Jonas Kreppel über die Juden in China (1925)

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Mit der Wiedergabe der Informationen zu den Juden in China, die seinem Handbuch „Juden und Judentum von heute“ entnommen sind, soll an den zu seiner Zeit hoch angesehenen österreichischen Schriftsteller, Publizisten und Regierungsrat Jonas Kreppel (1874-1940) erinnert werden. Kreppel wurde 1938, nach dem sog. „Anschluss“ Österreichs verhaftet und ins KZ Dachau, später nach Buchenwald, deportiert, wo er 1940 ermordet wurde…

Der am 24. Dezember 1874 im damals zur Habsburgermonarchie gehörigen, galizischen Drohobytsch geborene Jonas Kreppel entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie mit Wurzeln wohl in Schlesien bzw. Süddeutschland. Er wuchs mehrsprachig auf und ließ sich zum Buchdrucker ausbilden. Während seiner Lehrjahre muss er, der keine akademische Bildung erwarb, sich allerdings eine ganze Reihe wichtiger Kenntnisse und Fertigkeiten erworben haben, denn er übte sehr bald neben seiner Tätigkeit als Druckereileiter auch noch die eines Redakteurs einer jüdischen Zeitung aus. Außerdem schrieb er Beiträge für andere jüdische Blätter. 1903 konnte Kreppel im etwa einhundert Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernten Lemberg eine eigene Druckerei gründen. Zugleich trat er als Verleger jüdischer Zeitschriften hervor.

Kreppels Talent sowie seine Staatstreue waren offensichtlich den offiziellen Stellen in Wien nicht verborgen geblieben und so ernannte man ihn nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges zum politischen Pressereferenten am Auswärtigen Amt der Kapitale der k. u. k. Monarchie. 1915 bis 1919 fungierte Kreppel zusätzlich als Herausgeber des Wochenblattes „Jüdische Korrespondenz“ und fand daneben noch die Zeit Broschüren und Bücher zu verfassen bzw. zu publizieren. Nach dem Kriege, 1919, wurde er Wiener Korrespondent des New Yorker „Jiddischen Tageblattes“. Politisch und national empfand sich Kreppel als einen treuen Untertanen des österreichischen Kaiserreiches und nach dessen Zusammenbruch als Staatsbürger Österreichs sowie als einen republikanisch gesinnten „Deutschösterreicher“ (in Abgrenzung zu den anderen Nationalitäten innerhalb des ehemaligen Habsburger Vielvölkerstaates). Ebenso energisch wie entschlossen setzte er sich für eine Unabhängigkeit Österreichs ein und wandte er sich gegen sämtliche Angliederungsversuche seines Landes an das Deutsche Reich, ganz besonders nachdem dort die Nationalsozialisten 1933 die Macht in Händen hielten.

Währenddessen setzte er seine fruchtbaren publizistischen Tätigkeiten fort und es erschienen unter seinem Namen u.a. ostjüdische Geschichten und Legenden, aber auch das, als sein Hauptwerk angesehene, statistische Handbuch „Juden und Judentum von heute“ (1925).

In seiner politischen Schrift „1935“ warnte Kreppel die Westmächte davor sich dem Deutschen Reich gegenüber als allzu zugeständnisbereit zu geben, da dies auf einen neuen Krieg hinauslaufen würde. Spätestens seit Veröffentlichung von „1935“ galt Kreppel dem NS-Regime als Feind und stand er auf einer Liste derer, die es galt zu verhaften und zu vernichten.

Kurz nach dem deutschen Einmarsch in Österreich 1938, der die verharmlosende Bezeichnung „Anschluss“ verliehen bekam, erfolgte die Verhaftung des österreichischen Staatsbürgers Kreppel und bald danach, gemeinsam mit anderen prominenten jüdischen Häftlingen, die Deportation in das oberbayerische Konzentrationslager Dachau. Nur wenige Monate später wurde Kreppel als „politischer Jude“ nach Buchenwald verlegt, wo er in einem Steinbruch zu allerschwersten Arbeiten gezwungen wurde. Am 21. Juli 1940 ist der inzwischen 65jährige Jonas Kreppel an Erschöpfung gestorben, als Opfer des NS-Tötungs-Programms „Vernichtung durch Arbeit“.

