Haifa und Bahai

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Ab 1996 bin ich regelmäßig Gast in Miriams Haus am Moriya Boulevard in Haifa. Ich genieße den herrlichen Blick aufs Meer. Fast jeden Morgen sitzt auf dem Baum gegenüber vom Balkon eine Eule. Ich betrachte das schöne Tier als Glücksbringer. Und Glück hat sie mir wahrlich gebracht. Meine Aufenthalte in Israel gehören zu meinen schönsten Erlebnissen…

Von Wolfgang Frindte
Aus meinem israelischen Tagebuch

Dazu zählen auch die häufigen Besuche der Gärten des Bahai-Schreins in Haifa. In der Stadt gewesen zu sein und den Schrein und die Gärten der Bahai nicht besucht zu haben, ist eigentlich nicht vorstellbar. Immerhin handelt es sich um die eindrucksvollsten Sehenswürdigkeiten der Hafenstadt.

Die Bahai-Religion ist, so wie die der Drusen, auch eine Abspaltung vom Islam. Allerdings trennten sich die Bahai-Anhänger erst im 19. Jahrhundert vom Islam. Flucht, Vertreibung und Verfolgung durch die muslimischen Fundamentalisten gehörten als bald zu den Schicksalen der Bahai-Anhänger, die bestrebt sind, zu allen Religionen ein gutes Verhältnis zu entwickeln. Überhaupt begrüßen und fördern die Anhänger der Bahai-Religion die kulturelle Vielfalt. Die Bewahrung des Weltfriedens gehört zu den ethischen Grundsätzen der Bahai. Kurz und gut: Es handelt sich um eine friedvolle, humanistische, sozial engagierte Religion. Religion, Vernunft und Wissenschaft dürfen sich nach den Grundsätzen der Bahai-Religion nicht widersprechen. Das mag auch der Grund sein, dass die Bahai vor allem im Osmanischen Reich und in Persien verfolgt und ihre Religionsführer verbannt wurden. Heute gibt es weltweit zirka sieben bis acht Millionen Bahai-Anhänger, deren geistiges Zentrum in Haifa ist. Hier im Bahai-Schrein befindet sich auch das Grab des Religionsstifters Bab und seiner Nachkommen.

Bahai-Gärten in Haifa (2015)

Die Gärten, in deren Mitte der Schrein mit seiner goldenen Kuppel steht, sind terrassenförmig angelegt und erstrecken sich über einen Höhenunterschied von 250 Metern vom Sderot HaZiyyonut, einer Straße auf mittlerer Stadthöhe, bis hinab zur German Colony, also der Stadtregion, wo in den 1930er Jahren auch Deutsche mit Naziaffinität wohnten.

Im Frühjahr blühen in den Gärten die Bäume und Blumen, deren Namen ich nicht kenne. Irritierend sind nur die deutsch-national dreinblickenden bronzenen Adlerskulpturen, die ich so gar nicht in Einklang mit der friedvollen und friedliebenden Bahai-Religion zu bringen vermag. Tatsächlich sollen sie das Tor zum Bahai-Garten bewachen und haben nichts mit nationalistischen Ideologien zu tun.

Die Aussicht von den Terrassen ist atemberaubend. Bei schönen Wetter reicht der Blick über die Bucht von Haifa hinweg nach Akko und weiter bis zu den Bergen im Süden des Libanon.

Auf dem Carmel und der Kibbutz Daliyya

Der Carmel erstreckt sich über zirka 30 Kilometer von Haifa im Norden bis nach Zichron Ja’akow, einer Kleinstadt mit etwas mehr als 20.000 jüdischen Einwohnern, im Süden. Rund um Zichron Ja’akow finden sich die Weinbaugebiete des Carmel. Die Stadtgründung im Jahre 1882 und der Weinanbau wurden ganz wesentlich durch Baron Edmond Benjamin James de Rothschild, einem französischen Mitglied der berühmten Bankiersfamilie, unterstützt. Er war nicht nur ein sehr wohlhabender Mann und Philanthrop, sondern auch ein überzeugter Zionist, dem Israel viel zu verdanken hat. Der Rothschild Boulevard, eine zentrale Straße in Tel Aviv, verdankt ihm seinen Namen.

