Pnina Navè Levinson zum 100. Geburtstag

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Am 3. April jährt sich der Geburtstag von Pnina Navè Levinson (1921 – 1998) zum 100. Mal. Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland, die School of Jewish Theology an der Universität Potsdam und das Institut Kirche und Judentum an der Humboldt-Universität zu Berlin loben aus diesem Anlass eine alljährliche Vorlesung zur Erinnerung an die Heidelberger Judaistin aus, die sich stets für Pluralismus, Geschlechtergerechtigkeit und Dialog engagierte…

Rabbiner Prof. Dr. Andreas Nachama, Vorsitzender der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland
Prof. Dr. Daniel Krochmalnik, Geschäftsführender Direktor, School of Jewish Theology an der Universität Potsdam
Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies, Leiter des Instituts Kirche und Judentum an der Humboldt-Universität zu Berlin

Pnina Navè Levinson, die am 3. April 1921 in Berlin als Paula Fass geboren wurde, war eine jüdische Feministin, rabbinische Theologin und Pionierin des jüdisch-christlichen Dialogs. Sie emigrierte 1935 mit ihrer Familie ins damalige Palästina, erarbeitete sich als erste Frau den Doktorgrad im Fach Jüdische Studien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, wurde dort Dozentin für Hebräische Literatur und veröffentlichte 1962 ihr erstes Buch in Deutschland: Die neue hebräische Literatur. 1967 kam sie als Gastprofessorin nach Heidelberg und nahm fast 20 Jahre lang Lehraufträge an der Universität, später auch an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg wahr. Als Mitbegründerin der liberalen Jerusalemer Synagogengemeinde Har-El vertrat sie auch in Deutschland liberale jüdische Positionen und wurde mit ihrem zweiten Ehemann Rabbiner Nathan Peter Levinson (1921 – 2016) zu einem eigenen Zentrum liberaljüdischer Gelehrsamkeit. Vor 50 Jahren, 1971, regten sie die Errichtung einer Jüdisch-Theologische Hochschule in Heidelberg an. Ihr Plan ging jedoch nicht auf: stattdessen entstand schließlich die konfessionsneutrale Hochschule für Jüdische Studien.

„Überall bestehen die Probleme von Identität, Erziehung zum Judentum, Studium“, befand Pnina Navè Levinson 1988.“ „Was nützt also? Doch nur, dass religiös-liberale Bildung wieder eingeführt wird und eine Willensbildung stattfindet. Dass man sich nicht einem Diktum wirklicher oder sogenannter Orthodoxie beugt, sondern das eigene konservative oder liberale Judentum erneuert.“ Zeitgenossen erinnern sich, dass sie niemandem eine Antwort schuldig blieb; mit ihrer Kompetenz und Entschiedenheit, ihrer Empathie und ihrem didaktischen Geschick erwarb sie sich viel Anerkennung. 1986 wurde die gefragte Dialogpartnerin zur Honorarprofessorin ernannt, 1996 zusammen mit ihrem Ehemann mit dem Leopold-Lucas-Preis ausgezeichnet. Am 3. August 1998 starb Pnina Navè Levinson in Jerusalem.

„Wie posthum Rabbinerin Regina Jonas mit ihrer Wiederentdeckung in den 1990er Jahren den Platz als Wegbereiterin der Frauen im Rabbinat einnahm, ist es an der Zeit Professorin Pnina Navè Levinson endlich die Würdigung zu geben, die ihr gebührt“, befindet die Frankfurter Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck, die den Lehrstuhl für Jüdische Studien an der Universität Paderborn innehat. „Sie ist mit dem liberalen Judentum im Gepäck nach Deutschland zurückgekehrt und hat hier entscheidende Wegmarken gesetzt, damit eine jüngere Generation wieder anknüpfen kann. Von ihrer Leistung profitiert das jüdische Leben bis heute.“

Die Allgemeine Rabbinerkonferenz Deutschland will zusammen mit der School of Jewish Theology an der Universität Potsdam und dem Institut Kirche und Judentum an der Humboldt-Universität zu Berlin anlässlich des 100. Geburtstags von Pnina Navè Levinson an ihr Wirken erinnern, es aufgreifen und fortführen. Dazu richten die drei Institutionen zunächst eine alljährliche Pnina Navè Levinson-Vorlesung ein. Den Auftakt soll im April 2022 eine Vorlesung von Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck zur jüdisch-feministischen Theologie machen.

