Israels arabisches Lexikon

0
32

Am 17. März finden in Israel vorgezogene Parlamentswahlen statt. Doch in den Medien geht es hauptsächlich um ein „unpolitisches“ Thema: ob Benjamin Netanjahu die Affäre um den von seiner Frau Sara in die Familientasche gesteckten Flaschenpfand und den hemmungslosen Luxus auf Staatskosten trotz der Intervention des Staatskontrolleurs übersteht…

Von Reiner Bernstein

Alle schwerwiegenden Belastungen scheinen in den Hintergrund gerückt zu sein, wozu auch die Debatte um die Chancen der Oppositionsparteien gehört. Wo bleiben deren innenpolitische Alternativen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, für das schlingernde Gesundheitswesen, für das marode Schulsystem, für die explodierenden Bau- und Mietpreise, für die steigenden Lebenshaltungskosten, für die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich? Werden die Wähler großzügig über die Fehler und Versäumnisse der vergangenen Jahre hinwegsehen und Netanjahu erneut das Vertrauen aussprechen? Reicht es aus, dass die jüdische Opposition mit einem Programm „alles, nur nicht Netanjahu“ wirbt?

Zu einer Bestandsaufnahme gehört der Blick auf das arabische Wahlvolk. Gemäß einer jüngsten Meinungsumfrage will die große Mehrheit die Konzentration auf das Schicksal ihrer Brüder und Schwestern in den seit 1967 von Israel besetzten Gebieten hinter sich lassen und ihre Energien auf die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen konzentrieren.

Nach mühsamen Gesprächen und Verhandlungen soll nun die Zersplitterung der arabischen Parteienlandschaft durch eine „Gemeinsame Liste“ für die 20. Knesset überwunden werden. Auch diese Entscheidung entsprach dem Anliegen der großen Mehrheit, damit ihren Ambitionen bei politischen Prozessen künftig größeres Gewicht zukomme. Jetzt hat der als vernünftig bekannte Arzt Achmed Tibi, der seit langem im Parlament sitzt und auf Platz 4 der Liste rangiert, den Eintritt in eine Koalition unter Führung von Yitzhak Herzog und Tsipi Livni abgelehnt, solange die Besatzung Ost-Jerusalems und der Westbank anhalte.

Die Ankündigung erinnert an die fortwährende Verweigerung der arabischen Bevölkerung in Jerusalem, sich an den dortigen Kommunalwahlen zu beteiligen; am 24. Oktober 2014 waren es weniger als 12 Prozent. Auch hier lautet die stete Begründung, dass die politische Mitwirkung auf die Legitimierung der Annexion des Ostteils der Stadt im Sommer 1980 hinauslaufe.

Vergangenheit als Gegnerin von Zukunft?

Wenn Politik im Wesen darauf hinausläuft, auf ihre Gestaltung Einfluss zu nehmen, ist Abstinenz problematisch. Natürlich ist für die Staatsbürger arabischer Volkszugehörigkeit das Auftreten der Arbeitspartei und der Partei „Die Bewegung“ unter dem Titel „Zionistisches Lager“ schwer erträglich, also nachvollziehbar. Aber im Kleid einer politischen Witwe zu warten, bis sich ihr endlich der „Deus ex machina“ offenbare, reicht nicht mehr aus.

Wie wäre es, wenn die Andeutung Herzogs und Livnis ausgetestet würde, sie könnten sich eine Regierung unter Beteiligung der mehrheitlich arabisch getragenen „Gemeinsamen Liste“ vorstellen? Wenn die Ergebnisse des zitierten Meinungsbilds ernst genommen würden, wäre darauf hinzuarbeiten, dass der arabischen Minderheit die egalitäre Partizipation nicht länger vorenthalten wird. Für die Führung stellt sich mithin eine Glaubensfrage der offenen Augen, welche die inneren Verschleißerscheinungen nicht länger hinnimmt. Das neue Lexikon wäre zudem ein wichtiger Beitrag zum Modell eines Staates aller seiner Bürger, zum Konzept der kollektiven öffentlichen Gerechtigkeit.

Die arabischen Kräfte sollten sich nicht länger selbst knebeln und an einer verdünnten Identität festhalten. Verantwortung wahrnehmen, bedeutet mittels politischer Pflöcke die Absage an die weitere Hinnahme des staatsbürgerlichen Sekundärstatus. So gilt für die arabische Bevölkerung um ihrer politischen und gesellschaftlichen Parität willen, dass sie sich zunächst auf ihre eigenen Kräfte verlassen muss. Die letzten jüdisch-arabischen Bastionen friedlicher Koexistenz sollten nicht unbesonnen geschleift werden.

Abgeschlossen am 26. Februar 2015. Vgl. die kontinuierliche Berichterstattung „Die nächsten Runden: Das ‚Zionistische Lager‘, Siedler und Israels arabische Parteien“ in der Menüleiste „Berichte aus Nahost“ auf www.reiner-bernstein.de.