Der Fall und die Fragen

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Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

„Weiter kann ich mich erinnern, dass dieser Moll einer Ehrenfelder Bande angehörte, die verschiedene Straftaten auf dem Gewissen hatte und die Köln in der damaligen Zeit Tag und Nacht un­sicher machte.“ Die Gestapo-Zeugen im Wiedergutmachungsfall. Der nächste Teil von Peter Finkelgruens Buch über die Edelweisspiraten in Köln…

TEIL 3: Der Fall und die Fragen

„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Von Peter Finkelgruen

Bis zu diesem Augenblick war der „Fall Schink“ für mich ein journalistisches Thema wie viele andere auch – aber dieses hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Wenn man journalistisch arbeitet, passiert es sehr selten, dass ein Thema einen sozusagen über Jahre be­gleitet. Dass es mir mit diesem Thema so gehen würde, habe ich im August 1978 noch nicht einmal geahnt.

In meinem ersten Artikel zum „Fall Schink“ (Frankfurter Rundschau, 18.9.1978) hatte ich berichtet, dass eine für die Wiedergutmachung zu­ständige Behörde sich bei der Ablehnung eines Antrags der Aussagen ehemaliger Gestapobeamter bedient – obwohl es Beweise dafür gab, dass die Ansprüche berechtigt sind. Damit hätte ich mich begnügen können. Der begründete und belegte Vorwurf an die Adresse der Behörde war festgehalten. In meiner Naivität erwartete ich damals, dass der Kölner Regierungspräsident, Dr. Franz-Josef Antwerpes, nun das Unrecht, für das seine Behörde ver­antwortlich war, korrigieren würde. Das Beharren des Kölner Regierungspräsidenten, der die Handlungsweise seines Dezernenten deckte, auf der amtlichen Unter­drückung von historischer Wahrheit, zwang mich, weitere Fragen zu stellen.

Fragen nach den Opfern. Fragen nach den Tätern. Aber auch Fragen nach dem Verhältnis von Opfern und Tätern heute. Mir wurde klar, dass diese Fragen und die ent­sprechenden Antworten meine eigene Existenz in diesem Land berührten. Ich fand Antworten auf Fragen, die zu stellen mir in den Jahren, in denen ich in diesem Land lebte, schwer fiel. Es gab Fragen, die ich nicht stellen konnte, weil mir das Wissen um Sachverhalte fehlte. Mir ging es wie dem Sohn einer Familie, dem man jahrzehntelang erfolgreich verheimlichte, dass er noch einen illegitimen Bruder hat; dass darüber hinaus dieser verheimlichte Verwandte dem Vater oder der Mutter das Leben gerettet hatte. Ich machte mich nun daran, diesen verheimlichten Verwandten kennenzulernen. Dabei kam ich nicht umhin, immer wieder die Frage zu stellen, warum er verheimlicht wurde, weshalb man sich seiner schämte, weshalb man ihn diffamierte.

Kölner Edelweißpiratengruppe „auf Fahrt“ bei Donrath an der Agger, Mai 1943. Der Jugendliche rechts unten trägt ein deutlich sichtbares Edelweiß (Fotograf: unbekannt), (c) NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln

Die Haltung der Kölner Wiedergutmachungsbehörde wurde in dem Papier des Dr. Richard Dette festgelegt. Am 21. Januar 1980 schrieb Dr. Franz-Josef Antwerpes in einem Brief an die „Bürgerinitiative für die Aner­kennung der Köln-Ehrenfelder Widerständler“, es seien „… keine neuen Fakten bekannt geworden“. Seine persönliche Einstellung zu dieser Angelegenheit legte er auch in einem Schreiben vom 10.11.1978 an den Vorsitzenden des Kölner Jugendringes nieder.

Schon in diesem Brief leitete der Kölner Regierungspräsident jene Täuschung der Öffentlichkeit ein, die der Diffamierung der Erhängten einerseits und der Recht­fertigung eigenen Fehlverhaltens andererseits diente.

