Rechte(s) von A-Z

0
87
Udo Ulfkotte, (c) Christliches Medienmagazin pro / CC BY 2.0; Michael Vogt, (c) Persilrein / CC BY-SA 4.0

Folge 19: U / V bis Voigt, Michael

Von Christian Niemeyer

Dieses Lexikon gibt Informationen in kompakter Form sowie weitergehende Literaturhinweise, basierend auf Forschungsliteratur sowie allgemein zugänglichen Nachschlagewerke, zumeist in Printversionen. Internetquellen, etwas das Belltower-Lexikon sowie Wikipedia, wurden konsultiert. Ersteres ist aber zu unspezifisch und im Übrigen schlecht aufgebaut und unvollständig. Letzteres ist zu spezifisch, mitunter unzuverlässig. Das Handbuch Rechtsradikalismus (2002) von Thomas Grumke & Bernd Wagner setzte in beiden Hinsichten neue Maßstäbe. Es hat nur einen Nachteil: es ist zu alt, im Vergleich zum im Folgenden dargebotenen Material (Redaktionsschluss: Juli 2021), das ab jetzt auf hagalil.com in mehreren Folgen erscheinen wird und dem Online-Anhang meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte (2021) entnommen wurde. Am Ende eines jedes Eintrags finden sich in eckigen Klammern in Fettdruck die Seitenzahlen, auf denen die jeweilige Person oder Sache in der Printversion erwähnt wird. Damit gewinnt dieses Lexikon den Charakter eines Sach- und Personenregisters im Blick auf jene Printversion. Literaturhinweise finden sich in jenem kostenlos auf der Homepage des Verlags Beltz Juventa (Weinheim) als Download verfügbaren Online-Material.

Udet, Ernst (1896-1941), aus Frankfurt/M. Jagdfliegerass des Ersten Weltkriegs, danach Kunstflieger. Von seinem Fliegerkameraden Göring protegiert. 1935 Oberst im Reichsluftfahrtministerium, 1939 Generalluftzeugmeister der Luftwaffe, Suizid des beruflich überforderten Alkohol- und Pervitin-Süchtigen n. Streit m. Göring u. Hitler. (vgl. Zuckmayer 1946; Klee 2003: 633; Knopp 2006: 155 ff.; Härtel-Petri / Haupt 22015: 22) [660] 

 

Uhle-Wettler, Franz (1927-2018), aus Eilsleben. Flakhelfer 1943, Seekadett, Kriegsgefangenschaft bis Dez. 1947, Bergarbeiter 1948-1956, Studium, Offizier, zuletzt Kommandeur der NATO-Verteidigungsakademie in Rom (vgl. Harvey/Uhle-Wettler 2004: 287). Geschichtsrevisionistischer Militärhistoriker, m. Veröffentlichungen u.a. in Zeitschriften wie Die Aula, Criticón und Junge Freiheit sowie in Verlagen wie Ares sowie Leopold Stocker. Wichtig für die NS-Apologie von Gerald Franz im von Erik Lehnert und Karlheinz Weißmann herausgegebenen Staatspolitischen Handbuchs, Bd. 4 (2014): U.-W.s Beitrag Kreta 1941 (2004), stammend von einem Autor, den „lebenslange Abschottung vor einer längst einsehbaren Wahrheit“ sowie „totale innere Beziehungslosigkeit zur Welt der Opfer“ (Giordano 2000: 90) charakterisiert. (s. Essay Nr. 13.3.5) [401-403, 406, 452]

 

Ulfkotte, Udo (1960-2017). Journalist bei der FAZ (1986-2003), ab 2008 Autor beim rechten Kopp Verlag, hohe Auflagen durch enthemmte, extrem aggressive Sprache mit ausgeprägt rechtspopulistischen Duktus von Typ Hate Speech, im erkennbaren Bestreben, den Erfolg von Thilo Sarrazin noch zu toppen. (s. Prolog Nr. 7) Sein allerletztes Buch erschien posthum bei Antaios und gibt damit einen Hinweis für U.s Ansehen bei der Neuen Rechten. [35-37, 40 f., 50, 52 f., 57, 59-70, 73 f., 80, 82, 101, 106, 108 f., 113, 140, 250, 261, 484, 509, 632 f., 645, 648, 668, 674]

