Scharfer Protest gegen eine fragwürdige Auszeichnung

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Pinar Cetin von der Deutschen Islam Akademie gibt nach Protesten ihre Auszeichnung zurück

Von Jennifer Marken

Früher, in den 1970ern und 1980ern,  hätte man vielleicht von der Strategie der Unterwanderung gesprochen: Man wird Mitglied – oder zumindest Gastredner bei – einer demokratischen Partei, deren Werte man nicht teilt, um die eigene ideologische Agenda durchzusetzen.

Vertreter dieser Strategie findet man in allen demokratischen Parteien: Islamisten bzw. erdogantreue, im Westen gut ausgebildete Vertreter des Islam, meist mit Hochschulabschluss, die das Kopftuch tragen bzw. das Kopftuch als Errungenschaft der demokratischen Entwicklung preisen – und sich zugleich als Opfer einer Benachteiligung stilisieren. Antisemitismus, ideologisch geschulte Angriffe gegen den demokratischen Staat Israel, mehr oder weniger subtile Leugnung der Shoah sowie Leugnung des Völkermordes an den Armeniern ist durchgehend ein Grundbestandteil solcher Strategien.

„Begegnung mit einer Vieldimensionalen“

Die Berlinerin Pinar Cetin könnte dazu gehören – oder zumindest gehört haben. Der Spiegel stellte sie bereits 2007 in seinem Beitrag „Auf Tuchfühlung“ als eine kosmopolitische junge Muslimin vor. Das Treffen mit ihr habe sich als eine „Begegnung mit einer Vieldimensionalen“ erwiesen, so das euphorische, hoffnungsträchtige Lob: „Sie ist in Eile, das Seminar in der Uni, die Moscheeführung und dann noch das Auto in die Werkstatt gebracht. Ihr Schritt ist schnell und energisch, sie sucht sich einen Stuhl im Eiscafé, schwarze Hose, schwarzes Hemd, türkises, eng gebundenes Kopftuch“ heißt es im Spiegel weiter.

Neun Jahre später: Am 29.5.2016 gab es vor allem von der vielfach als islamistisch und erdogantreu eingestuften Organisation Ditib zentral organisierte Proteste zum Bundestagsbeschluss zur Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armeniern. Insbesondere gegen Bundestagsabgeordnete mit türkischen Wurzeln gab es auf Einschüchterung gerichtete Droh- und Hasskampagnen. Einige dieser Abgeordneten aus unterschiedlichen Parteien gaben dem antidemokratischen, geschichtsleugnenden Druck nach und stimmten gegen den Beschluss bzw. nahmen nicht an der Abstimmung teil. Es war Cem Özdemirs großes Verdienst, sich diesen islamistischen Verleumdungskampagnen entschieden in den Weg zu stellen. Erdogan attackierte ihn daraufhin im Juni 2016 als „charakterlos“ und als „den Mann, der in Deutschland sein eigenes Land des Völkermordes beschuldigt und bei so einer Entscheidung die führende Rolle spielt“. Heute kann Özdemir in Berlin kaum noch Taxi fahren, zu groß ist die Gefährdung durch ultranationalistische türkischstämmige Taxifahrer.

Pinar Cetin war bei diesen geschichtsleugnenden Protesten eine der zentralsten Stimmen. In der Tagesschau wurden Ausschnitte ihrer Rede – die jeden Demokraten erschüttern und sie als demokratische Gesprächspartnerin eigentlich hätte disqualifizieren sollen – zur besten Sendezeit wiedergegeben. Hierin sprach Cetin sogar demokratischen deutschen Abgeordneten und dem deutschen Bundestag insgesamt das Recht ab, sich über diesen türkischen Völkermord an den Armeniern ein eigenes Urteil zu bilden und sich dazu zu äußern:

Erstaunlich: Pinar Cetins geschichtsleugnende Kampfrede blieb folgenlos. Drei Jahre später trat sie erneut als zentrale Sprecherin islamistischer Interessen auf – bzw. als Sprecherin für Integration und „selbstbestimmtes Leben“, diesmal bei den Berliner Grünen. Auf Youtube findet man das Video ihres Redebeitrages vor den Grünen bei der Namenssuche gleich an vorderster Stelle; es wurde von Bündnis90/Die Grünen Berlin am 9.4.2019 gepostet: „Pınar Çetin von der Deutschen Islam Akademie spricht zum Leitantrag „Selbstbestimmt Leben““, heißt es dort. Bei der Personenbeschreibung wird vor grünem Hintergrund eingeblendet: „Pinar Cetin, Deutsche Islam Akademie“. In einer weiteren Untertitelung des Videos wird Frau Cetin als „Gastrednerin auf der Landesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen Berlin zum Leitantrag „Selbstbestimmt Leben““ vorgestellt.

