Am 20. Oktober 2015 wurde auf bayrischer Landesebene von einer interministeriellen Arbeitsgruppe mit Innenminister Joachim Herrmann, Sozialministerin Emilia Müller, Justizminister Winfried Bausback und Kultusminister Ludwig Spaenle ein Präventionsnetzwerk gegen Salafismus gegründet und ein umfangreiches Maßnahmenbündel zum Thema Prävention und Deradikalisierung erarbeitet. Erklärtes Ziel ist, Jugendliche gegen die Ideologie des häufig gewaltbereiten Islamismus zu immunisieren…
Von Gerhard K. Nagel
Diese Initiative ist im bundesweiten Rahmen kein Novum. Netzwerke auf Länderebene gibt es bereits seit Längerem in Hessen und anderen Bundesländern. Der Hintergrund ist, dass der Salafismus als die derzeit am Schnellsten wachsende extremistische Bewegung in Deutschland gilt. Die bayrische Initiative wurde notwendig, weil aus den Befunden von Verfassungs- und Staatsschutz bekannt ist, dass auch Bayern und da insbesondere die großen Städte, Hotspots dieser Szene sind. Aktuell sind den Sicherheitsbehörden bayernweit 650 Salafisten (davon 50 in Nürnberg), fünfundzwanzig Rückkehrer, neunzig ausreisewillige Personen, vierzehn Ausreisen junger Frauen und zehn sogenannte Gefährder bekannt. Die Brisanz des Themas verdeutlichte am 15. November 2016 auch eine breit angelegte Razzia, bei der es zu etlichen Verhaftungen kam.
Anfänglich war der Stadtverwaltung nicht bewusst, wie drängend das Problem auch in Nürnberg ist. Das lag auch daran, dass der Verfassungsschutz und andere Staatsschutzbehörden nicht offensiv auf die Stadt zugegangen sind und informiert haben.
Martina Mittenhuber, Leiterin des Menschenrechtsbüros der Stadt Nürnberg und Koordinatorin des Netzwerks, stellt fest: „Mittlerweile wissen wir, dass gerade im Bereich der sogenannten primären und sekundären Prävention etwas unternommen werden muss. Das ist eine Säule der Bekämpfung des gewaltbereiten Salafismus. Die beiden anderen Säulen sind die Deradikalisierung derjenigen, die schon in diesen Prozess geraten sind und die Repression gegen jene, die als gewaltbereit oder als ausreisewillig bekannt sind.“
Direkt nach der Gründung des Präventionsnetzwerks auf Landesebene ging das Sozialministerium auf die Stadt zu und bot an, den Aufbau eines Antisalafismusnetzwerkes auf lokaler Ebene zu unterstützen. Im ersten Schritt wurde die Polizei mit ins Boot geholt, die empfahl, das Netzwerk ganz bewusst nicht bei den Sicherheitsbehörden anzusiedeln, um aus der repressiven Perspektive herauszukommen. Die Initiative sollte daher bei einer Einrichtung angedockt werden, die als neutral und seriös bekannt ist. Dabei kam das Menschenrechtsbüro der Stadt ins Gespräch. Nach Rücksprache mit Oberbürgermeister Maly, kam für diese Überlegung zeitnah ein OK. Die positive Entscheidung war gerade auch deshalb naheliegend, weil sich das Menschenrechtsbüro im Rahmen seiner bisherigen Tätigkeit permanent mit dem Thema „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ auseinandergesetzt und sich darum bemüht hat, die Menschenrechtsidee auf kommunaler Ebene zu verankern. Die Schwerpunkte der Arbeit lagen dabei im Bereich Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamfeindlichkeit. Beim Büro ist auch die Geschäftsstelle der Allianz gegen Rechtsextremismus in der gesamten Metropolregion angesiedelt. Es ist also jahrelang erworbenes und fundiertes Erfahrungswissen im Umgang mit politischem Extremismus vorhanden.
