Für Prophet und Führer

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Wie stand eigentlich die NS-Diktatur zum Islam und den Muslimen? Eine Antwort auf diese Frage will der Historiker David Motadel geben. Er ist in Detmold geboren und derzeit Professor für Internationale Geschichte an der London School of Economics. Sein Buch „Für Prophet und Führer. Die Islamische Welt und das Dritte Reich“ ist eine umfangreiche Studie dazu, worin die Islam-Politik des NS-Regimes erstmals auf breiter Quellengrundlage veranschaulicht wird…

Von Armin Pfahl-Traughber

Darüber hinaus nimmt der Autor auch Deutungen hinsichtlich der Motive vor, wobei er nicht von ideologischen Gemeinsamkeiten, sondern vom praktischen Nutzen ausgeht. Für ihn haben die Nationalsozialisten die Muslime instrumentalisiert und sind in diesem Sinne einer Tradition gefolgt. Daher beginnt der Autor auch mir der Islampolitik des Kaiserreichs, gab es doch zu Beginn des Ersten Weltkrieges politische Bemühungen, Muslime für die deutsche Seite nicht nur als Soldaten zu mobilisieren. Dies geschah ausdrücklich unter propagandistischer Berufung auf den Islam.

Nachdem der Autor diese frühe Entwicklungsphase, wobei es beachtenswerte inhaltliche und personelle Kontinuitäten gab, als Vorgeschichte thematisiert hat, geht er über zur Islampolitik des Dritten Reiches, welche aber erst nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs aus militärstrategischen Gründen begonnen habe. Durch das ganze Buch hinweg betont Motadel immer wieder die besondere Motivlage: „Die deutsche Islampolitik – das Streben nach einem Bündnis mit der islamischen Welt – war primär durch politische Interessen und strategische Überlegungen motiviert, nicht durch ideologische Beweggründe“ (S. 72). Man brauchte zum einen neue Soldaten für den Krieg, aber zum anderen auch Proteste gegen die Kriegsgegner. So sollten etwa die arabischen Muslime gegen die britischen Truppen aufgehetzt werden. Der Autor verweist hier auf die intensive Propaganda, die sowohl durch diverse Broschüren wie einen eigenen Radiosender vorangetrieben wurde. Einflussreiche Personen wie etwa der Mufti von Jerusalem stellten sich dabei auf die deutsche Seite.

Dabei kam auch der antisemitischen Agitation immer wieder große Bedeutung zu, wobei es darauf unterschiedliche Reaktionen gab. Sie reichten vom Einklang über Gleichgültigkeit bis zum Mitgefühl. Während etwa der Mufti von Jerusalem zum Mord an den Juden aufrief, unterstützte Sultan Mohammed V. von Marokko seine jüdischen Untertanen. Der Autor geht dann ausführlich auf die NS-Islampolitik, nicht nur im Nahen Osten und Nordafrika, sondern auch auf dem Balkan und der Ostfront ein. Aktiv habe man Muslime für die Waffen-SS und Wehrmacht angeworben.
Nebenbei macht Motadel auf den Pragmatismus aufmerksam, passte dies doch nicht zur rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten. Als kurioses Detail wird darauf hingewiesen, dass das aus antisemitischen Gründen erlassene Schächtverbot 1944 für muslimische Soldaten aufgehoben wurde. Bilanzierend heißt es: „Der Islam wurde … als politische Kraft gesehen, die gegen die Alliierten eingesetzt werden konnte. Ideologische Überlegungen spielten hingegen nur eine untergeordnete Rolle“ (S. 368).

Dies alles wird anhand von vielen Belegen und meist auch mit guter Struktur veranschaulicht. Gelegentlich weicht der Autor zwar von der historischen Chronologie ab, was mitunter irritierend wirkt, kommt dann aber zum eigentlichen Thema zurück. Auch könnte darauf kritisch hingewiesen werden, dass die frühen Debatten im militärischen Kontext nicht immer genügend Relevanz fanden. Diese Einwände mindern aber nicht die gute Forschungsleistung. Der Autor zeigt auch überzeugend auf, dass die Nationalsozialisten nicht geplant, sondern improvisierend vorgingen. Aufmerksamkeit verdienen außerdem die Aussagen, die sich auf das positive Islambild vieler führender Nationalsozialisten beziehen (vgl. S. 77-87). Bedauerlicherweise fehlen Einschätzungen zu der Frage, wie die antisemitische NS-Propaganda in der arabischen Öffentlichkeit wirkte. Außerdem nimmt der Autor die Muslime primär als Objekte wahr. Erkennbar wurden sie instrumentalisiert, aber man muss sich auch instrumentalisieren lassen. Erklären da die gemeinsamen Feindbilder alles?

David Motadel, Für Prophet und Führer. Die Islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017 (Klett-Cotta), 568 S., Bestellen?