„Ein Wort noch, wie dies, und die Hämmer schwingen im Freien“

0
55

Einige Anmerkungen zu zwei Büchern über Paul Celan…

Von Karl-Josef Müller

Am 28. August 1982 ehrt die Stadt Frankfurt den Schriftsteller Ernst Jünger mit dem Goethepreis – eine Würdigung, die damals für heftigen Widerstand sorgt, unter anderem bei den Grünen im Stadtparlament: „Uns ist es relativ gleichgültig, ob Ernst Jünger ein guter oder schlechter Schriftsteller ist. Er war unbestritten ein ideologischer Wegbereiter des Faschismus und ein Träger des Nationalsozialismus von Kopf bis Fuß. Ein Kriegsverherrlicher und erklärter Feind der Demokratie. Er war und ist ein durch und durch unmoralischer Mensch.“ 

Verteidigt wird Jünger allerdings auch von der vermeintlich falschen Seite des politischen Spektrums. „Ausgerechnet in der linksalternativen ‚Tageszeitung‘ wird die Kampagne der Grünen gegen Jünger als einseitig kritisiert, weil sich der Dichter ab 1933 jeder Zusammenarbeit mit dem NS-Regime verweigert habe. Und die Idee, Jünger für den Goethepreis vorzuschlagen, kam von Rudolf Hirsch, einem jüdischen Schriftsteller, der 1933 aus Deutschland emigrierte und in Jünger einen inneren Widerständler des NS-Regimes sieht.“

1951 bittet Klaus Demus Ernst Jünger, „sich für die Publikation der Gedichte Celans einzusetzen“. Schließlich wendet auch Celan selbst sich an Jünger, der jenem, so die Frage von Detlev Schöttker an Demus, „angesichts von dessen soldatischer und politischer Vergangenheit doch nicht unbedingt nahe“ gestanden haben könne. 

Weiterhin vermutet Demus, Celan habe „die politische Seite“ Jüngers „wahrscheinlich viel besser begriffen“ als er, Demus selbst. Denn diese Seite ist doch wohl komplexer als das politische Weltbild der grünen Frankfurter Stadtverordneten 1982: “‘Bemerkenswert ist, dass 1949 (…) der erste Band der ‚Strahlungen‘ erschienen war, in dem sich Jünger auch um eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus bemüht und die Vernichtung der Juden erwähnte. Jünger war damit der erste Autor der politischen Rechten, der sich davon distanziert hat. Hat Celan das wahrgenommen?‘ K.D. ‚Ganz bestimmt!‘“

Das Gespräch über Paul Celan zwischen Klaus Demus, Anja S. Hübner und Detlef Schöttker ist abgedruckt in dem lesenswerten Buch Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan. Herausgegeben hat das Buch Petro Rychlo. Es enthält 55 Texte von Zeitgenossen, die Paul Celan persönlich kannten und ihre Erinnerungen an ihn schriftlich festgehalten haben. Ergänzt werden diese Quellen durch einen umfassenden Kommentar des Herausgebers sowie Quellenangaben und ein Personenregister.

Celan, so lassen es uns diese Erinnerungen an den Dichter wissen, war ein Mensch mit einer enormen persönlichen Ausstrahlung. Höflich, ein guter Zuhörer, aber auch verletzlich und sensibel.

Todtnauberg

Umso erstaunlicher, ja geradezu unglaublich erscheint im Rückblick das Treffen zwischen Celan und Heidegger im Jahr 1967, drei Jahre vor dem Tod des Dichters. Diese persönliche Begegnung steht im Mittelpunkt von Hans-Peter Kunischs Buch Todtnauberg. Der Buchtitel  verweist auf das gleichnamige Gedicht Celans, in dem von „einer Hoffnung auf eines Denkenden kommendes Wort im Herzen“ die Rede ist. Ein Wort der Versöhnung von dem Philosophen der Rektoratsrede, gehalten im Mai 1933? Ein kurzes Zitat aus dieser Rede mag genügen, deren dem Zeitgeist huldigenden Tenor zu belegen: „Die deutsche Universität gilt uns als die hohe Schule, die aus Wissenschaft und durch Wissenschaft die Führer und Hüter des Schicksals des deutschen Volkes in die Erziehung und Zucht nimmt.“ Bekanntermaßen hat Heidegger nie zu diesem Wort gefunden, er hat es nicht gesagt, er hat sich unseres Wissens nie zu seiner Unterstützung des NS-Regimes geäußert, und selbstredend nie seinen Antisemitismus revidiert.

Wie kann es sein, dass Celan nicht umhin kann, sich mit dem Werk dieses Mannes intensiv auseinanderzusetzen? Hans-Peter Kunisch bleibt in seinem Buch die Antwort schuldig. Das ist dem Buch keineswegs vorzuwerfen, wohl aber vorzuwerfen ist ihm eine häufig enervierende Beredsamkeit, um nicht zu sagen Geschwätzigkeit. Ein Beispiel: „Bis nach Todtnau, das fünfhundert Meter tiefer liegt, sind es ein Menge steiler Kurven, doch Neumann fährt vorsichtig. Der Himmel ist immer noch voller Gewitterwolken, und er will seine schwierigen Fahrgäste nicht verlieren. Vor und in der Hütte haben sie sich beinahe verhalten wie gewöhnliche Menschen, haben geplaudert, etwas zögerlich, aber immerhin, es war beinahe ein Sommerausflug geworden.“

