Mit Rhabarberschorle und Matebrause – Ausgeforschte kommen zu Wort

0
89

Als die Dreharbeiten zur Dokumentation „Im inneren Kreis“ begannen, war ein halbes Jahr zuvor die Verdeckte Ermittlerin Iris P. alias „Iris Schneider“ durch eine Recherchegruppe aus dem Umfeld der Roten Flora enttarnt worden. Bis zur Filmpremiere am 6. Juni wurden in Hamburg noch zwei weitere ehemalige Verdeckte Ermittlerinnen enttarnt…

Von Gaston Kirsche

„Iris P. ist nicht die erste verdeckte Ermittlerin in der Roten Flora gewesen und sie wird nicht die letzte sein“, so Andreas Blechschmidt, „es gab eine Reihe vor ihr und nach ihr“. Er ist einer von vier Aktiven aus dem linken Zentrum Rote Flora, die sich gemeinsam haben interviewen lassen von Hannes Obens und Claudia Morar. Die beiden in Berlin Lebenden haben Regie und die Interviews geführt, aus denen der Film maßgeblich besteht. Bei der Premiere in Hamburg erklärte Hannes Obens, er habe früher als Jugendlicher viel Zeit in der Roten Flora verbracht und als er nach der Enttarnung am 3. November 2014 in einem eigens dafür eingerichteten Blog die ersten Artikel von zahlreichen Artikeln über den Einsatz von Iris P. las, habe dies sein Interesse geweckt.

Claudia Morar und er haben bei der Filmförderung zweimal Gelder für ein Filmprojekt beantragt. Beide Male wurden die Anträge abgelehnt – die Entscheidenden fanden das Thema offensichtlich nicht relevant genug und erewarteten wohl kein Publikumsinteresse. Doch die Beiden und ihre Filmcrew gaben nicht auf, starteten eine Spendenkampagne, durch welche zumindest die Ausgaben für den Film, vom Bahnticket bis zur Kameramiete, wieder reinkommen sollen. Durch die zahlreichen Aufführungen können jetzt die restlichen Ausgaben gedeckt werden. Dies lässt hoffen auf eine Fortsetzung – wenn zukünftig verdeckte ErmittlerInnen enttarnt werden.

Iris P. forschte von 2001 bis 2006 die in der Roten Flora Engagierten aus und ging dabei auch Liebesbeziehungen ein. „Sie wurde mit offenen Armen in einem offenen Angebot der Roten Flora empfangen und dass nach ein paar Monaten mit auf dem internen Plenum“, so Andreas Blechschmidt: „Damit hat das LKA seine eigene Gefahrenanalyse ad absurdum geführt, nach der in abgeschotteten Gruppen permanent die schwersten Straftaten geplant werden“. In der Tat: Die Rote Flora steht mitten auf dem Schulterblatt im Hamburger Schanzenviertel, wo die zu vermietenden Lofts kreativ und die Crêpes vegan sind. Hier ist Leben, und das linke Zentrum als Gegenpol mittendrin: Es gibt eine offene Motorradwerkstatt, ein Café, das „Archiv der sozialen Bewegungen“, wo sich Vieles auch über frühere aufgeflogene Polizeispitzel nachlesen lässt, und Vieles mehr. Im Film wird dies unterstrichen durch eingeblendete Fotos von einem Seniorenkaffeekränzchen aus der Anfangszeit der Roten Flora. Tanja, eine Aktive aus der Roten Flora die ihren Nachnamen nicht nennen will, schildert, wie sie Iris P. für eine Freundin gehalten habe: „Sie war hilfsbereit, half bei Renovierungen, sie hat sich so benommen wie eine gute Freundin“.

Es sei im nachherein sehr gut für den Film, dass die Aktiven aus dem autonomen Zentrum darauf bestanden hätten, gemeinsam interviewt zu werden, so Hannes Obens im Gespräch. In der Tat gibt die Gruppensituation mit Rhabarberschorle und Matebrause den Interviews viel Lebendigkeit, auch durch die Reaktionen der Anderen. Die Zusammensetzung der Gesprächsrunde wechselt im Laufe des Filmes. Den zwischen den sporadisch stattgefunden habenden Filmdrehs gab es neue Entwicklungen: Innerhalb von 18 Monaten wurden in Hamburg noch zwei weitere ehemalige Verdeckte Ermittlerinnen enttarnt – wie Iris P. nach Abschluss ihrer Einsätze, aber nicht durch Zufall, wie bei „Iris Schneider“, die 2014 gegenüber einer Sozialarbeiterin aus dem Umfeld der Roten Flora unter ihrem Klarnamen Iris P. als Beamtin des Hamburger Staatsschutzes als Expertin des LKA für Salafismus auftrat. Ein hoher Polizeibeamter erklärte gegenüber dem „Hamburger Abendblatt“, die Autonomen hätten offensichtlich eine professionelle Gruppe zur Enttarnung Verdeckt Ermittelnder aufgestellt.

