Ein Hauen und Stechen

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Der Streit um den Staatshaushalt sowie den neuen Untersuchungsausschuss in der sogenannten U-Boot-Affäre könnten die Sargnägel für Israels Regierungskoalition sein. Kommt es zum Bruch, drohen Neuwahlen. Es wären dann die vierten in weniger als zwei Jahren…

Von Ralf Balke

Es kracht wieder einmal heftig im Koalitionsgebälk. Gewiss, Streit unter Partnern in einer Regierung ist nichts besonderes, auch in Israel ist so etwas eher die Regel als die Ausnahme. Doch die Art und Weise, wie gerade die Spitzen von Likud und Blau-Weiß sich gegenseitig das Leben schwer machen und damit die politische Dauerkrise der vergangenen zwei Jahre fortsetzen, hat eine völlig neue Dimension angenommen. Ein zentrales Streitthema ist der Staatshaushalt für das Jahr 2021. Am Montag sollen erste Zahlen genannt werden, von 426 Milliarden Schekel ist die Rede, umgerechnet also rund 105 Milliarden Euro. Darin nicht enthalten sind jedoch alle möglichen Maßnahmen, die als wichtig im Kampf gegen die Folgen der Coronavirus-Pandemie betrachtet werden. Spätestens Ende März 2021 muss dieser unter Dach und Fach sein. Aber nicht nur das. Zur Debatte steht weiterhin der Haushalt für das laufende Jahr 2020, der immer noch nicht verabschiedet wurde.

Zum besseren Verständnis: Obwohl 2020 sich langsam aber sicher dem Ende zuneigt, existiert weiterhin kein offizieller Haushaltsplan, und das, obwohl in den Koalitionsvereinbarungen von Likud und Blau-Weiß, den beiden größten Regierungsparteien, beschlossen wurde, einen Zweijahreshaushalt bereits im Sommer vorzulegen. Genau das ist aber bis dato noch nicht erfolgt, weshalb vor allem im Gesundheits- und Bildungswesen nach wie vor große Verunsicherung herrscht. Überall fehlen Gelder, die derzeit niemand bewilligen kann. Planungssicherheit ist deswegen kaum gegeben, und das mitten in der wohl schwersten Wirtschaftskrise seit Bestehen des Staates. Sollte es bis zum 23. Dezember 2020 keine Einigung geben, wird die Knesset automatisch aufgelöst und es kommt zur Ausrufung von Neuwahlen. Wird dieser Fall eintreten, ist ebenfalls mit der für den 17. November 2021 geplanten Übergabe der Amtsgeschäfte an Benny Gantz Essig, und Benjamin Netanyahu würde bis zu dem erneuten Urnengang und der Bekanntgabe der Ergebnisse Ministerpräsident bleiben. Nicht wenige seiner Kritiker vermuten dahinter eine klare Taktik. Platzt die Koalition vorzeitig wegen des Streits um den Haushalt, muss sich Netanyahu auch nicht mehr an die Absprachen halten und das Rotationsverfahren wäre bereits Geschichte, bevor man es umgesetzt hätte.

Mittlerweile beschäftigt sich ebenfalls der Oberste Gerichtshof mit dem Thema. Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit forderte am Sonntag die Regierung unmissverständlich dazu auf, endlich die Zahlen für das Jahr 2020 auf den Tisch zu legen, damit bis zu der Deadline am 23. Dezember ausreichend Zeit bleibt, darüber zu debattieren und abzustimmen – alles andere sei gegen das Gesetz, betonte er. Und Gantz erklärte vergangene Woche, dass man sich in seiner Partei an die Vereinbarungen halten werde. „Ich gebe das Rotationsverfahren nicht auf. Es ist das, was unser Land dringend braucht“, sagte er in einem Gespräch mit Arutz 12. „Wir haben ein Abkommen unterzeichnet, wir haben der Öffentlichkeit dabei in die Augen geschaut. Wenn sich Netanyahu an die Vereinbarungen hält, wird es einen Haushalt geben und damit auch eine Regierung. Und ich werde im November nächsten Jahres Ministerpräsident.“ Trotzdem, mehrfach warnte Gantz, „dass die Uhr tickt.“ Und sollte bis zum 23. Dezember kein Haushalt bewilligt worden sein, so läge es an Netanyahu „der Öffentlichkeit die Gründe dafür zu erklären.“

