Im Rampenlicht:
Die Studie zum
Antisemitismus in der EU
(EU-ANTISEMITISMUSSTUDIE)
Zentrum für
Antisemitismusforschung, Newsletter Nr. 26, Dezember 2003
Im Auftrag des European Monitoring Centre
on Racism and Xenophobia/Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) in Wien verfassten Prof. Werner Bergmann und
Dr. Juliane Wetzel im letzten Jahr den Bericht „Manifestations
of Anti-Semitism in the European Union – First Semester 2002 - Synthesis
Report“, der sowohl einen Überblick über die antisemitische Welle im
Frühjahr 2002 in den 15 EU- Mitgliedsstaaten gibt, als auch eine Analyse der
Ereignisse bietet.
Das EUMC stellte den Autoren Informationen
ihrer „National Focal Points“ zur Verfügung, die in den 15 Mitgliedsstaaten
eingerichtet worden sind, um dem EUMC entsprechende Daten für seine
Beobachtungsaufgaben im Hinblick auf Diskriminierungen von Minderheiten und
Fremdenfeindlichkeit bereit zu stellen. Da die Beobachtung des
Antisemitismus bisher allenfalls als Teil der Erfassung von
Diskriminierungen betrachtet wurde und viele der „National Focal Points“
nicht in der Lage sind, das besondere Phänomen des Antisemitismus zu
erfassen, reichte die Qualität der Informationen, die den Autoren von Seiten
des EUMC zur Verfügung standen, von sehr gut bis wenig informativ.
Darüber hinaus hatte das EUMC die „National
Focal Points“ um eine Datenerfassung für den Zeitraum Mitte Mai bis Mitte
Juni 2002 gebeten, die eigentliche antisemitische Welle setzte jedoch
bereits kurz nach den Ereignissen in Dschenin und Bethlehem ein, d.h. im
April 2002. Die Autoren der Studie, die bereits seit Jahren zum aktuellen
Antisemitismus forschen, haben die fehlenden Daten ergänzt, die Berichte für
die Niederlande und Großbritannien komplett selbst verfasst (hier lagen
keine EUMC Informationen vor) und einen Überblick über die Situation im
ersten halben Jahr 2002 geliefert, der auch auf die Weiterentwicklung in der
zweiten Hälfte des Jahres eingeht und feststellt, dass die Welle wieder ein
Tal erreichte, allerdings auf vergleichsweise hohem Niveau.
Der Bericht war im Oktober 2002 fertig
gestellt und wurde vertragsgemäß dem EUMC übermittelt. Anschließend
erfolgten noch mehrere Überarbeitungsphasen. Kritische Einwände seitens des
Management Boards des EUMC wurden – so weit wissenschaftlich vertretbar -
berücksichtigt und neue Informationen hinzugefügt. Die letzte Fassung, in
der noch einige wenige Ergänzungen und Änderungen vorgenommen wurden, liegt
seit Januar 2003 beim EUMC, das die Studie unter Verschluss hielt. Im
November 2002 fand ein Workshop in Brüssel statt, zu dem das EUMC einige
Mitglieder des EUMC-Management Boards, das über die Publikation zu befinden
hatte, sowie Experten aus verschiedenen Ländern und die Autoren der Studie
eingeladen hatte. Die bereits fertige Studie stand den Teilnehmern nicht zur
Verfügung, die Autoren konnten jedoch einige Ergebnisse präsentieren. Im
Gegensatz zu den Pressemeldungen des EUMC fand dieses Meeting nicht vor
Repräsentanten jüdischer Organisationen statt, wenngleich zwei Vertreter
teilnahmen. Entgegen den öffentlichen Verlautbarungen des EUMC gab es bei
diesem Treffen auch keinen Dissens unter den Experten über die von den
Autoren - auf Bitten des EUMC - vorgenommene Definition des Antisemitismus,
insbesondere nicht mit den jüdischen Vertretern.
Nachdem ein Mitarbeiter des EUMC die Autoren
im Frühjahr 2003 telefonisch davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass die
Studie wohl nicht veröffentlicht werden würde, traf Juliane Wetzel im Juni
am Rande der OSZE-Konferenz zum Antisemitismus in Wien im Juni 2003 die
Direktorin des EUMC, Beate Winkler, die eine mögliche Veröffentlichung des
Berichts noch immer in Aussicht stellte. Bis heute hat das Zentrum für
Antisemitismusforschung keine offizielle Nachricht darüber erhalten, dass
die Studie nicht publiziert wird. Inzwischen allerdings haben der World
Jewish Congress, die Vereinigung der Jüdischen Gemeinden Frankreichs und der
EU-Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit sowie einige internationale Presseorgane
die Studie auf ihren Webseiten zugänglich gemacht.
