Kein Happy End

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Ein Nachruf auf Yehuda Barkan (1945-2020)…

Von Benjamin Rosendahl

„Ich sprach einmal mit dem israelisch-amerikanischen Hollywood-Produzenten Arnon Milchen. Er erzählte mir vom Film „Pretty Woman“, und davon, dass ursprünglich ein ganz anderes Ende vorgesehen war, ein trauriges Ende, wo sich die Wege des Paares trennen. Das Publikum der Probevorstellung war damit ganz und gar nicht einverstanden.“

An dieses Gespräch erinnerte sich der israelische Schauspieler Yehuda Barkan, der diese Woche an den Folgen einer Corona-Erkrankung verstarb. Obwohl er viele dramatische Rollen spielte, war Barkan vor allem für die sogenannten „Borekas-Filme“ bekannt, seichte vom Publikum geliebte und von der Kritik zerrissene Situationskommödien, bei der es immer auch um aschkenasisch-sefardische Kulturdifferenzen ging. (Borekas ist eine israelische Version des türkischen Böreks, und wurde in den Filmen oft vertilgt) Den wohlhabenden aschkenasischen Schwächlingen wurde meist sefardische Draufgänger aus einfachen Verhältnissen entgegengestellt, Schlitzohren, die das Gesetz nicht so ernst nehmen, und den Aschkenazim das Mädchen ausspannen. Happy End.

Genug ist Genug

Den sefardischen Draufgänger spielte meistens Yehuda Barkan, mit Hut, Schnurrbart und Zigarre im Mund. Dabei war der 1945 als Yehuda Berkowitz in Netanja geborene Schauspieler Sohn auf beiden Seiten Aschkenaze. Seine Eltern sprachen nicht Arabisch, sondern Jiddisch miteinander. Als er sein nicht sehr gutes Schulzeugnis nach Hause brachte, nahm es sein Vater zum Minimarkt, denn er konnte nicht Hebräisch lesen – es fand das folgende Gespräch statt:

(auf Hebräisch)

„Was steht da?“
„Mathe – maspik, Englisch – maspik, Lesen – maspik“
„Was ist maspik?“

(auf Jiddisch)
„Genug“
„Genug? Gut! Genug ist genug!“

Aber genug war nicht genug für Barkan: In einer der bekanntesten Szenen seiner Filme füttert er seinen Erzfeind Eier mitsamt Schale, und bringt alle Herumstehenden – sowie die Zuschauer – zum Lachen.

Die 1970er und 1980er Jahre brachten Barkan viel Erfolg – sowohl die Borekas-Filme als auch seine „Versteckte Kamera“-Streiche. Die Kritiker zerrissen beides unentwegt, aber die Kinosäle waren voll.

Zettel in der Toilette                                          

Eines der größten Erfolgserlebnisse Barkans war es, in die Schauspielschule eingeladen zu werden, die ihn 30 Jahre vorher herausgeschmissen hatte. „Das war die einzige Schule gewesen, wo es mir Spass gemacht hatte, zu gehen“, sagte Yehuda Barkan, der keinen Schulabschluss hatte, später. Auch die „Beth Zwi“-Schauspielschule meinte, er hätte kein Talent, und zeigte ihm nach 3 Monaten die Tür.

Bevor er „Beth Zwi“ verließ, schrieb Barkan einen Zettel, den er auf der Toilette der Schule versteckte. „Ihr werdet noch von mir hören“, stand da drauf. Als er 30 Jahre später von Beth Zwi eingeladen wurde, um einen Vortrag zu halten, erzählte er diese Geschichte. Und fügte hinzu: „der Zettel ist wahrscheinlich immer noch dort…“

Liebe in Schlaykes

„Du Schürzenjäger!“ wird Benno (Barkan) im Film „Ahava in Schlaykes“ (Liebe in Hosenträger), der 2019 herauskam beschimpft. Die Haare sind weiß geworden, der Bart auch, aber sein Hut und sein Schlawiner-Blick lässt den Lausbub von früher erahnen.

In letzten Jahren wurde es ruhig um Barkan. Ein von ihm produzierter Film floppte, und er ging bankrott. In derselben Zeit nahm er Anleihen vom Schwarzmarkt, wurde von der Steuer gejagt, und er näherte sich der Religion an. Mit seiner dritten Frau zog er in ein religiöses Moschaw, und widmete sich den Enkeln. Er hatte kleinere Rollen im Fernsehen, meistens dramatische. Der Lausbub war gereift.

Die romantische Kommödie „Liebe in Schlaykes“ war seine erste Hauptrolle in vielen Jahren Barkan spielt dabei einen Witwer, der einsam und pleite in einer kleinen Wohnung in grausamen Zustand lebt, deren Miete er schon seit Monaten nicht zahlen kann. Als er von einer wohlhabenden Witwe fast überfahren wird, verlieben sich die beiden. Die Witwe wird von seiner Schauspielkollegin Nitza Shaul gespielt, die auch sein Liebesinteresse in einen der Borekas-Filme war.

„Zweimal, im Abstand von fast 50 Jahren, habe ich mich auf der Leinwand in Nitza Shaul verliebt, die beide Male die wohlhabende Frau spielte, die sich ein armer Hallunke wie ich nicht leisten kann. Und beide Filme endeten damit, dass ich sie heiratete.“

Happy End?

Das bringt uns zum Gesprächs Barkan mit Milchen. Die Schlußfolgerung von „Pretty Woman“, genauso wie die fast aller Filme von Barkan, ist die (Zitat Yehuda Barkan): „Wenn die Menschen sich einen Film anschauen, dann wollen sie ein Happy End sehen. Denn im wirklichen Leben haben die meisten kein Happy End.“

Benjamin Rosendahl ist Projektleiter, Übersetzer und Journalist. In München geboren, lebt er in Tel Aviv mit seiner Frau Liron und der gemeinsamen Tochter Alma. Seine Artikel bei der Webseite Re:Levant kann man hier finden.

Bild oben: Yehuda Barkan (Mitte am Telefon) im Film „Charlie weChezi“, 1975, (c) Yoni S.Hamenahem, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported