Am 2. Mai 1860 wurde Theodor Herzl geboren. Aus dem assimilierten säkularen Juden, der in der mitteleuropäischen Kultur zuhause war, sollte der Begründer des politischen Zionismus werden. Ein Weg, den er aus der Überzeugung einschlug, dass dem Antisemitismus nur mit einem eigenen Staat für die Juden zu begegnen sei…
Von Andrea Livnat
Theodor Herzl wurde 1860 in Budapest geboren. Seine Familie lebte „religiös aufgeklärt“, an eine weltbürgerlich deutsche Kultur assimiliert. Herzl besuchte zuerst die jüdische Grundschule, wechselte dann auf die städtische Realschule und das evangelische Gymnasium. Schon als Kind zeigte Herzl großes Interesse am Schreiben einerseits, er gründete mit 14 den Schreibklub „Wir“, und Technologie andererseits.
1878 starb Herzls ein Jahr ältere Schwester Pauline. Die Eltern entschlossen sich daraufhin, nach Wien zu übersiedeln, wo Herzl, trotz der Absicht Schriftsteller zu werden, zunächst ein Jurastudium aufnahm. 1881 schloss er sich der schlagenden Studentenbewegung Albia an, verließ sie jedoch zwei Jahre später aus Protest gegen deren antisemitische Ausrichtung.
Herzl schloss sein Studium 1884 mit einer Promotion ab, musste jedoch bald feststellen, dass er als Jude nicht Richter werden konnte. Er verlegte sich daher ganz aufs Schreiben und verfasste eine Serie von Feuilletons, die ihm schließlich die Tür zu einer der bedeutendsten europäischen Tageszeitungen, der „Neuen Freien Presse“, öffneten. Herzl verfasste zudem zahlreiche Theaterstücke, die jedoch nur mäßig erfolgreich blieben.
1889 heiratete Herzl Julia Naschauer. Die Ehe war nicht glücklich und hielt wohl nur durch die zahlreichen Phasen der räumlichen Trennung. Herzl und Julia hatten drei Kinder: Pauline, Hans und Trude.
1891 bekam er den begehrten Posten des Pariser Korrespondenten der „Neue Freie Presse“. In Paris geriet er, wenn auch zunächst nur als Beobachter, zum ersten mal in die Politik. Seine Erfahrungen bei der Berichterstattung über die Dreyfus-Affäre waren einer der entscheidenden Momente, die aus dem assimilierten Wiener Salon-Juden einen Zionisten machten. Die öffentliche und erniedrigende Degradierung des – unschuldigen – jüdischen Offiziers ließ die Pariser „Tod den Juden!“ durch die Straßen schreien. Die „Judenfrage“ hatte Herzl jedoch bereits lange Zeit beschäftigt. Er war nicht nur selbst mit Antisemitismus konfrontiert worden, sondern musste auch beobachten, wie die liberale Ordnung in Österreich durch die zunehmenden Wahlerfolge des Antisemiten Luegers ins Wanken geriet. 1893 war Herzl zu dem Schluss gelangt, daß man die Judenfrage nicht alleine mit Vernunft lösen könne, wie es etwa der „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ versuchte, denn die Zeit habe bereits gezeigt, dass man dem Judenhass mit rationalen Argumenten nicht begegnen könne. In dieser frühen Phase erwog Herzl zunächst eine Massenkonversion aller Juden vor der Stephanskirche in Wien, verwarf dies jedoch schnell, da ihm klar war, dass dies dem Antisemitismus keinen Einhalt gebieten würde. Auch Herzls Drama „Das neue Ghetto“, das er 1894 fertig stellte, spiegelt seine Erkenntnis wider, dass Assimilation und Konversion die Judenfrage nicht beheben können.
Im Mai 1895 schrieb Herzl zunächst an den jüdischen Philanthropen Baron Maurice de Hirsch und stellte ihm bei einem persönlichen Treffen seine Idee vor. Der Baron war von Herzls Plänen jedoch nicht beeindruckt. Herzl arbeitete seine Skizze für dieses Treffen und einen Brief, den er dem Baron im Anschluss gesandt hatte, schließlich weiter aus und vollendete im Juni 1895 seine programmatische Schrift „Der Judenstaat“. Im Juli kehrte er als Redakteur für den Kulturteil der „Neuen Freien Presse“ nach Wien zurück und las seinen Entwurf verschiedenen Freunden und prominenten jüdischen Persönlichkeiten vor. Dabei er stieß er zum größten Teil auf Ablehnung, sein Freund Friedrich Schiff sah darin sogar die Auswirkungen eines Nervenzusammenbruchs. Allein Max Nordau stimmte Herzls Überlegungen sofort und überzeugt zu.
Nach einer weiteren Überarbeitung erschien schließlich in Wien am 14. Februar 1896 „Der Judenstaat. Versuch einer modernen Lösung der Judenfrage“. Noch im selben Jahr erschienen Übersetzungen in englisch, französisch, russisch und hebräisch. Das Buch wurde insgesamt in 18 Sprachen übersetzt und erschien in mehr als 80 Ausgaben.
„Der Gedanke, den ich in dieser Schrift ausführe, ist ein uralter. Es ist die Herstellung des Judenstaates“, schrieb Herzl in der Vorrede. Aus der Überzeugung, die Juden seien ein Volk, und der Bedrohung des Antisemitismus trotz den Versuchen, sich der Umgebung zu assimilieren, sei die einzige Lösung der Judenfrage die Gründung eines „Judenstaates“. Herzl entwarf dabei detailliert die Pläne zu Aufbau, Masseneinwanderung, Finanzierung und Gemeinwesen dieses Staates. Dabei schlug er als mögliches Territorium Palästina oder Argentinien vor.
„Der Judenstaat“ wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Die meisten Juden in Westeuropa lehnten seine Idee strikt ab. Seine Gegner waren nicht nur assimilierte Juden, sondern auch orthodoxe Juden, die den Zionismus im Widerspruch zu den messianischen Verheißungen im Judentum sahen. Er wurde verlacht und verspottet, so schrieb z.B. Anton Bettelheim in den „Münchner Allgemeinen Nachrichten“ vom „Faschingstraum eines durch den Judenrausch verkaterten Feuilletonisten“. Zu seinen frühsten Anhängern zählten die jüdischen Jugend- und Studentenbewegung. Vor allem aber in Osteuropa konnte Herzl bald begeisterte Anhänger finden.
Herzl begann sofort für seine Pläne Unterstützung in der Politik zu suchen und begab sich auf die ersten seiner zahllosen Reisen durch Europa auf der Suche nach Unterstützung für die zionistische Sache. Im Juni 1896 reiste er erstmals nach Konstantinopel. Im Juni 1897 gründete er die Wochenzeitung „Die Welt“ als zionistisches Organ und gab dafür über die Jahre sein Privatvermögen hin.
Nach dem ersten Zionistenkongreß, der Ende August 1897 in Basel tagte, notierte Herzl in sein Tagebuch: „Fasse ich den Baseler Kongreß in ein Wort zusammen – das ich mich hüten werde, öffentlich auszusprechen – so ist es dieses: in Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagte, würde mir ein universales Gelächter antworten. Vielleicht in fünf Jahren, jedenfalls in fünfzig wird es jeder einsehen.“ Tatsächlich sollte es nur wenig mehr als 50 Jahre dauern bis seine Vision Wirklichkeit wurde.
Herzl starb 1904 im Alter von nur 44 Jahren.
Benjamin Seev Herzl, wie er in Israel ausschließlich genannt wird, wurde als „Prophet des Staates“ zu einem der wichtigsten Symbole des Staates. Sein Bild wachte über der Unabhängigkeitserklärung durch David Ben-Gurion, sein Grab auf dem nach ihm benannten Hügel in Jerusalem wurde zu einem der bedeutendsten Orte der Identifikation des jungen Staates und dient auch heute noch als Kulisse bei den Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstages. Jedes Kind kennt seinen Ausspruch „Im tirzu, ejn so agada“, „Wenn ihr wollt ist es kein Märchen“.
Ob Herzl von den Entwicklungen in Israel beeindruckt wäre, sei dahingestellt. Herzl wünschte sich Normalität für das jüdische Volk, die tiefe Spaltung der Gesellschaft, die Risse zwischen Säkularen und Orthodoxen, zwischen Ashkenasim und Misrachim, den anhaltenden Konflikt mit den Palästinensern hätte er sich sicherlich nicht träumen lassen.
Lange waren in Tel Aviv Herzl-Graffitis zu sehen. Sie verweisen den Betrachter auf die verpassten Chancen durch eine Abwandlung des Textes: „Lo rozim, lo zarich …“ – „Wenn ihr nicht wollt, müsst ihr nicht …“, heißt der Schriftzug unter Herzls Porträt. Die meisten Graffitis sind mittlerweile übermalt, aber noch immer kann man sie in der Stadt finden. Herzl als mahnende Ikone im Alltag, die uns daran erinnert, dass alles nur von uns selbst abhängt.
„Macht Platz für die Parade“
Der Unabhängigkeitstag fällt in diesem Jahr auf Theodor Herzls Geburtstag. Ein guter Anlass, an die ersten Jahre des Staates zu erinnern, in denen das Gedenken an Herzl mit dem Formierungsprozess des kollektiven Gedächtnisses Israels verknüpft war und in denen die Bedeutung des Herzl-Berges, wo heute Abend die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag stattfinden, manifestiert wurde…
3 Lieder zu Herzl
Mittlerweile ist Herzl in Vergessenheit geraten. Dieser Tatsache will Israel mit dem 2004 verabschiedeten Herzl-Gesetz entgegenwirken. Seitdem wird der Geburtstag des Begründers des modernen politischen Zionismus, der 10. Ijar, mit Kongressen, zahlreichen pädagogischen Sonderveranstaltungen und Preisverleihungen begangen. Die veränderte Stellung Herzls im kollektiven Gedächtnis Israels soll hier in aller Kürze exemplarisch an drei populären Liedern verdeutlicht werden.
Bild oben: Postkarte mit dem Bild Theodor Herzls auf dem Balkon des Hotel Les Trois Rois in Basel während des 5. Zionistenkongresses 1901. Die Photographie stammt von E.M. Lilien.