Der Kölner Friedensmarsch – mit etwas Abstand…
Susanne M.
Er war medial groß angekündigt, der Kölner „Friedensmarsch“: „Nicht mit uns – Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror“. Und wie es sich gehört, wurde bereits einige Tage zuvor auch eine spekulative Zahl der zu erwartenden Teilnehmer in die Welt gesetzt: 10.000 größtenteils muslimische Teilnehmer würden auf den Kölner Heumarkt kommen, diese würden sich in eindeutiger Weise vom Terror „distanzieren“.
Diese Ankündigung zumindest ging schwer daneben – was man den Veranstaltern aber nicht anlasten sollte. Die Teilnehmerzahl lag anfangs bei 300 – 500; bei dem Demonstrationsgang dürfte sie – wenn man die Journalisten abzieht – bei knapp 1000 gelegen haben. Bei der abschließenden Kundgebung waren es erneut nur knapp 500 Teilnehmer.
Einlader der Kundgebung „Muslime und Freunde gegen Gewalt und Terror“ waren die prominente Islamwissenschaftlerin und Lehrerin Lamya Kaddor und Dr. Sadiqu Al-Mousllie. Unterstützt wurde die Kundgebung auch vom „Friedensaktivisten“ Tarek Mohamad: „Ich will in FRIEDEN mit meinen Türkischen, Deutschen, Kurdischen und Jüdischen Brüdern und Schwestern leben!“ hatte dieser voller Empörung nach der nicht abreißenden Kette der „muslimischen“ Terrorattentate in europäischen Großstädten gepostet. 87.0000 Likes soll seine empörte Stellungnahme binnen weniger Tage erhalten haben, 46.000 mal wurde sie geteilt, 17.000 Kommentare wurden verfasst. Die Erwartungshaltung war demgemäß groß.
Bei den anschließenden Presseberichten geisterten weit auseinander liegende Angaben über die Zahl der Teilnehmer durch die Medien: Den Vogel schoss hierbei der unweit des Heumarktes beheimatete WDR ab: Er sprach von 3000 Demonstrationsteilnehmern. Zumindest hiermit demonstrierte dieser jedoch schon mehr als nur journalistisch handwerkliche Mängel. Gut dass der WDR nicht bei sich selbst einen „Faktencheck“ durchführte. Die Kölner Polizei bemühte sich um eine diplomatische Sprachregelung und bezeichnete das als „ziemlich hoch gegriffen“.
Fünfzehn Minuten vor Veranstaltungsbeginn war der traditionsreiche Kölner Heumarkt – vor zwei Monaten noch überfüllt mit Demonstranten gegen den AfD-Bundesparteitag im Maritim – so leer wie nur selten: 250 bis 300 Menschen hatten sich versammelt, darunter geschätzt zumindest 50 Journalisten, unzählige Fernsehkameras und Fotografen. Etwa die Hälfte der Anwesenden waren erkennbar keine „Moslems“ sondern „Biodeutsche“. Auch Kölner und NRW-weite Politprominenz war vertreten, allen voran der bisherige NRW-Minister Michael Groschek (SPD) und die Kölner Bundestagsabgeordnete Elfi Scho-Antwerpes. Diese sollte bei dem anschließenden Demonstrationszug durch die Kölner Innenstadt den Zug auch anführen, gemeinsam mit Sadiqu Al-Mousllie. Gemeinsam rollten sie den Stahlring „Engel der Kulturen“ der 1957 geborenen Burscheider Künstler Carmen Dietrich und Gregor Merten durch die Straßen, welcher die enge Verbindung zwischen den drei Weltreligionen symbolisieren sollte.