Am 4. Dezember schließlich stellte auch das EUMC die Studie ohne Zutun des
Zentrums für Antisemitismusforschung ins Netz, allerdings ohne das Vorwort,
gezeichnet von Beate Winkler und dem Vorsitzenden des Management Boards Bob
Purkiss, das die Veröffentlichungsabsicht unterstreicht, die heute vom EUMC
geleugnet wird. Zudem befindet sich auf der Homepage des
EUMC eine Erklärung, die
der Studie mangelnde Wissenschaftlichkeit und Datenbasis sowie unlautere
Generalisierungen und falsche Vergleiche unterstellt. Verschiedene
Presseorgane empfehlen deshalb die Studie über die Seite von Daniel
Cohn-Bendit einzusehen, um ein vollständiges Bild zu erhalten, zumal noch
weitere Passagen in der EUMC Version gestrichen wurden, in denen die Behörde
die Ergebnisse der Studie unterstreicht. Dies ist vermutlich eine Reaktion
auf den öffentlichen Druck, der durch die internationale
Presseberichterstattung in den letzten Wochen über den Skandal der
Nichtveröffentlichung entstanden ist. Auslöser des Medieninteresses war ein
Artikel in der Financial Times (englische Ausgabe) am 16. November 2003, der
die „Verschlusssache“ aufdeckte.
Über die tatsächlichen Gründe, warum das EUMC
die Studie unter Verschluss hielt, kann letztlich nur gemutmaßt werden. Zum
einen ist dies wohl den Ergebnissen der Studie geschuldet, die in den
Ländern Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Großbritannien häufig
jugendliche Muslime arabischen bzw. nord-afrikanischen Ursprungs als Täter
antisemitischer Übergriffe benennt, gleichzeitig jedoch feststellt, dass
diese Gruppen selbst unter massiven Diskriminierungen leiden, am Rande der
Gesellschaft leben und einen Sündenbock für ihre schlechte Lebenssituation
suchen. Da das EUMC sich mit Recht seit Jahren darum bemüht, diese
Missstände aufzuzeigen, und einen wesentlichen Teil seiner Arbeit der
Entwicklung von Strategien gegen die Islamophobie widmet, sieht es seine
Initiativen nun gefährdet. Ziel einer wissenschaftlichen Studie kann es
jedoch nicht sein, auf solche politischen Intentionen Rücksicht zu nehmen,
im Gegenteil, Wissenschaftler sind dazu angehalten, die Fakten zu erforschen
und zu präsentieren, die der Politik als Basis dienen. Unbequem scheint auch
die Benennung von antisemitischen Tendenzen in einigen linken Gruppierungen
bzw. im Umfeld der Globalisierungsgegner zu sein, die die Grenze zwischen
einer durchaus legitimen Kritik an der israelischen Politik hin zu einer
Instrumentalisierung von antisemitischen Stereotypen im Kampf gegen eine
„imperialistische, kapitalistische Besatzungsmacht“ überschreiten. Sie
benutzen den Vergleich mit dem nationalsozialistischen Genozid, um Israel zu
diffamieren bzw. machen die jüdische Bevölkerung in anderen Ländern
verantwortlich für die Politik Israels im Nahostkonflikt. Solche
antisemitischen Stereotypen waren etwa bei pro-palästinensischen
Demonstrationen in einigen EU-Ländern evident. Diese Vorurteile sind im
übrigen auch bis in die Mitte der Gesellschaft hinein verbreitet. Ungeachtet
dieser Entwicklungen, die nicht erst 2002 offenkundig wurden, sondern in
manchen Ländern bereits während des Sechs-Tage-Krieges 1967 zu beobachten
waren, sind in einer Reihe von EU-Ländern, so auch in Deutschland, auch
weiterhin überwiegend rechtsextreme Gruppierungen und Einzelpersonen
verantwortlich für gewalttätige antisemitische Übergriffe.