Ich bin häufig mit einem Mietwagen über den Carmel gefahren, meist nach einer Beratung an der Universität von Haifa oder nach einem Einkaufsbummel im Drusendorf Daliyat El-Carmel. Gemessen an alpinischen Verhältnissen ist der Carmel ein kleines und niedriges Mittelgebirge, an der höchsten Stelle bei Haifa knapp 550 Meter hoch. Die Straßen sind gut ausgebaut. Rechts und links der Straße stehen die Olivenbaumplantagen der Drusen, die ihre landwirtschaftlichen Produkte, neben schmackhaft eingelegte Oliven, auch Gurken, Tomaten, Obst und Weintrauben direkt an der Straße verkaufen.

Der Carmel ist mit Geschichte überladen. Die Propheten Elijahu (oder Elias) und sein Nachfolger Elischa haben auf dem Carmel gelebt. Der Prophet Elijahu ringt hier, bevor er in den Sinai zieht, mit den Propheten des Baal. Er gewinnt und gilt fortan als Sinnbild des Mutes in Zeiten der Unterdrückung und kollektiven Verwirrung. Der christliche Karmeliterorden, der sich auch auf Elijahu beruft, wurde wohl auf dem Carmelberg gegründet. Das dortige Kloster ist aber erst im 19. Jahrhundert gebaut worden.

Der Prophet Elijahu und ein Blick vom Carmelberg auf den Berg Tabor (2014)

Im Herbst 1997 fahre ich über den Carmel, um mit Miriam Rieck ihren Schwager, den Mann ihrer älteren Schwester im Kibbutz Daliyya zu besuchen. Der Kibbutz geht auf zwei jüdische Siedlungen zurück, die bereits 1933 gegründet wurden. Ruven, der Schwager Miriams, gehört zu den Mitbegründern des Kibbutz. Als Sozialist floh er Anfang der 1930er Jahre aus Hamburg nach Palästina, arbeitete als Landarbeiter, Lehrer und Übersetzer.

Er empfängt uns sehr freundlich in seinem kleinen Häuschen, das er seit dem Tod seiner Frau allein bewohnt. Wir bekommen Kaffee, Kuchen und Wasser serviert. Und wie immer in solchen Situationen ist die Neugier groß nach dem Woher, Warum und Wohin des Deutschen. Wir unterhalten uns auch über die politische Situation im Lande nach der Ermordung von Yitzhak Rabin und wir sprechen über die Folgen der „Operation Früchte des Zorns“. Nachdem die Hisbollah vom Süblibanon aus immer wieder israelische Städte, Dörfer und Kibbutzim mit Raketen beschoss, startete die israelische Armee im Frühjahr 1996 einen schnellen militärischen Vergeltungsangriff im Süblibanon.

Natürlich, so Ruven, habe der Militäreinsatz im Libanon wenig gebracht. Noch immer schießt die Hisbollah Katjuscha-Raketen auf Israel ab. Aber auch die israelische Politik verhalte sich nicht besonders vernünftig. In der Regierung gebe es große Unstimmigkeiten, welchen Weg man gehen wolle. Die Folgen des Libanonkrieges im Jahre 1982 seien bis heute, im Jahre 1997, zu spüren.