Pnina Navè Levinson – eine biografische Skizze

Rabbinerin Prof. Dr. Elisa Klapheck

Pnina Navè Levinson war eine jüdische Feministin, rabbinische Theologin und Pionierin des jüdisch-christlichen Dialogs. Geboren am 3. April 1921 mit dem Namen Paula Fass in Berlin, hatte sie noch Religionsunterricht bei der weltweit ersten Rabbinerin, Regina Jonas. 1935 emigrierte ihre Familie nach Palästina, wo Pnina 1939 in Tel Aviv das Abitur machte. Sie studierte an der Hebräischen Universität in Jerusalem und erhielt 1952 als erste Frau an der Fakultät für Jüdische Studien die Doktorwürde (in Hebräischer Literatur). In den folgenden Jahren arbeitete sie u.a. mit Martin Buber zusammen, ebenso mit dem Philosophen Yeshayahu Leibowitz, redigierte und übersetzte deren Manuskripte. 1958 gründete sie zusammen mit Schalom Ben-Chorin in Jerusalem die erste liberale Synagoge Israels, die Synagoge
Har-El.

Rolf Rentorff, Professor für Altes Testament an der Theologischen Fakultät in Heidelberg, lud sie zu einer Gastprofessur 1967 nach Heidelberg ein. Hier begegnete sie Rabbiner Nathan Peter Levinson, damals schon Landesrabbiner von Baden. Die beiden heirateten und bildeten fortan ein eigenes Zentrum liberaljüdischer Gelehrsamkeit. Beide engagierten sich auch im christlich-jüdischen Dialog. Pnina Navè Levinson entwickelte zunächst für die Theologische Fakultät das Fach „Judaistik“. Angehende evangelische Theologen konnten bei ihr rabbinische Exegese, jüdische Geistesgeschichte und Philosophie, die verschiedenen religiösen Strömungen des Judentums und vieles mehr lernen. Sie erhielten dadurch eine völlig neue Sicht auf den jüdischen Horizont des Neuen Testaments.

Pnina Navè Levinson steht aber auch am Anfang der Gründung der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg. In Artikeln und Büchern wird diese mal auf ihren Mann Nathan Peter Levinson, mal auf sie selbst zurückgeführt. Nächste Angehörige erzählten mir jedoch, dass das Akademische von Pnina ausging. Beide haben in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren alles getan, damit eine Jüdisch-Theologische
Hochschule in Heidelberg entstehen würde. Ursprünglich war auch eine Rabbinerausbildung angedacht, was aber nicht verwirklicht wurde. Pnina schrieb verschiedene Gutachten über die Lehrinhalte dieser Institution: Sie orientierten sich am Curriculum der einstigen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, dem liberalen Rabbinerseminar in Berlin, an dem in den 1920er Jahren auch Rabbinerin Regina Jonas studiert hatte.

Darüber hinaus schrieb Pnina Navè Levinson wegmarkierende Bücher, zum Beispiel die 1982 erschienene Einführung in die Rabbinische Theologie (drei Auflagen). Es war seit dem von Rabbiner Kaufman Kohler 1910 veröffentlichten Grundriss einer systematischen Theologie des Judentums auf geschichtlicher Grundlage die erste deutschsprachige systematische jüdische Theologie. 1992 erschien Eva und ihre Schwestern. Perspektiven einer jüdisch-feministischen Theologie. Das Buch koinzidierte mit dem Neuaufbruch des Liberalen Judentums in
Deutschland, zu dem auch die jüdisch-feministische Initiative Bet Debora gehörte. Pnina Navè Levinson hat drei Bücher über jüdisch-feministische Themen veröffentlicht. Außerdem war sie regelmäßige Autorin der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung.

Auch ihre Leitungen im christlich-jüdischen Dialog sind zu würdigen. Über diesen sagte sie 1996: „Um einen Dialog zu führen, müssen wir zunächst die Vokabeln lernen zu hören, die Unterschiede wahrnehmen. Wir reden mit unserem Gegenüber, nicht mit dem eigenen Spiegelbild. Es ist befreiend zu wissen, dass wir keine siamesischen Zwillinge sind, sondern bei allem Gemeinsamen unterschiedlich strukturiert sind.

Wenn wir im Dialog das Eigene ausdrücken, wird uns selbst besser deutlich, woraus es besteht, es bleibt weder Formel noch ein vages Gefühl. – So durchleben wir das dialogische Prinzip, die Ich-Du-Beziehung, die keine Einbahnstraße ist. Martin Buber lehrte uns, dass aus einem wirklichen Gespräch jeder anders herausgeht, als er hereingegangen ist.“

Foto aus: Pnina Navè Levinson: Aus freier Entscheidung. Wege zum Judentum, Hentrich & Hentrich, Teetz 2000.