Bis die Amerikaner an die Decke gehen

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Mit dem Tod von Ariel Sharon hat Israel den zweiten Politiker verloren, der sowohl Verteidigungs- als auch Premierminister war und seine Meinung dahingehend änderte, dass er ein Friedensabkommen einem Krieg vorzog…

Kommentar von Yoel Marcus, Ha‘aretz, 17.01.2014
Übersetzung von Daniela Marcus

Sowohl Sharon als auch Yitzhak Rabin waren in einen heftigen Krieg mit den Palästinensern verwickelt, änderten jedoch an einem gewissen Punkt in ihrer Karriere ihre Grundsätze. Beide hatten ihren Ursprung in der Arbeiterbewegung und teilten die gleiche Herangehensweise an die Palästinenser. Doch jeder von ihnen kam zu dem Schluss, dass die Araber unsere Nachbarn sind und dass wir ein Abkommen mit ihnen schließen müssen.

Die beiden Premier- und Verteidigungsminister verstanden auch, dass die Amerikaner ein wesentlicher Teil des Ganzen sind. Sharon und Rabin hatten außerdem einen großen Vorteil gegenüber anderen Ministern. Dieser bestand darin, dass die Öffentlichkeit sie als militärische Persönlichkeiten betrachtete, deren Überlegungen über Parteiinteressen hinausgingen. In ihren schönsten (oder in ihren schlimmsten) Vorstellungen hätten sie sich nicht träumen lassen, dass Rabin die Hand von Yassir Arafat schütteln und dass Sharon 17 Siedlungen im Gazastreifen ohne ein Abkommen evakuieren lassen würde.

In einem Interview, das ich mit Sharon führte, erklärte er, dass der Wunsch, das Volk von seinem „Traum eines vervollständigten Israel“ zu befreien, ihn zu diesem Schritt motiviert hatte. Rabin wurde ermordet, und Sharon fiel ins Koma bevor er seinen geplanten Friedensprozess abschließen konnte. Der Traum blieb bestehen.

Viele sehen im Tod der beiden Kämpfer einen großen Verlust. Beide Falken hatten sich in Friedenstauben verwandelt. Nach ihnen kam Premierminister Ehud Barak, der sich in seine persönlichen Marotten und Vorlieben vertiefte. Und nun haben wir Premierminister Benjamin Netanyahu, der die wilden Pferde der nationalistischen Rechten reitet.

Der wichtigste Aspekt, den Sharon und Rabin gemeinsam hatten, war die strategische Kooperation mit der US-amerikanischen Regierung. Hierzu gehörten auch Friedensbemühungen. Keiner der beiden glaubte wirklich daran, dass die Palästinenser fähig seien, Kompromisse hinsichtlich der Gebiete zu schließen während in Israel nicht wenige bereit waren, den Preis für Land für Frieden zu zahlen. Sharon irrte mit der Loslösung von 21 Siedlungen −17 im Gazastreifen und 4 im Westjordanland− ohne zuvor ein Abkommen zu schließen.

Es gibt keinen „richtigen Zeitpunkt“ zum Sterben. Sharon verließ die Bühne vor 8 Jahren, um im Koma weiterzuleben. „Was für ein Pech!“ bemerkte ein langjähriger Politiker diese Woche. „Wir verloren die beiden stärksten Anführer, die uns zu einem Abkommen und zu Zugeständnissen bringen wollten und konnten.“

In dem Schauspiel mit dem Titel „Führung des Staates“ kommt die Waffe −Moshe Ya’alon− aus dem ersten Akt auch im zweiten Akt vor. Ya’alon hatte noch eine Rechnung zu begleichen, weil seine Amtszeit als Generalstabschef nicht um ein viertes Jahr verlängert worden war. Sharon hatte es vorgezogen, vor der Loslösung Dan Halutz zu ernennen. Dieser war ein beliebter Kommandeur der israelischen Luftwaffe. Und Sharon nahm an, dass Halutz fähig sei, die Siedlungen „mit Entschlossenheit und Einfühlungsvermögen“ zu räumen. Dies waren Eigenschaften, die nicht unbedingt auf Ya’alon zutrafen.

Zutiefst getroffen durch diese Entscheidung erklärte Ya’alon bei seiner Abschiedsfeier als Generalstabschef: „Wissen Sie, warum ich diese hohen Stiefel trage, wenn ich über den Rasen vor der Verwaltung des Generalstabs laufe? Weil es dort gefährliche Skorpione und Schlangen gibt.“ Die Antwort seiner Vorgesetzten ließ nicht lange auf sich warten: „Er gehört zu den Menschen, die nicht nur dumm sind sondern auch dumm aussehen.“

In seiner Arroganz passt Ya’alon gut zu den „Vervollständigtes Israel“-Leuten in der Likud-Partei, die Israels Präsenz im Westjordanland verfechten. Dies ist ein nicht zu vernachlässigender Beitrag dazu, dass Israel derzeit auf dem vierten Platz der Liste der am meist gehassten Länder der Welt liegt.