In dem von Regierungsdirektor Dr. Richard Dette verfassten Vermerk war von Juden keine Rede, dafür aber von Wiedergutmachung und Gestapobeamten. Es er­schien mir zuerst als das Wesentlichste an der Ange­legenheit, dass eine für die Wiedergutmachung nach dem BEG (Bundesentschädigungsgesetz) zuständige Behörde sich in entsprechenden Verfahren der Aussagen von ehemaligen Gestapobeamten zuungunsten der Antragsteller bediente. Ich hatte die Vorstellung, dass eine solche Behörde auch imstande wäre, ehemaligen Auschwitz-Häftlingen, die als Opfer von medizinischen Experimen­ten auf Entschädigung klagen, eine Aussage des Dr. Mengele gegenüberzustellen, wonach er die Häftlin­ge medizinisch wegen Schnupfens behandelte – immerhin, er war ja Mediziner.

Dr. Richard Dette scheint schon eine merkwürdige Ein­stellung bei der Beurteilung ehemaliger Angehöriger von kriminellen Vereinigungen zu haben. Auf Seite 2 schrieb er: „… dürfte auch feststehen, dass zu dieser Zeit die Gestapo nicht nur politische Delikte verfolgt hat.“ Auf der folgenden Seite schrieb er bereits ver­harmlosend von den „Bekundungen der vernommenen Polizeibeamten“. Das entspricht ungefähr den Bemühungen der HIAG (Hilfsgemeinschaft der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS), die sich auch permanent darum bemüht, die Waffen-SS als eine völlig normale soldatische Truppe hinzustellen. Im Laufe der Recherchen habe ich mit Menschen Kontakt gehabt, die zur Zeit des Dritten Reichs Angehörige der Kriminalpolizei in Köln waren. Sie weisen den Versuch einer „Angleichung“ mit der Gestapo weit von sich. Aber das, wie gesagt, erfuhr ich erst später. Nach dem Erscheinen eines Artikels in der Frankfurter Rundschau wurde ich zu einem Gespräch mit Dr. Richard Dette ins Kölner Re­gierungspräsidium eingeladen. Bei der Gelegenheit erfuhr ich, dass die Gestapoleute, derer sich die Wie­dergutmachungsbehörde bediente, wegen Kriegsverbrechen vorbestraft waren. Die Behörde hat sie, wie Dr. Dette sagte, ”… aus der Haft herausbringen lassen“, damit sie ihre Aussage vor der Entschädigungskammer“ des Kölner Gerichts machen konnten.

Die Gestapozeugen

Wer waren diese Zeugen? Waren es ehemalige Nazis, die nun voller Reue dazu beitragen wollten, aufzuklären? Ich musste also zuerst etwas über diese Zeugen in Erfahrung bringen. In Holland wird eine Sammlung von deutschen „Straf­urteilen wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen“ von der Universität von Amsterdam veröffentlicht.[1]

Es mag schon auf den ersten Blick merkwürdig er­scheinen, dass eine solche Sammlung nicht in Deutsch­land, sondern im Ausland erscheint. Immerhin erhält sie eine finanzielle Unterstützung der Alexander-von-Humboldt-Stiftung und der Deutschen Forschungsgemein­schaft.

In Band V dieser Sammlung findet sich, auf den Seiten 685 bis 780 ein Urteil des Schwurgerichts beim Land­gericht Köln vom 19. Dezember 1949 gegen ehemalige Angehörige der Gestapo Köln.

Hauptangeklagter in diesem Prozess war Josef Hoegen, ein Veteran der politischen Verfolgung. Seit August 1933 war er bei der Politischen Polizei und anschlie­ßend bei der Gestapo in der Hauptsache als Sachbearbeiter und Vernehmungsbeamter gegen Angehörige linksradi­kaler Kreise (KPD). 1935 wurde er zum Kriminalsekretär befördert. Seine Karriere bei der Gestapo erhielt 1941 einen merkwürdigen Knick. Im August 1941 wurde er vom SS- und Polizeigericht wegen Schwarzkaufs von Fleisch zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.

Von dieser Strafe saß er drei Monate in Wittlich ab. Vom Dienst bei der Gestapo wurde er suspendiert, aus der NSDAP wurde er ausgeschlossen. Aber ein Dreiviertel Jahr später erhielt er eine Chance, sich zu bewähren. Er kam zur Einsatzgruppe B nach Smolensk. Nach einer Verletzung am Mittelhandknochen kehrte er nach Köln zurück, wo er seinen alten Posten bei der Gestapo wieder erhielt, den er dann bis zur Kapitulation inne­hatte.