Eine Kölner Einladerin musste mit den Tränen kämpfen, so stark war die Enttäuschung über die sehr geringe Teilnehmerzahl. Auch Lamya Kaddor wirkte sichtlich „angeschlagen“, vermochte mit ihrer Enttäuschung jedoch professionell umzugehen. Sie dankte mehrfach allen, die „dennoch“ gekommen waren. In Köln bisher sehr einflussreiche muslimische Organisationen wie die Ditib hatten ausdrücklich von der Teilnahme abgeraten. In Köln hat die Ditib wegen ihrer seit Jahren zu beobachtenden undemokratischen Umgangsweise, der Spitzeltätigkeit gegen hier lebende Türken für Erdogans Regime und der durch sie zu verantwortenden Desaster beim Bau der Köln-Ehrenfelder „Großmoschee“ selbstverschuldet jegliche Glaubwürdigkeit verloren.
Vor einem knappen Jahr hatte die Ditib bei Erdogans Besuch in Köln-Deutz noch 40.000 teils fanatische Anhänger mobilisiert, die dem Despoten Erdogan zujubelten. Kollektive Rufe nach der Einführung der Todesstrafe gegen Oppositionelle waren am Köln-Deutzer Rheinufer mehrfach zu hören.[i]
Gleichermaßen bemerkenswert wie bestürzend mutet in diesem Kontext die öffentliche Reaktion einer in Dortmund tätigen Rechtsanwältin an: Nurcan Gökce postete als Reaktion auf einen WDR-Beitrag (Aktuelle Stunde) zur Friedens-Demonstration auf der WDR-Website nachfolgenden Kommentar: „Der sogenannte Friedensmarsch war das falsche Signal,nicht die Nichtteilnahme. Wir lassen uns keinen „Judenstern“ aufnähen…!“ Es ist ein weiterer Beleg für die politische und moralische Verpflichtung, die Anerkennung des türkischen Völkermordes an den Armeniern vor 101 Jahren in deutschen Schulbüchern zu thematisieren und diesen auch politisch immer wieder einzufordern. Das letztliche Scheitern des Köln-Mülheimer Birlikte-Festivals vor zwei Jahren sollte auch vor diesem Kontext betrachtet werden. Der heutige israelische Staatspräsident Reuven Rivlin versucht schon seit seit 1989, dieses Thema auch in Israel auf die politische Agenda zu setzen. (Siehe Judith Kessler (2015):„Wandernde Konzentrationslager“)
Proteste gegen die willkürliche, politisch motivierte Gefangennahme des vielfach ausgezeichneten Journalisten Deniz Yücel durch Erdogans Willkürjustiz waren von Seiten der Kölner Ditib niemals zu hören. Und auch einige der auf der Kundgebung sowie auf dem Podium vertretenen Demonstranten gehören weiterhin, auch in Köln, zu den Leugnern des türkischen Völkermordes an den Armeniern. Der in Köln sehr renommierte armenischstämmige Rechtsanwalt Ilias Uyar – ein langjähriger Freund Dogan Akhanlis – hat dies immer wieder beklagt. Ein Hinweis auf Deniz Yücels politisch motivierte Gefangenschaft durch Erdogans Justiz war auf der Kundgebung übrigens nicht zu vernehmen. Freiheit der Presse und ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen bedingen sich jedoch wechselseitig.
Auf dem Heumarkt waren einige wenige Plakate auf dem anfangs nur sehr spärlich gefüllten Heumarkt zu sehen. Wer auch nur ein Plakat hochhielt oder vom Aussehen her als „Moslem“ durchgehen konnte wurde geradezu von Journalisten und Kameras bestürmt.
Eine Frau hielt gleich zwei Plakate hoch: „Verdächtig“ stand auf einem – zahlreiche Pfeile zeigten in alle Himmelsrichtungen. Und „We want you to stop terror“ stand auf ihrem zweiten Schild. Sie war fortgesetzt von Fernsehkameras umringt. Gleichfalls fortgesetzt Interviews gab Lamya Kaddor.
Mir fallen vier jüngere Männer auf, vermutlich syrische Kriegsflüchtlinge. „Terrorismus hat keine Religion“, „Nicht mit uns. Freiheit für Syrien“ und „Assad = ISIS“ ist auf ihren Plakaten geschrieben. Ein weiteres Plakat einer Frau betont: „Der Koran sagt: Wer einen unschuldigen Menschen tötet, begeht eine Sünde als habe er die GESAMTE MENSCHHEIT vernichtet“.
