Geschichte als dritte Halbzeit

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Foto oben: Meisterschaftsfeier 1932, die Mannschaft lässt Trainer Little Dombi (Richard Kohn) hochleben. Dahinter freut sich Kurt Landauer.

Markwart Herzog mahnt rechtzeitig zum Pokalfinale den FC Bayern zur Aufarbeitung seiner Geschichte im Nationalsozialismus…

Von Dirk Kämper

Eine Entgegnung zu den Artikeln „Münchner Protokolle“, Spiegel Nr. 21 2016; „FC Bayern sollte NS-Geschichte aufarbeiten“ SZ vom 21.5.2016,
sowie Nichtarier können in den FC Bayern nicht aufgenommen werden“ haGalil  vom 26.5.2016

Foto oben: Meisterschaftsfeier 1932, die Mannschaft lässt Trainer Little Dombi (Richard Kohn) hochleben. Dahinter freut sich Kurt Landauer.

Mit großem Erstaunen habe ich die Erkenntnisse von Markwart Herzog in Spiegel, Sueddeutscher Zeitung und haGalil, zur Kenntnis genommen. Mit Erstaunen deshalb, weil ich dort Dinge lese, die meinen eigenen Recherchen zu Kurt Landauer, dem mehrmaligen FC Bayern-Präsidenten, in ganz wesentlichen Punkten widersprechen. Nun ist Kurt Landauer nicht genau das, womit sich Herr Herzog zu beschäftigen scheint. Denn der Jude Kurt Landauer gibt ja schon 1933 sein Amt auf, und kommt damit knapp dem ersten Ariererlass der Nazis zuvor, dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom April 1933. Was zeigt, dass schon lange vor 1935 Ariergesetze eine wesentliche Rolle spielen, und nicht erst ab 1935, wie man vermuten könnte, wenn man Herrn Herzogs Ausführungen folgt. Und vor allem wirft es einen bezeichnenden Blick auf Herrn Herzogs These, dass es Vereine gab, die bis 1935 gar keine Arierparagrafen in ihrer Satzung hatten. Schon Landauers freiwilliges Ausscheiden zeigt, inwieweit nationalsozialistische Bestimmungen zur sogenannten „Arisierung“ im deutschen Sport faktisch in vielfältiger Weise wirksam waren, ohne dass sie je in einer Satzung auftauchen mussten. Einzig bedeutsam in diesem Zusammenhang ist, wie es faktisch im Verein umgesetzt wurde. Denn Kurt Landauer wäre jedenfalls ab diesem Moment „aus dem Spiel“ beim FC Bayern, ginge es nach Herrn Herzog. Ist er aber nicht. Genau so wenig wie der aus Wien stammende Richard „Little“ Dombi, Meistertrainer unter Landauer 1932. Der jüdische Trainer wird, wie es aussieht, sogar nach 1933 noch Vereinsmitglied bei den Bayern!  Da haben die Münchner Löwen ihren Verein längst „judenfrei“ gemeldet. Und faktisch ist auch Kurt Landauer im Vereinsleben weiterhin präsent, übt weiterhin – vor allem über seinen engen Freund Siggi Hermann – seinen Einfluss aus. Heimlich. Natürlich. Weil es gar nicht anders ging. Allein diese durch mehrere Quellen im Archiv des FC Bayern belegte Tatsache dürfte es gar nicht geben, hätte Herr Herzog mit seiner These recht. Die da lautet: Der FC Bayern hat sich dem Druck der Nazis, gegen Juden im Verein konsequent vorzugehen, nicht nur genauso schnell gebeugt wie alle anderen Vereine auch: Nein, die damaligen Bayern haben sich letztendlich sogar noch weitaus vorauseilender gezeigt in ihrem Gehorsam gegenüber den Nazis als andere Vereine jener Zeit. Wie aber verträgt sich das mit der Geschichte Kurt Landauers? Im Grunde gar nicht. Es sei denn, man ignoriert die spezifischen Gegebenheiten des FC Bayern – und da speziell seine Geschichte vor 1933 – als auch ganz grundsätzlich die besonderen Kontexte im Nationalsozialismus. Und genau darin liegt das Problem der Aussagen des Herrn Herzog.