Einiges spricht dafür, dass nicht nur
Ergebnisse der Studie zur Nichtveröffentlichung geführt haben, sondern auch
politische Einflussnahmen verschiedener EU-Länder auf ihre Management
Board-Mitglieder, denn die Studie ist in der entscheidenden Sitzung
keineswegs von allen EU-Staaten abgelehnt worden. Das EUMC selbst versucht
in einer sich wissenschaftlich gebenden Erklärung, Gründe für die
unterbliebene Veröffentlichung zu nennen. Zudem hatte es in einer früheren
Presseerklärung den Eindruck erweckt, das Board bestünde aus ausgewiesenen
Experten für das Thema, während seine Mitglieder weit überwiegend aus
Politik und Verwaltung stammen.
Politik und Wissenschaft
Zu den Methoden und Ergebnissen der
umstrittenen Antisemitismusstudie
Gegenüber den diskreditierenden Erklärungen
des EUMC stellt das Zentrum für Antisemitismusforschung fest:
Daten
Die vom EUMC erarbeitete Datenbasis, die in der Tat nur einen kurzen
Zeitraum und für einige Länder auch eine geringe Qualität aufwies, wurde mit
einer Fülle zusätzlicher Daten für den Zeitraum von Januar bis Juni 2002
erweitert, jeder der einzelnen Länderartikel erhielt einen mehrere Jahre
zurückreichenden Rahmen, der z. T. auf dem sehr verlässlichen Informationen
des Antisemitism World Report (Stephen Roth Institute, Tel Aviv) basiert.
Die vom EUMC gelieferten Daten für den Untersuchungszeitraum bilden also
keineswegs allein die Basis für die zusammenfassenden Überlegungen.
Beim Antisemitismus handelt es sich um ein Phänomen, das im Frühjahr 2002
nicht zum ersten Mal in Europa aufgetreten ist. Das Zentrum für
Antisemitismusforschung und zahlreiche andere Forscher haben es seit
Jahrzehnten empirisch untersucht. Diese Forschungsergebnisse bilden eine
weitere Grundlage für die Studie und die Analyse der antisemitischen Welle,
so dass in der Wissenschaft wohlbegründete Zusammenhänge, etwa zwischen
antiamerikanischen und antisemitischen Einstellungen, einbezogen wurden. Der
Report trifft Aussagen über „Manifestations of anti-Semitism“ und ist keine
Gesamtanalyse des Antisemitismus in der EU.
Definitionen
In der Frage der Definition von Antisemitismus, die Teil eines öffentlichen
Meinungskampfes ist, wird es immer Zweifelsfälle bei ihrer Anwendung auf
Einzelfälle geben. Wenn das EUMC den Autoren eine inkonsistente Verwendung
des Begriffs unterstellt, so gilt es festzuhalten, dass das EUMC selbst
seinen National „Focal Points“ für ihre Datensammlung keine Definition
vorgeben hatte, so dass jedes Land zunächst seiner eigenen Definition bei
der Datensammlung gefolgt ist. Auch hier haben die Autoren die schlechte
Vorarbeit des EUMC, das ja noch nie zuvor eine Studie zum Antisemitismus
betreut hat, so gut wie möglich auszugleichen gesucht. Dass es bei der
Vielzahl der berichteten Ereignisse auch einzelne Fälle gibt, über deren
antisemitischen Charakter man streiten kann, spricht nicht gegen die Arbeit.
Die vom Zentrum für Antisemitismusforschung zugrunde gelegte Definition von
Antisemitismus verknüpft, auf der Basis eigener Forschung, die Definitionen
von zwei international renommierten Antisemitismusforschern (Helen Fein, New
York, Dietz Bering, Universität Köln) und stellt keineswegs eine besonders
„weite“ Definition des Phänomens dar, wie das EUMC immer wieder insinuiert
hat.
Die Behauptung des EUMC, dass „Verbindungen zwischen Antizionismus, Kritik
der israelischen Politik und Antiamerikanismus zu einer Konfusion führen“,
zeigt einmal mehr, dass es keine wirklichen Kenntnisse über die
Antisemitismusforschung besitzt, denn die genannten Phänomene gehören ganz
eng in den ideologischen Kontext des Antisemitismus, sei es dass sie eine
gemeinsame ideologische Schnittmenge haben (vgl. dazu u.a. die Werke von Dan
Diner, Verkehrte Welten. Antiamerikanismus in Deutschland, Frankfurt a. M.