 

Uniter. 2016 gegründeter rechtsradikaler Verein aus Soldaten, Polizisten und privaten Sicherheitsleuten, der seit 2017 im Verdacht steht, Verbindungen zur rechten Szene zu haben und der deswegen beim BfV seit 2020 als „Prüffall“ gelistet wird. Mitbegründer Ringo M., Kriminalbeamter, war von 2015 bis 2019 für das LfV Baden-Württemberg tätig, soll aber seit Frühjahr 2019 nicht mehr Mitglied bei U. sein. U-Mitbegründer André S. soll unter dem Deckmantel „Hannibal“ im Blick auf den bei Verschwörungstheoretikern gängigen „Tag X“ Waffen gehortet haben. (SP Nr. 11/7.3.2020: 21)

 

Unternehmen Merkur. Am 25. April 1941 ordnete Hitler per Weisung Nr. 28 als „Stützpunkt für die Luftkriegführung gegen England im Ost-Mittelmeer […] die Besetzung der Insel Kreta vorzubereiten.“ (zit. n. Hubatsch 1983: 115) Diese mitten in die Vorbereitungen des Überfalls auf die Sowjetunion („Barbarossa“) fallende Entscheidung im Blick auf eine damals noch von britischen, australischen und neuseeländischen Truppen besetzten Insel nach einem Plan des 1947 wg. Kriegsverbrechen auf dem Balkan erschossenen Generalobersten Alexander Löhr (vgl. Ganglmair 1998) war überaus riskant, und führte zu hohen Verlusten unter den deutschen Soldaten, darunter 10.000 Fallschirmspringer, sowie den 42.640 Mann der Alliierten, darunter 11.000 Griechen. Alfred de Zayas: „Auf englischer Seite wurden rund 4000 Soldaten und Matrosen getötet, rund 12000 fielen in deutsche Gefangenschaft […]. Auf deutscher Seite fielen ebenfalls rund 4000 Soldaten und Matrosen.“ (Zayas 61998: 262) Im Folgenden notierte Zayas in Auswertung des Berichts der WUST zahlreiche alliierte Kriegsverbrechen, ohne diesen Bericht als Teil deutscher Propaganda zu beachten oder das von Deutschen verübte Massaker in Kondomari am 2. Juni 1941 zu erwähnen. Ähnliches gilt für Gerald Franz 2014 im Staatspolitischen Handbuch des IfS, in Nachahmung der diesbezüglichen Geschichtsklitterung neo-nationalsozialistischer Autoren. (etwa Uhle-Wettler 2004) (vgl. Niemeyer 2021d; s. Essay Nr. 13.3.2) [404-406]

 

Venohr, Wolfgang (1925-2005). Journalist und Schriftsteller, meldete sich mit 16 Jahren freiwillig zur Waffen-SS, 1974 drei-teilige Serie für Stern TV über die Waffen-SS, die als geschichtsrevisionistisch kritisiert wurde. 1983 Zusammenarbeit mit Alfred de Zayas zwecks ARD-Doku über die Kriegsverbrechen der Deutschen. In der Summe gilt V. SPDlern als Rechtsradikaler, Neu-Rechten hingegen als Idol, das sie, wie Thorsten Hinz meint, mit Günther Grass auf eine Stufe stellen können und mit dem sie, via Karlheinz Weißmanns Zayas, die deutschen Kriegsverbrechen und insbesondere jene der Waffen-SS bagatellisieren können, nach der Methode Erik Lehnert. (s. Essay Nr. 13.3.5) [426, 439]

 