Frau Mittenhuber führt aus: „Wenn man sich die Anwerbestrategien im bisherigen Betätigungsumfeld des Büros anschaut, lässt sich leicht feststellen, dass es ungeheuer viele Parallelen zwischen Islamismus/Djihadismus und Rechtsextremismus gibt. Auch in Bezug zum sozialpsychologischen Hintergrund junger Menschen, die sich solchen Ideologien anschließen, gibt es viele Parallelen und man kann daraus – bei allen inhaltlichen Unterschieden – für den Bereich der Prävention sehr viel lernen.“
Finanzielle Unterstützung für die Projektdurchführung kam vom Sozialministerium, das auch im Jahr 2017 weiterhin eine Dreißigstundenstelle finanziert. Besetzt ist die Stelle mit dem Politikwissenschaftler Nabil Hourani, der, wie Frau Mittenhuber betont, über ein hohes Maß an fachlichem Wissen verfügt und auch fließend Arabisch beherrscht. Die Aufgabe von Herrn Hourani besteht darin, den Aktionskreis weiter aufzubauen und die Präventionsarbeit zu koordinieren.
Die Aktivitäten des Netzwerks sind in erster Linie darauf ausgerichtet, den Verlust einer ganzen Generation von jungen Menschen die zugewandert sind oder auch schon in der zweiten, dritten Generation hier leben und in die Fänge der sehr anwerbetüchtigen, salafistischen Szene geraten sind und/oder zu geraten drohen, zu verhindern. Frau Mittenhuber erläutert: „Wir haben uns für dieses Präventionsnetzwerk, das wir im Spätsommer 2016 offiziell ins Leben gerufen haben, vorgenommen, sowohl die Push-, als auch die Pullfaktoren in den Blick zu nehmen. Konkret bedeutet das: Wir schauen uns auf der einen Seite an, wodurch sich junge Menschen angezogen fühlen und auf der anderen Seite, welche Anwerbestrategien Salafisten benutzen.“
Nabil Hourani hat in den ersten Monaten seiner Tätigkeit damit begonnen, zu eruieren, wo die gesellschaftlichen Handlungsfelder für das Projekt anzusiedeln sind. Dabei wurden folgende zentralen Handlungsfelder herausdestilliert und Handlungsüberlegungen festgehalten: „Schule, Jugend- und Sozialarbeit, die Moscheegemeinden (da geht es auch um theologische Fragen und um die Frage, wie es den Moscheegemeinden und den dort beschäftigten Imanen gelingt, einen demokratiekompatiblen Islam zu vermitteln). Ein drittes Handlungsfeld ist das Thema „Geflüchtete“. Frau Mittenhuber: „Das Gros der Zuwanderer aus dem Geflüchtetenspektrum ist ja muslimischen Glaubens. Wir müssen uns anschauen, was in den Gemeinschaftsunterkünften passiert. Gibt es da vielleicht Anwerbung? Muss man religionssensibel anders unterbringen? Wie ist mit religiös motivierten Konflikten umzugehen? Ein vierter wichtiger Bereich ist das Internet, das in den letzten Jahren zum Hauptmedium der Anwerbung geworden ist.“
Frau Mittenhuber führt weiter aus: „Wir wissen, dass es durchaus, auch in Nürnberg, Moscheegemeinden gibt, in deren Umfeld sich Salafisten bewegen und dieses Umfeld auch als Ort der Agitation nutzen, um Menschen anzusprechen. Und wir wissen auch, dass es beispielsweise Jugendtreffs oder auch Privatwohnungen gibt, in denen ganz gezielt Anwerbung betrieben wird.“
Was die Pushfaktoren angeht, richtetet sich die Aufmerksamkeit der Frage zu, was junge Menschen dazu bringt, sich von einer antidemokatischen Bewegung, die mit sehr einfachen Antworten auf sehr komplexe Fragen reagiert, angezogen zu fühlen. Ein wichtiger Punkt dabei sei, dass viele jugendliche Muslime in unserer Gesellschaft nicht ankommen. Sie fühlen sich ausgegrenzt, machen Mobbing-, Rassismus-, Diskriminierungserfahrungen und werden auf ihr Muslimisch-Sein reduziert.