Sharon, der nach Rabin die strategische Allianz mit den USA der 1980er Jahre stärkte, achtete sehr darauf, den amerikanischen Außenministern Respekt zu zollen. Sein einziger Fehler war die Bemerkung, dass Condoleezza Rice schöne Beine habe.

Als Verteidigungsminister bekommt Ya’alon große Summen an Geld, um Israel stärker zu machen. Doch er konnte sich nicht beherrschen, wutschnaubend zu äußern, US-Außenminister John Kerry sei obsessiv und messianisch und vorzuschlagen, dass wir uns von ihm und seinem Plan lösen, indem wir ihm den Friedensnobelpreis überreichen. Politik besteht nicht nur aus kaltem Kalkül. Hinter der Politik befinden sich Menschen. Selbst Außenminister Avigdor Lieberman verteidigte Kerry und sagte, sein Vorschlag sei der beste, den wir jemals erhalten werden. Die Öffentlichkeit ist sich der Gefahr nicht bewusst, der wir in Ermangelung eines Friedensabkommens gegenüber stehen. Amerika muss nicht unbedingt für immer ein guter Freund bleiben. Wie sagt man doch gleich auf Hebräisch? Eines Tages könnten die Amerikaner auch an die Decke gehen!

3 Kommentare

  1. „Eine Szene wie die vor Rabins Ermordung, Rabin und Arafat mit Kerzen in der Hand auf einer Friedensdemo – wäre mit Sharon völlig undenkbar gewesen. Ich glaube nicht, dass er sich allzu sehr gewandelt hat “

    Liebste Janes,

    nach wie vor bleibt es aber -trotz all eures Glaubens und besseren Wissens des Undenkbaren- dabei:

    Die bösen, schlimmen, gewählten Ministerpräsidenten Begin und Sharon waren die Einzigen, die bisher ein erobertes und ein übernommenes Gebiet räumten.
    Sie waren in der Lage innen- und außenpolitisch einen gewagten Schritt zu gehen, bisher ging es leider nur im Sinai einigermaßen gut.

    Der verlinkte Artikel ist natürlich wirklich witzig, falls man ihn liest:

    „Wenn der Premier den Gazastreifen wirklich räumen will, dann hätte er der IDF doch nicht den Befehl erteilt, ihn wieder zu erobern.“

    oder

    „…die Korrekturen machen es von einem Loslösungs- zu einem „Dableibprogramm“, und das für viele Jahre, denn das neue Programm verteilt die Räumung der Siedlungen auf eine lange Zeitspanne.“ …

    „Eine solche Loslösung garantiert den Siedlungen ein langes Leben“

    Nicht nur verlinken, sondern reflektieren.

    Vielleicht in den langlebigen Siedlungen Gazas.

    Meine Meinung.

  2. Zur Erinnerung:

    „WAS TUN WIR IN GAZA?..

    …wenn die Loslösung von Gaza wirklich ein erstrangiges nationales Ziel ist, wie es der Premier oft erklärt hat, dann sollten die militärischen Maßnahmen an dieses Ziel angepasst werden. Wenn der Premier den Gazastreifen wirklich räumen will, dann hätte er der IDF doch nicht den Befehl erteilt, ihn wieder zu erobern.

    …Die Vergeltungsaktion in Gaza wird von einigen Erscheinungen begleitet, die der Verstand nicht akzeptieren und das jüdische Gewissen nicht verdauen kann, z. B. die große Zahl palästinensischer Opfer, Zivilisten und Demonstranten. Die Hindernisse, die den Rettungsmannschaften und der humanitären Hilfe für die Verwundeten und die Obdachlosen in den Weg gelegt wurden. Die Parolen, von welche diese Aktion von Anfang an begleiten, wenn z.B. israelische Vertreter anfangen, den Palästinensern vorzuwerfen, sie zerstörten ihre Häuser selbst, „um eine negative Öffentlichkeitsmeinung gegen Israel herzustellen“, wenn das israelische Militär in vollem Ernst erklärt, der Abriss der Häuser geschehe „zum Wohle der palästinensischen Bevölkerung“, und wenn unsere offiziellen Sprecher erklären, die palästinensischen Opfer seien von „Panzerfeuer auf ein verlassenes Haus“ getötet worden. Wir sollten uns als Juden und Zionisten fragen: Haben wir die grundlegende moralische Fähigkeit verloren, zwischen Gut und Böse zu differenzieren, zwischen moralisch und grausam, zwischen der Wahrheit und der „Wahrheit“? Sind wir denn auf den Kopf gefallen? Sind wir in Gaza blind? Und – was machen wir dort überhaupt?“

    http://test.hagalil.com/2004/05/gaza.htm

    Ich habe ein ganz anderes Psychogramm für Sharon – ich vermute, dass sein kaum zu verbergender Hass gegen Arafat auch in einer Eifersucht begründet war. Seit Sabra und Shatila war Sharon gezeichnet und der Posten des Verteidigungsministers sollte ihm nie wieder gegeben werden.

    Während er also als Landwirtschaftsminister auf seiner Rinderfarm zu größerem Einfluss nicht fähig war, ernteten Rabin und Arafat jede Menge Lorbeeren für den Oslo-Prozess.