Herr Herzog kennt und interpretiert die öffentlichen Quellen, wie sie im Amtsgericht vorliegen. Also im wesentlichen Vereinssatzung, Protokolle und Clubnachrichten.  Dort wird der Öffentlichkeit – aber ganz eigentlich den Machthabern – der durchschlagende Erfolg der neuen Bayern-Präsidenten im Sinne des Nationalsozialismus dokumentiert. Diese Quellen sind gezielte Vereinspropaganda nach dem Motto: Wir Bayern sind ganz vorne mit dabei im Sinne der Ziele des nationalsozialistischen Gedankens. Das ist in einem totalitären Staat überlebenswichtig. Für die Präsidenten. Und den Verein. Aber für kaum einen anderen Verein war es wichtiger als für den FC Bayern München. Und: diese Quellen repräsentieren nicht den ganzen Verein. Dinge, die aus Sicht der neuen Machthaber  extrem unangenehm sei konnten – wie etwa eine renitente Gruppe im eigenen Verein – wird man hier nicht finden. Aber sie waren vorhanden.

Die Bayern waren vor 1933 als „Judenclub“ verschrien. Natürlich lag das in der Tatsache begründet, dass der FC Bayern immer auch jüdische Mitglieder in seinen Reihen hatte. Noch nicht einmal überdurchschnittlich viel, aber eben oft in führender Position, siehe Kurt Landauer. Landauer legte sich schon früh mit den deutschnationalen Kräften des DFB an. Dort saßen Nationalsozialisten im Geiste schon lange vor 1933. Und andere führende Vereinsmitglieder, wie Siggi Hermann, quasi Landauers Alter Ego, schufen sich in der Weimarer Zeit auf fatale Weise weitaus schlimmere Feinde: Er war es, der in seiner Eigenschaft als führender Sicherheitsbeamte der Stadt München in der Weimarer Zeit Adolf Hitler Redeverbot in der Stadt erteilte. Mit einer Formulierung, die von anderen Städten in der Folge reichsweit übernommen wurde. Was er sofort nach Machtübernahme durch die Nazis mit Degradierung und späteren Strafversetzung bezahlte. So etwas haben die Nazis nicht vergessen. Auch nicht, dass Siggi Hermann immer der zweite Mann beim FC Bayern war. Und der erste Nachfolger Kurt Landauers unter den Nazis.

Die Konsequenzen waren absehbar: Der FC Bayern stand, ganz im Gegensatz zu den 1860ern, 1933 auf der komplett falschen Seite. Er stand unter besonderer, äußerst kritischer Beobachtung der Nazis. Seine Vergangenheit war existenzgefährdend. Auch dafür gibt es zahlreiche Belege. In dieser Situation ging es beim FC Bayern niemandem darum, in irgendeiner Form Widerstand zu leisten. Allen war mit der Machtergreifung völlig klar: Wenn wir nicht nach den neuen Regeln spielen, gehen wir unter. Als allererste. Folgerichtig stand das Überleben des Clubs im Vordergrund. Das war allen Beteiligten klar. Und zuvorderst Kurt Landauer, der selber geht, bevor der Club wegen ihm Ärger bekommt.

Siggi Herman setzt diese Politik fort: Immer da, wo nötig, bringt er den FC Bayern sofort aus der Schusslinie. Das betrifft sowohl die Unterzeichnung der sogenannten „Stuttgarter Erklärung“ schon im April 1933, mit der die Vereine ihre Bereitschaft signalisierten, jüdische Mitglieder auszuschließen, als auch die Aufnahme des Arierparagrafen in die Vereinssatzung. Die im Übrigen nicht früher als andere bei anderen Vereinen geschieht, wie Herzog behauptet, sondern später. Und dass den Vereinen dessen schriftliche Fixierung durch kein Gesetz oder Verordnung vorgeschrieben wurde, wie Herzog betont, ist auch keine Neuigkeit. Es war schlicht ein „sine qua non“, eine grundsätzlich durch die Nationalsozialisten geforderte Norm, ob nun in vorauseilendem Gehorsam, aus Opportunismus oder auch gar nicht schriftlich fixiert. Bei den Bayern ist es, mehr als andernorts, als klares Zeichen zu verstehen: Seht her. Wir sind nicht mehr das Problem! Kein anderer Verein, wollte er überleben, hatte diese Außendarstellung so bitter nötig wie der FC Bayern. Die lediglich eine nach außen gespiegelte Oberfläche repräsentiert, in der sich der FC Bayern in der Tat und bei nicht allzu genauer Betrachtung kaum von andern Vereinen unterscheidet.