Frau Mittenhuber: „Wir, als Aufnahme-, als Mehrheitsgesellschaft treiben sie (GKN: Die jungen Muslime) dazu, sich ständig als Muslime bekennen und rechtfertigen zu müssen, obwohl viele der jungen Menschen, die hier in der dritten Generation leben oder auch neu zugewandert sind, sich selbst nicht als praktizierende Muslime einordnen würden. Wir haben in vielen Gesprächen mit Jugendlichen, beispielsweise in den Moscheegemeinden, immer wieder gehört: Ich bin einer von wenigen Muslimen in der Klasse und immer, wenn es um Themen wie Islam, Djihad und Attentate geht, dann schauen alle mich an, als hätte ich die gesamte Verantwortung für das, was da passiert…….Die salafistischen Webseiten korrespondieren auf solche Erfahrungen mit fast einer Art Quellcode. Man liest da: Ihr seid in dieser Gesellschaft nicht gewollt, ihr seid ungeliebt, es gibt in dieser Gesellschaft Islamfeindlichkeit und dann kommen die Beispiele…..und anhand dieser Beispiele fühlen sich viele muslimische Jugendliche bestätigt.“
Besonders gefährdet hinsichtlich salafistischer Anwerbestrategien sind Jugendliche in schwierigen Lebenssituationen (Pubertät, Trennung der Eltern und damit oft Verlust eines Elternteils, Schulprobleme, Ausgrenzungserfahrungen). Das sind alles Handlungsfelder, in denen das Antisalafismusnettwerk ansetzt. Sehr positiv dabei: Die Resonanz auf die Initiative in Nürnberg ist überraschend hoch. Das bildet sich in der Weise ab, dass sich ein breites Spektrum von Beteiligten aus allen gesellschaftlichen Bereichen in diesem Rahmen engagiert. Unter anderem sind eingebunden: Die Asylsozialarbeit, die Wohlfahrtsverbände, das für die Lehrerfortbildung in Nürnberg zuständige “Institut für Pädagogik und Schulpsychologie“, das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das Violence Prevention Network, sowie er Verein Ufuq, der mit einer sehr jugendgerechten Ansprache unter anderem in Schulen und Jugendtreffs präsent ist. Weitere Beteiligte sind die Sozialbehörden, die Heroes, der Global Elternverein und der Kreisjugendring. Wissenschaftliche Unterstützung kommt unter anderem vom Erlanger „Zentrum für Islam und Recht in Europa“.
Blick auf die Aktivitäten einer der beteiligten Initiativen: Der Global Elternverein
Der Global Elternverein wurde vor 12 Jahren gegründet, um Eltern, die preiswerten Nachhilfeunterricht für ihre Kinder suchten, ein Angebot zu machen. Die achtzig Mitglieder des Vereins haben überwiegend einen migrantischen Hintergrund. Sie stammen aus etwa neunundzwanzig Nationen, haben unterschiedliche Hautfarben und unterschiedliche Religionszugehörigkeiten. Es finden sich Muslime, Aleviten, Bahai, Christen, Hindus. Auch Agnostiker und Atheisten sind präsent. Mit dem Ehrenmitglied Diana Liberova, Stadträtin und Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde, hat der Verein auch ein jüdisches Mitglied.
Global bietet aber nicht nur Nachhilfe an, sondern hilft auch, dass Kinder und Jugendlichen getreu dem Motto „Zusammen lernen, zusammen leben. Mensch ist Mensch“ in dieser Gesellschaft ankommen.
Der Unterricht findet zweimal die Woche statt für jeweils 110 Minuten. Die Eltern zahlen kulante 80 Euro im Monat. Mit diesem Betrag können die Kosten knapp gedeckt werden. Zu Schuljahresanfang nehmen immer zwischen 13 und 15 Schüler an den Kursen teil. Die Zahl steigt an, wenn es in Richtung Zwischen- oder Jahreszeugnis geht. Vor dem Jahreszeugnis werden etwa achtzig bis neunzig Schüler unterrichtet.
Es wird jahrgangsspezifisch mit einem Mentoring-/Tutoringsystem gearbeitet. Das heißt: Eine Lehrkraft leitet einen Nachhilfekurs und erhält in der Gruppe Unterstützung von Kindern/Jugendlichen, die anderen Schülern themenspezifisch weiterhelfen können. Das hat den Vorteil, dass sich vieles selbst regelt. Die Jugendlichen können sich gegenseitig leichter beeinflussen und die Lehrkräfte müssen sich nicht immer in die internen Prozesse einer Jahrgangsgruppe einmischen. Auch der Gruppenzusammenhalt wird so gestärkt.