In ihrem Redebeitrag teilt die eloquent und mit moralischem Pathos auftretende islamische Interessenvertreterin mit, dass ihre eigenen Kinder bereits in der 4. Generation in Deutschland leben würden. Sie spricht sich mit großer Vehemenz für ein gemeinsames Miteinander und gegen Diskriminierung aus. Insbesondere in deutschen Haftanstalten hätten muslimische Häftlinge unter starker Diskriminierung zu leiden. Islamophobie sei in Deutschland stark ausgeprägt und zeige sich am stärksten in der Schule. Diese „Islamophobie“ werde zu „67 Prozent“ durch Lehrer gezeigt. Deshalb wendet sie sich in ihrem mit viel Beifall bedachtem Redebeitrag vor den Berliner Grünen gegen das Berliner Neutralitätsgesetz: „Ich glaube, dass Frauen, die ein Kopftuch tragen, sehr wohl an Schulen unterrichten können“, versichert sie. In Berlin brauche man unbedingt einen „Beauftragten gegen Islamfeindschaft oder gegen antimuslimischen Rassismus in unserer Regierung“ verkündet sie unter starkem Beifall der Grünen Delegierten.

Ehrung für „außergewöhnlichen Einsatz“ – und Proteste

Dieser Einsatz der Lobbyvertreterin der Deutschen Islam Akademie hat kürzlich eine besondere Ehrung erfahren: Laut Pressemeldung der Berliner Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales vom 21.12.2020 wurden Pinar und Ender Cetin „für ihren langjährigen, innovativen und humorvollen Einsatz für eine interkulturelle und interreligiöse Begegnung, ihr mutiges, vorbildhaftes Engagement auch in Konflikten Brücken zu bauen sowie für ihren leidenschaftlichen Einsatz gegen Zuschreibungen und Vorurteile“ Ende Dezember 2020 mit dem „Band für Mut und Verständigung“ ausgezeichnet. Dies sei, so heißt es in der Pressemitteilung weiterhin, zugleich eine „Ehrung für außergewöhnlichen Einsatz.“

Dabei hätten bei den Laudatoren zumindest seit 2016 – wie beschrieben – durchaus Zweifel an der moralischen und politischen Integrität der Ausgezeichneten auftreten können. Auf Twitter wurde schon seit mehreren Jahren auf die fortdauernde Leugnung des türkischen Völkermordes an den Armeniern durch türkische Nationalisten wie auch durch Pinar Cetin selbst hingewiesen, so durch Haypress (24.10.2019), den renommierten Blogger „Schmalle & die Welt“ (24.4.2020), Ali Utlu (26.8.2020) sowie Yellow_yellow-arrow.

Die Berliner Grünen distanzierten sich im Oktober 2019 nach einem Protest u.a. von Ilias Uyar sowie einem Hinweis der „Meldestelle Islamismus“ von ihrer Gastrednerin.

Konsequenzen aus den verleugnenden Äußerungen Cetins zog auch die Katholische Akademie Berlins (KAB): Anfang 2019 teilte die „Islamische Zeitung. Unabhängig seit 1995“ auf ihrer Website mit, dass sich am 24.1.2019 erstmals „Vertreter beider Religionen“ in den Räumlichkeiten der Berliner Katholischen Akademie inhaltlich ausgetauscht hätten. Weiterhin wird dort zu dem Treffen hervorgehoben: „Es war die erste gemeinsame Veranstaltung der katholischen Bildungsstätte mit der „Deutschen Islam Akademie“. Die vor gut einem Jahr begründete Initiative mit Vereinsstatus will neue Wege im Dialog von Muslimen mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen einschlagen, wie die Vorsitzende Pinar Cetin erklärte. Nach Angaben der studierten Politikwissenschaftlerin engagieren sich in Berlin rund 60 junge Muslime für das Projekt, das auch bundesweit ausstrahlen soll. Ein weiterer Kooperationspartner ist die Bundeszentrale für politische Bildung.“

Auf Qantara.de wurde das prestigeträchtige Treffen in vergleichbarer Weise vorgestellt. Auch der Berliner Senat habe in Form ihres Staatssekretärs Gerry Woop (Die Linke) die Initiative als „spannenden Ansatz“ gewürdigt, der „die Stadtgesellschaft und den interreligiösen Dialog bereichern könne“. 