Versailler Vertrag. Am 28. Juni 1919 von Deutschland in Versailles unterzeichneter und am 10. Januar 1920 in Kraft getretener Friedensvertrag, der den Ersten Weltkrieg völkerrechtlich beendete, die Alleinschuld Deutschlands am Kriegsausbruch feststellte und es zu Gebietsabtretungen und Reparationsforderungen verpflichtete. Letztere wurden als zu hart empfunden, der Vertrag nur unter massiven Druck unterzeichnet, so dass 13 % des vorherigen Gebiets und 10 % der bisherigen Bevölkerung verlorengingen. Der Streit um den V.V. überdauerte die Weimarer Epoche, mit dem Höhepunkt der Ermordung von ‚Erfüllungspolitikern‘ wie Walther Rathenau 1922 durch Rechtsradikale, die der Propaganda der Alten Rechten, insonderheit Hitlers, aufsaßen, der mit dem Versprechen der Revision des V.V. schließlich Erfolg hatte. So betrachtet gilt der V.V. vielen als ursächlich für den Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich und darin nach 1945 als Ausrede der von beiden Ereignissen Profitierenden. Ob der V.V., im Nachhinein betrachtet, als klug gelten kann oder eher als wenig weitsichtig im Blick auf diese Folgen, steht dahin. Entscheidend ist, dass er den Neuen Rechten als Vorwand gilt für ihren Geschichtsrevisionismus, der durch den australischen Historiker Christopher Clark (Die Schlafwandler [2012]) Auftrieb erhielt. (s. Essay Nr. 11) (vgl. Conze 2018) [210, 314, 319, 323, 349 f., 352, 398, 543, 592, 676]

 

