Eine „Heldengeschichte“ ohne Helden…
Von Lew Jaschin
Der Fußballklub Bayern München gilt – nicht nur beim fußballaffinen Publikum – als Hort der Widerständigkeit während der NS-Zeit. Der Verein soll seine Hand schützend über die jüdischen Mitglieder gehalten haben, so unisono die einschlägigen populärwissenschaftlichen Publikationen. Vor Kurzem berichtete der Spiegel über neue Aktenfunde, die der Leiter der Schwabenakademie, der Sporthistoriker Markwart Herzog im Münchner Registergericht gefunden hatte. Die vermeintliche „Heldengeschichte“ war nun nicht mehr haltbar (wir berichteten).
Nicht nur Hagalil erreichten empörte Stellungnahmen von Dirk Kämper (Autor von „Kurt Landauer. Der Mann, der den FC Bayern erfand. Eine Biografie“) und Dietrich Schulze-Marmeling (Verfasser von „Der FC Bayern und seine Juden. Aufstieg und Zerschlagung einer liberalen Fußballkultur“). Diese Autoren stricken seit vielen Jahren an dem Bayern-Mythos vom liberalen „Judenverein“. Der Spiegel-Artikel wurde von beiden als blanke Stimmungsmache abgetan, da er medienwirksam vor dem DFB-Pokalendspiel erschien. Gleichzeitig wurde Markwart Herzog von Schulze-Marmeling als „Religionsphilosoph“, der einen „verbrämten Rachefeldzug gegen missliebige Wissenschaftler“ führt, diffamiert. Dirk Kämper wirft Herzog zudem vor, dass er bei seinen Forschungen die „zahlreichen Zeitzeugenerinnerungen“ ignoriere und nennt etwa eine rührselige Geschichte, die eine hochbetagte Frau eines bereits verstorbenen Bayernspielers zu Protokoll gab. In den Anmerkungen seiner in Romanform verfassten Biografie Kurt Landauers weist Kämper jedoch darauf hin, dass manche vermeintlichen Fakten, „nicht eindeutig zu belegen“ seien. Dabei erwähnt er auch, dass man „Zeitzeugenberichte mit größter Vorsicht zu genießen“ habe.
Seit Kurzem liegt nun der Text von Markwart Herzog vor, der schon im Vorfeld für so viel Wirbel sorgte. Unter dem Titel „Die drei ‚Arierparagrafen‘ des FC Bayern München. Opportunismus und Antisemitismus in den Satzungen des bayerischen Traditionsvereins“ entzaubert Herzog auf 39 eng bedruckten Seiten die Mär von der „Opfergeschichte“, wie sie auch im Bayern-Museum „Erlebniswelt“ in der Allianz-Arena präsentiert wird: „Wegen seines jüdischen Hintergrunds wurde der FC Bayern in vielerlei Hinsicht benachteiligt“, ist dort u. a. zu lesen. Zudem habe der Verein „Jahre lang (versucht), Distanz zu den Machthabern zu bewahren, indem sie bewusst keine Parteimitglieder in den Vorstand wählten. Erst 1943 gelangte ein Wunschkandidat der Nazis an die Vereinsspitze.“
Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Die Bayern werden nicht umhinkommen, ihre „Heldengeschichte“ einer Revision zu unterziehen. Und nicht nur den Kritikern von Markwart Herzog sei die Lektüre des Aufsatzes „Die drei ‚Arierparagrafen‘ des FC Bayern München“ empfohlen, wie auch die anderen interessanten Texte von renommierten Autoren in dem Sammelband.
Markwart Herzog (Hg.), Die „Gleichschaltung“ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland, Stuttgart 2016, 468 Seiten, 30 €, Bestellen?
Bild oben: Mannschaften der Stabsnachrichtenkompanie und der Flak im Pariser Prinzenpark-Stadion 1942 (Repro: © Archiv M. Herzog)
Replik von Dirk Kämper und Dietrich Schulze-Marmeling:
http://werkstatt-blog.de/2016/07/der-fc-bayern-die-nazis-und-herr-herzog/
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