Und nur auf diese Oberflächenreflektion blickt Markwart Herzog. Aber die ist in diesem Zusammenhang keinesfalls allein entscheidend. Angesichts der Situation in einem totalitären Staat ist allein entscheidend, wie vereinsintern damit umgegangen wurde. Wie die Umsetzung tatsächlich vollzogen wurde. Darüber lässt sich allerdings in einem Registergericht wenig finden.

Fast alle Quellen, auf die Herzog sich bezieht, liegen ebenfalls, soweit ich das übersehen kann, im Archiv des FC Bayern vor. Das Meiste davon ist im Übrigen in weiten Teilen längst publiziert.

Was Herr Herzog aber meiner Recherche nach ignoriert, sind vereinsinterne Dokumente -Briefe, Mitgliederpost etc. und vor allem zahlreiche Zeitzeugenerinnerungen –  die im Übrigen weit über Siggi Hermanns von Herzog als dünn und zweifelhaft bezeichnete Festschrift der Nachkriegszeit hinausreichen. Und diese Quellen ergeben eben ein komplett anders Bild.

Im Archiv des FC Bayern existiert genau zur Frage des Ariererparagrafen, ein durch eben solche Quellen belegtes Dossier, das – zusammengefasst – belegt, wie eine bestimmte, weiterhin einflussreiche Gruppe (auch „Ältestenrat“ genannt) rund um Siggi Hermann mit allen Kräften und bis zu einem bestimmten Punkt sogar mit Erfolg bemüht war, den Arierparagrafen innerhalb des Verein so weit als irgend möglich auszuhebeln. Bis er schließlich wegen „Erfolglosigkeit“ ganz gestrichen wurde. Eine Tatsache, die sich Herr Herzog im Spiegel im Übrigen – bei seiner Herangehensweise auch nachvollziehbar – nicht wirklich erklären kann. Bzw. nur mit dem bekannt und verallgemeinernden Hinweis auf die olympischen Spiele 1936. Wobei selbst die ihm zur Verfügung stehenden Quellen da ausreichen würden. Denn dort – in den Clubnachrichten – findet man, dass die praktische Umsetzung des Arierparagrafen  in einem Verwaltungsdesaster endet und schließlich – klammheimlich – ganz aufgegeben wird. Dennoch wurde den offiziellen Stellen „Vollzug“ gemeldet. Das ist das, was Herr Herzog sieht. Aber faktisch hatte der Verein überhaupt keine Ahnung, ob nun wirklich alle Mitglieder „Arier“ waren. Man war  klammheimlich daran „gescheitert“, es herauszufinden.

Um an dieser Stelle nun keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen: Niemand hat je behauptet, der FC Bayern sei zu irgendeiner Zeit ein Hort des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gewesen. Schon zu Landauers Zeiten, lange vor 1933, gab es Nationalsozialisten im Verein. Und spätestens ab Ende 1938 – als Kurt Landauer mit vielen anderen Vereinsmitgliedern ins KZ nach Dachau verschleppt wurde – ist die Gleichschaltung vollzogen. Aber bis dahin lässt sich eben belegen, dass es innerhalb des FC Bayern bis weit über 1935 hinaus ein heftiges Ringen einer einflussreichen Gruppe gab, dem – auch vereinsintern –  wachsenden Druck der Nationalsozialisten zu widerstehen. Es ging explizit darum, die verdienten Vereinsmitglieder genau davor zu schützen. Also das genaue Gegenteil dessen zu tun, was Herr Herzog nun behauptet.  Und gerade Sigi Herman, auf den sich Herr Herzog dabei als „Vollstrecker“ einschießt, ist dafür die völlig falsche Adresse. Nur wusste Siggi Hermann eben, wie man es machen musste: Nach außen, wenn nötig mehr als gehorsam zu sein. Aber intern zu versuchen, von seiner und Landauers Tradition so viel wie möglich zu retten. Und wenn es sein musste, auch das Leben seiner jüdischen Mitglieder, wie im Falle Kurt Landauer.