Verschwörungstheorien. Zielen dahin, „die ethno- und geopolitischen Grundlagen des ‚deutschen Volkes‘ bzw. der ‚deutschen Rasse‘ […] als gefährdet anzusehen – durch Zuwanderung und ‚Überfremdung‘, durch Medien- und Finanzdominanz, durch Parlamentarismus und Parteiendemokratie, durch Aufklärung und Rationalität.“ (Salzborn 2017: 122) Den Anfang in diesem Segment setzte die dem Antisemitismus zugehörende wichtigste V., die in den Protokolle der Weisen von Zion (1903) angesprochen wird in Gestalt der Unterstellung, ‚die‘ Juden neigten zu Ritualmorden. (vgl. Bronner 1999: 9 ff.) Hierzu passend und von ihm mit Kriegsbeginn in Gestalt der Ankündigung endgültig ins Dämonische gerückt: Hitlers Androhung, die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ werde am Ende des von den Juden zu verantwortenden Zweiten Weltkriegs stehen, gleichsam eine neue Belegung für ein Passepartout, das Hitler in Mein Kampf (1925/26) noch mittels der sypholophoben, sexualantisemitischen Variable belegt hatte, die Euthanasie sei ein ins Große gerechnete Unterfangen, Konsequenzen aus dem Umstand zu ziehen, dass die von der Syphilis befallenen jüdischen Prostituierten „unser“, also der Erbgesunden im deutschen Volk, Unglück sei. (s. Essay Nr. 12) Schon diese wenigen Hinweise machen verständlich, warum V. bei Rechtspopulisten auch noch der Gegenwart – zu denken ist hier vor allem an Oliver Janich –   erhebliche Bedeutung zukommt. Zur Vorgeschichte gehört die Annahme, die Völkischen seien der für V. „anfälligste Teil der Konservativen Revolution“, die bald vierzig Jahre auf dem Buckel hat, ebenso wie die These, es gäbe eine „schmerzliche Lücke in der Geschichtsschreibung der ‚Weltanschauungen‘“, nämlich den schon vom Armin Mohler herausgestellten Umstand, „daß es keine einigermaßen zuverlässige Darstellung der modernen V. gibt.“ (M: 225) Immerhin gibt es seit dem Lexikon des Konservatismus (1996) und dem hier nachlesebaren einschlägigen Lemma („Verschwörerthese“) von Johannes Rogalla von Biebersteins eine Auslegung derselben als „interessengebundene Instrumente des politischen Kampfes“ unter Hinweis darauf, dass sie auch gelesen werden können als „ein ins Aggressive gerichteter Ausdruck der Angst, die in Krisen aus einer realen vielfach zu einer wahnhaft-neurotischen wird.“ (Rogalla von Bieberstein 1996: 574) Dies klingt angesichts der aktuellen V. von ‚Covidioten‘ (s. Prolog Nr. 5) überraschend aktuell sowie erstaunlich (selbst-)kritisch. Zusätzlich zu den damit angesprochenen sozialpsychologischen Funktionsweisen von V. gilt es darauf hinzuweisen, dass sie, wahrnehmungspsychologisch betrachtet, der Gruppe der subjektiven Theorien zugehören, derer jeder Mensch bedarf, um sich, in einem Akt der Komplexitätsreduktion, die resp. seine Welt zu erklären und in ihr sinnvoll handeln zu können. Die maßgebenden Modelle zwecks Abbildung dieses Vorgangs operieren seit Fritz Heider (1958) mit der Attributionstheorie, also der Annahme, ein jeder könne nur Effekte eines räumlich und zeitlich genauer zu lokalisierenden, als ursächlich relevant einzuordnenden, nicht beobachtbaren Vorgangs wahrnehmen, nicht aber die ihnen zugrundeliegenden Ursachen, müsse also das von ihm Beobachtete einer von ihm nur zu supponierenden Kausalität zuordnen resp. attribuieren. Das Ungewöhnliche, der sog. „uncommon effect“, ist damit allein theoriebildungsrelevant, nicht das sich Wiederholende und Erwartbare, also der „common effect“, an einem Beispiel geredet: Nur wenn die eigene Tochter erwartungswidrig nicht pünktlich nach Hause kommt, wird im subjektiven Theoriebildungsmodell der Eltern der Alarmmodus aktiviert und ein Überschuss von Attributionen zwecks Erklärung dieses ungewöhnlichen Geschehens freigesetzt, im schlimmsten Fall und bei Fortdauer des Ausbleibens der Tochter in Richtung kühner Hypothesen über die Gründe für selbiges, etwa, dass sie Opfer eines Verbrechens wurde. Mit Nietzsche geredet: „Etwas Unbekanntes auf etwas Bekanntes zurückführen, erleichtert, befriedigt, gibt ausserdem em Gefühl von Macht. Mit dem Unbekannten ist die Gefahr, die Unruhe, die Sorge gegeben. […]. Erster Grundsatz: irgend eine Erklärung ist besser als keine.“ (VI: 93) Nach eben diesem Muster funktionieren auch V. im politischen Raum, etwa jene älteren antisemitischen, aber auch die seit Oktober 2017 von einem Anonymus namens Q (s. QAnon) orchestrierten. Die Arbeitsweise dabei: Ausgangspunk sind in der Regel „uncommon effects“ besonders bedrohlichen Charakters, wie es – herausragend unter den V. aus jüngerer Zeit (vgl. Peter 2020: 126 ff.) – die einstürzenden Twin Towers in New York vom 11. September 2001 (nine/eleven) mit über 3.000 Toten infolge von Flugzeugeinschlägen, Denn diese konnten erst im Nachhinein als islamistische Terroranschläge dechiffriert werden und hatten fatale Folgen im Sinne des erwähnten (s. Prolog Nr. 13) Trumpismus ohne Trump. In der Folge erfuhren zumal auf den Islamismus bezügliche V. à la Udo Ulfkotte (s. Prolog Nr. 7) zumal im sich allmählich formierenden Rechtspopulismus und Rechtsextremismus weltweit erheblichen Auftrieb (vgl. Ebner 2018: 90), auch im Nachgang zur Flüchtlingskrise von 2015 mit der Folge, dass die bisher größte Studie zu V. 2018 herausfand, „dass ein Drittel der britischen, deutschen und französischen Bevölkerung glaubt, die politischen Entscheidungsträger sagten ‚nicht die Wahrheit‘ über die Einwanderung.“ (Ebner 2019: 175) Die schleichende Akzentverschiebung ist hier gut erkennbar: Die Herrschenden verweigerten sich aus konspirativen Motiven der Aufklärung, welche ‚das Volk‘ dringend einklagt. Damit gewinnen Verfechter von V. den Vorteil, sich der Aufklärung zurechnen zu können unter der Headline ‚The Great Awakening‘, dem Zeitalter, in dem „wir uns angeblich aktuell befinden“ und dem ‚The Storm‘ folgen werde, „sobald Trump zum finalen Sturm bläst und sämtliche politische Missetäter, darunter Barack Obama, Hilary Clinton und John Podesta, in Guantánamo wegsperrt.“ (Ebner 2019: 174) Korrespondierend dazu und zum Teil auch der Corona-Pandemie geschuldet, ist das Angebot der nach dem Muster simpler Kausalattributionen gebauten V. nachgerade unerschöpflich, wie im Vorhergehenden gezeigt. Im Blick auf die vom AfD-Ungeist heimgesuchte Gegenwart geredet: Angefangen von der 2015 anhebenden Klage: „Die Flüchtlinge sind unser Unglück!“ (s. Essay Nr. 3) bis hin zum im retrospektiven Rückblick angestimmten Slogan: „Die grünversifften 68er sind unser Unglück!“, auch in der Variante: „Die Linksintellektuellen sind unser Unglück!“ finden wir kaum mehr als Ausgrenzung, Bekämpfung resp. Verfolgung der mit diesen Vokabeln Bezeichneten. Das A-Moralische dessen wird exkommuniziert durch Hinweise auf eine im Interesse aller liegenden „Reinigung“ – ein NS-Argument, indem man derlei verachtenswertes Tun für unvermeidbar erklärt im Interesse aller. [17, 52, 63, 75 f., 79 f., 95, 161, 268, 412, 539,  602, 654, 706, 709, 713]