Ein anderer Angeklagter war Walter Hirschfeldt. 1932 war er einer von den Millionen Arbeitslosen in Deutschland. Immerhin hatte er Glück, denn Anfang 1933 fand er Arbeit in der Bücher- und Musikalienhandlung der „jüdischen“ Tietz AG in Köln. Im Frühjahr 1933 trat er aber auch dem Jungstahlhelm bei und Ende des Jahres in die SA ein. Ein Jahr später wurde er bei der Kriminalpolizei in Köln angestellt. Anfang 1937 kam er zur Gestapo nach Aachen und im Juni 1937 wurde er Mitglied der NSDAP. 1939 nahm er am Einmarsch nach Polen teil, wurde aber auf Anforderung der Gestapo Anfang 1940 aus der Wehrmacht entlassen, und zwar zur Gestapo nach Aachen. 1942 wurde er zur Gestapo nach Köln versetzt, wo er im Januar 1945 noch befördert wird. Vom „Military Court for Trial of War Criminals“ der britischen Rheinarmee wurde er wegen Tötens von zwei Russinnen in Brauweiler im Februar 1945 zum Tode durch Erhängen verurteilt, wurde jedoch zu sechs Jahren Gefängnis begnadigt.

Der dritte von den fünf 1949 vom Kölner Schwurgericht Verurteilten war Josef Schiffer. Er wurde zusammen mit Hirschfeldt wegen der Teilnahme an der Tötung der zwei Russinnen in Brauweiler von den Engländern zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.

Alle drei wurden gemeinsam mit zwei weiteren Angehöri­gen der Kölner Gestapo im Dezember 1949 vom Kölner Schwurgericht verurteilt: Josef Hoegen zu einer Zucht­hausstrafe von neun Jahren, Walter Hirschfeldt zu vier Jahren Gefängnis und Josef Schiffer zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Urteil ist 95 Seiten lang. Die darin aufgeführten Beispiele von typischen Gestapo-Misshandlungen entsprechen so ziemlich allen Vorstellungen, die man sich von den Quälereien in den Verließen der Gestapo macht.

Von den fünf Verurteilten hat einer das Urteil nicht angenommen – Walter Hirschfeldt ist in Revision gegangen Und es hat sich für ihn gelohnt. In der Revision wurde der Strafausspruch aufgehoben. Wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung ist er schließlich am 11. Dezember 1952 zu einer Gefängnisstrafe von drei Jahren verur­teilt worden. Dieses Urteil erfolgte wegen der Tötung des in Brauweiler einsitzenden Häftlings Fritz Krämer am 22.11.1944.

Das Datum des rechtskräftigen Urteils und der Grund, nämlich die Tötung des Fritz Krämer, sind von wesent­licher Bedeutung, weil sie mitten in den sogenannten „Ehrenfelder Fall“ und seine Handhabung durch den Kölner Regierungspräsidenten führen. Alle drei hier genannten Gestapobeamten haben am 2. und am 16. Juni 1951 als Zeugen des damaligen Kölner Regierungspräsi­denten zum Thema „Köln-Ehrenfelder Terrorbande“ aus­gesagt.

 

„ABSCHRIFT

Betr.: „Ehrenfelder Fall”!

Abschrift aus den Unterlagen der Bezirksregierung Köln in der Anerkennungssache der Frau Elfriede Simon

Juni 1951

Verwaltungsstreitsache

Elfriede Simon ./. Regierungspräsidenten Köln

Josef H o e g e n

früher Kriminalsekretär in Köln,

Richard Wagner-Straße 34

Zt. in der Strafanstalt Rheinbach.

– Belehrt: Ich will aussagen. –

Zur Sache:

Ich war im Jahre 1944 als Krim. Sekretär bei der Politischen Polizei in Köln beschäftigt. Ich gehörte zu dem Kommando des Krim. Kommissars Kütter, der seine Dienststelle in Brauweiler hatte.