Im Jahre 1982 kam es zum Bürgerkrieg, nachdem die Spannungen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), christlich-libanesischen Milizen und syrischen Truppen, die vom damaligen syrischen Präsidenten Hafiz Al-Assad zur Unterstützung der PLO nach Syrien geschickt worden waren. Ende der 1970er Jahren nahmen die Terroranschläge durch die PLO und ihres militärischen Armes, der Fatah, in Israel ein grausames Ausmaß an. Palästinensische Attentäter überschritten die Grenze nach Israel und verübten mehrere Terroranschläge. So wurden im März 1978 in der Nähe von Haifa 37 Zivilisten, darunter zehn Kinder, von der Fatah getötet. Im April 1982 wurde in Paris ein israelischer Diplomat von Palästinensern erschossen. Im Mai 1982 wurden vom Libanon aus mehr als 100 Rakten auf den Norden Israel abgeschossen. Im Libanon selbst fanden 1981/1982 heftige Kämpfe zwischen syrischen Truppen und PLO auf der einen und christlichen Milizen auf der anderen Seite statt. Daraufhin baten die Milizen die israelische Armee um Unterstützung. Die israelische Armee überschritt die Grenze zum Libanon, rückt bis Beirut vor und besetzt schließlich den Südteil des Landes. Multinationale Streitkräfte aus Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA schreiten ein, um den Bürgerkrieg zu beenden. Die PLO verlässt den Libanon und richtet ihr Hauptquartier in Tunis ein. Im September 1982 veranstalten christliche Milizen in den südlibanesischen, palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila ein Massaker an Zivilisten. Israelische Truppen, die sich in der Nähe befinden, schreiten nicht ein. Erst im Jahre 2000 zieht sich die israelische Armee aus dem Südlibanon zurück.

Eigentlich, so Ruven, sei es vernünftig, den Libanon zu verlassen und den Frieden durch Rückgabe von Land zu sichern. Ja, ja, das war die Vision von Rabin gewesen. Sein Tod habe Israel sehr verändert. Und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sei an „Land für Frieden“ nicht sonderlich interessiert. „Der ist nur an Macht interessiert“, ergänzt Miriam.

Danach zeigt mir Ruven den Kibbutz und er erzählt, dass die alten genossenschaftlichen Ideale der Kibbutzniks kaum noch zu realisieren seien, also der weitgehende Verzicht auf Privateigentum und die gemeinschaftliche und gleichberechtigte Arbeit im Kibbutz. Fast alle Kibbutzim in Israel müssten sich betriebswirtschaftlich organisieren und Profit erwirtschaften. Das sei auch in Daliyya nicht anders. Neben der Landwirtschaft lebe man im Kibbutz vor allem von der Kosmetik- und Reinigungsmittelproduktion.

Wir spazieren durch die Siedlung. Die Wege sind sauber, die Häuser aus Holz und die Gärten liebevoll mit Blumen und Bäumen bepflanzt. Im Zentrum der Siedlung stoßen wir auf einen sehr schönen Skulpturengarten. Ich frage Ruven, ob es im Kibbutz auch Übernachtungsmöglichkeiten für Touristen gebe oder die Möglichkeit, als Volontär im Kibbutz zu arbeiten. Er lächelt und fragt: „Willst Du bei uns arbeiten?“ „Nein, aber vielleicht meine Tochter“.

So kam es, dass Ruven für Maria, meine Tochter, später einen mehrmonatigen Aufenthalt als Volontärin im Kibbutz Daliyya organisierte.

Zum Abschluss empfiehlt mir Ruven, seine Schwägerin Rahel zu besuchen. Sie könne mir aus eigenem Erleben schildern, wie es ist, wenn man von den Raketen der Hisbollah bedroht wird. Rahel ist Miriams zweite Schwester. Sie lebt im Kibbutz Kabri in der Nähe der israelisch-libanesischen Grenze.

Akko und die Autonome Republik Ahzivland

Also auf in den Kibbutz Kabri an der Grenze zum Libanon. Auf dem Wege dorthin fährt man an Akko vorbei. Nein, eigentlich sollte man nicht vorbei fahren, sondern die Stadt unbedingt besuchen. Akko liegt etwa 25 Kilometer von Haifa entfernt, eine knappe halbe Stunde Autofahrt, sofern man nicht in den Stau gerät.