Die Rote Flora und die Hamburger radikale Linke zeichnet es aus, trotz der Enttarnung von Iris P., Astrid O. und Maria B. nicht in Paranoia und Abschottung verfallen zu sein. Stattdessen wird für einen offenen persönlichen Umgang miteinander eingetreten, im Wissen darum, dass permanent sicher zwei Verdeckt Ermittelnde in und um die Rote Flora im Einsatz sind.

Die Rote Flora zeichnet eine lebendige und vielfältige Debattenkultur aus, die sich als autonom und radikal links, aber auch als streitbar und Widersprüche offenlegend beschreiben lässt. So hat das Zentrum selbst immer wieder über seinen Anteil an der Aufwertung und Gentrifizierung des Schanzenviertels reflektiert. Und im Juli 2004 erregte das Plenum der Roten Flora den Unmut der sogenannten antiimperialistischen, real volkstümelnden und antiisraelischen vermeintlichen Linken, als es mit „The Good and the Evil“ eines ihrer seltenen Positionsbestimmungen veröffentlichte. In dem „Diskussionspapier der Roten Flora zu Antisemitismus“ heißt es unmißerständlich: „Unsere Auseinandersetzung mit Antisemitismus in der Linken in den letzten Monaten soll auch dazu führen, antisemitische Äußerungen in Zukunft klarer als solche benennen und praktische Konsequenzen daraus ziehen zu können.“ So wie während der G20-Protesttage in Hamburg im Juli, als über die gesamte Fassadenbreite ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: „Gegen jeden Antisemitismus“ hing. Ein klares Statement dagegen, dass bei globalisierungskritischen Protesten und Kritik an der kaptialistischen Weltwirtschaft des öfteren antisemitische Verschwörungstheorien und Ressentiments propagiert oder geduldet werden. Im Dezember 2009 unterstützte die Rote Flora die Demonstration „Antisemitische Schläger unmöglich machen – Auch Linke!“ Der traurige Anlaß war die gewaltsame Verhinderung einer Vorführung des Films „Warum Israel“ des Regisseurs Claude Lanzmann im Hamburger Kino B-Movie durch antiimperialistische Linke.

Für israelsolidarische Linke in Hamburg ist es ermutigend, dass es die Rote Flora gibt. Auch bei anderen Debatten in der Linken werden in der Roten Flora emanzipatorische Positionen entwickelt. Derzeit wird intensiv über die Formen der Militanz bei den G20-Protesten debattiert. Und über das Schanzenriot, dass nachts im Schanzenviertel stattfand und bei dem drei Geschäfte geplündert und Feuer angezündet wurden – von denen einige von Aktiven aus der Roten Flora gelöscht wurden. Bei aller Vielfalt der Positionen und Debatten versteht sich die Rote Flora als staatskritisch und linksradikal. Dadurch befindet sie sich permanent im Visier des Staatsschutzes und des Inlandsgeheimdienstes – auch durch den Einsatz Verdeckter ErmittlerInnen.

Die Filmcrew hat großartiges geleistet, indem sie viele Betroffene dazu bewegt hat, vor der Kamera darüber zu sprechen, wie sie getäuscht, ausgeforscht, manipuliert und ausgenutzt wurden. In den Interviews wird Respekt deutlich. Und ohne aufgebautes Vertrauen wäre der Film ohne sein Fundament, das aus vielen Interviews mit den Ausgeforschten zusammenmontiert ist.

Jan Reinecke als Hamburger Sprecher des Bundes der Kriminalbeamten und Kay Nehm als ehemaliger Bundesanwalt, der den Einsatz von Iris P. für das BKA genehmigt hat, bilden mit ihren Statements einen wichtigen Kontrapunkt: Sie rechtfertigen, erklären die Einsätze, wobei Kay Nehm durch die Blume und mit der ihm eigenen sachlichen Zurückhaltung indirekt Kritik an der Hamburger Polizeiführung durchscheinen lässt, wenn er erklärt, der Einsatz von Iris P. hätte bis zur Einstellung des Verfahrens durch das BKA 2005 nichts strafrechtlich relevantes ergeben und er wisse nicht, was das Hamburger LKA bewogen hätte, die Verdeckte Ermittlung trotzdem fortzuführen. Gleichwohl rechtfertigt er Verdeckte Ermittlung ebenso wie Jan Reinecke vom BDK, der lächelnd aber bestimmt behauptet: Verdeckte Ermittlungen seien notwendig, weil „linksextreme Gewalt“ seit Jahrzehnten ein Problem in Hamburg sei.

