Der Preis bleibt heiß

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Israel ist teuer. In kaum einem anderen Land sind die Lebenshaltungskosten derart hoch wie in Tel Aviv oder Haifa. Nun versucht die Regierung gegenzusteuern. Ob das angesichts weltweit explodierender Transport- und Rohstoffpreise funktioniert, steht auf einem anderen Blatt.

Von Ralf Balke

Erst einmal die gute Nachricht. Anfang März verkündete Carrefour, dass man auf dem israelischen Markt einsteigen möchte. Von 150 Filialen ist die Rede, die der französische Supermarkt-Gigant zwischen Kiryat Shmonah und Eilat eröffnen will. Viele der geplanten Standorte gehörten zuvor den einst populären Ketten Mega und Yeinot Bitan. „Das käme einer Revolution im israelischen Einzelhandel gleich“, so ein namentlich ungenannter Insider aus der Branche gegenüber dem Portal Ynet. „Dieser Schritt dürfte alle Spielregeln verändern, die bisher für den Markt galten.“ Denn Importwaren werden entweder direkt über einen lokalen Vertreter oder einen Exklusivimporteur bezogen, die alle den Preis anschließend selbst bestimmen können, weshalb ein Wettbewerb so gut wie gar nicht stattfindet. Zwei Beispiele: Colgate Zahnpasta kostet in Tel Aviv mitunter das Dreifache wie in Berlin und ein Deo-Roller von Nivea sogar fast das Vierfache. Dabei müssten die aus dem Ausland bezogenen Artikel derzeit so günstig sein wie noch nie. Denn der Schekel hat im Vergleich zum Dollar und Euro in den vergangenen Monaten deutlich an Wert gewonnen, weshalb die israelische Währung als eine der härtesten derzeit Schlagzeilen macht und Importwaren für weniger Geld zu haben sein sollten, was aber nicht der Fall ist.

Die Franzosen wären dann die Gamechanger. „Viele beliebte Markenprodukte dürften direkt über Carrefour ins Land gebracht werden“, heißt es bei Ynet weiter. Und das könnte einen Einfluss auf die Preise haben, weil Carrefour diese letztendlich deutlich günstiger anbieten würde – von 20 Prozent unter dem, was beispielsweise bei Shufersal oder Rami Levi verlangt werde, ist die Rede. Finanzkräftig genug jedenfalls wäre der Supermarktbetreiber, um in Israel den großen Auftritt zu wagen. Mit über 1.300 Filialen in 47 Ländern ist man das achtgrößte Einzelhandelsunternehmen in der Welt und verzeichnet einen Umsatz von 82 Milliarden Euro, was ungefähr dem 6,8 fachen des Volumens des gesamten Markts für Lebensmittel in Israel entspricht.

Doch bis Carrefour in Erscheinung treten wird, dürfte es noch eine Weile dauern. Also werden die Israelis erst einmal weiterhin Preise für ganz banale Artikel des täglichen Bedarfs zahlen müssen, die es in sich haben. Laut einer aktuellen Studie von money.co.uk gibt es nur fünf Länder auf der Welt, wo der Gang zum Supermarkt noch teurer ausfällt, und zwar die Schweiz, Südkorea, Norwegen, Island und Frankreich. So muss Moshe-Normalverbraucher pro Woche und Person für Lebensmittel im Regelfall rund 28,45 Dollar berappen und damit einiges mehr als die Konsumenten in den Vereinigten Staaten, Dänemark oder Kanada. Nur verdienen in all diesen Ländern die Menschen auch deutlich mehr Geld als in Israel, was die Sache zusätzlich verkompliziert. So beträgt laut der Studie das Durchschnittseinkommen in Israel 3.277 Dollar, in der Schweiz aber 5.402 Dollar und in Island sogar 5.624 Dollar.