Solche Passagen, die eine Nähe und Vertrautheit mit dem damaligen Geschehen suggerieren, lenken letztlich nur ab von der entscheidenden Frage, die Kunisch aufwirft, aber letztlich nicht entschieden genug in den Blick nimmt: „Der Antisemitismus ‚zerstört‘ Heideggers Werk nicht, wie heute oft behauptet wird. Aber es ist seit den Entdeckungen der letzten Jahre von einem Gift durchzogen, das nicht loszuwerden ist, immer mitbedacht werden muss. Wo in Heideggers Konzept der Seinsgeschichte die Anschlussstellen für antisemitische Klischees liegen, ist offensichtlich. Die ‚ort- und wurzellosen‘ Juden, die Heidegger nicht an Heimaterde und ihren Vaterländern interessiert sah, sondern an rechnerischem Denken und internationalen Kapitaltransaktionen, passen nicht in seine völkisch-national und regional beschränkte Utopie des Bewahrenswerten.“ Doch anstatt dieser Spur zu folgen, verliert Kunisch, der doch Philosophie studiert hat, sich zu oft in vermeintlich einfühlsam geschilderten Anekdoten.

Theodor W. Adorno Gespräch im Gebirg

1964 lernt Klaus Voswinckel Paul Celan persönlich kennen, wie  in dem Sammelband von Paul Rychlo zu lesen ist. Im Gespräch äußert sich Celan zu Heideggers Hölderlin-Interpretationen, die er „‘begnadet‘ fand und den (Heidegger, K.-J.M.) er , wie ich schon vermutet hatte, sehr hochschätzte.“ Im Anschluss daran kommt man auf Theodor W. Adorno zu sprechen, insbesondere auf „seinen Satz, dass man nach Auschwitz keine Gedichte mehr schreiben könne“. Celan widerspricht diesem Verdikt heftig, und Adorno hat es später unter dem Eindruck der Celanschen Lyrik in der Negativen Dialektik ja auch zurückgenommen – auf eine Weise, wie wohl nur Adorno es konnte: „Das perennierende Leid hat soviel Recht auf Ausdruck wie der Gemarterte zu brüllen; darum mag falsch gewesen sein, nach Auschwitz ließe kein Gedicht sich mehr schreiben. Nicht falsch aber ist die minder kulturelle Frage, ob nach Auschwitz noch sich leben lasse.“

Bereits 1959 sollten Celan und Adorno sich im schweizerischen Sils-Maria treffen – doch Celan reiste vorher ab; es muss wohl offen bleiben, ob er dem Treffen mit dem Philosophen bewusst aus dem Weg gehen wollte.

Eine geradezu symbolträchtige Konstellation: das Gespräch im Hochgebirge  – Sils-Maria liegt über 1.800 Meter hoch – findet nicht statt, wohl aber acht Jahre später das Treffen mit Heidegger in Todtnauberg, auf einer Höhe von 1.150 Metern. Auf der einen Seite der aus dem amerikanischen Exil zurückgekehrte Philosoph und Soziologe jüdischer Abstammung Adorno, auf der anderen der heimatverbundene Heidegger, der sich dem Nationalsozialismus andient und auch nach 1945 nicht von seinem hartnäckigen Antisemitismus abrückt.

Wir haben keinen Überblick über die Celan-Literatur, sie ist nahezu unüberschaubar. Auch sollte man sich der Frage, warum genau Celan die Nähe Heideggers suchte, während er zu Adorno eher Distanz wahrte, nur auf der Basis fundierter Kenntnisse beider Philosophien nähern. Das Verdienst von Hans-Peter Kunischs Buch ist es, auf die Bedeutung dieser Frage erneut aufmerksam gemacht zu haben, und deshalb ist es, trotz unserer kritischen Bedenken, durchaus lesenswert.

Das kommende Wort

Die von Petro Rychlo gesammelten Erinnerungen zeichnen das faszinierende Bild eines Menschen, dem wohl auf Erden nicht zu helfen war und dem das Leben dennoch mehr und besseres war als ein unaufhaltsamer Weg in den Freitod. Vielleicht lässt sich Celans Dichtung als Suche nach dem einen, befreienden Wort zusammenfassen, einem Wort allerdings, das ihm verborgen geblieben ist, wie uns allen bislang auch. Diese Suche, sicherlich vor allen Dingen eine nach Erlösung nach dem unsäglichen Leid der Shoa, prägt die ganz besondere Sprache seiner Dichtung, von der er selbst sagte, sie sei „‘überhaupt nicht hermetisch‘“, sondern „‘offen.‘“ (Rychlo, Text von Klaus Voswinckel) Und diese Suche könnte die uns Nachgeborenen seltsam anmutende Anziehungskraft erklären, die Werk und Person Martin Heideggers auf Celan ausübten. Celan hat in Heidegger einen Suchenden und damit einen ihm Nahestehenden erkannt. Und er ist das Wagnis eingegangen, auf ein erklärendes, ja vielleicht sogar erlösendes Wort von ihm zu hoffen. 

Mit den Augen von Zeitgenossen. Erinnerungen an Paul Celan. Herausgegeben von Petro Rychlo, Suhrkamp Verlag, Berlin 2020, Bestellen?
Todtnauberg. Die Geschichte von Paul Celan, Martin Heidegger und ihrer unmöglichen Begegnung. Von Hans-Peter Kunisch DTV Verlag, München 2020, Bestellen?                     

Bild oben: Paul Celan, 1945