009 verstorbenen, 2012 von Karlheinz Weißmann (SH 3: 207 ff.) zum neu-rechten Vordenker ausgerufenen konservativen Publizisten.[1] So betrachtet, aber auch im Blick auf die Politik der AfD, hat es mit Kraus’ auf Rogalla von Bieberstein rekurrierendes Mitbringsel von 2010, also mit der Idee, dass Machiavellis Der Fürst (so der deutsche Titel) als Schlüsselwerk der Neuen Rechten in Betracht kommt[2], durchaus etwas auf sich, wird doch so etwas Licht geworfen auf den Machiavellismus der neu-rechten Szene resp. der AfD insgesamt. Erklärbar wird so auch die Hochschätzung, die „amoralisches Handeln“ als Mittel der Politik in diesen Kreisen erfährt, „besonders seit nine/eleven“, soll heißen: Fake News sind keine Erfindung dieser Partei oder Donald Trumps, sondern eher schon eine solche von dessen Partei und seines Vor-Vor-Gängers, der auf seine Weise deutlich machte, dass nun ground zero erreicht sei, von dem ab alles anders werde und nichts mehr so sei wie früher.

Was man übrigens aktuell auch vom 24. Februar 2022 sagt. Wird dereinst also „two/twenty-four“ also genauso in aller Munde als „ground zero“ wie „nine/eleven“ in den ersten fünfundzwanzig Jahren dieses Jahrhunderts, nur weil ein Bekloppter in Moskau den Nachweis führen wollte, Trumpismus ohne Trump sei möglich, heiße aber korrekterweise „Putinismus“? Oder sollten wir besser, auch auf die Gefahr, uns den Zorn des „weißen Zaren“ einzuhandeln, „Putinismus“ durch „Neo-Stalinismus“ ersetzen? Sowie, demnächst in diesem Theater: Wo wird alles wohl enden angesichts der Nicht-enden-wollenden Freude der „Putinizer“ aus der AfD? Etwa nicht doch noch im Dritten Weltkrieg, den wir längst schon hätten, wenn alle (Frauen) so nahe am Wasser gebaut wären wie Marietta Slomka und alle (Männer) solche Chauvis wären wie der Möchtegern-Kanzler Friedrich Merz (CDU).

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer, Berlin. niem.ch2020@outlook.de

Bei den nicht-kursivierten Partien dieses Textes handelt es sich um den um den Schlusssatz gekürzten, ansonsten unveränderten Wiederabdruck des gleichnamigen Kapitels (S. 126-132) aus meinem Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz). Weinheim (Juventa Beltz): München Basel 2021. Zitatnachweise dort, im dazugehörenden kostenlosen Online-Material.

 

[1] Kraus ist der historische Doktorvater von Benjamin Hasselhorn, als dessen theologischer Doktorvater Notger Slenczka fungierte, der, anders als Kraus und Hasselhorn nicht neu-rechts, sondern nur konservativ orientiert ist. Anstatt, wie Niklas Weber (2020), hierüber aufzuklären, erklärte Jan Fleischhauer unlängst das Ernstnehmen Karlheinz Weißmanns fast schon zu einem Testfall der Demokratie, andernfalls die „für das intellektuelle Klima in Deutschland“ typische „Selbstabschließung eines geistigen Milieus“ (Fleischhauer 2020: 204) forciert werde – ein, wie mir scheinen will, deutlich übertriebenes Argument, das, nebenbei, nicht nur Fleischmanns komplette Unwissenheit in Sachen der von Weber aufgedeckten Zusammenhänge offenbart, sondern auch dem Niveaus des von Weißmann substantiell Beigetragenen (wie im Verlauf dieses Buches deutlicher werden dürfte) nicht Rechnung trägt.

[2] Apart in diesem Zusammenhang, dass dieses Buch Nietzsche nur in dunkelsten Stunden, etwa beim Sammeln von Aufzeichnungen zu seinem vorübergehend geplanten Werk Der Wille zur Macht als (gleichfalls) „böses Buch […], schlimmer als Machiavelli“ (IX: 241), Vorbild war. (vgl. Essay Nr. 4)