Ich kann mich an die Verhaftung der Klägerin und au der Frau Amely im Oktober 1944 noch erinnern. Ich weiß auch ganz genau, dass sich bei der Frau Amely z.Zt. ein gewisser Moll aufhielt. Bei diesem Moll handelte es sich um einen Berufsverbrecher, der meines Wissens aus dem Zuchthaus oder Strafkommando in Anrath ent­sprungen war und bei der Frau Amely Unterschlupf gefunden hatte. Weiter kann ich mich erinnern, dass dieser Moll einer Ehrenfelder Bande angehörte, die verschiedene Straftaten auf dem Gewissen hatte und die Köln in der damaligen Zeit Tag und Nacht un­sicher machte.

An den Namen Wolf kann ich mich nicht erinnern. Es ist aber möglich, dass dieser Wolf mit dem Moll identisch ist. Erinnern kann ich mich auch noch an die Frau Wollenweber. Bei ihr handelte es sich um eine Untermieterin der Frau Simon und, soviel ich weiß, war sie von kleiner Statur. Soweit ich noch in Er­innerung habe, hingen Frau Woellenweber, Frau Amelj und Frau Simon damals eng zusammen und ihre Ver­haftung erfolgte in dem gesamten Komplex Moll, bzw. der Ehrenfelder Bande.

Ich weiß auch ganz genau, dass ich zur selben Zeit, und zwar abends spät die Verhaftung des Moll in der Wohnung der Frau Amely, Engelbertstraße 11, durchgeführt habe. Im Zusammenhang mit dieser Verhaftung er­folgte dann auch die Durchsuchung der Wohnung der Frau Simon und deren Festnahme. Ich bemerke hierzu ausdrücklich, dass die Verhaftung der Frau Simon nicht etwa deshalb politischer Natur war, weil sie von der Politischen Polizei vorgenommen worden war. Denn es dürfte wohl auch schon gerichtsbekannt sein, dass es damalige Aufgabe – gerade in den letzten Kriegsjahren – der Politischen Polizei war, auch die kriminellen Straftaten zu verfolgen. Es ist ganz ausgeschlossen, dass die Verhaftung der Frau Simon wegen Abhörung feindlicher Sender erfolgt ist.

Meine Einberufung in das sogenannte Kommando Brau­weiler erfolgte auch ausschließlich nur zu dem Zwecke, um die Kriminalität, die sich zur damaligen Zeit durch starke Banden gesteigert hatte, nieder­zuhalten. Die Aufgabe der Kommandos Brauweiler, das letzten Endes die Verhaftung der Frau Simon vorge­nommen hatte, war nicht ausschließlich politischer Art.

Es ist auch in keiner Weise zutreffend, dass etwa eine Verhaftung wegen einer etwaigen Arbeitsver­weigerung erfolgt wäre. Weiter kann ich mich er­innern, dass Akten über diese Vorgänge auch dem ordentlichen Gerichte vorgelegt worden sind. Ob eine richterliche Vernehmung stattgefunden hat, vermag ich nicht zu sagen.

g.

m.A.

dem Landesverwaltungsgericht in Köln nach Erledigung des Ersuchens vom 15.5.51 zurückgereicht.

Rheinbach, den 2. Juni 1951 Amtsgericht

Amtsgerichtsrat

 

Nachdem die Zeugen auf die Bedeutung des Eides und die einer falschen unleidlichen Aussage hingewiesen wurden, wurden sie, und zwar die Zeugen in Abwesen­heit des später zu hörenden Zeugen, wie

Z.P.: Josef Schiffer, Krim. Beamter a.D.,

41 Jahre alt, zul. wohnh. in Eupen, z.Zt.

Strafanstalt Werl.

O.B.z.P.

