Wenn Konversionen zum roten Tuch werden

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Mit seinem Reformvorhaben dazu, wie sich in Israel der Übertritt zum Judentum anders als bisher gestalten ließe, hat Matan Kahana, Minister für religiöse Angelegenheiten, die Ultraorthodoxen gegen sich aufgebracht. Vor allem das Oberrabbinat ist wenig begeistert. Denn es sieht seine Pfründe in Gefahr.

Von Ralf Balke

Israels aschkenasischem Oberrabbiner Israels David Lau beschert er schon seit einigen Monaten Bluthochdruck. Die Rede ist von Matan Kahana, seit dem Juni 2021 Minister für religiösen Angelegenheiten. Kaum im Amt, hat der ehemalige Kampfpilot und Soldat der Eliteeinheit Sayeret Matkal, der sich nach seiner Entlassung aus der Armee 2019 der Partei des jetzigen Ministerpräsidenten Naftali Bennett anschloß, gleich mehrere Reformvorhaben angeschoben, die bei den allermeisten Ultraorthodoxen auf vehementen Widerspruch stoßen. Die jüngste davon ist die geplante Neuregelung von Übertritten zum Judentum, kurz „Giur-Reform“. Nicht nur aus Sicht vieler Israelis ist diese längst überfällig, und zwar aus gleich mehreren Gründen. Zum einen leben rund 450.000 Menschen im Land, die laut Halacha, also den Religionsgesetzen, nicht wirklich als Juden gelten, sich aber sehr wohl als Israelis begreifen und jüdischer Herkunft sind. Die allermeisten davon dürften aus der ehemaligen UdSSR stammen. Sie hatten beispielsweise nur einen jüdischen Vater, was die sowjetischen Behörden früher nicht hindern sollte, sie trotzdem als Juden einzustufen und in ihren Ausweisen unter der Rubrik Nationalität als „Jewrej“ zu vermerken. Selbstverständlich konnten diese sogenannten „Vaterjuden“ auf Basis des Rückkehrgesetzes ebenso nach Israel einwandern und die Staatsbürgerschaft erhalten wie auch zahlreiche andere Personen, die allenfalls jüdische Großeltern vorzuweisen hatten.

Doch wenn Israelis mit einer solchen Familiengeschichte den Bund fürs Leben eingehen oder auf jüdischen Friedhöfen bestattet werden wollen, gibt es plötzlich Probleme. Weil sie in den Augen der religiösen Autoritäten nicht als >echte< Juden gelten, können sie nicht heiraten  – schließlich gibt es in Israel keine Zivilehe. Für Hochzeiten unter Juden ist immer noch das Oberrabbinat zuständig. Konkret bedeutet dies, dass beide Partner nach dessen Regeln jüdisch sein müssen, damit eine Heirat überhaupt über die Bühne gehen kann und die Ehe als solche auch anerkannt wird. Und wer stirbt, darf nicht auf einem jüdischen Friedhof bestattet werden, wenn das Oberrabbinat irgendwelche Zweifel an seinem Jüdischsein hat. Selbst wenn man als Soldat der israelischen Armee im Kampf zu Tode kam oder Opfer eines Terrorangriffs wurde, bleibt einem das Begräbnis neben seinen Kameraden verwehrt. Vor ähnlichen Problemen stehen ebenfalls Personen, die im Ausland bei einem konservativen oder reformorientierten Rabbiner ihren Giur vollzogen hatten. Sie werden vom orthodoxen Oberrabbinat, das ein Monopol in Fragen der Konversion für sich beansprucht, ebenfalls nicht als Juden anerkannt, weshalb sie in Israel oftmals mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Eine weitere Gruppe, deren Jüdischsein aus ultraorthodoxer Perspektive immer wieder in Frage gestellt wird, sind Juden aus Äthiopien – allen voran die Falash Mura, deren Vorfahren einst gezwungen wurden, zum Christentum zu konvertieren.