1992 bzw. Feindbild Amerika, München 2002), sei es dass die Kritik an
Israels Politik für Antisemiten Anlass zur Äußerung ihrer latenten
Einstellungen liefert, sei es dass die Autoren durch die Angabe zusätzlicher
Abgrenzungskriterien versucht haben, möglichst klare und nachvollziehbare
Grenzen zwischen Antisemitismus und legitimer Israelkritik zu ziehen. Alle
Länderberichte der „National Focal Points“ enthielten im übrigen längere
Erörterungen gerade über die in der öffentlichen Debatte des jeweiligen
Landes problematisierten Grenzziehungen von Kritik an Israels Politik und
Antisemitismus. Dass wir diese Begriffe abzugrenzen suchen, trägt zur
Klärung und nicht zur Konfusion bei. Das EUMC selbst hat uns aufgefordert,
Kriterien für diese Abgrenzung zu formulieren.
Kausale Zusammenhänge
Das EUMC behauptet, die Autoren der Studie
würden unbelegte Aussagen über kausale Zusammenhänge von „nationaler
Außenpolitik / außenpolitischen Diskursen und Antisemitismus“ vornehmen. Im
ersten der kritisierten Fälle ist der behauptete Zusammenhang in mehreren
Ländern deutlich nachweisbar: Die Bedrohlichkeit der Situation, so wird es
von vielen jüdischen Gemeinden berichtet, ergab sich gerade dadurch, dass es
nicht nur Übergriffe gab, sondern dass sich auch in den Medien, in
Demonstrationen und in der öffentlichen Meinung in der Israelkritik
antisemitische Züge zeigten. Der Eindruck, Unterstützung für die eigene
Einstellung zu haben, verändert die „politische Gelegenheitsstruktur“ für
Antisemiten, die sich in ihrer Einstellung bestätigt sehen. Es war gerade
die Breite und Heftigkeit der Kritik an Israel im Frühjahr 2002, die zudem
häufig an die Juden des eigenen Landes gerichtet wurde, die zum
„beängstigenden Charakter der Situation“ beigetragen hat. Das macht diese
Kritik keineswegs illegitim, doch kann sie dennoch objektiv diese
bedrohliche Wirkung entfaltet haben. Ein ähnlicher Zusammenhang zwischen
einer öffentlichen Debatte und Medienberichterstattung über die Zuwanderung
und die Änderung der Asylgesetzgebung mit einer Welle fremdenfeindlicher
Gewalt in den frühen 90er Jahren ist für Deutschland empirisch belegt
(Hans-Bernd Brosius/Frank Esser, Eskalation durch Berichterstattung.
Massenmedien und fremdenfeindliche Gewalt, Opladen 1995, Thomas Ohlemacher,
Xenophobia in Reunified Germany, Public Opinion and Violence against
Foreigners in Reunified Germany, Zeitschrift für Soziologie 23, 1994).
Vom EUMC wurde auch die folgende Feststellung
bestritten: „Die Annahme einer engen Verbindung zwischen Israel und den USA
stellt ein weiteres Motiv für eine antisemitische Haltung dar.“ (S..10 der
Studie). Als Beleg für diese Annahme kann auf die im Bericht erwähnte
Demonstration gegen den Internationalen Währungsfonds in Davos verwiesen
werden, auf der Kritiker des IWF in den Masken von US-Verteidigungsminister
Rumsfeld und Premierminister Scharon das „goldene Kalb“ umtanzen. Israel
dürfte kaum zu den bedeutenden Staaten der Weltwirtschaft zählen, dennoch
wird es durch seine enge Verbindung mit den USA hier herausgegriffen und
beide Staaten werden mit dem alten antisemitischen Stereotyp der Geldgier
("Tanz ums goldene Kalb") assoziiert, ein Bild, das in zahllosen
antijüdischen Karikaturen des 19./20. Jahrhunderts verwendet wird. Dass die
engen Beziehungen zwischen Israel und den USA in Gruppen der extremen Linken
sowie in islamistischen Gruppen zu einem Israel-Bild mit antisemitischen
Zügen führt (Israel als Brückenkopf des US-Imperialismus bzw. als Träger
dekadenter westlicher Werte) lässt sich anhand zahlreicher Schriften und
Verlautbarungen aus diesen Kreisen belegen.