Z.S. Im Jahre 1944 ging unter dem Stichwort Köln- Ehrenfelder Terrorbande ein unfangreiches Ermitt­lungsverfahren. Bei den Ermittlungen habe ich mit­gearbeitet. In dieser Sache waren 70-80 Personen beschuldigt. Zur Last gelegt wurden ihnen insgesamt 10 Morde und 64 Fälle von schweren Einbruch und Plünderung. Ein Haupttäter war u.a. der aus dem Zuchthaus Anrath entsprungene Josef Moll. Er wurde im Oktober 1944 in Köln Engelbertstr. 11 bei Frau Amely festgenommen. Bei der Festnahme war ich mit­tätig. Gleichzeitig wurde eine Frau Wollenweber festgenommen. Dabei stellte es sich heraus, dass auch die Klägerin mitbeteiligt war. Hierauf erfolgt« die Festnahme der Klägerin. Ich habe nur noch in Erinnerung, dass die Klägerin bei Stoffschiebungen mitbeteiligt war. Es kann möglich sein, dass sie auch bei Butterdiebstählen und anderen Sachen als Hehlerin mitbeteiligt war. Genau kann ich mich aber nicht mehr entsinnen. Die Klägerin kam zunächst mit anderen Verhafteten zusammen in die frühere Provinzial- und Erziehungsanstalt Brauweiler. Der dort befindliche Zellenbau mußte seiner Zeit belegt werden, weil die Gefangenenanstalt Köln-Klingelpütz überfüllt war. Brauweiler war damals keine politi­sche Haftanstalt. Später wurden die Häftlinge von Brauweiler nach Siegburg evakuiert. Schließlich wurden sie von Siegburg nach Hunswinkel bei Lüden­scheid und teilweise in die Gegend von Frankfurt evakuiert. Hunswinkel war ein früheres Arbeitser­ziehungslager. Als es von Siegburg aus belegt wurde war es nicht mehr Arbeitserziehungslager, sondern ausschließlich Auffangstelle für evakuierte Häft­linge.

Die Klägerin war in keiner politischen Angelegenheit verhaftet worden. Die Akten wurden seinerzeit an die Kölner Staatsanwaltschaft abgegeben. Infolge der fortgeschrittenen Kriegsverhältnisse kam es zu keiner Anklage. Ich weiß noch, dass im Nov. 44 die Staatspolizei in der Köln-Ehrenfelder Terrorangelegenheit deswegen Arbeit bekam, weil Ausländer mitverwickelt waren.

Ich bin falsch verstanden worden, das war schon im Sept. und Okt. 44. Im November 44 entwickelte sich im Zusammenhang mit der Köln- Ehrenfelder Terrorbande eine politische Angelegen­heit. Durch eine einzelne Vernehmung kam Verdacht auf illegale kommunistische Tätigkeit für das Nationalkomitee Freies Deutschland auf. Die Erör­terungen hierzu wurden völlig unabhängig von den strafrechtlichen Erörterungen geführt. Meiner Er­innerung nach war es unmöglich, dass die Klägerin in diesen politischen Erörterungen mitverwickelt war. Sie ist nur in der Strafsache festgenommen worden. Die politischen Festnahmen erfolgten später.

v.g. 2. Zeuge: Z.P.: Walter Hirschfeldt,

Krim. Beamter a.D., 41 Jahre alt, zul. wohnhaft in Aachen, z.Zt. Strafanstalt Werl. O.B.z.P.

Z.S, Im Okt. 44 war ich bei der Verhaftung der Klägerin mittätig. Ich gehörte damals dem Kommando Kütter an, dieses bearbeitete ein Strafverfahren gegen die sogen. Köln-Ehrenfelder-Terrorbande. Die Klägerin wurde zusammen mit einem der Haupttäter, einen gewissen Josef Moll und ferner mit den Frauen Amely und Wollenweber festgenommen. Ich weiß heute nicht mehr genau, inwieweit die Klägerin in das Verfahren verwickelt war. Sie spielte eine unter­geordnete Rolle. Sie stand wohl mit Moll in Ver­bindung, beim Verkauf bezugsbeschränkter Spinnstoff In welchem Umfange sie im einzelnen verdächtigt wurde, weiß ich heute nicht mehr.

Gedenktafel am Sülzgürtel 8, (c) R. Kaufhold

M.E. ist die Klägerin keinesfalls aus politischen Gründen fest genommen worden. Es war wohl am 10.11.44, dass eine neue Akte mit der Bezeichnung Nationalkomitee Freies Deutschland[2]angelegt wurde und in dieser Angelegenheit Festnahmen erfolgten. Soweit ich mich erinnere, betrafen die Festnahmen eine Gruppe, die Lebensmittel und anderes Diebesgut der Terrorbande bezogen um damit zu verpflegen oder zu unterstützen Personen, die für das Nationalkomitee Freies Deutschland illegal tätig waren. Zu dieser politischen Gruppe gehörte die Klägerin nicht, zumindesten ist meiner Erinnerung damals nichts in dieser Hinsicht festgestellt worden. Außerdem ergibt sich aus dem Festnahmetag, dass sie vor Beginn der politischen Festnahmen bereits ver­haftet war.