Eddie: “Ich hatte zum Beispiel einen Fall, dass ein Zehnjähriger gesagt hat: Ich habe keinen Bock, ich kann auch eine Sechs schreiben. Das ist nicht so schlimm. Ein Zwölfjähriger aus der Gruppe schaltete sich dann ein und sagte: Nein, das geht gar nicht. Man muss immer gute Noten haben im Leben. Das ist wichtig für die Zukunft.“
Das Thema Deradikalisierung / Akkulturation wurde vor etwa vier Jahren durch den Flüchtlingszustrom relevant, also schon lange, bevor die Antisalafismusinitiative der Stadt Nürnberg ins Leben gerufen wurde. Auslöser war, dass sich eine Iranerin mit einem Gratisschein (vom Jugend- oder Sozialamt ausgestellt) beim Global Elternverein einfand, um Deutschunterricht zu erhalten.
Nina (Dozentin im Rahmen der Flüchtlingsarbeit, im Bild rechts) erzählt: „Wir hatten Kontakt mit der Asylothek. Das ist eine Bibliothek für Asylbewerber. Über diesen Kontakt kamen nach der Iranerin immer mehr Flüchtlinge zu uns, die auch an einem Deutschkurs teilnehmen wollten. Irgendwann führte das für die ehrenamtlichen Mitarbeiter an die Belastungsgrenze und der Verein suchte nach einer Möglichkeit, finanzielle Hilfe für das Flüchtlingsprojekt zu erhalten, um die anfallenden Kosten decken zu können ……Wir haben uns dann mit der Stadt in Verbindung gesetzt und wurden an die Stiftungsverwaltung des Sozialamtes verwiesen. Dort hat man uns nach einigen Treffen zugesichert, die Deutschkursstunden im Sinne einer Aufwandsentschädigung zu finanzieren. Darüber wurden dann alle Asylbewerberheime und die Sozialverwaltung informiert und ihnen mitgeteilt, dass wir für Flüchtlinge offene, kostenlose Deutschkurse anbieten. Der Global Elternverein verdient an dieser Aktivität nichts.“ Eine hohe Anzahl von Flüchtlingen nahm und nimmt weiterhin an diesen Kursen teil. Dabei war inhaltlich nie nur reiner Sprachunterricht im Fokus, sondern auch das Thema Akkulturation.
Celalettin (ehemaliger Vorsitzender des Global Elternvereins): „Anfänglich gab bei uns auch eine jüdische Dozentin, deren Eltern aus der Ukraine nach Deutschland kamen, Unterricht. Bei den arabischen Kindern, die sie unterrichtete, war zu bemerken, dass es eine Spannung gab. Aber nach einer bestimmten Zeit löste sich das auf. Die Kinder lachten und hatten Spaß am Unterricht.“
Nina führt aus: „Ich beginne in den Kursen immer mit einfachen Dingen, Begrüßungen, Rollenspiele (beispielsweise Einkaufssitutionen simulieren), Hörverstehensübungen usw. und steigere dann langsam. Nach etwa drei, vier Wochen drucke ich das übersetzte Grundgesetz in der Muttersprache aus und wir befassen uns mit einigen Artikeln, (z.B. Artikel 1: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, Artikel 4. Abs.1: „Glaubens- und Religionsfreiheit, Art. 5: Meinungs-und Kunstfreiheit). Ich versuche zu erklären, was damit gemeint ist. Mit jenen, die schon besser Deutsch können, lesen wir interessante Artikel auf Internetseiten in einfacher Sprache. Ich gebe ihnen auch Informationen mit, damit sie sich zu Hause oder in der Bibliothek selbst weiter damit befassen können. Mir geht es darum, deutlich zu machen, wie die Rechtsordnung in Deutschland aussieht, was daran gut ist und wieso man sich daran halten sollte. Sehr wichtig ist, deutlich zu machen, warum es nur auf einer gemeinsamen Wertebasis, wie den Grundrechten, möglich wird, dass Menschen friedlich miteinander leben können…………..Seit ein paar Tagen haben wir auch eine neue Software, die es uns jetzt in die Lage versetzt, die Deutschkurse so zu erweitern, dass die Kursteilnehmer ihre Kenntnisse relativ autodidaktisch selbst verbessern können. Auch auf Demokratie- und Wertebildung lässt sich dadurch noch besser fokussieren.“
Nina setzt sich im Unterricht mit der Tradition der jeweiligen Länder, aus denen die Flüchtlinge kommen, auseinander und legt dar, wie bestimmte Themen in Deutschland geregelt sind. So hat sie beispielsweise in einer Gruppe, der relativ viele Männer, vor allem aus dem Iran und dem Irak angehörten, das Thema Hinrichtungen von Homosexuellen thematisiert. Sie hat deutlich gemacht, dass homosexuelle Männer in Deutschland zwar „noch nicht richtig heiraten“ können, aber gesellschaftlich akzeptiert sind.