Die beiden Söhne des Ermordeten, Salo und Leo, überlebten die Shoa. Erfreulicherweise kümmern sich die Nachfahren Kreppels aus Deutschland, den Vereinigten Staaten und Israel in geradezu vorbildlicher Weise darum, dass das Andenken an den bedeutenden jüdischen Publizisten und Schriftsteller weiterhin gepflegt wird und dass sein Lebenswerk der Nachwelt erhalten bleibt.

–> Jonas Kreppel – glaubenstreu und vaterländisch

Es folgen die Passagen zu den Juden in China aus Jonas Kreppels Handbuch „Juden und Judentum von heute“ von 1925. Dieses reich illustrierte Kompendium, das Baron Edmond de Rothschild gewidmet ist, unterteilte sein Autor in folgende Abschnitte:

Die Juden vor dem Weltkriege, Die Juden im Weltkrieg, Die Juden nach dem Weltkriege, Die Juden der Gegenwart (Statistik), Palästina, Die politische Lage der Juden, Die wirtschaftliche Lage der Juden, Emigration, Religiöse Probleme, Die jüdischen Parteien, Die jüdischen Organisationen, Das jüdische Leben, Schul- und Erziehungswesen, Staatsmänner und Parlamentarier, Sprachen und Literaturen, Wissenschaft und Kunst, Jüdische Volkssplitter, Presse, Bibliographie zur Judenfrage.

Gegen Ende seines höchst lesenswerten Vorwortes zu diesem Handbuch gibt Kreppel, für erbetene Ergänzungen und Zuschriften, seine Privatadresse an. Er lebte damals, im Juni 1925, im Wiener VIII. Bezirk in der Alserstraße 55.

Juden in China:

„Juden und Judentum von heute“, Kapitel: „Die Juden im Weltkrieg“ (S. 203)

… Die Kriegsereignisse brachten es mit sich, daß Juden, besonders russische, auch nach China und Japan verschlagen wurden. Nach der russischen Revolution konnten auch viele der aus Galizien und der Bukowina nach Rußland Verschleppten (deren Zahl ungefähr insgesamt 40 000 betrug) sich im europäischen und asiatischen Rußland zerstreuen und bis nach China und Japan gelangen. In den Jahren 1915 und 1916 kam eine Anzahl Juden in Tientsin zusammen, die sich in großer Not befanden. China war damals noch neutral und es wurde zu ihren Gunsten  von den Österreichern und Deutschen eine Hilfsaktion eingeleitet…

Kapitel: „Die Juden der Gegenwart“ (S. 361)

… In China gibt es Siedlungen europäischer Juden in Schanghai, Hongkong, Kanton, Tientsin, deren Zahl nicht genau bekannt ist…

Kapitel: „Das jüdische Leben“ (S. 791f)

… 3. China. Die jüdische Gemeinde in Hong-Kong besitzt eine Synagoge und einen Wohltätigkeitsverein. Die Gemeinde zählt 150 Seelen. Präsident: S. C. Gubbay. In Schanghai gibt es ebenfalls eine jüdische Gemeinde mit einem jüdischen Wochenblatt in englischer Sprache. Außerdem gibt es die sogenannten „chinesischen Juden“, über die in weiterer Folge berichtet wird…

Kapitel: „Das jüdische Leben“ (S. 802f)