„‘Wer Akko erobert, erobert die Welt‘, soll Napoleon 1799 gesagt haben, als er versuchte, die Stadt einzunehmen. Und schon Franz von Assisi fand die strategische Lage von Akko so interessant, das er 1299 ein Franziskanerkloster errichten ließ, das bis heute noch steht. Akko wurde schon im 3. Jahrhundert vor Christus besiedelt, von Herodes erobert, dann von Julius Cäsar und Alexander dem Großen besetzt. Apostel Paulus brachte die christlichen Gebote in die Stadt. …Akko gilt als besonders herausragendes Zeugnis der Kreuzritterzeit, denn unter der Stadt haben die Kreuzritter ein gewölbeartiges Netz aus Gassen und Straßen angelegt, das hierzulande ihresgleichen sucht. Daher wurde die Altstadt 2001 auch zum UNESCO Weltkulturerbe ernannt“ (www.unterwegsunddaheim.de).

In Akkos Altstadt, dort, wo sich auch der alte Hafen, die Kreuzfahrerfestung, die alte Karawanserei, der Basar und die Dschazzar-Pascha-Moschee befinden, leben überwiegend Araber. Die Neustadt ist vor allem von Juden besiedelt. Aber, ob nun in der Altstadt oder im neueren Teil von Akko, hier in dieser geschichtsträchtigen Stadt scheint das Zusammenleben von Juden und Arabern zu funktionieren. In der Altstadt und im Basar gibt es sowohl arabische als auch jüdische (koschere) Lebensmittelläden und Souvenirshops. Das Gemeinsame und Einigende ist der Handel. Was sagte mein palästinensischer Wirt am Jerusalemer Jaffa-Tor? Frieden sei dann, wenn man Geld verdienen kann. Sollte in der Marktwirtschaft doch ein friedlicher Kern schlummern?

In der Regel parken wir unseren Mietwagen im nördlichen Teil der Altstadt, dort, wo der äußere Festungsring beginnt. Unweit vom Parkplatz steht die Festung von Akko, die im 18. Jahrhundert auf den Fundamenten einer Kreuzfahrerburg errichtet wurde. Die unterirdischen Rittersäle und ein riesiges Refektorium mit gotischem Gewölbe wurden in den 1990er Jahren freigelegt, ebenso der Tunnel der Templer, der von der Altstadt bis fast an den Strand begehbar ist. Während der osmanischen Herrschaft diente die Festung als Gefängnis. Die Briten taten es den Osmanen nach und machten die Festung zum Hauptgefängis des nördlichen Palästina. In diesem Gefängis saßen auch die Mitglieder der Untergrundorganisation Etzel ein, nachdem sie im Jahre 1946 einen Anschlag auf das Jerusalemer King-David-Hotel verübt hatten. Dabei starben 91 Menschen, vor allem britische Offiziere und deren Familienangehörige. So wie die Festung galt auch das Gefängnis als uneinnehmbar. Im Jahre 1947 organisierte ein Kommando der Etzel-Gruppe eine inzwischen legendär gewordene Befreiungsaktion. 41 Gefangene wurden befreit, von denen aber nur 27 entkommen konnten. Einige der Kämpfer wurden schließlich doch wieder gefangen genommen und später durch die Briten hingerichtet. In dem, in schönster Hollywood-Ästhetik gedrehten Film „Exodus“ aus dem Jahre 1960 mit Paul Newman und Eva Marie Saint spielt diese Befreiung eine zentrale Rolle.