Aus dem Rahmen fiel das großformatige Plakat einer linken Demonstrantin, die sich für „freies Opium für´s Volk“ einsetzte.
Am stärksten vertreten ist jedoch eine Gruppe von gut 100 Männern und Frauen, die Männer treten getrennt von den Frauen auf. Auf ihren weißen, bedruckten T-Shirts und auf ihren Plakaten fordern sie: „Liebe für alle, Hass für keinen“. Sie bekennen sich zu der kleinen, in der Bundesrepublik seit etwa 100 Jahren vertretenen muslimischen Gruppierung Ahmadiyaa; diese mir bisher unbekannte Gruppierung hat u.a. in Köln-Niehl eine eigene Moschee.[ii]
Am gelungensten war die ironische Rede des Köln-Nippesser Kabarettist Fatih Cevikkollu, der meinte, man solle vielleicht ein „Recht auf Empörung“ gesetzlich vorschreiben und seine verschiedenen sozialen Rollen als Deutscher, Türke und Mann beschrieb: „Freunde, es gibt Unterschiede: Ich stehe hier als Moslem, Deutscher, Türke. Ich stehe hier weil ich mich distanziere – weil ICH es will. Er distanziere sich vom Terror – aber auch noch von vielem Anderen. So auch „von den Pennern, die den Islam als Rechtfertigung von Gewalt und Terror“ ansähen. Und er distanziere sich als Deutscher entschieden von der NSU, AfD und all den anderen Nazis.“ Auch die Berliner Kabarettistin Jiled Ayse hielt als „Ghettobraut“ in der ihr eigenen Weise eine kurze Rede.
Vollständig vertreten waren jedoch Vertreter diverser extremer politischer Sekten und Richtungen: Ein inzwischen eher armselig wirkender PI-Vertreter aus dem Ruhrgebiet war selbstredend wieder da, wie so häufig, aber auch der Vertreter einer kämpferisch antizionistisch-antisemitischen Minigruppierungen aus Köln sowie Putins Propagandasender Russia Today. Im April hatte Russia Today in Köln noch ein geradezu intim wirkendes Interview mit dem bekennenden Kölner Nationalsozialisten Paul Breuer geführt. Auch Henryk M. Broder ließ sich ein Erscheinen nicht nehmen. Da er mit seiner Heimatstadt Köln innerlich verbunden ist und bleibt erschien Broder karnevalistisch mit blauer Kippa. Erschienen war er offenkundig wegen seiner tiefen Zuneigung zu Lamya Kaddor: 2016 hatte Broder auf dem rechten Blog „Achgut“ gleich drei von Verachtung und Herabsetzung geprägte Beiträge über Lamya Kaddor veröffentlicht: Einen überschrieb Broder – dessen Beiträge über Frauen nach meinem Empfinden immer einen anderen Beiklang haben als solche über Männer – mit „Die genuin dumme Frau Kaddor und das Deutschsein heute“. Hierin formulierte Broder:
„Frau Kaddor, die sich das Label „liberal“ umgehängt hat, ist in ihrer genuinen Dummheit durch nichts zu erschüttern. Jeder Fahrlehrer, aus dessen Fahrschule fünf Dschihadisten hervorgegangen wären, hätte seine Lizenz längst zurückgegeben, wenn sie ihm nicht entzogen worden wäre. Frau Kaddor aber schulmeistert weiter, nicht nur in der Schule, sondern auch im Fernsehen, über das Deutschsein heute und in der Zukunft.“ [iii] Broders persönlich gemeinte Polemik wurde von diversen rechtspopulistischen, antimoslemischen und rechtsradikalen Blogs verbreitet. Lamya Kaddor erhielt unmittelbar danach, seit September 2016, unendlich viele Hassmails Beleidigungen und Todesdrohungen. „Nachts kommen wir dich holen“ stand in einer Mail. Eine Mail beginnt mit „Heil Hitler“. Der Autor fordert, Kaddor solle vergast werden. Da reichte es der 38-jährigen zweifachen Mutter. Sie ließ ihre Tätigkeit als Lehrerin bis zu den Sommerferien 2017 ruhen. „Sie sieht nicht nur ihr Leben bedroht, sondern auch das ihrer Schüler und Kollegen“ schrieb die ZEIT hierzu im Januar 2017.[iv]
Der anschließende Demonstrationszug ging quer durch die Kölner Innenstadt zu den Ringen, von dort zur Unterführung unter dem Domvorplatz und dann wieder zurück zum Heumarkt. Von einer Kneipe aus wurden gleich Karnevalssongs angestimmt, schließlich ist man ja in Köln und der Kölner ist an für sich immer stolz auf sich selbst und seine vermeintliche Toleranz… Zu Störungen kam es nicht. Die Polizei – der die Veranstalter mehrfach für ihren Einsatz dankten – hielt sich sehr zurück und musste nie intervenieren. Es kam zu keinerlei Gegenprotesten oder zu sonstigen Störungen.