Der Haushaltsplan ist aber nicht das einzige Thema, weshalb es zwischen dem Likud und Blau-Weiß derzeit zum Hauen und Stechen kommt. Netanyahu lässt wohl kaum eine Gelegenheit aus, seine Koalitionspartner zu brüskieren. Das geschieht aktuell vor allem im Bereich Außenpolitik. Als vor wenigen Tagen die Sensationsmeldung kam, dass der Ministerpräsident in Begleitung von Mossad-Chef Yossi Cohen nach Saudi Arabien zu Gesprächen mit dem Kronprinz Mohammed bin Salman gereist war, erfuhren Außenminister Gabi Ashkenasi sowie Verteidigungsminister Benny Gantz wie alle anderen Israelis auch davon zuerst aus der Presse. Die Tatsache, dass wichtige Regierungsmitglieder und Koalitionspartner in keinster Weise in diesen Vorgang eingeweiht waren, ist ein eklatanter Beweis für den herrschenden Mangel an Vertrauen zwischen allen Beteiligten. Und Netanyahu konnte sich wie bereits bei den Abkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrain und bald auch dem Sudan als derjenige inszenieren, der Friedensverträge mit sunnitischen Staaten in Serie produziert und munter Bündnisse in der gesamten arabischen Welt schmieden kann – das Ganze hat also bereits den Beigeschmack von Wahlkampf.

Doch Gantz steht keinesfalls abseits und agiert nun ebenfalls munter gegen den amtierenden Ministerpräsidenten. Denn jüngst signalisierte er seine Zustimmung für die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses in der sogenannten U-Boot-Affäre. Diese – auch bekannt unter der Bezeichnung Fall 3000 – dreht sich um die massiven Bestechungsvorwürfe rund um den Milliarden-schweren Einkauf von Unterseebooten und anderen Schiffen für die israelische Marine bei dem deutschen Unternehmen Thyssenkrupp. Gegen zahlreiche Personen aus dem unmittelbaren Umfeld von Netanyahu wurde deshalb bereits Anklage erhoben, nicht aber gegen den Ministerpräsidenten persönlich, der zwar als eigentlicher Drahtzieher des Deals gilt, jedoch nicht als Verdächtigter, was sogar der ihm gewiss kaum wohlwollend eingestellte Generalstaatsanwalt Mandelblit sagt.

Immer wieder hatte die Opposition einen derartigen Untersuchungsausschuss gefordert, nur war sie damit an dem Veto von Gantz gescheitert – jetzt plötzlich die Kehrtwende. Innerhalb von vier Monaten soll dieses Gremium alle relevanten Vorgänge prüfen dürfen und dann seine Ergebnisse präsentieren, was – auch das kein Zufall – terminlich dann wohl kurz vor den Wahlen wäre, sollte denn am 23. Dezember die Koalition platzen und es zu weiteren Urnengang kommen. Für Netanyahu könnte das unangenehm werden, weshalb er bereits vor Wut schäumte. Dabei muss er selbst den undankbaren Job nicht übernehmen, das Regierungsbündnis endlich zu Grabe zu tragen. Dafür steht Innenminister Aryeh Deri von der sephardisch-orthodoxen Shass-Partei bereits in den Startlöchern, der bereits ankündigt hatte, in „dieser Stunde der Wahrheit“ wohl gegen einen solchen Untersuchungsausschuss zu stimmen.