Die Montage des Filmes hat starke Momente, wo dies gegen einander geschnitten wird mit den Schilderungen der Ausgeforschten – und mit der Abgeordneten der Linken in der Hamburgischen Bürgerschaft Christiane Schneider, die zahlreiche Kleine Anfragen zu den Verdeckten Polizeieinsätzen gestellt hat: Bei dem Verfahren des BKA sei es angeblich um die „Autonome Zelle Ulrike Meinhof“ und mögliche Kontakte zu drei noch gesuchten Mitgliedern der RAF aus Hamburg gegangen – nicht eine Erkenntnis hierzu habe sich aus dem Einsatz von Iris P. ergeben. Christiane Schneider wird auch beim Gang in eine Sitzung des Innenausschusses des Landesparlamentes gezeigt, wo sie den Innensenator begrüßt, mit dem sie während der Sitzung hart um Aufklärung ringen wird: „ Es wird von der Behörde immer nur so viel zugegeben, wie wir glaubhaft belegen können.“

Leider haben sowohl die enttarnten Beamtinnen des LKA Hamburg als auch der Beamte des LKA Baden-Württemberg alle Interviewanfragen abgeblockt, ebenso wie andere Polizeivertreter.

Es gibt aber zumindest aus der Hamburger Polizeiführung zahlreiche Äußerungen, dass der Einsatz Verdeckt Ermittelnder für die Kontrolle der linken Szene in Hamburg unverzichtbar sei.

Ebenso haben in den Parlamentsdebatten in Hamburg und Stuttgart Abgeordnete und Minister den Einsatz von Verdeckten BeamtInnen gerechtfertigt und für die Zukunft den Einsatz von VEs gefordert. Etwa Dennis Gladiator , innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft, der laut Bergedorfer Zeitung im Jugendhilfeausschuss Bergedorf zum Einsatz der Verdeckten Ermittlerin Astrid O. im Jugendzentrum „Unser Haus“ erklärte: „Es habe einen richterlichen Beschluss mit klar umrissenen Kompetenzen gegeben. Erkenntnisse zu gewinnen, sei wichtig“. Dennis Gladiator schob noch einen Naziterrorismus verharmlosenden Vergleich nach: „Beim NSU-Skandal haben sich alle beklagt, dass die Polizei zu wenig wusste.“ Dennis Gladiator hatte vielleicht eine Idee: Die Observation einer Antifa-Jugendgruppe muß sich doch mit der Nichtobservation des für rassistische Morde und Bombenanschläge verantwortlichen NSU vergleichen lassen können, so bekomme ich den Hamburger Staatsschutz des LKA aus der Kritik. Oder?

Es hätte dem Film gut getan, derartige Texte wie von Dennis Gladiator von Personen etwa mit weißen Masken nachsprechen zu lassen um so die Rückendeckung für die Verdeckten Ermittlungen und Staatschutztätigkeit der Polizei durch politische EntscheidungsträgerInnen zu dokumentieren.

Wer mit den Einsätzen von Iris P., Maria B. und Astrid O. einigermaßen vertraut ist, wird Vieles vermissen, was unter den Schneidetisch gefallen ist, wenn es denn Interviews gab: So kommen die Redakteurinnen von „re(h)v(v)o(l)lte radio“ nicht zu Wort, obwohl Iris P. drei Jahre lang in ihrer Frauenredaktionsgruppe mitgearbeitet hat und das Pressegeheimnis, den Zeugenschutz, die Pressefreiheit drei Jahre lang, von 2003 bis 2006 massiv verletzt hat. Die Frauen von „re(h)v(v)o(l)lte radio“ haben sich öffentlich auf Pressekonferenzen erklärt und ein umfangreiches Dossier über Iris P. auf die Internetseite des Radios FSK gestellt. Der Einsatz von Iris P. im Radiosender kommt nur kurz mit einem Mobilisierungsjingle für ein Schanzenviertelfest vor, in dem die Polizistin auffordert: „Nehmen wir uns den öffentlichen Raum!“ Hannes Obens erklärte dazu auf meine Nachfrage: „Das FSK haben wir angefragt, es wollte sich aber nach eigener Aussage aufgrund eines laufenden Prozesses nicht äußern“. Bedauerlich.

