Würzburg liest ein Buch

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In den vergangenen Jahren wurden in Würzburg unzählige Lesungen der Aktion „Würzburg liest ein Buch“ in der Stadt und im Umland durchgeführt, die an berühmte Schriftsteller Würzburgs erinnerten – Jakob Wassermann und Leonhard Frank. Dank der großen Beteiligung der Kulturschaffenden, Institutionen und engagierten Bürger kann auch 2018 eine solche Aktion durchgeführt werden, welche dieses Mal an Jehuda Amichai erinnert und von Ende 2017 bis Juni 2018 stattfindet. Gelesen wird an sehr vielen Orten in der Stadt und im Umland in Buchhandlungen, Bibliotheken, Cafes, Schulen, Seniorenheimen, Kirchen, ehemaligen Synagogen, ja sogar in der Straßenbahn…

Von Judith Bar-Or

Warum Jehuda Amichai? Diese Frage ist leicht zu beantworten: Er wurde am 3.Mai 1924 in Würzburg, in der Augustinerstraße 9, als Ludwig Pfeuffer – Sohn von Kaufmann Friedrich Moritz Pfeuffer und seiner Ehefrau Frieda, geb. Wahlhaus, geboren. Nach dem Besuch des Montessori-Kindergartens und der damaligen Jüdischen Volksschule emigrierte er mit seiner Familie nach Israel, wo er zuerst in Petach Tikwa und dann in Jerusalem wohnte. Nach der Teilnahme am 2. Weltkrieg in der jüdischen Brigade der britischen Armee studierte er zunächst am Lehrerseminar in Jerusalem und später an der Hebräischen Universität. Damals änderte er auch seinen Namen in Jehuda Amichai (Amichai = Mein Volk lebt). Nach der Teilnahme im Unabhängigkeitskrieg als Soldat und später nach der Tätigkeit als Lehrer veröffentlichte er 1955 seinen ersten Gedichtband, dem noch 12 andere folgten, einen Band mit Kurzgeschichten, einen Roman, sowie verschiedene Theaterstücke und Hörspiele. Seine Werke, alle in Iwrith geschrieben, wurden in 40 Sprachen übersetzt.

Nach einer erneuten militärischen Teilnahme als Soldat im Sinaikrieg 1956 besuchte er 1959 das erste Mal seine Geburtsstadt Würzburg. Es folgten danach weitere Kriege, an denen er teilnahm: 1967 der Sechs-Tage-Krieg und 1973 der Yom-Kippur-Krieg.

1981 erhielt er den Kulturpreis der Stadt Würzburg, 1982 den Israelpreis, die höchste Literaturauszeichnung seines Landes. 1986 wurde er zum Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters ernannt, 1990 wurde er Ehrendoktor der Hebräischen Universität, 1993 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. In der Zeit von 1988 bis 2000 schrieb er weiter zahlreiche Arbeiten, bis er am 22.09.2000 in Jerusalem starb.

Als die Aktion „Würzburg liest ein Buch“ geplant wurde, entschloss sich auch VISITee, der Besuchsdienst des HVD (Humanistischer Verband Deutschlands) in Bayern, daran teilzunehmen. In dieser Organisation besuchen Ehrenamtliche Menschen, die einsam bzw. alleinstehend sind in Seniorenheimen, Krankenhäusern oder auch auf Wunsch zu Hause, um ihnen bei einer Schale Tee etwas vorzulesen und sich mit ihnen zu unterhalten. Ebenso bieten Ehrenamtliche VISITee-Lesungen an, um weitere Interessenten für dieses Ehrenwerk zu gewinnen. Der HVD Bayern ist übrigens eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Weltanschauungsgemeinschaft K.d.ö.R.

So entschloss sich Sonderschulrektor i.R. Frank Stößel, der Gründungs- und dann Landesvorsitzender des HVD Bayern, Sprecher der Regionalgruppe Würzburg des HVD Bayern war, Ehrenmitglied des HVD Bayern und Humanistischer Bestattungssprecher ist, an der Aktion teilzunehmen. Als Partner für die Aktion konnte er seinen langjährigen Freund und Kollegen, Rektor i.R. Israel Schwierz, mit dem er zusammen im Sommersemester 1969 die I. Lehramtsprüfung für Volksschulen an der Pädagogischen Hochschule der Universität Würzburg abgelegt hatte, gewinnen. Israel Schwierz war lange Jahre über Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und über 25. Jahre lang Lay Leader (= Rabbinerstellvetreter) der Jüdischen Gemeinde der US-Streitkräfte in Franken mit Sitz in Würzburg; heute ist er noch 1. Vorstand der Liberalen Jüdischen Gemeinde „Mishkan ha-Tfila“ in Bamberg.

Am 22.April 2018 und am 29.April 2018 fanden dann die VISITee-Lesungen statt: am ersten Sonntag im Central-Kino im Bürgerbräu, am darauffolgenden Sonntag bei Oxfam in der Augustinerstaße 8. Den ersten Veranstaltungsort hatte Frank Stößel gewählt, weil dieser mit induktiven Hörhilfen für Hörgeräteträger barrierefrei ist. Beim zweiten Ort hat auch die Nähe des Geburtshauses von Jehuda Amichai, nur wenige Meter entfernt, eine Rolle gespielt haben. Beide Veranstaltungen, die erfreulicherweise recht gut besucht waren, verliefen fast identisch.

Nach einer Begrüßung der Teilnehmer stellten die beiden Vorleser sich dem Publikum gegenseitig vor. Danach folgte statt eines Vorwortes ein Interview aus der „Jerusalem Post“ mit Jehuda Amichai („The Jerusalem Post Magazine“ vom 17.02.1978): „Ein Weg zur Wirklichkeit“: Als Interviewer fungierte Frank Stößel, für Jehuda Amichai gab Israel Schwierz die Antworten.

An dieses Interview schloss sich dann der Vortrag mehrerer Gedichte an, bei dem sich beide Vortragenden abwechselten. Anschließend blieb noch genug Zeit übrig, um aufkommende Fragen zu beantworten und eventuelle Unklarheiten zu beseitigen.

Am Ende der Veranstaltung bedankten sich die beiden Akteure sehr herzlich bei den Zuhörern für ihre Geduld und Ausdauer und auch bei den Gastgeberinnen – Frau Heidrun Podszus im Bürgerbräukeller und Frau Dr. Gisela Bleichner bei Oxfam sowie bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern beider Häuser – für ihr Entgegenkommen und ihre tätige Mithilfe. Das Publikum spendete großen Beifall. Der größte Dank aller für beide Veranstaltungen gebührt aber auf jeden Fall Sonderschulrektor i.R. und Landesvorsitzender des HVD Bayern für seine außergewöhnlich gründliche Vorbereitung und gekonnte Durchführung der Lesung.

http://wuerzburg-liest.de/