    Im Jahr 2000 ergriff Sharon die Chance und zündelte an dem ohnehin sehr wackeligen Friedensprozess. Mit seiner Wahl wurde Oslo beerdigt. Alle Verhandlungen hatten ein Ende und Sharon tat wozu er sich mehr als alles andere als kompetent erachtete – er betätigte sich als Kraftmeier und rücksichtloser Kriegsherr – um dann (möglicherweise nach einem Giftmord an Arafat, denn der Verdacht ist nach wie vor nicht vom Tisch), zu hoffentlich ‚wahrer Größe‘ zu kommen und den geläuterten Staatsmann zu geben.

    Aber wie der Artikel oben schon anzeigt, sprachen die Aktionen, die diesen ‚Abzug‘ konzertierten und auch die Ausgestaltung der weiteren Kontrolle über Gaza eine ganz andere Sprache.

    Wenn Sharon ‚Israel vom Traum eines vollständigen Israels‘ befreien wollte, dann wollte er auch sich selbst vom berüchtigten Kriegsherrn zum umsichtigen Staatsmann wandeln, die Demütigung der weltweiten Anerkennung Arafats kompensieren und sich gar als Friedenspolitiker profilieren. Die Anerkennung manch großer Siedlungsblöcke durch Bush winkte, für die Räumung der Siedlungen in Gaza und da griff er zu.

    Er wollte Anerkennung seiner selbst, mehr Anerkennung für ‚mehr Israel‘ – aber Frieden???

  3. Mir behagt diese Stilisierung Sharons zum geläuterten Friedenspolitiker so ganz und gar nicht.

    Er hatte einen pragmatischen, notwendigen und unpopulären Schritt durchgesetzt – die Siedlungen in Gaza aufzulösen.

    Das ist richtig. Warum tat er das? Im Artikel steht, dass er sagte, dass er die Israelis vom ‚Traum eines ‚vollständigen‘ Israels befreien wollte‘ (was nicht zuletzt sein eigener war, für den er ja immer gekämpft hatte und den ‚er persönlich‘ sehr vorangetrieben hatte‘. Er war immer eine der Schlüsselfiguren dieser Bewegung.

    Was daran also ist falsch (jedenfalls in meinen Augen)?

    Mir scheint Sharon wollte Akzeptanz in der Welt, Akzeptanz in den USA usw.

    Aber er wollte niemals einen echten Frieden mit den Palästinensern.

    Eine Szene wie die vor Rabins Ermordung, Rabin und Arafat mit Kerzen in der Hand auf einer Friedensdemo – wäre mit Sharon völlig undenkbar gewesen. Ich glaube nicht, dass er sich allzu sehr gewandelt hat.

    Er hat einen richtigen Schritt auf die falsche Art und Weise durchgeführt, weil es ihm eben nicht in erster Linie um Frieden mit den Palästinensern, sondern um die Wirkung nach Außen ging.

    Die Art und Weise wie der Abzug gestaltet wurde verunmöglichte praktisch eine positive Entwicklung für die Menschen in Gaza und wenn sein enger Berater Dov Weissglass damals klarstellte, dass der Abzug dazu dienen sollte den Friedensprozess auf lange Zeit auf Eis zu legen, dann wird klar, dass die gewünschte Akzeptanz in der Welt nicht notwendigerweise von dem Wunsch beseelt war, mit den Palästinensern in Frieden zu leben.

    Daher konnte das den Hoffnungen, die er auf allen Seiten auslöste, nicht gerecht werden, weder den palästinensischen, noch den israelischen, noch den Erwartungen in der Welt.

    In Anbetracht der Ereignisse nach dem Abzug und in Anbetracht der Ausgestaltung des ‚Abzugsplans‘ (er sollte ehrlicherweise Verwaltungsplan für Gaza heißen, denn er regelt nicht den Abzug, sondern weitere Kontrolle Israels über Gaza) wieder mal den Palästinensern anzulasten.

    Das Unrecht an den Menschen in Gaza, die Bevormundung, die Einschränkung, ja die Strangulierung der Region – ging unvermindert weiter.

    Daher kann ich Sharon zubilligen, dass auf seine Art Rückrat hatte (bis hin zum Querulantentum), anders als Netanyahu – dass er unbequeme Auseinandersetzungen nicht scheute (ich vermute das Bedrüfnis danach war Teil seines Chrakters) – und daher etwas tat, was in Israel schwer durchzusetzen und grundsätzlich erst mal richtig war – aber er wollte ein wenig Pragmatismus in die Sache bringen, nachdem er selbst das Haus schon angezündet hatte – und die Art und Weise in der diese Kehrtwende erfolgte, lässt doch jede Empathie mit der Situation der Palästinenser und ihrem Anliegen vermissen – zu der war Rabin, wie mir scheint, am Ende seines Lebens in der Lage. Sharon war auch damals, wie zu allen Zeiten davon, davon Äonen entfernt – nein – Sharon war nie ein Friedenspolitiker.

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