Rechte Gewalt

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Laut Amadeu-Antonio-Stiftung forderte Rechte Gewalt seit 1990 in Deutschland 208 Todesopfer. Die unter anderem auf Wikipedia veröffentlichte Liste der Opfer ist ein ebenso erschütterndes wie aufschlussreiches Dokument. Die meisten Ermordeten tragen keinen deutsch klingenden Namen, was auf Rassismus als häufigstes Tatmotiv verweist. Trotzdem – oder deshalb – waren der Staat und weite Teile der Politik lange Zeit blind gegenüber Rechter Gewalt. Nur wenn es gar nicht mehr von der Hand zu weisen war, wurde zugestanden, dass die Gewalt von Rechten und aus ideologischen Motiven begangen worden war. Der NSU-Skandal ist nicht nur diesbezüglich ein eindrückliches Lehrstück…

Editorial zum Themenschwerpunkt Heft 379
iz3w – Informationszentrum 3. Welt

Erst die Ermordung des weißen, christlichen CDU-Politikers Walter Lübcke im Juni 2019 veränderte die gängige Wahrnehmung der Rechten Gewalt. Innenminister Horst Seehofer sprach zwar verharmlosend von einem »Alarmsignal« (als ob es davon nicht schon Abertausende gegeben hätte) und befand, »der Rechtsextremismus ist eine erhebliche und ernstzunehmende Gefahr für unsere freie Gesellschaft« (als ob gleichermaßen alle Menschen von Rechter Gewalt betroffen seien). Aber immerhin sind rechte Gewalttäter*innen und ihre ideologischen Wegbereiter*innen seither deutlich stärker in den Fokus staatlicher Behörden gerückt.

Würde Rechte Gewalt endlich in jeder Hinsicht als Gefahr anerkannt, müsste sich die deutsche Gesellschaft einer weiteren traurigen Wahrheit stellen: Dass rechte Gewalttäter*innen keine versprengten Einzeltäter*innen sind, sondern sie immer wieder eine erfolgreiche politische Avantgarde bilden. Die faktische Abschaffung des Asylrechts in Deutschland im Jahr 1993 durch die Mehrheit des Bundestages wäre nicht möglich gewesen ohne die vorangegangenen rassistischen Anschläge in Mölln, Hoyerswerda, Solingen oder Rostock-Lichtenhagen. Bis weit in die Sozialdemokratie hinein glaubte man, nur durch die Gängelung von Geflüchteten dem Rassismus begegnen zu können – wenn man denn Rassismus überhaupt als Problem anerkannte. Ähnliches wiederholte sich ab Herbst 2015, als sich Gewalt gegen Refugees häufte. Rechte Gewalt wird in der Regel assoziiert mit Faschismus und Nationalsozialismus sowie deren politischen Erben (die es nicht allein in Europa gibt).

Dabei stellt sich ein Definitionsproblem: Was ist Rechte Gewalt? Was unterscheidet sie von faschistischer Gewalt? Eine verbindliche Antwort auf diese Frage hat bisher niemand gegeben, auch dieser Themenschwerpunkt kann es nicht. Eines aber ist auffällig: Rechte Strategien und Denkarten ähneln sich weltweit auf erschreckende Weise, etwa durch die Markierung von Minderheiten als ‚Volksfeinde‘. Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Hass auf Frauen scheinen eine Art Grundkonsens rechter Gewalttäter*innen zu bilden. Xenophobe Gewalt in Südafrika oder die Anschläge hindunationalistischer Mobs gegen Muslime in Indien verweisen aber darauf, dass ein allein am historischen Faschismus angelehnter Begriff von Rechter Gewalt zu eng gefasst ist.

Insbesondere die neuen internetbasierten Formen Rechter Gewalt sind in vielen Ländern zum Problem geworden. Selbst in Ländern wie Neuseeland, die kein Hotspot polarisierter Auseinandersetzungen sind, kosteten sie viele Menschenleben. Der von Anders Behring Breivik 2011 in Norwegen verübte Massenmord wurde zum Weckruf für eine ganze Reihe von Attentätern, die ihm nacheifern, in Deutschland zuletzt in Halle und Hanau. Nicht immer sind diese Täter außer in Internetforen vernetzt. Aber ohne logistische und ideologische Unterstützung könnten sie ihre Taten kaum verüben und Resonanz erzielen.

Zu diesem unterstützenden Umfeld zählen neben rechten Regierungen auch neurechte Bewegungen. Sie existieren in Netzwerken und organisierten Strukturen, aber auch in kleinen Zellenkonzepten, die nur ideologisch Bezug aufeinander nehmen. Daneben gibt es weiterhin gut organisierte, eher ‚klassische‘ gewaltbereite Strukturen der Rechten wie Combat18, Blood&Honour, Ku-Klux-Klan und andere. So neu ist die Rechte also gar nicht immer, wie in allen Beiträgen dieses Themenschwerpunkts deutlich wird. Die Ermordung von George Floyd in den USA zeigte überdies einmal mehr, dass Rechte Gewalt oft von Angehörigen staatlicher Institutionen wie der Polizei verübt wird.

So unterschiedlich Rechte im Einzelnen sein mögen: Ihnen allen ist die Gewalt tief eingeschrieben, im Hass gegen Abweichendes sowie in ihrem unbedingten Willen zur Herrschaft. Deshalb formiert sich auch der Widerstand gegen Rechte Gewalt so kategorisch als ein entschiedenes »Nie wieder«. Denn Niederlagen gegenüber der Rechten Gewalt enden tödlich.

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