Ein Punkt, der diese These belegt, ist der Arzt Richard Amesmeier, der 1935 Präsident des FC Bayern wurde. Weil der Arzt Amesmeier Mitglied von NSDAP und SA war, wird er von Herzog auch gleich als Beispiel eines „Wunschkandidaten der Machthaber“ angeführt. Auch hier sieht Herzog leider wieder nur die öffentliche Oberfläche. Natürlich wird Amesmeier, so ist zu vermuten, der nationalsozialistischen Idee nahegestanden haben. Aber es gibt eben auch noch eine andere Seite:  Im Staatsarchiv des Kanton Genf – wohin sich Landauer ins Exil retten konnte – belegt ein Dokument, dass ihm der SA-Mann Amesmeier noch im April 1939 (!) das zur Flucht in die Schweiz benötigte und damit überlebensnotwenige Gesundheitszeugnis ausstellt. Und das, obwohl deutschen Ärzten, die sich mit jüdischen Patienten „abgaben“, drastische Sanktionen drohten. Ist es also Zufall, dass es ganz kurz danach zu einem Bruch zwischen Amesmeier und der SA kommt? Der Grund dafür lässt sich nicht mehr genau belegen, aber manchmal ist es eben sinnvoll, Geschichten bis zu ihrem Ende zu erzählen.

Es gibt eine Geschichte über Conny Heidkamp, den Bayern-Kapitän der Meistermannschaft von 1932. Als aufgrund des Krieges die Lebensmittel knapp wurden, drohten die Bayern-Spieler schon mal auf dem Platz umzufallen. Also hat Conny Heidkamp, so berichtet seine Frau, unter der Hand Lebensmittel besorgt. Das Ganze war natürlich streng verboten, und wäre es aufgeflogen, hätte Heidkamp mit schwersten Strafen rechnen müssen. Daher packte er die Sachen in einen Korb. Darüber ein paar Wollknäuel. Und ganz oben drauf die Hakenkreuzfahne. Würde er erwischt, hätte er erklärt, unter der Hakenkreuzfahne sei Wolle. Um Socken für die Front zu stricken. Auch Markwart Herzog hat in den Bayernkorb geschaut. Aber viel weiter als bis zur Hakenkreuzfahne ist er leider nicht gekommen.

Dass aber einige helle Seiten in diesem dunklen Kapitel aufscheinen, ist ebenso historische Realität. Sie gründen in der gemeinsamen Arbeit des bayerischen Juden Kurt Landauer und seinen jüdischen und nichtjüdischen Vereinskameraden vor 1933. Die im Übrigen ab 1947 in genau dieser Konstellation so fortgesetzt wird.  Diese Solidarität hat entgegen alle äußerlichen Bekenntnissen des Clubs – und damit auch entgegen der Auffassung des Herrn Herzog – lange Bestand und wird faktisch gelebt. Heimlich, aber umso wirkungsvoller. Bis zu dem Punkt, und das ist nun meine ganz persönliche Meinung, dass Kurt Landauer dieser Solidarität am Ende sogar sein Leben verdankt.

Was bleibt also von Herrn Herzogs Geschichte? Vor allem die Frage, warum sich große deutsche Meinungsmedien ausgerechnet am Tag des DFB-Pokalfinales mit Beteiligung des FC Bayern auf eine im Kern mehr als fragwürdige Story stürzen. Die sie offensichtlich weder überprüft noch ausreichend hinterfragt haben. Es geht gegen die Bayern? Na dann.

Und um mit Kurt Landauer zu schließen: Er kehrt 1947 völlig mittellos aus dem Schweizer Exil nach München zurück, nachdem die Nationalsozialisten vier seiner Geschwister ermordet haben. Gemeinsam mit den verbliebenen Vereinsmitgliedern genau jener Gruppe, die ihn und andere bis zu seiner Flucht so lange als nur möglich geschützt und unterstützt haben – allen voran Siegfried Herrmann   –  packt er den Neuaufbau des FC Bayern an. Hätte es diese Gruppe innerhalb des Vereins nicht gegeben, hätte es auch keine weitere Amtszeit des jüdischen Bayern Landauer nach 1945 gegeben.

Dirk Kämper ist Autor der Biografien über Kurt Landauer und Fredy Hirsch.

Linktipp: Expertenstreit um FC Bayern zur NS-Zeit