 

Villinger, Werner (1887-1961), aus Besigheim/Neckar. Psychiater, Stahlhelm, NSDAP 1937, 1934-1939 Leiter der Bodelschwinghschen Anstalten Bethel, 1940-45 Prof. in Breslau. Beisitzer am Erbgesundheitsgericht, Schriftleiter der Zeitschrift für Kinderforschung, 1946 Prof. in Marburg, 1958 Vors. Dt. Gesellschaft f. Sexualforschung, Rektor Uni Marburg. (vgl. Harten/Neirich/Schwerendt 2006: 483 f.; Niemeyer 2019a: 296 ff.; s. Essay Nr. 14) [377, 463 f., 543]

 

völkisch, völkische Bewegung. Die v. B. im wilhelminischen Kaiserreich – ihren harten Kern schätzt Uwe Puschner (2003: 460) auf 10.000 Mitglieder (1914) – hat den Nationalsozialismus in fast all seinen Facetten vorweggenommen. Über Jahrzehnte hinweg hatte sich geistig vorbereitet, was nach 1933 politische Gestalt gewann und die europäische Zivilisation dann in wenigen Jahren an ihren Abgrund führen sollte. Dazu gehörte die Übernahme der v.e Weltanschauung, aber natürlich auch des einschlägigen Vokabulars unter Einschluss der Vokabel „v.“, die Mitte der 1870er Jahre als Eindeutschung des lateinischstämmigen „national“ in Vorschlag gebracht wurde und um 1900 im deutschen Rechtsnationalismus populär wurde als „Signum eines hybriden integralen Nationalismus.“ (Puschner 2007: 53) Der Gründer des Steglitzer Wandervogel, Karl Fischer, will die Vokabel während seiner Schulzeit bei Friedrich Lange entdeckt haben. (Mogge 2009: 114). I.S. von „nationalistisch“ wurde die Vokabel, die auch der Wandervogelführerzeitung als identitätsstiftend galt, insbesondere nach 1918 gängig zur Selbstbeschreibung u.a. der Adler und Falken, der Geusen, der Schilljugend, der Artamanen sowie der Bündischen Reichsschaft. (vgl. Breuer/Schmidt 2010: 296) Nach 1933 wurde die Vokabel, ungeachtet von Hitlers Bemühen um Abgrenzung der nationalsozialistischen von der v. B., zum meistgebrauchten Begriff zur Bezeichnung der nationalsozialistischen Weltanschauung. (Puschner 2007: 56) Nach 1945 allerdings, als der Zusammenhang zwischen Jugendbewegung und Nationalsozialismus virulent wurde, geriet die Vokabel v. im Kontext Jugendbewegung außer Kurs. Dass schon die Vorkriegsjugendbewegung v. orientiert gewesen war, wenn nicht gar als Teil der v. B. agierte, war einer der zentralen Vorwürfe von Harry Pross gewesen, den man nun zu entkräften sich deutlich bemühte. Die Neue Rechte machte denn auch um die Vokabel v. einen großen Boden, wenngleich kaum jemand abstreitet, dass dies Vokabel das Anliegen insbesondere des „Flügel“ (als Teilgruppe der AfD) recht gut trifft. [140, 144, 151, 194, 197, 199, 206, 215, 222, 226-228, 230, 243, 255, 258 f., 267 f., 271 f., 277, 279, 281, 292 f., 297 f., 303, 308 f., 324, 326, 353, 358, 369 f., 381, 464, 467 f., 493, 503, 505, 509, 524, 536, 565, 567-570, 573 f., 577, 579 f., 586, 590-594, 596, 599, 601-603, 607, 610, 614, 621, 770]