Die Angeklagte ist in die Arbeitserziehungsanstalt Brauweiler miteingeliefert worden. Die Anstalt wurde bei der großen Zahl der Festnahmen deswegen benutzt, weil die kriegszerstörte Strafanstalt Köln-Klingelpütz nicht genügend Raum zur Verfügung hatte.

Mitte Februar 1945 wurden die Festgenommenen von Brauweiler nach Siegburg verlegt. Die Verlegung geschah bereits im Einverständnis mit der Kölner Staatsanwaltschaft. Einige Zeit später wurden die Festgenommenen von Siegburg nach Hunswinkel ver­lagert. Dort kamen sie in ein ehemaliges Arbeits­erziehungslager, das aber meines Wissens nicht mehr diesem Zwecke diente.“

Blicken wir noch, einmal auf den Vermerk des Dr. Dette: „Aus den Prozessakten ergibt sich, dass es in der Tat zutrifft, dass die Kölner Gerichte als Zeugen auch Personen gehört haben, die 1944 mit der Verfol­gung von Schink betraut waren. Ich halte es aber nicht für überzeugend, allein deshalb diese Aussagen als reine Schutzbehauptungen abzutun.“ (Hervorhebung durch Autor)

Und:

„Für die Richtigkeit der Aussagen der damaligen Gesta­pobeamten spricht auch die Tatsache, dass diese keines­wegs ihre Beteiligung an politischen Maßnahmen be­stritten haben. Sie haben vielmehr erklärt, dass nach der Verfolgung der 13 (die am Bahndamm in Ehrenfeld erhängt wurden, d. Verf.) Untersuchungen gegen andere Vereinigungen aus politischen Gründen erfolgten und dass sie auch daran teilgenommen hätten.“

Sehen wir uns nun die Aussagen der drei Gestapobeamten einmal näher an. Wohlgemerkt, es handelte sich um die Entschädigungssache einer Frau, die eher eine Rand­figur der sogenannten Köln-Ehrenfelder Terrorbande war. Es fängt schon im ersten Satz damit an, dass Josef Hoegen sagt, er wäre 1944 bei der Politischen Polizei in Köln beschäftigt gewesen und den Begriff Gestapo vermeidet. Das deutet schon eher auf Täuschung über die reale Situation von 1943 und nicht auf Aufklärungsbereitschaft hin. Dann kommt aber eine Passage, die es in sich hat:

„Denn es dürfte wohl auch schon gerichtsbekannt sein, dass es damalige Aufgabe – gerade in den letzten Kriegsjahren – der Politischen Polizei war, auch die krimi­nellen Straftaten zu verfolgen.“

Diese Aussage des Josef Hoegen findet sich wörtlich in dem Vermerk des Dr. Dette “ … weiterhin dürfte auch feststehen, dass zu dieser Zeit die Gestapo nicht nur politische Delikte verfolgt hat.“

Welche Übereinstimmung der Neigungen zwischen dem ehe­maligen Gestapobeamten Hoegen und dem Dezernenten für Wiedergutmachung Dr. Dette! Was soll man von dem Satz des Hoegen halten, der da lautet:

„Meine Einberufung in das sogenannte Kommando Brau­weiler erfolgte auch ausschließlich nur zu dem Zwecke um die Kriminalität, die sich zur damaligen Zeit durch starke Banden gesteigert hatte, niederzuhalten.“

Josef Hoegen gehörte dem sogenannten Kommando Kütter, das später auch als Kommando Brauweiler bekannt war, seit dem Tag an, an dem es vom seinerzeitigen Chef der Kölner Gestapo, Kurt Lischka [3], am 11. Mai 1940 geschaffen wurde. Nach seiner Rückkehr aus Smolensk, wo er Mitglied der Einsatzgruppe B war, kam er wieder zu seinem früheren Vorgesetzten.