Der Direktor der Katholische Akademie, Joachim Hake, pries sein neues Medienformat zeitgleich in einem eigenen Video vom 17.1.2020 als hoffnungsträchtigen gemeinsamen Versuch zur Eindämmung von Hass und Ressentiments. Und auch das Domradio (25.1.2019) stellte die gemeinsame Tagung von jungen Muslimen mit der Katholischen Akademie Berlin als eine Initiative vor, die „neue Wege im Dialog von Muslimen mit Angehörigen anderer Religionen und Weltanschauungen einschlagen, wie die Vorsitzende Pinar Cetin erklärte.“

Nach vereinzelten Protesten angesichts der den Völkermord leugnenden Äußerungen von Cetin suchte der Akademieleiter Hake ein klärendes Gespräch mit Cetin. Eine Klärung konnte hierbei offenkundig nicht erreicht werden. Joachim Hake teilte am 19.9.2020 via Twitter mit, dass das klärende Gespräch mit Pinar Cetin geführt worden sei: „Das Gespräch hat stattgefunden. Hier hat Frau Pinar Cetin im wesentlichen nur die Äußerungen ihrer Pressemitteilung vom August wiederholt. Es ist völlig klar, dass eine Kooperation der Katholischen Akademie mit Frau Cetin oder mit der DIA damit völlig ausgeschlossen ist.“

Ilias Uyar: Scharfe Kritik an der Ehrung

Vor zwei Wochen hatte der Kölner Rechtsanwalt und langjährige Freund und Weggefährte des vielfältig ausgezeichneten Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli, Ilias Uyar (https://www.hagalil.com/2015/05/armenier-6/ , https://www.hagalil.com/2018/04/koeln-denkmal/) deutlichen Widerspruch gegen diese fragwürdige Ehrung erhoben – und war damit erfolgreich. Am 26.2.2021 teilt Ilias Uyar auf Facebook mit:  „Pinar Cetin nicht mehr Preisträgerin des Bandes für Mut und Verständigung!“. Er erinnert an besagte Rede Cetins bei der geschichtsrevisionistischen Kundgebung gegen den bevorstehenden Bundestagsbeschluss vom Februar 2016, in dem diese, im Kontext der breiten Propaganda erdogantreuer und islamistischer Verbände gegen den Bundestagsbeschluss zur Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armeniern, den Völkermord an den Armeniern relativ unverschleiert in Abrede stellt. Ilias Uyar erinnert auch an eine via Twitter am 9.11.2018 verbreitete Stellungnahme von „Haypress“, dass Cetin „als Mitarbeiterin beim Violence Prevention Network (VPN)“ „deradikalisieren“ wolle, zugleich jedoch „den Genozid an den Armeniern als „Lüge““ bezeichnet habe und Zweifel an der „Herkunft türkischstämmiger Abgeordneter die für die Armenien-Resolution stimmten“, geäußert habe.

Dogan Akhanli und Ilias Uyar

Weiterhin führt der renommierte Rechtsanwalt Uyar in seinem Protestschreiben aus:

„Vor 11 Tagen hatte ich die Verantwortlichen in einem Offenen Brief aufgefordert den Preis an Pinar Cetin abzuerkennen. Genozidleugnung darf nicht honoriert werden! Die Integrationsbeauftragte Berlins hat auf meine Kritik an der Preisverleihung hin eine Sondersitzung der Jury einberufen und Pinar Cetin zur Stellungnahme aufgefordert. Heute habe ich von den Verantwortlichen folgende Nachricht erhalten:

„Sehr geehrter Herr Ilias Uyar,

nachdem das Ehepaar Cetin den Preis zurück gegeben haben, hat die Jury heute mit einer Stellungnahme reagiert:

Stellungnahme der Jury des Preises „Band für Mut und Verständigung“ zur Preisrückgabe von Pınar Çetin

In den vergangenen Wochen wurde die Verleihung des Preises „Band für Mut und Verständigung“ 2020 an die Preisträgerin Pınar Çetin scharf kritisiert.