Saal und Aborte der Kreuzritter (2012)
In der Dschazzar-Pascha-Moschee (2012)

Ich habe mit Miriam Rieck öfter über diesen Film Exodus und die dem zugrundeliegende Romanvorlage von Leon Uris diskutiert. Sie fand weder den Film noch das Buch besonders herausragend. Meine große Sympathie für Film und Buch tadelte sie meist als romanisierende Schwärmerei. Zu sehr, so Miriam, würden im Film und Buch wirkliche Geschehnisse mit erfundenen Geschichten vermischt. Den Kommandanten des Schiffes „Exodus“, der im Film von Paul Newman gespielt wird, gebe es aber tatsächlich. Sein Name sei Jossi Harel. Er war Offizier der Hagana. Sie,  Miriam Rieck, habe diesen Mann sehr bewundert. Er starb, wie ich später recherierte, im Jahre 2008.

Auf unseren Wegen von Haifa in den Norden stoßen wir, Miriam, meine Frau und ich, immer mal wieder auf die Autonome Republik Ahzivland. Zwischen der Stadt Nahariya und der Grenze zum Libanon liegt das autonome Gebiet von Eli Avivi, einem im Iran geborenem Juden, der sich 1952 hier am Strand des Mittelmeeres niederließ. Eli Avivi errichtete mit seiner Frau ein Hippieparadies. Das Leben war freizügig, der Konsum smarter Drogen auch. Eli Avivi starb im Jahre 2018 und war bis zu seinem Tode der selbsternannte König von Ahizivland. Die Autonome Republik und ihr Gründer sind in Israel zur Legende geworden. Der Staat hat lange versucht, die Bewohner von Ahzivland und ihre freizügigen Besucher zu vertreiben. Schließlich einigten sich der König und der Staat Israel auf einen 99-Jährigen Pachtvertrag. Noch immer werden Touristen und Besucher herzlich empfangen. Auch Gästezimmer kann man buchen. Das Haupthaus hat Eli Avivi zum Museum gestaltet. All das, was aus dem Meer kommt oder von ihm ausgegraben wurde und sehenswert ist, wird hier ausgestellt.

In der Autonomen Republik Ahzivland (aufgenommen 2015).

Auch Bilder hochrangiger Besucher sind zu besichtigen, zum Beispiel Fotos von Shimon Peres oder Sophia Loren. Bei unserem ersten Besuch in Ahzivland werden wir per Handschlag vom König begrüßt und nach einem kleinen Obolus durch das Museum geführt. Bevor wir uns verabschieden, fragte ich ihn, ob er denn auch eine Verfassung für seine Republik bzw. sein Königreich verfasst habe. Er lächelte und meinte, die freie Liebe in Frieden sei der Grundsatz seiner Republik und dieser Grundsatz sei nicht niedergeschrieben, sondern werde täglich gelebt. Am Schluss bekommen wir von Elis Ehefrau tatsächlich einen Stempel in unsere Pässe gedrückt. Da steht nun also, dass wir in Ahizivland waren. Bevor wir gehen, zeigt sie noch auf Aktfotos an der Wand und sagt: „This is me“.

Kibbutz Kabri

Im Norden, im Kibbutz Kabri, lebte bis zu ihrem Tod im Jahre 2009 Miriam Riecks ältere Schwester Rahel. Nachdem sich die israelische Armee im Mai 2000 aus dem Süden Libanons zurückgezogen hatte, besuchte ich gemeinsam mit Miriam den Kibbuz wieder einmal, im Herbst 2000.

Die Grenze zum Libanon bei Rosh HaNiqra (aufgenommen im Herbst 2000).

Wie Sie sicher wissen, gibt es in den kleinen Kibbuz-Häusern meist auch einen Luftschutzraum. Als ich also das Haus von Rahel betrat, kam ihr Enkel vergnügt aus diesem Luftschutzraum.  Ich sah ihn etwas verwundert an und er meinte, dieser Raum sei jetzt sein Zimmer. Man brauche diesen Raum nicht mehr zum Schutz. Jetzt beginne endlich der Frieden.

Nein, dieser Friede begann nicht.  Raketen, abgefeuert von der schiitische Hisbollah-Miliz aus dem Libanon, schlugen auch in den späteren Jahren immer wieder einmal in der Nähe von Kabri ein.

In der Nähe von Kibbutz Kabri (Herbst 2000).