Die absurd hohen Lebenshaltungskosten in Israel lassen sich vor allem auf die Existenz einiger Monopole zurückführen, die dafür sorgen, dass es nur einen simulierten Wettbewerb auf dem Markt gibt. So dominieren nicht nur wenige Handelsketten, die untereinander regelmäßig Preisabsprachen treffen und eigentlich gegen geltendes Kartellrecht verstoßen. Auch gibt es nur fünf Produzenten, die aber knapp die Hälfte der in Israel produzierten Lebensmittel herstellen, und zwar Tnuva, Coca Cola, Elite-Strauss sowie Osem und Telma-Unilever. Der Rest verteilt sich auf ungefähr 1.108 kleinere und mittlere Betriebe. Und diese Big Five können aufgrund ihrer Marktmacht verlangen, was sie wollen, weil sie quasi Monopolisten sind. Zum Beispiel das Unternehmen Tnuva, das 71 Prozent der in Israel konsumierten Milch herstellt sowie 91 Prozent der Butter. Und die israelische Coca Cola-Niederlassung produziert nicht einfach einfach nur Koffein-haltige Limo, sondern ihr gehört auch die Marke Tara, also der zweite große Player für Milchprodukte im Land, Neviot Mineralwasser sowie Prigat Fruchtsäfte. Oder anders ausgedrückt: 90 Prozent des Cola-Markts und 43 Prozent aller in Israel verbrauchten Getränke, was dann auch erklärt, warum zwei Liter Orangen-Direktsaft schon mal umgerechnet acht Euro und mehr kosten können. Last but not least beträgt der Anteil von Elite-Strauss auf dem Markt für Kaffee ebenfalls satte 78 Prozent, weshalb auch der einfachste Instant-Kaffe nur zu Mondpreisen über die Ladentheke geht. Zudem existieren in Israel mit wenigen Ausnahmen keine Handelsmarken, die günstiger sind, deren Anteil in Deutschland oder Frankreich zum Beispiel bei rund 40 Prozent liegt. Und kauft man als Supermarktbetreiber dann doch irgendwo einmal günstiger ein, werden die Differenzen im Preis nicht an die Verbraucher weitergegeben, sondern in die eigene Tasche der Unternehmen umgeleitet.

Wie diese Platzhirsche agieren, um den Wettbewerb auszuhebeln, das exerzierte die Central Bottling Co. von Dudi Wertheim, die Coca Cola in Israel in Lizenz herstellt, kürzlich vor. Das Unternehmen wollte Druck ausüben, dass angefangen von Convenience Stores bis hin zu einigen Supermärkten exklusiv nur noch ihre Produkte verkauft werden dürfen und nicht mehr die der Konkurrenz. Für diesen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht wurde die Central Bottling Co. von Israels Kartellbehörde 2017 mit einer Strafe bedacht, die mit umgerechnet 20 Millionen Dollar jedoch sehr moderat ausfiel. Oder es gibt einfach keine nennenswerte Konkurrenz, die dafür sorgt, dass man nicht einfach jeden Preis verlangen kann wie im Fall der omnipräsenten Drogeriemarktkette Superpharm. Israelis, die nach Polen reisen, merken plötzlich, dass selbst Produkte der Hausmarke „Life“ dort mitunter zwei Drittel weniger kosteten als in Tel Aviv oder Jerusalem. Die Erklärung dafür sind nicht einfach nur Währungsunterschiede, sondern die Existenz von anderen Playern auf dem polnischen Markt, die dafür sorgen, dass Superpharm beim Preis konkurrenzfähig sein muss, also billiger.

Und es regt sich langsam Widerstand. Bereits im November hatte das Komitee für wirtschaftliche Angelegenheiten der Knesset die Chefs der großen Supermarktketten und einige Importeure von Lebensmittel eingeladen, damit sie mal erklären, warum sie bei der Gestaltung der Preise in ihren Läden so unverschämt zuschlagen würden. Als Osem und andere Hersteller schließlich Anfang des Jahres Preisaufschläge von bis zu 20 Prozent verlangten, war der Unmut kaum noch haltbar. Selbst Politiker der Regierungskoalition riefen zum Boykott auf. „Israelis sollten diesen Monat keine Osem-Produkte kaufen“, so der Knesset-Abgeordnete Michael Biton Ende Dezember. Und Finanzminister Avigdor Lieberman sowie Industrieministerin Orna Barbivai kündigten Ende Januar Maßnahmen an, wie sie die Unternehmen zu mehr Wettbewerb zwingen wollen. Wenige Tage später dann wartete die Regierung mit einem Plan auf, wonach die Verbraucher um über 1,3 Milliarden Dollar entlastet werden sollen. Zum einen sollen die Steuern für Familien mit Kindern im Alter von sechs bis zwölf Jahren gesenkt werden, zum anderen die Preise für Energie, Nahrungsmittel, aber auch für Hygieneartikel oder sogar Möbel gedrückt werden. Dies soll vor allem durch die Senkung von Einfuhrzöllen in bestimmten Bereichen sowie die Erleichterung für Importgenehmigungen erreicht werden.