Im Zentrum der Kritik standen dabei die Äußerungen von Frau Çetin über die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages vom Juni 2016 und über Abgeordnete, die die Resolution unterstützten.

Das Bündnis für Mut und Verständigung, das den Preis jährlich vergibt, stellt dazu unmissverständlich klar, dass der Genozid an den Armenier*innen ein nicht anzuzweifelndes Verbrechen ist, und verurteilt jegliche Relativierung.

Die Auswahl von Pınar Çetin als Preisträgerin geschah im Hinblick auf ihre aktuelle Arbeit, die sie in den letzten Jahren im interkulturellen und interreligiösen Bereich mit der Deutschen Islam Akademie geleistet hat, und in Unkenntnis ihrer Äußerungen zur Armenien-Resolution.

Im Gespräch mit der Jury konnte Frau Çetin glaubhaft machen, dass sie im Zuge eines kritischen Reflexionsprozesses ihre Ansichten geändert habe. Sie habe Fehler gemacht und ziehe daraus die Konsequenzen. Die Arbeit der Deutschen Islam Akademie wird von den Mitgliedern des Bündnisses nach wie vor als ein positiver Beitrag zum gegenseitigen Verständnis und zum Abbau von Vorurteilen und Ressentiments gesehen.

Die Jury respektiert den Schritt der Preisrückgabe und nimmt dies zum Anlass, die Entscheidungspraxis der Preisvergabe anzupassen.“

Pinar Cetin wollte vermutlich die Schmach vermeiden, den Preis aberkannt zu bekommen und hat dann den freudig angenommenen Preis als letzte Lösung selbst zurückgegeben. Ich würde mir wünschen, wenn Preisjurys besser aufpassen würden, wen sie für die „interkulturelle Arbeit“ auszeichnen – ebenso Organisationen die darauf achten sollten mit welchen Institutionen sie im Rahmen von interkultureller Arbeit und Integration kooperieren. Das ist nämlich kein Einzelfall!“

Auch Cetin selbst gab daraufhin, auf der Website der „Deutschen Islam-Akademie“, an, dass sie und ihr Ehemann den Preis zurückgeben würden. Sie fügte eine Distanzierung von ihren früheren Reden hinzu. Sie stehe heute „an einem anderen Punkt als damals.“ Sie wolle „klar und unmissverständlich zum Ausdruck bringen“, dass sie „die Verbrechen an den Armenier*innen um 1915/16 nicht anzweifle und die Massaker an unschuldigen Menschen aufs Schärfste verurteile.“ Es tue ihr, so fügt sie in vielleicht irritierend anmutender Wortwahl hinzu, „aufrichtig leid, wenn ich mit meinen Aussagen, Armenier*innen und Betroffenen ihr Leid abgesprochen habe.“ Heute wolle sie „die türkische Seite ermutigen“, sich mit den „damaligen Vertreibungen und Massakern offen auseinanderzusetzen.“

Anhaltende Kritik

In Hintergrundgesprächen mit Szenekennern und Beteiligten sind vielfältige Spekulationen über die Motive für diese diplomatisch formulierte Distanzierung zu hören. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Aberkennung der Auszeichnung unvermeidlich war; die Distanzierung erfolgte erst nach Kenntnisnahme dieses Faktums.  Es wurde auch vermutet, dass sie und ihre Institution ansonsten keine staatlichen Gelder mehr bekämen und nicht mehr als Gesprächspartner akzeptiert werden könne.

Insbesondere armenischen Gesprächspartner hoben ihr Erstaunen hervor, dass Pinar Cetin den entscheidenden Begriff in ihrer Distanzierung nicht verwendet hat: Sie spricht von „Verbrechen“, von „Massakern“, vom Leid der „Betroffenen“. Aber der zentrale historische Begriff des Völkermordes, des Genozids an den Armeniern, den der Deutsche Bundestag verwendet hatte, den verwendet sie weiterhin nicht.

Klärungsbedarf, das muss man wohl feststellen, besteht weiterhin – auch was die Motive für diese doch erkennbar fragwürdige Auszeichnung waren.

Bild oben: Screenshot Twitter Haypress