Alle drei Gestapozeugen des Regierungspräsidenten gehörten diesem Sonderkommando an. Es wurde am 11. Mai 1940 aufgrund eines Erlasses des Reichssicherheits­hauptamtes vom damaligen Leiter der Kölner Gestapo, Kurt Lischka, geschaffen. Liest man sich diese zwei Dokumente genau durch, dann gewinnt die Aussage des Hoegen vom 2. Juni 1951 wirklich ihre genaue Bedeutung. Die Sabotagetätigkeit der Widerstandsgrup­pen in Köln – und besonders jener aus Ehrenfeld – hatte sich 1944 tatsächlich bedeutend gesteigert. Sabotage war für die Gestapo natürlich reine Kriminali­tät. Dass aber 1978 der für die Wiedergutmachung zu­ständige Beamte den Gestapo-Begriff der Kriminalität übernimmt im Sinne einer unbeschränkten Identifikation von Werten, ohne dass sein Vorgesetzter ihn zur Müll­abfuhr versetzt, entspricht wohl in etwa jenem Täuschungsversuch, den ehemaligen Staatssekretär Hans Globke zu einem Widerständler zu machen.

Der einzig interessante Satz in der Aussage des Josef Schiffer lautet: „Brauweiler war damals keine politische Haftanstalt.“

Es mag schon stimmen, dass Brauweiler nicht nur eine politische Haftanstalt war. Aber die Tatsache, dass die Sabotage-Sonderkommission des Kriminalinspektors Kütter zu diesem Zeitpunkt ihren Sitz in Brauweiler hatte, und dass die politischen Häftlinge nach Brau­weiler kamen (so auch der frühere Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer), lässt den Satz als das erkennen, was er wohl auch war, nämlich tatsächlich eine Schutz­behauptung.

Nun zur Aussage des Walter Hirschfeld:

Am wichtigsten ist die Tatsache, dass Walter Hirschfeld‘ diese Aussage in einer Entschädigungssache machte, als noch die Revision seines Urteils vom Dezember 1949 schwebte. In seinem Urteil ging es um die Tötung des Fritz Krämer. Dieser aber war ein Mitwisser der „Ehrenfelder Terrorbande“. Hier wurde also die Aussage eines Gestapobeamten, der wegen Tötung eines Mitwisser der Ehrenfelder Gruppe verurteilt worden war und auf Revision seines Verfahrens hoffte, zur Grundlage ge­macht, um die Entschädigungsansprüche nach den in Ehrenfeld Ermordeten und Verfolgten abzulehnen.

Was ich durch die Lektüre des Urteils über die Taten der drei Gestapobeamten erfuhr, erweckte nun nicht gerade den Eindruck, als habe es sich um die Aussagen von drei reumütigen Ex-Nazis gehandelt, die zur Auf­klärung über die Vergangenheit beitragen wollten.

Eher schon wurde der Verdacht geweckt, sie hätten sich bereitwillig als Werkzeuge zur Verfügung gestellt, um auf diese Weise entweder früher aus der Haft ent­lassen zu werden oder, wie im Fall des Walter Hirsch­feldt, die Revision seines Verfahrens in seinem Sinne beeinflussen zu können. Er kam ja in der Revision dar auch tatsächlich billig davon.

Wenn man alles bedenkt ist das auch, eine Form der Karriere: 1947 zum Tode verurteilt, dann zu sechs Jahren begnadigt. 1949 zu vier Jahren verurteilt, 1951 als Zeuge des Regierungspräsidiums aufgetreten und 1952 dann mit drei Jahren wegen Tötung davongekommen!

Noch immer war ich naiv genug zu glauben, die Ent­scheidung der Behörde beruhe auf reinem Nichtwissen. Ich bemühte mich aber bereits vor meinem Artikel in der Frankfurter Rundschau, in Archiven Material zu finden. Material der Gestapo, das Aufschluss darüber hätte geben können, wie und warum die Gestapo die Köln-Ehrenfelder Gruppe verfolgt hatte. Ich erkun­digte mich im Historischen Archiv der Stadt Köln über dort vorhandene Dokumente. Diese städtische Institu­tion hatte bereits früher eine Ausstellung über Verfolgung und Widerstand in Köln gezeigt und dabei mit Hilfe des Bundesarchivs in Koblenz auf die Beur­teilung der Edelweißpiraten als politische Gegner durch die damaligen NS-Machthaber hingewiesen. Es handelte sich dabei hauptsächlich um Material der NS-Justiz wie zum Beispiel einen „Lagebericht“ des Oberreichsanwalts beim Volksgerichtshof vom 19. Fe­bruar 1944 an den Reichsminister der Justiz (Akten­zeichen 4206 E – 2.36) über „Hochverrat und Wehr­kraftzersetzung innerhalb des Reichsgebiets“. Dort steht auf Seite 7 geschrieben, es seien Verfahren eingeleitet gegen Mitglieder und Mitläufer „einer in Köln gebildeten bündischen Jugendorganisation, die sich „Club der Edelweißpiraten“ genannt und neben kriminellen Straftaten auch staatsfeindliche Flugzettel- und Schmierpropaganda durchgeführt haben …“.