Einigen gehen diese Maßnahmen noch nicht weit genug. So forderte Elise Brezis, Wirtschaftsprofessorin an der Bar Ilan-Universität, dass alle Quoten und Zolltarife zur Disposition gestellt gehören, und zwar radikal. Ihr Argument: „Sie führen oftmals zu einer Verteuerung der Produkte von 40 bis 80 Prozent.“ Das wäre für sie ein erster wichtiger Schritt. „Und er ist relativ einfach umzusetzen und zeigt sofort Wirkung.“ Oftmals dienen diese nur dem Schutz heimischer Hersteller, die ohnehin in einem wettbewerbsintensiveren Umfeld schlechte Karten hätten. Kein Wunder also, dass Israels Landwirte sofort auf Barrikaden gingen, als Lieberman die vereinfachte Einfuhr von Agrarprodukten ins Spiel brachte. Auch andere Experten fordern einen Abbau der Importhürden. „Man muss unzählige Formulare ausfüllen“, so Michael Sarel, ein ehemaliger Volkswirt im Finanzministerium, gegenüber dem Jewish News Syndicate. „Es gibt eine Menge Bürokratie und viele unnütze Vorschriften.“ Kleinere Importeure schaffen es so nie, sich durch den Dschungel der israelischen Bürokratie zu kämpfen und kostspielige Prüfverfahren zu durchlaufen. „Wussten Sie, dass wir in Israel eine andere Norm für Teebeutel haben als Lipton? Das ist absolut lächerlich“, so Sarel. „Der einzige Grund dafür ist, dass der israelische Produzent Wissotzky genau diese Barriere zum Schutz brauchte. Es gibt also eine Norm, die eigens für Wissotzky geschaffen wurde.“

„Jetzt wäre also ein guter Zeitpunkt, um zu sagen: Schluss mit den nationalen Standards – denn sorry – wir können darauf vertrauen, dass die EU-Standards in Ordnung sind“, so Brezis. Zwar hätte man dank diverser Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union oder den Vereinigten Staaten einige davon abgebaut, aber noch lange nicht genug. Hinzu kommen Subventionen, vor allem in der Landwirtschaft sowie andere Hindernisse. „Es gibt ein Kartell für Eier“, berichtet Brezis. „Und eines für Gemüse. Es gibt ein Kartell für Milch. Für praktisch jedes landwirtschaftliche Produkt gibt es eine Art Kartell. Und diese müssen nicht mit den Importen konkurrieren, weil die Einfuhren sehr beschränkt sind. All das verteuert natürlich die Lebensmittel.“

Reformen seien schwierig, weil die Agrarlobby in der Knesset sehr mächtig sei und sich schnell organisiere, sagt auch Sarel und fügt hinzu: „Jetzt sind Reformversuche im Gespräch, und es sieht ganz so aus, als gäbe es eine gewisse Chance, dass sie erfolgreich sein werden.“ Doch alle Maßnahmen, die dazu führen könnten, dass die Lebenshaltungskosten in Israel irgendwie gedeckelt werden können, drohen gerade obsolet zu werden. Grund dafür ist der Krieg in der Ukraine. Nicht nur die Transportkosten dürften deshalb in die Höhe schießen. Aufgrund ausfallender Weizenlieferungen und anderer Engpässe explodieren schon jetzt die Rohstoffpreise. Und die werden letztendlich dann auch die israelischen Verbraucher zu spüren bekommen.

Bild oben: Mega Supermarkt in Kirjat Atidim, (c) Ori / Wikicommons