Matan Kahanas Reform sieht nun vor, dass das Verfahren für potenzielle Konvertiten beschleunigt wird. Oder genauer gesagt etwas dezentralisiert wird. Denn fortan sollen ebenfalls Rabbiner in den verschiedenen Gemeinden in Israel die Möglichkeit erhalten, in eigenen Gremien Kandidaten für einen Giur zu betreuen und letztendlich darüber zu entscheiden, ob eine Person als Jüdin oder Jude anerkannt wird. An den Kriterien, die gelten, damit ein Giur vollzogen werden kann, soll sich eigentlich gar nichts ändern. Nur die Zahl derer, die darüber entscheiden können, vergrößert sich, was eine individuelle Begleitung verbessert und den gesamten Prozess einfacher und gegebenenfalls schneller gestalten lässt. Wie er in einem Interview mit der „Times of Israel“ ausführt, will Matan Kahana allen Israelis, die jüdischer Herkunft sind, aber aus halachischer Sicht nicht als Juden gelten, die Entscheidung erleichtern, einen Übertritt in Angriff zu nehmen. Oder anders ausgedrückt: Das Oberrabbinat, das im Ruf steht, diesen Personen äußerst unfreundlich gegenüber eingestellt zu sein, soll so zu einem Mentalitätswechsel gepusht werden und seine generelle Haltung ändern.

Der Minister für religiöse Angelegenheiten weiß in dieser Reform die absolute Mehrheit der Israelis auf seiner Seite. So befürworten laut einer aktuellen Umfrage des Institute for Jewish and Zionist Research rund 60 Prozent aller Befragten einen solchen Schritt. Etwa 33 Prozent dagegen wollen, dass alles so bleibt wie bisher. „Die Stärkung der jüdischen Identität ist eine zionistische Aufgabe ersten Ranges und für die israelische Gesellschaft von großer Bedeutung“, betont Daniel Goldman gegenüber der „Jerusalem Post“. „Die von uns durchgeführte Umfrage beweist, dass eine Mehrheit der Öffentlichkeit der Meinung ist, dass das derzeitige System, Konversionen durchzuführen, genau diesen Zielen schadet“, so der Institutsgründer. „Also scheint es an der Zeit, neue Regeln zu schaffen, um Menschen einzubeziehen, die bisher daran gehindert wurden, diese Prozess zu durchlaufen und endlich Teil des jüdischen Volkes zu werden.“

Als erste Maßnahme enthob Matan Kahana Ende Dezember den Chef der Konversionsbehörde, Rabbi Moshe Weller, seines Amtes. Das gefiel dem Oberrabbinat überhaupt nicht, woraufhin Oberrabbiner David Lau erklärte, ab sofort alle Übertritte erst einmal auf Eis zu legen, was eigentlich einem Affront allen Übertrittkandidaten gleichkommt, auf deren Rücken er diese Machtspielchen dann austrägt. Zudem bezeichnete er die Umsetzung der „Giur-Reform“ als einen Plan, der das jüdische Volk spalten würde. „Das Ganze ist ein spirituelles Desaster und kommt einer ernsthaften Schädigung des Judentums im Staat Israel gleich.“ Schützenhilfe erhielt Lau in seiner Kritik von Arye Deri, der von einem „Fake-Konversionsprogramm“ sprach, das ein „Betrug“ sei und allen nur „Kummer bereiten“ werde, so der Vorsitzende der sephardisch-ultraorthodoxen Shass-Partei, der gerade wegen diverser Steuervergehen seinen Platz in der Knesset räumen musste.

Als Anfang Januar dann bekannt wurde, dass der Minister den Posten an der Spitze der Konversionsbehörde mit Rabbi Benayahu Brunner besetzen werde, reagierten Vertreter der Ultraorthodoxie empört, weil der Kandidat von Matan Kahana einer Gruppierung namens „Zohar“ nahesteht, die dem Oberrabbinat eine Spur zu liberal ist. Vor allem die politischen Vertreter der Haredim liefen sofort Sturm. So sprach Moshe Gafni, Chef der Partei Vereintes Torah Judentum davon, dass der Minister einen „Götzen im Heiligsten“ installieren möchte. Matan Kahana reagierte auf diesen Vorwurf, indem er twitterte: „Guten Morgen, Abgeordneter Gafni. Hier sind einige Neuigkeiten für Sie: Wir haben aufgehört, für sie zu arbeiten. Suche Sie nach anderen Kindern, die sich von Ihnen schikanieren lassen. Rabbi Brunner ist ein Dayan und wichtiger Torah-Gelehrter.“ Seine Replik zeigt, dass der gleichfalls orthodoxe ehemalige Kampfpilot Matan Kahana nicht so schnell einknicken wird unter dem Druck des Oberrabbinats. Das hat natürlich einen Preis. Aufgrund von Morddrohungen musste er bereits Personenschutz in Anspruch nehmen.