„Gantz erweist sich damit als gewiefter Schüler seines Lehrmeisters Netanyahu“, lautet dazu beinahe schon voller Anerkennung der Kommentar von Haviv Rettig Gur in der Times of Israel. „In einem politischen Amt zu sein, hat nun einmal seine Vorteile, und nur ein Narr würde diese nicht nutzen wollen. Kurz vor dem Wahltag wird dann ein Bericht des Verteidigungsministeriums erscheinen, der die Korruptionsvorwürfe ins Rampenlicht der Nachrichten rückt, die einige von Netanyahus engsten Berater betreffen. Aus Frust darüber, dass Netanyahu in seinen endlosen Manövern wie jetzt auch im Fall des Streits um den Staatshaushalt dafür Sorge trägt, damit das Rotationsverfahren auf keinen Fall umgesetzt wird, schlägt Gantz nun gleichfalls mit harten Bandagen zurück.“ Darüber hinaus legt ein solcher Schritt den Verdacht nahe, dass sich Gantz ebenso mit der Option Neuwahlen angefreundet hat und seinen potenziellen Kontrahenten nun im Vorfeld schwächen möchte. „Oder er will die Koalition noch in letzter Minute retten, hat aber seine Strategie aufgegeben, Netanyahu alles zu geben, was er will, nur um die Regierung künstlich am Leben zu erhalten“, so Haviv Rettig Gut. Dann stände er auch vergleichsweise gut da.

Das könnte unter Umständen sogar funktionieren. Denn Neuwahlen im März dürften Netanyahu wenig gefallen. Die Coronavirus-Pandemie wird zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeklungen sein. Der amtierende Ministerpräsidenten liebäugelt wohl eher mit einem Termin im Sommer, wenn vielleicht das desaströse Krisenmanagement wieder etwas in Vergessenheit geraten sein wird, er aber noch nicht den Stab an Gantz hätte weiterreichen müssen. Deshalb könnte Netanyahu eher Ende März, der Deadline für die Verabschiedung des Haushaltsentwurfs für 2021, ein Ende der Koalition provozieren und jetzt im Streit nachgeben.

Unabhängig davon, wie das alles ausgeht. Schon jetzt wird in Israel wieder vermehrt auf die Meinungsumfragen geschaut. Zwar dürfte der Likud, die Partei von Ministerpräsident Netanyahu, im Vergleich zu den letzten Wahlen, reichlich Federn lassen, wird aber wohl weiterhin mit rund 30 Sitzen die stärkste Kraft in der Knesset bleiben. Dicht auf die Fersen ist ihnen jedoch die oppositionelle Rechts-Partei Yamina mit Naftali Bennett an der Spitze gerückt, die aktuell auf mindestens 20 Sitze und damit einer Vervierfachung ihres Ergebnis vom Frühjahr käme. Auf Platz drei dann – ebenfalls in der Opposition sitzend – die zentristische Yesh Atid-Partei von Yair Lapid, auf Platz vier die Vereinte Arabische Liste. Gantz dagegen wäre erst auf Platz fünf und müsste sich diesen mit Shass und der nationalistischen Israel Beitenu-Partei teilen. Netanyahu als Ministerpräsidenten zu beerben – diesen Traum kann er sich jedenfalls erst einmal abschminken, dafür hat sein Image als glaubwürdige Bibi-Alternative in den vergangenen Monaten zu sehr Schaden genommen.

Aber auch Netanyahu muss sich ernsthaft Sorgen machen. Selbst wenn seine Partei als Sieger hervorginge, so könnte ein Bündnis unter der Führung von Nafatli Bennet, der mit ihm noch ein paar Rechnungen offen hat, gemeinsam mit Yesh Atid, Blau-Weiß und Israel Beitenu durchaus Potenzial haben, ihn vom Thron zu stoßen. Offen ist nur, wer sich einem solchen Bündnis aus anderen Parteien noch anschließen würde, aber die israelische Politik ist bekanntermaßen ja immer für Überraschungen gut. Nur eines hat Bestand: Auch die nächste Koalition wird kein polygame Liebesehe, weshalb es garantiert schnell wieder zum Krach käme.

Bild oben: Benny Gantz und Benjamin Netanyahu bei der Unterzeichnung des Koalitionsabkommens, Foto: GPO

1 Kommentar

  1. Viele Israelis wünschen sich eine neue Regierung. Mit einem PM der keine krankhafter Egomane, kein Lügner und Narzisst ist. Ein PM der untadelig ist und nicht eine gerichtliche Untersuchung wegen kriminellem Vergehen gegen den Staat gewärtigen muss.

    Wir wünschen uns eine Regierung ohne Parteipolitiker, eine Regierung bestehend aus Menschen mit Fähigkeiten, egal welcher Partei.

    Deshalb sind wir Israelis für Neuwahlen. PM Narzissyahoo & Sarah müssen abgewählt werden.

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