So etwas passte aber nicht zu der Vorstellung einer Bande von Kriminellen. Die hätten sich eher darum bemüht, in keinen politischen Konflikt mit dem System zu geraten. Die Chance der kriminellen Bereicherung musste sinken, wenn man sich auch noch der politischen Verfolgung durch den Nazi-Staat aussetzte. Und das konnte wohl nicht die Absicht einer Bande von Dieben, Schiebern und Hehlern sein.

Im Historischen Archiv der Stadt Köln erfuhr ich da­mals, es war im August 1978, dass sich die Behörde des Regierungspräsidenten nicht nach Material über die Ehrenfelder Gruppe erkundigt hatte, das beim städti­schen Archiv zur Verfügung stand. Ich fragte mich nämlich, ob sich Herr Dr. Richard Dette vor Ab­fassung seines Elaborats um verfügbare historische Quellen bemüht hat – offensichtlich tat er dies nicht. Wenn der Regierungspräsident in seinem bereits erwählten Schreiben vom 10. November 1978 behauptete, es sei schlicht falsch, dass die im Historischen Archiv vorhandenen Unterlagen nicht beigezogen worden seien so ist das wiederum ein Beispiel für jene amtliche Täuschung und Irreführung in diesem Fall. Vor dem September 1978 hatte die Behörde sich um keinerlei Unterlagen beim Historischen Archiv der Stadt Köln bemüht, die ihr darüber Aufklärung hätten geben können, was im Jahre 1944 in Köln-Ehrenfeld tatsächlich geschehen war und die die Falschaussagen ihrer Gestapozeugen entlarvt hätten.

Bild oben: Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

Zum Buch:
„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Herausgegeben von Roland Kaufhold und Andrea Livnat
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Die Buches liegt auch in Druckversion vor:

Peter Finkelgruen, „Soweit er Jude war…“ Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944, Hrsg. v. Roland Kaufhold, Andrea Livnat und Nadine Englhart, Hardcover, 352 S., ISBN-13: 9783752812367, Euro 39,90, Bestellen?

Paperback, Euro 17,99, Bestellen?
Ebook, Euro 9,99, Bestellen?

 

[1] Justiz und NS-Verbrechen, Sammlung deutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen 1945 – 1966, University Press Amsterdam 1970.
[2] Das Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) war eine kommunistische Widerstandsgruppierung, die von 1943 – 1945 existierte. Mitglieder waren u.a. Erich Weinert, Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Hans Mahle, Hadermann, Kügelgen, Stresow und Eschborn. Internet: https://de.wikipedia.org/wiki/Nationalkomitee_Freies_Deutschland; Der Spiegel: Verräter oder Patrioten? 1.6.2010: https://www.spiegel.de/spiegel/spiegelgeschichte/d-70747525.html, RK
[3]Kurt Lischka war ein hoher SS-Mann, der maßgeblich an der Ermordung von ca. 77.000 französischen Juden beteiligt war. Finkelgruen und seine Ehefrau Gertrud Seehaus nahmen 1979/1980 regelmäßig am Kölner Prozess gegen Lischka, Hagen und Heinrichsohn teil und schrieben auch hierüber, s. Roland Kaufhold (2013): „Ich erinnere3 mich an diesen Deutschen ganz genau“, haGalil 29.5.2013: http://buecher.hagalil.com/2013/05/lischka-prozess/; Roland Kaufhold (2017): Vatersprache. Gertrud Seehaus Gedichte über den Lischka-Prozess, haGalil 27.11.2017: https://www.hagalil.com/2017/11/vatersprache/.