Im Gespräch nennt sie noch ein anderes Beispiel für Wertevermittlung: „Vor ein paar Jahren gab es mal einen IKEA-Katalog, aus dem in Saudi-Arabien alle Frauen herausretuschiert wurden. Ich habe den Kursteilnehmern dann über das Internet gezeigt, wie unretuschierte IKEA-Werbung aussieht. Anschließend sprachen wir darüber, ob eine Frau, nur weil sie vorhanden ist, ein Sexualobjekt ist. Das klingt nach einem sehr harschen Thema, aber ich versuche, da langsam reinzugehen, indem wir mit Adjektiven erst mal die Bilder vergleichen und die W-Fragen abklappern. Also: Wie sehen die Menschen aus? Wie viele Menschen sind da? Und so weiter. Normalerweise findet es niemand schlimm, wenn eine Frau nicht sexualisiert abgebildet wird. Der IKEA Katalog beispielsweise zeigt ja Familien, die sich zu Hause aufhalten und da gehören auch Frauen dazu. Es ist also grundsätzlich nichts dabei Frauen zu zeigen. Und eine Frau darf auch für die Straße anziehen was sie möchte. Daher soll man sie auch nicht angrapschen. Nett ansprechen darf man sie natürlich schon, aber wenn sie „Nein“ sagt, dann heißt das auch „Nein““.
Solche Vergleiche, die antiradikalisierende Implikationen enthalten wurden standardisiert in die Unterrichtskonzeption übernommen.
Es gibt beim Global Elternverein auch einen spezifischen Frauendeutschkurs, weil viele Frauen sagen, dass es ihnen unangenehm sein, mit „zu vielen Männern“ in einem Kurs zu sein. Die Frauen, denen das nichts ausmacht sind meistens selbstbewusster und können diese Haltung im Kurs in einem sicheren Rahmen ausleben.
Auch über deutsche Geschichte wird gesprochen. Überraschend findet Nina, dass etliche antisemitischen Verschwörungstheorien anhängen, vor allem Flüchtlinge aus dem Nahen Osten. Dem wird ebenfalls gezielt entgegengewirkt.
Die Akkulturation von Flüchtlingen braucht in der Regel viel Zeit. Wie lange das jeweils dauert, hängt von vielen Faktoren ab, beispielsweise dem Alter (je jünger, desto schneller), ob die Personen allein oder mit der Familie nach Deutschland gekommen sind, ob in Deutschland eine heimatnahe Community vorhanden ist. Je jünger die Flüchtlinge sind, desto schneller läuft die Akkulturation. Wenn es Menschen sind, die mit Familie hierher kamen, geht es auch sehr schnell. Männer, die alleine kamen, verbringen ihre Zeit meist mit mit mehreren anderen Männern mit denen sie auch unterwegs sind. In solchen Fällen dauert es dann in der Regel deutlich länger. Frauen dagegen sind normalerweise froh, dass sie in Deutschland auf eine andere Situation treffen, als in ihren Herkunftsländern. Es gibt auch Flüchtlinge, die aus einer Gegend kommen, die sehr patriarchalisch geprägt ist und man könnte annehmen, dass sich das auch deutlich auf die Einstellung auswirken würde, aber das ist nicht unbedingt der Fall, da viele gerade gerade auch wegen solcher Strukturen geflohen sind. Unter den Flüchtlingen gibt es teilweise auch hochgebildete Menschen mit Studium. Es bedarf keiner großen Anstrengungen, damit sie sich hier einleben.
Ein weiterer wichtiger Bereich im Spektrum Akkulturation/Deradikalisierung ist der als Projektthema eingerichtete Computerkurs.