Dabei ist die „Giur-Reform“ noch nicht einmal beschlossene Sache. Das entsprechende Gesetz muss erst einmal alle parlamentarischen Hürden nehmen. Und sollte das Ganze von der Knesset abgesegnet werden, heißt dies keinesfalls, dass nun das Oberrabbinat entmachtet ist. Denn die Initiative sieht die Schaffung eines Komitees vor, dessen Vertreter aus den Reihen der Rabbiner in den verschiedenen Gemeinden alle relevanten Parameter definieren, die für einen Übertritt gültig sein sollen. Das Oberrabbinat würde dabei ein Mitspracherecht erhalten, wer in diesem Komitee vertreten sein darf oder außen vor bleibt. Kurzum, wer Lau & Co. nicht passt, bekommt diesen Job ohnehin nicht. Trotzdem wehren sich die Ultraorthodoxen mit Händen und Füßen gegen jede Veränderung des Status quo. Denn nachdem sie jahrzehntelang darüber bestimmen konnten, was religiös so alles korrekt war und was eben nicht, sind ihre politischen Vertreter aus den Reihen von der Partei Vereintes Torah Judentum und Shass derzeit relativ machtlos, weil das regierende Acht-Parteien-Bündnis mit Ministerpräsident Naftali Bennett an der Spitze auch ohne sie recht gut funktioniert. Bis dato waren fast alle Regierungen erpressbar, weil bei einem Ausscheren der Ultraorthodoxen aus einer Koalition sofort Neuwahlen gedroht hätten. Und nun steht seit langer Zeit jemand an der Spitze des Ministeriums für religiöse Angelegenheiten, der nicht ultraorthodox ist, sondern eher unter die Kategorie „modern-orthodox“ fällt. „Ich bin der Poster-boy des religiösen Zionismus“, so Matan Kahana über sich selbst in einem Interview in der „Times of Israel“.

Vor Monaten bereits hatte Matan Kahana eine andere Reform auf den Weg gebracht. Dabei dreht sich alles um die Erteilung von Kashrut-Zertifikaten, ebenfalls lange eine äußerst lukrative Domäne des Oberrabbinats. Und eine ineffiziente wie auch wenig transparente, wie eine Studie des Israel Democracy Institute kürzlich feststellte. So kostet der Spass den Steuerzahler jedes Jahr rund 13 Millionen Schekel, rund 3,6 Millionen Euro. In einem ersten Schritt, der im Oktober die nötige Zustimmung von der Knesset bekam, soll es nun Restaurants, Lebensmittelgeschäfte oder Unternehmen aus der Nahrungsindustrie möglich sein, die Konformität mit den Speisevorschriften der Halacha von privaten Anbietern überwachen zu lassen. Ab dem 1. Januar 2023 dürfen diese dann auch entsprechende Zertifikate ausstellen. Wie zu erwarten, war das Oberrabbinat von dieser Reform ebenfalls alles andere als begeistert. Doch auch bei dieser Gesetzesinitiative ließ der Minister die alten Autoritäten nicht einfach außen vor – schließlich darf das Oberrabbinat wiederum die neuen Kashrut-Kontrolleure überwachen, so der Plan. Denn Kahana ist fern davon, ein Revolutionär zu sein, der die Macht der Ultraorthodoxie brechen will, weder mit der Reform der Kaschrut-Zertifikate noch mit der Giur-Novelle. Vielmehr will er den eskalierenden Konflikt zwischen den Haredim und denen, die er als „ultra-ultra-säkular“ bezeichnet, ein wenig entschärfen, indem er die seiner Meinung nach 70 bis 80 Prozent der Israelis, die nicht so denken, es einfacher macht, im Einklang mit den Traditionen des Judentums zu leben.

Bild oben: hagalil