Banjas

Zwischen dem Libanon und Syrien findet man den Banjas, den östlichste Quellfluss des Jordan. Auch einen Tempel des Pan aus hellenistischer Zeit (also etwa 300 vor Chr.) kann man dort bewundern.

An der Quelle des Jordan und am Tempel des Pan (aufgenommen im April 2017).

Der Sage nach war Pan ein griechischer Hirtengott mit einem menschlichen Oberkörper und dem Unterleib eines Ziegenbocks. Er sei, so berichten es manche Mythen, als Gott der Fruchtbarkeit verehrt worden sein. Auch als das schreckenerregende Böse taucht Pan in den Mythen auf. Wenn er, der Gott Pan, wütend war, soll er Mensch und Tier in Angst und Schrecken versetzt haben. Daher das in vielen Sprachen bekannte Wort Panik.

Ovid, der antike römische Dichter (43 v. Chr. bis 17. n. Chr.) erzählt in seinen Metamorphosen, dass sich Pan in die Nymphe Syrinx verliebt habe, die ihn aber offensichtlich nicht mochte. Was bei seiner Körperstatur so verwunderlich nun auch nicht war. Auf jeden Fall floh sie, als er nach ihr greifen wollte, in einen mit Schilfrohr umwachsenen Sumpf. Während Pan seufzend zurückblieb, hörte er nur noch den zarten Ton der Luft, die durch die Schilfrohre blies. Aus diesem Rohre bastelte sich Pan eine Flöte, eben die Panflöte, um sich – darauf blasend – seinen Erinnerungen an die schöne Nymphe hinzugeben.

An der Banjas Quelle kann man das auch tun, sich hinsetzen, Flöte spielen und an schöne Frauen denken. Ich musste nicht daran denken, sondern hatte meine Frau gleich dabei.

Und dann ganz weit hinten sieht man den Berg Hermon mit seinem schneebedeckten Gipfel.

Der Berg Hermon von Majdal Shams (April 2017).

Ende der 1990er Jahre, noch vor beginn der Zweiten Intifada, hatte ich ein interessantes und vielsagendes Erlebnis, über das zu berichten es sich lohnt. Ich saß vor einem kleinen Restaurant in der Nähe des Nimrod National Park, also quasi zwischen den Jordanquellen und dem Mount Hermon. Der Wirt brachte mir Salate, Pitta, Schisch Kebab und ein Maccabee-Bier. Er fragte nach meinem Woher und Wohin, nach den Gründen meines Aufenthalts in Israel und nach meiner Profession. Er sei jüdisch und seine Frau Araberin. Vier Kinder habe sie ihm geboren. Zwei würden nun in Deutschland, in München, leben. Zwei Tische weiter saß ein, durch seine weiße Kopfbedeckung erkennbarer Araber. Vor ihm stand eine kleine Kaffeetasse. Er rauchte eine selbst gedrehte Zigarette mit scheußlichem Tabak. Hin und wieder redete er mit dem Wirt. Sie verständigten sich auf hebräisch. Ich packte meine Pfeife aus, stopfte sie und genoß nach dem guten Essen den Rest meines kühlen Bieres. Wieder tuschelten der Wirt und der Araber miteinander. Dann kam der Wirt an meinen Tisch. Auf englisch sagte er mir, dass mein Tabak gut rieche, der Druse am Nachbartisch meine das auch. Ich fragte, ob sich der Druse von meinem Tabak eine Zigarette drehen möchte. Wieder Tuscheln am Nachbartisch. Dann setzten sich beide, der Wirt und der Druse, an meinen Tisch. Ich bekam eine Tasse mit arabischem Kaffee serviert und bot dem Drusen meinen Tabak an. Er drehte sich eine Zigarette und genoß. Naja, es war zwar Pfeifentabak, aber wenn es ihm schmeckt. Der Araber wandte sich an den Wirt. Sie redeten miteinander, anschließend sagte der Wirt zu mir, der Druse, er heiße übrigens Muhamed, frage, ob ich Kontakt zur Deutschen Bank habe. Ich schaute sehr verwundert, verneinte, wollte aber doch wissen, aus welchem Grunde, er die Frage stelle. Nun, antwortete der Wirt, er und Muhamed planen, am Berge Hermon eine Touristenstation für Skifahrer einzurichten. Als Deutscher könne ich ihnen doch Kontakte zu deutschen Banken verschaffen, um das nötige Geld zu bekommen.