Der Global Elternverein hat um den Jahreswechsel 2015/16 das Antiradikalisierungsprojekt „Computerkurs“ gegründet. Auslöser war folgender Vorfall: Ein Schüler fragte eine Lehrkraft: Wieso soll ich Englisch lernen? Das ist zwar eine Weltsprache, aber ich habe nichts mit Amerika und vor allem nichts mit den Juden zu tun. Der Vereinsvorstand war schockiert und wollte wissen, woher diese rassistischen Äußerungen kamen: Die Eltern, die einen türkisch-migrantischen Hintergrund haben, wurden zu einem Gespräch eingeladen, aber hatten auch keine Erklärung für die Äußerungen ihres Sohnes. Sie sagten dass sie ihr Kind deshalb zu Global gaben, weil der Verein unpolitisch ist und damit aus ihrer Sicht eine eine Gewähr bot, dass ihr Sohn sich in guten Händen befand. Herausgestellt hat sich letztlich, dass sich der Schüler auf Facebook Videos mit rassistischer und antisemitischer Propaganda angesehen hatte. Da Eltern und selbst Freunde auf solche Handlungen nur noch wenig Einfluss haben, beschloss der Vorstand etwas zu unternehmen, um Kinder und Jugendliche gegen negative Inhalte im Internet zu wappnen.
Man entschied sich für die Einrichtung eines Computerkurses, der als Lockmittel dienen sollte und das Thema Antiradikalisierung in den Fokus nimmt. Die inhaltliche und praktische Arbeit wurde von Eddie Kayiira übernommen, der aktuell seinen Master in Wirtschaftsinformatik macht und sich daher in der IT-Welt gut auskennt. Ebenso wie alle andere Projekte die der Global Elternverein durchführt, ist dieses Projekt für die Teilnehmer komplett kostenlos.
Der Verein legte in Bezug auf die Zusammensetzung des Kurses Wert darauf, dass die Teilnehmer unterschiedliche kulturelle und religiöse Hintergründe haben, weil gegenseitiges Kennenlernen die beste Prävention gegen Rassismus und Antisemitismus ist. Es war anfänglich nicht leicht, Kinder und Jugendliche, die noch nicht bei Global eingebunden waren, zu interessieren. Mittlerweile beteiligen sich etwa sechzig Kinder und Jugendliche am Projekt, Tendenz steigend. Jede Woche kommen neue Anfragen. Derzeit bemüht sich der Verein verstärkt darum, auch jüdische Kinder zu finden und einzubinden. Ein entsprechender Kontakt in Richtung der Israeltischen Kultusgemeinde Nürnberg ist geschaltet.
Die Altersspanne der überwiegend aus sozial schwachen Elternhäusern stammenden Teilnehmer reicht von 5 bis 16 Jahren. Die Eltern schätzen den Computerkurs und die Kinder und Jugendlichen kommen gerne, weil sie etwas lernen und weil das für sie ein Treffpunkt ist in dem sie Gemeinschaft erleben und Spaß miteinander haben.“Der Kursleiter Eddie Kayiira wird im Kurs von jugendlichen Tutoren unterstützt.
Angeboten werden die Aneignung grundlegender Schreib- und Programmierkenntnisse. Dazu sagt Jenifer (Tutorin , 15 Jahre alt): Wir lernen, wie man schnell tippt, mit zehn Fingern und gehen dazu immer auch auf eine ganz bestimmte Seite, den Schreibtrainer www.schreibtrainer.com. Dort gibt es verschiedene Levels und die Kinder können sich hocharbeiten. Gut mit dem Computer umgehen zu können kann sehr wichtig für einen späteren Beruf sein.“
Chabaz (Tutor, 17 Jahre) ergänzt: „Ich war von Anfang an bei dem Projekt dabei. Wir haben im Kurs mit HTML Grundkenntnissen angefangen https://de.wikipedia.org/wiki/Hypertext_Markup_Language. Seit letzter Woche lernen die Kinder und Jugendlichen Grundlegendes über die Datenbanksprache SQL“. Besonders beeindruckt ist Chabaz von einem neunjährigen weiblichen Mitglied der Gruppe. „Die hat inzwischen alle HTML-Grundkenntnisse drauf und kann besser SQL als ich. Toll schreiben kann die auch und sie weiß, wie man recherchiert.“ Jenny (Tutorin, 15 Jahre): „Wir nutzen auch Seiten, wie „Schlaukopf.de“. Da können wir Dinge (Englisch, Mathe, Physik etc.) lernen, die wir für die Schule brauchen. Wenn ein PC vorhanden ist, lässt sich das zu Hause vertiefen.“
Es geht im Kurs aber nicht nur um das Einüben von Schreibkenntnissen und das Erlernen von Comptergrundkenntnissen, sondern gezielt auch um die Aneignung von Recherchetechniken, um seriöse von unseriösen Quellen unterscheiden zu können.