Generalisierungen
Den Vorwurf, durch die Verwendung von Begriffen wie „Arab / North African
Muslim immigrants“, „young muslims“ u. ä. würde suggeriert, Antisemitismus
sei endemisch unter dieser Gruppen, weisen die Autoren der Studie auf das
Schärfste zurück. Er unterstellt implizit Islamophobie. Genau dieselben
Kategorisierungen verwenden im übrigen die vom EUMC bereit gestellten
Länderberichte, die oft keine genaueren Angaben zur ethnisch/religiösen
Zuordnung enthalten. Wenn man aus einer Vielzahl von einzelnen Vorkommnissen
Schlüsse ziehen soll, und gerade dies war Aufgabe der Studie, dann kann
nicht jeder Täter namentlich oder als einer ganz spezifischen Gruppe
zugehörig kategorisiert werden. Wer den Report insgesamt liest, wird
bemerken, dass er immer betont, dass es sich um eine „kleine Zahl“, einen
„Teil“ oder eine „Minderheit“ von Angehörigen einer ethnischen oder
religiösen Gruppenkategorie handelt, dass jeweils auch die Fälle von
Kooperation zwischen jüdischen und muslimischen Einrichtungen angeführt
werden und dass häufig der Protest muslimischer Organisationen gegen die
antisemitischen Vorfälle dagegen gesetzt wird, um zu einem balancierten Bild
zu kommen. Im übrigen werden solche Differenzierungen nicht für andere
Kategorisierungen wie Rechts- oder Linksextremisten eingefordert, obwohl es
sich ja hier auch um hochgradige Generalisierungen handelt.
Inzwischen ist in zahlreichen internationalen Presseorganen die Seriosität
der Studie betont worden, so heißt es in „Die Zeit“ (50/2003): „Die Studie,
die inzwischen im Internet zu lesen ist, belegt gewissenhaft und ohne jeden
alarmistischen Zungenschlag, dass antijüdische Gewaltakte in Europa in
wachsendem Umfang nicht nur von „angestammten“ Rechtsextremisten, sondern
auch von – zumeist jugendlichen – radikalen Islamisten begangen werden. Mehr
noch, die Studie macht deutlich, dass dieser islamistische Judenhass
keineswegs bloß eine Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik in
Palästina ist, sondern auf einer festgefügten antisemitischen Weltanschauung
gründet.“
Als besonderer Erfolg der öffentlichen Debatte über die Studie ist die
Meldung aus der Frankfurter Rundschau vom 8. Dezember zu werten, dass die
Vorsitzenden von zwei der größten islamischen Interessenverbänden in
Deutschland, Nadeem Elyas und Ali Kizilkaya, die Studie als Anregung zu
einer intensiven Diskussion über das Thema Antisemitismus unter Muslimen
begrüßen: „Elyas etwa, der dem Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)
vorsteht, räumt ein, dass antijüdisches Gedankengut in arabisch-islamischen
Kreisen ‚latent schon immer präsent war‘. Der ZMD vertritt etwa 500
Moscheegemeinden und hat 19 Mitgliedsorganisationen - auch mehrere mit
arabischem Hintergrund, die der Nahostkonflikt besonders umtreibt. Kritik an
der Politik von Israels Regierung müsse erlaubt sein, sagt Elyas im
FR-Gespräch, ‚aber nicht pauschalisierende Vorwürfe gegen ,die Juden'‘.
Gegen judenfeindliche Äußerungen etwa in Freitagsgebeten sei der Zentralrat
wiederholt vorgegangen. Jetzt fragt man sich, ob das reicht. Elyas begrüßt
die Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung jedenfalls und will sie
im ZMD-Vorstand zum Thema machen. Ihm schwebt vor, den Problemkreis von
Terrorismus, Rassismus und Antisemitismus per Offenem Brief an die
Mitgliedsgemeinden anzusprechen: Um gegenzusteuern, ‚brauchen wir Debatten
und eventuell Bildungsangebote‘. Er schließt nicht aus, dass
Ausgrenzungserfahrungen in Deutschland junge Muslime radikalisieren – ‚das
kann aber keine Entschuldigung für Antisemitismus sein‘. Beim
Interkulturellen Rat Deutschland, der den interreligiösen Dialog
vorantreibt, erlebt man wachsendes Interesse von Muslimen an Kontakten zu
jüdischen Gemeinden. Zugleich hätten die Verbände zunehmend mit latentem
Antisemitismus an der Basis zu kämpfen.“
hagalil.com
09-05-2004
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