Eindrücklich für den massenmedialen Charakter dieser Kleinkundgebung war die Szene am 1969 auf dem Hohenzollernring eingeweihten Kunstwerk „Ruhende Verkehr“ des Aktionskünstlers Wolf Vostell: Eine Vielzahl von Fernsehkameras und Fotografen erwarteten von der erhöhten Position des Denkmals aus die knapp 1000 Demonstranten. Zufällig anwesende Passanten konnten den Eindruck gewinnen, einem halben Staatsakt beizuwohnen.
Vor dem Domvorplatz entstand erstmals der Eindruck, einer größeren Demonstration beizuwohnen. Die Zahl der Plakate wuchs an, wie auch der der Zuschauer. Auf einem in den Farben des Regenbogens gestalteten Plakat stand: „Köln bleibt bunt! Miteinander leben – eine Chance für alle!“ Bei der abschließenden Kurzkundgebung auf dem Heumarkt war die Teilnehmerzahl hingegen wiederum halbiert. Ein eindrückliches Manifest gegen Gewalt und Terror von Seiten vieler Moslems war die Kundgebung ganz gewiss nicht. Aber vielleicht war es ein Anfang. Ich selbst bleibe jedoch skeptisch.
Alle Fotos: (c) Susanne M.
[i] https://www.youtube.com/watch?v=QeZqTqAuLvg sowie: „Ich habe meine Hoffnung nie aufgegeben!“ Dogan Akhanli im Interview, haGalil, 1.8.2016. Internet: https://www.hagalil.com/2016/08/erdogan-kundgebung/
[ii] Einige Links: http://www.ksta.de/koeln/nippes/-muslime-und-christen-in-niehl-vereint-beim-freitagsgebet-198012; http://www.deutschlandfunk.de/ahmadiyya-in-deutschland-splittergruppe-oder-muslimische.2540.de.html?dram:article_id=366558 und https://de.wikipedia.org/wiki/Ahmadiyya
[iii] Henryk M. Broder (2016): Die genuin dumme Frau Kaddor und das Deutschsein heute“, Achgut 20.9.2016 http://www.achgut.com/artikel/die_genuin_dumme_frau_kaddor_und_das_deutschsein_heute; Henryk M. Broder (2016): Die selbstverliebte Frau Kaddor, Achgut, 28.9.2016 http://www.achgut.com/artikel/die_selbstverliebte_frau_kaddor; Broder (2016): Lamya Kaddor: Die brave Frau denkt an sich selbst, bis zuletzt!, Achgut 5.10.2016: http://www.achgut.com/artikel/lamya_kaddor_die_brave_frau_denkt_an_sich_selbst_bis_zuletzt
[iv] Arnfried Schenk: Lamya Kaddor:“Ich werde nicht die Klappe halten“, Die ZEIT, 12.1.2017. Internet: http://www.zeit.de/2017/01/lamya-kaddor-integration-lehrerin-morddrohungen