Chabaz: „Wir haben gelernt, wenn eine Seite vor dem „www“ ein „https“ hat, ist die z.B. sicherer, als andere Seiten, die das nicht haben. Und es gibt Seiten, die haben bestimmte Zertifikate, die belegen, dass sie eher sicher sind. Allerdings gibt es keine 100% sicheren Seiten. Wenn zum Beispiel jemand ein Referat vorzubereiten hat, dann ist es auch wichtig, sich beispielsweise nicht nur Wikipedia anzuschauen, sondern sich auf mehreren Seiten zu Informieren und die Informationen zu vergleichen. Das Gleiche gilt auch in anderen Fällen. Von Eddie habe ich gelernt, dass jede Internetseite in Deutschland ein Impressum haben muss. Wenn kein Impressum vorhanden ist, stimmt irgendetwas mit der Seite nicht. Das gilt nicht in gleicher Weise für Seiten, die in anderen Ländern gehostet werden. Über eine „Who is?“-Abfrage kann man in solchen Fällen Informationen über den Seitenbetreiber und den Hoster erhalten. Und diese Informationen helfen einzuschätzen, ob die Seite vertrauenswürdig ist. Wir haben auch gelernt, dass Seiten, in denen z.B. steht „Ich hasse Flüchtlinge“ oder sich andere Hasspostings finden, nicht seriös sind. Auch die Rückverfolgung von Bildern, um zu prüfen, wo die herkommen und ob da möglicherweise etwas gefälscht ist, haben wir uns befasst.“
Den Kindern und Jugendlichen werden auch Aufgaben gestellt, die sich auf kulturelle und religiöse Themenstellungen beziehen. Beispielsweise dem Vergleich von Religionen (Hinduismus, Buddhismus, Christentum, Judentum, Bahaitum) und Sprachen (aramäisch, hebräisch, arabisch) und das in der Gruppe vorstellen. Die Kinder waren nach Absolvierung dieser Aufgabe sehr erstaunt darüber, wie nah sich die verschiedenen Religionen sind. Viele Teilnehmer wussten z.B. nicht, dass die monotheistischen Religionen sich auf denselben Stammvater, nämlich Abraham berufen.
Eddie: „Wir setzen uns im Global Elternverein auch damit auseinander, woran es liegt, dass Jugendliche und junge Erwachsene zum IS nach Syrien in den Krieg gehen. Und wir fragen uns, warum es in Deutschland Menschen gibt, die sich im politischen Spektrum rechtsaußen ansiedeln. Nach unserer Meinung suchen viele eine Gruppe , die ihnen Anerkennung und Gemeinschaft verspricht. Wenn jemand zum Beispiel kriminell geworden ist, sieht er es als neue Chance, bei solchen Organisationen wie dem IS, von Anfang an einen hohen Rang zu erhalten und sich einen Neustart zu ermöglichen. Das sind so Anlockinstrumente. Wir setzen dem Bildung entgegen und das kommt auch sehr gut an. Die Kinder und Jugendlichen haben viele Fragen und suchen nach Menschen, die ihre Fragen beantworten.“
Tuğçe (Dozentin im Bereich Nachhilfe): „Auch von Islamisten kommt Abstoßendes. Zum Beispiel in der Art, Hitler hätte ja damals recht gehabt, die Juden umzubringen. So etwas habe ich bei einem Besuch in London zur Zeit des Gaza-Konflikts selbst gehört. Da hat mir ein muslimischer Pakistani gesagt: Ach, du kommst aus Deutschland, aus dem Land von Hitler? Der ist voll cool und so. Und dann hab ich ihm gesagt: Wie redest Du über diese Person, kennst du den überhaupt, weißt du was der gemacht hat? Und dann meinte er doch: Der hat doch das Richtige gemacht. Du siehst ja, was die jetzt unseren Leuten antun, also unseren muslimischen Brüdern…..“
Die Personen, die bei Global schwerpunktmässig mit dem Thema „Antiradikalisierung befasst sind, stellen auch öfter fest, dass viele der Manipulationen die auf Facebook geteilt werden antisemitische Hintergründe haben und sich das bei Rechtsextremisten ebenso findet, wie bei ISIS-Befürwortern. Immer wieder taucht das alte Motiv einer angeblichen „jüdischen Weltverschwörung“ auf. Entweder wird das direkt auf Juden oder indirekt auf die als jüdisch dominiert halluzinierte USA bezogen. Gegen all das versucht der Verein im Projekt die Kinder zu immunisieren.