Beim EWIGEN, noch immer war es eine Zeit, in der Friedensträume blühten.

 

Im nächsten Teil: Fellow am Bucerius Institut der Haifa Universität

Wolfgang Frindte ist Sozialpsychologe und war Professor für Kommunikationspsychologie am Institut für Kommunikationswissenschaft der Universität Jena. Von 1998 bis 2005 war er Gastprofessur für Kommunikations- und Medienpsychologie am Institut für Psychologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck und 2004 Fellow am Bucerius Institut der Universität Haifa. Zu seinen Buchveröffentlichungen gehören u.a. „Inszenierter Antisemitismus“ (2006), „Inszenierter Terrorismus“ (2010, mit Nicole Haußecker), „Der Islam und der Westen“ (2013), „Muslime, Flüchtlinge und Pegida“ (2017, mit Nico Dietrich) und „Halt in haltlosen Zeiten“ (2020, mit Ina Frindte).

Bild oben: Die Bahai-Gärten in Haifa (2017)

Literatur

Arendt, Hannah (1963, 1990). Eichmann in Jerusalem. Leipzig: Reclam.
Arendt, Hannah (1989). Nach Auschwitz. Essays & Kommentare 1. Berlin: Edition TIAMAT.
Landmann, Salcia (1997). Die klassischen Witze der Juden. Berlin: Ullstein.
DER SPIEGEL, 26.4.1982; Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-14347080.html; aufgerufen: 20.05.2020.
Eitinger, L. (2011). The Psychological and Medical Effects of Concentration Camps and Related Persecutions on Survivors: A Research Bibliography. Vancouver: UBC Press.
Frindte, W. (Hrsg.). (1999). Fremde Freunde Feindlichkeiten – Sozialpsychologische Untersuchungen. Opladen: Westdeutscher Verlag.
Frindte, W., Rieck, M. & Carmil, D. (2002). Xenophobia among Israeli Arabic and Jewish high school students. 25.International Congress of Applied Psychology, Singapore, 7. – 12.7.2002.
Fromm, E. (1980). Die Kunst des Liebens. Frankfurt/Berlin: Ullstein.
Hagalil.com. Die Studie zum Antisemitismus in der EU. Quelle: https://www.hagalil.com/antisemitismus/europa/antisemitismus-studie.htm; aufgerufen: 29.05.2020.
Michaelis, M. (1979). Mussolini and the Jews: German-Italian Relations and the Jewish Question in Italy, 1922-1945. Oxford: Clarendon Press.
Ovid. Metamorphosen. Quelle: https://lateinon.de/uebersetzungen/ovid/metamorphosen/pan-syrinx-689-712/; aufgerufen: 21.05.2020.
Rieck, M. (1994). The psychological state of Holocaust survivors‘ offspring: An epidemiological and psychodiagnostic study. International Journal of Behavioral Development17(4), 649-667.
Rieck, Miriam (Ed.) (2009). Social interactions after massive traumatization. Berlin: Regener.
Rieck, Miriam (Ed.) (2012). The Holocaust: Its traumatic and intergenerational effects in comparison to other persecutions, its interpretations in different theories and its reflections in the arts. Berlin: Regener.
www.unterwegsunddaheim.de. Von Haifa nach Akko. Quelle: http://www.unterwegsunddaheim.de/2015/06/von-haifa-nach-akko; aufgerufen: 20.05.2020.