 

Vogt, Karl (1907-2002), aus Danzig. Vorsitzender der Vereinigung Jugendburg Ludwigstein (1953 bis 1959) und Berater der Stiftung Jugendburg Ludwigstein sowie des Burgarchivs (bis 1983). V.s NS-Verstrickung, insbesondere als pers. Referent Herbert Backes, wurde von Jugendbewegungshistoriographen systematisch im Unklaren gehalten (s. Essay Nr. 22) un selbst von einschlägig Forschenden wie Andreas Dornheim (2021) nur unzulänglich aufgedeckt, im Wesentlichen infolge der Beiseitesetzung einschlägiger Forschungsbefunde. (etwa Niemeyer 2013: 27 f.) Folgen hatte dies vor allem für jene, die auf diese Zusammenhänge aufmerksam machten und vom Mainstream wie Überbringer schlechter Botschaften behandelt wurden, zur klammheimlichen Freude von neu-rechten Ideologen wie Karlheinz Weißmann, der schon Harry Pross ganz im Sinne seines Idols Armin Mohler mit zornigem Unterton „der orthodox antifaschistischen Interpretation der Konservativen Revolution“ (M: 185) zugerechnet hatte. [151, 255, 473 f., 495, 501, 504, 613, 617, 619, 621, 624-628]

 

Vogt, Michael (*1953), aus Kassel. AfD-naher Publizist, Dokumentarfilmer, politischer Aktivist, Burschenschaftler, Mitglied des neofaschistischen Rings Freiheitlicher Studenten (vgl. Kailitz 2001: 268 f.), realisierte mit Wolfgang Venohr und Alfred de Zayas 1983 für die ARD einen geschichtsrevisionistischen Dokumentarfilm über deutsche Kriegsverbrechen 1939 bis 1945, der 2011 vom Kopp Verlag neu aufgelegt wurde. 2007 wurde V. als Honorarprofessor in Leipzig entlassen wg. eines nach von Rechtsextremisten gefälschten Dokumenten gedrehten Films über Rudolf Heß. [426]

 

[Zum Autor: Christian Niemeyer, Prof. (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Zum Text: Dieses Lexikon wurde, wie die noch ausstehenden Folgen, wurde dem Online-Material (S. 21-106) meines Schwarzbuch Neue / Alte Rechte. Glossen, Essays, Lexikon (= Bildung nach Auschwitz 1). Mit Online-Materialien. Weinheim Basel 2021 entnommen. Der Wiederabdruck erfolgt mit freundlicher Erlaubnis des Verlages Beltz Juventa.]

Bild: V.l. Udo Ulfkotte, (c) Christliches Medienmagazin pro / CC BY 2.0; Michael Vogt, (c) Persilrein / CC BY-SA 4.0