Der Jahresabschluss 2016
Zum Jahresabschluss 2016 fand zur Feiertagszeit bei Global eine Weihnachts- und Chanukkafeier statt. Diana Liberova, Mitglied des Nürnberger Stadtrats und der Israelitischen Kultusgemeinde erläuterte dabei den Anwesenden (nicht nur den Kindern, sondern auch den Lehrern und Projektleitern) die Hintergründe des Chanukkafestes und zeigte, wie es begangen wird. Sie entzündete auch die erste Kerze auf der Chanukkia an.
Geplante weitere Schritte
Als Teilprojekt des Antiradikalisierungsprojekts wird die Erstellung einer Zeitschrift mit dem Titel „Global News“ vorbereitet. „Dabei geht es um das Kennenlernen journalistischer Arbeit, insbesondere sollen dabei auch Recherchetechniken angewandt und vertieft werden. Zuständig dafür wird Projetktleiterin Fahima sein, die Technikjournalismus studiert hat. Als Schirmherr konnte der ehemalige Chefredakteur der Nürnberger Nachrichten, Joachim Hauck gewonnen werden.
Auch ein Schulprojekt, das sich schwerpunktmässig auf die Region Mittelfranken bezieht, ist in Planung. Damit sollen insbesondere Mädchen, auch Migrantenmädchen erreicht und bewirkt werden, dass sie ihre Attribute neu besetzen, d.h. weibliche Rollenklischees, wie beispielsweise dass Mädchen nicht so gut in Mathe, Informatik oder „Natur und Technik“ sind, überwunden werden. Flankierend wird ein selbstentworfenes MINT-Projekt eingesetzt (der Begriff ist ein Akronym die bereits genannten Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik). MINT ist auf die Altersgruppe von vierzehn bis achtzehn Jahren zugeschnitten und soll dazu beitragen, dass Mädchen, sich hinsichtlich ihrer Ausbildungs- und Berufswahl nicht von vornherein auf sogenannte „Frauenberufe“ fokussieren, sondern auch Ausbildungen und Berufe in männerdominierten Bereichen in Erwägung ziehen. MINT zielt auch auf präventive Deradikalisierung, durch den Bau von Wällen gegen fanatisches Denken und auf die Verhinderung von Genitalverstümmelung, Zwangsverheiratung oder freiwilligen Sexversklavung (im Rahmen einer Ausreise zum IS).
In Zukunft soll es regelmässige Treffen zu Freizeitaktivitäten geben, die auch Flüchtlingen offen stehen, damit sie aus ihren Zeltstädten oder Unterkünften herauskommen und Kontakte zu Einheimischen knüpfen können.
Die konkreten Resultate welche die Arbeit des Antisalafismusnetzwerks der Stadt Nürnberg als Ganzes erzielen wird, hängen weniger von den Wünschen der bayrischen Ministerien oder des Menschenrechtsbüros ab, als vielmehr von dem, was die Beteiligten Initiativen vor Ort zu leisten vermögen. Was beispielsweise den Global Elternverein angeht, zeigt sich schon jetzt, dass mit entsprechendem Engagement viel bewegt werden kann.
Auch andere Beteiligte am Netzwerk, darunter die Nürnberger Gruppe der Heroes, http://www.heroes-nuernberg.de/ engagieren sich ebenfalls schon lange im Bereich Deradikalisierung. Andere Initiativen starten neu. Wichtig ist für letztere, an den vorhandenen Erfahrungen zu partizipieren. Generell ist natürlich für alle Beteiligten der Austausch untereinander wichtig, um Lernprozesse zu verkürzen. Dem dienen regelmässig stattfindende Treffen, die vom Menschenrechtsbüro organisiert werden.
Der Autor des Artikels schätzt die Chancen, dass das Gesamtprojekt erfolgreich verlaufen wird, grundsätzlich positiv ein und hofft und wünscht, dass diese Wertung durch die reale Entwicklung verifiziert wird. Wichtig erscheint in diesem Zusammenhang, dass das Netzwerk zur zunehmend problematischer werdenden DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion), die von dem Dyanet, der direkt dem Ministerpräsidenten unterstellten Religionsbehörde der Türkei, gesteuert wird, Distanz hält.
Kontakt zum Global Elternverein: info@global-elternverein.de
© Gerhard K. Nagel