Auch ein gemeinsam vollbrachtes Meisterinnenstück von Maria B. und Astrid O. kommt nur am Rande vor: Bei einer Antifademo am 2. Juni 2012 war die eine in der Demoleitung, die andere berichtete an die Demoleitung über die Situation auf der Straße: Sie plädierten dafür, dass der von Autonomen Antifas organisierte Demonstrationszug in eine bestimmte Straße losziehen sollte – es war eine Polizeifalle, es folgte ein massiver Polizeieinsatz mit in die Menge reitenden Polizeipferden, Knüppelei, Wasserwerfern und vielen verletzten Antifas. Im Film kommt nur kurz vor, dass Maria B. als Losung für diese Demonstration den Slogan „Den Nazis die Beine brechen!“ vorgeschlagen habe, der von der Antifa abgelehnt worden sei.

Die Stärke des Filmes ist hier auch seine Schwäche – durch die Fokussierung auf die Rote Flora wird zwar die Ausforschung des Zentrums plastisch, aber Anderes – FSK und Antifa – kommt zu kurz. Hannes Obens versichert mir, dass neben dem Radiosender FSK auch „mehrere Personen betroffener Antifa-Gruppen angefragt worden sind“, die sich aber leider nicht für Interviews bereit gefunden hätten. Claudia Morar und Hannes Obens haben von den bekanntgewordenen Ausgeforschten interviewt, wer sich dazu bereit erklärte. „’Im inneren Kreis‘ hat auch nicht den Anspruch die Fälle lückenlos zu dokumentieren,“ so Hannes Obens, „sondern will exemplarisch die politischen und persönliche Folgen von Überwachung zeigen“.

Bei dem im Film gleichfalls dokumentierten Verdeckten Einsatz von Simon B. alias „Simon Brenner“ in Heidelberg, der am 12. Dezember 2010 während seines Einsatzes enttarnt und im Café Orange zur Rede gestellt wurde, spricht neben zwei Betroffenen aus einer Studierendeninitiative ein Rechtsanwalt: Martin Heiming hat im Namen der Betroffenen Klage auf Rechtswidrigkeit des Einsatzes eingereicht. Nach vier Jahren, in denen zuerst um die Herausgabe der Polizeiakten an die Richter gerungen werden musste, erklärte das zuständige Verwaltungsgericht 2015 die Rechtswidrigkeit des Einsatzes. Und Martin Heiming fragt in die Kamera: Hat sich dieser Aufwand gelohnt? Beim nächsten Einsatz wird das LKA Baden-Württemberg es vermutlich wieder genauso machen wie bei „Simon Brenner“. Dies lässt der Film so stehen. Nüchtern und unaufgeregt.

„Im inneren Kreis“. Regie: Hannes Obens und Claudia Morar. Deutschland 2017, 83 Min.
Kinotermine unter: www.iminnerenkreis-doku.de

 

[youtube]https://youtu.be/MsgPUdQQzUM[/youtube]


Die enttarnten Verdeckt Ermittelnden

Iris P. alias „Iris Schneider“. Als Verdeckte Ermittlerin im Auftrag der LKA Hamburg und Schleswig-Holstein, des BKA und der Bundesanwaltschaft von 2001 bis 2006 im Einsatz in der Roten Flora, der Bauwagenszene, der queeren Szene und in Redaktionsgruppen des Radiosenders FSK.

Astrid O. alias „Astrid Schütt“. Als Verdeckte Ermittlerin im Auftrag des LKA Hamburg, von 2006 bis 2013 im Einsatz im Jugendzentrum „Unser Haus“, in Antifa-Gruppen von Jugendlichen, in ökologischen Gruppen und in der Roten Flora. Wird von Aktiven aus der Roten Flora als die Nachfolgerin von Iris P. eingeschätzt.

Maria B. alias „Maria Block“. Als Verdeckte Ermittlerin im Auftrag des LKA Hamburg von 2008 bis 2012 im Einsatz in antirassistischen Gruppen wie dem No-Border-Camp, in Antifa-Gruppen und in der Roten Flora.
Alle drei wurden nach Abschluss ihrer Einsätze durch Recherchegruppen aus dem Umfeld der Roten Flora mit umfangreichen Dossiers über ihre Arbeit enttarnt. Die drei Ermittlerinnen wurden geleitet von „VE-Führern“ und Backoffices beim LKA, Abteilung 7, Staatschutz, von jeweils sechs bis acht Beamten.

Simon B. alias „Simon Brenner“. Als Verdeckter Ermittler in Heidelberg von November 2009 bis zum 12. Dezember 2010 im Auftrag des LKA Baden-Württemberg im Einsatz um studentische Initiativen, Antifa-Gruppen, ökologische Gruppen auszuforschen. Er konnte während seines Einsatzes enttarnt und zur Rede gestellt werden, woraufhin er die Ausforschung auf detaillierte Nachfragen hin zugab.

(Zusammenstellung: Gaston Kirsche)