1. Chinesische Juden. In Europa ist ein chinesisches Manuskript bekannt, das vor etwa 2800 Jahren geschrieben wurde und in dem Noah, Abraham, Moses und die Geschichte von Josef und seinen Brüdern erwähnt sind. – Ferner weiß man, daß 224 Jahre vor der christlichen Zeitrechnung Juden aus Persien nach China kamen. Die erste Kunde, daß es in China jüdische Gemeinden gäbe, kam im Jahre 1617 durch einen Missionär (sic!) nach Europa. Der chinesische Name für die Juden ist „Jol-Tak“ oder „Go-Go“. Die Juden selbst nennen sich: „Pan-Khin-Kian“. Aus dem Fleisch, das sie genießen, entfernen sie sämtliche Adern. In der Stadt Kai-Fang-Pu, 500 Kilometer von Schanghai entfernt, gibt es eine jüdische Synagoge, die im Jahre 1183 erbaut und später restauriert wurde. Nach der Sage der chinesischen Juden ist diese Synagoge ein Abbild des Tempels zu Jerusalem. Die Wände sind mit Manuskripten in chinesischer und hebräischer Sprache bedeckt. Einige Juden dieser Stadt sprechen auch hebräisch. Sie benützen Tefilin und Schaufäden. Für den Gottesdienst haben sie eine Thorarolle, andere jüdische Bücher kennen sie nicht. Das Gesetz der Beschneidung wird beobachtet, jedoch erfolgt diese nicht am siebenten Tage, sondern einen Monat nach der Geburt. Nach den historischen Aufzeichnungen der Juden von Kai-Fang-Pu sind die Juden vor 2000 Jahren unter der Herrschaft der Khan-Dynastie nach China eingewandert. Für die Erbauung einer Synagoge erhielten sie eine besondere kaiserliche Erlaubnis. Die größte jüdische Gemeinde befindet sich in Kanton. Dort leben 15 000 bis 20 000 Jude, zumeist Kleinhändler und Bauern, die sehr arm sind. Ihre Synagoge ist auf drei kleinen Schiffen mitten im Wasser erbaut, und ehe sie die Synagoge betreten, nehmen sie im Flusse ein Bad, und zwar sowohl im Sommer, als auch im Winter. Die chinesischen Juden unterscheiden sich im Aussehen und in der Lebensweise gar nicht von den übrigen Chinesen. Politisch haben sie alle Rechte und es gibt in China auch jüdische Generäle, Admirale, Offiziere, hohe Beamte und sogar Mandarine.

In letzter Zeit sind Bestrebungen im Gange, um die „Gesellschaft zur Befreiung der chinesischen Juden“, welche 1900 in Schanghai gegründet wurde, wieder aktiv werden zu lassen. Man hofft, daß die an dem Problem interessierten amerikanischen Juden Kapital beschaffen werden, um eine Expedition nach der Stadt Kai-Fang-Pu, der alten Hauptstadt der Provinz Honan, entsenden zu können. Diese Expedition hätte die Aufgabe, die Lage der chinesischen Juden in dieser Ortschaft zu studieren und eine dauernde Verbindung mit diesen Juden zu schaffen. Von Zeit zu Zeit werden schon jetzt Anstrengungen gemacht, um der chinesisch-jüdischen Kolonie in Kai-Fang-Pu wirtschaftlich zu helfen und diese Juden wieder dem jüdischen Glauben zuzuführen. Dr. A. S. Oko, der Bibliothekar des Hebrew Union College in Cincinnati, der unlängst in Europa wichtige Manuskripte über die Geschichte der chinesischen Juden erworben hat, hat sich einverstanden erklärt, an der Reise nach Kai-Fang-Pu teilzunehmen, um an Ort und Stelle die Geschichte dieser jüdischen Kolonie zu studieren. 1910 zählte die jüdische Gemeinde von Kai-Fang-Pu noch 140 Seelen. Die Ruinen einer vor mehr als 1800 Jahren erbauten Synagoge sind noch zu sehen…

Kapitel: „Staatsmänner und Parlamentarier“ (S. 836f)

…Ebenso gab es eine Reihe (nordamerikanisch-)jüdischer Konsule und Residenten in China, Japan und anderen Ländern des Orients…

… Zur Zeit gibt es einige jüdische Vertreter (Nord-)Amerikas im Konsulardienst, und zwar… Joseph E. Jacobs, Konsul in Schanghai, Max D. Kirjasoff, Konsul in der Mandschurei, Samuel Sale und Samuel Sokobin in China usw. …

Kapitel: „Presse“ (S. 869)

… China: „The Israel Messenger“, englisch, Wochenschrift, Schanghai; „The Jewish Communal Recorder“, englisch, Schanghai. …

(Jonas Kreppel, Juden und Judentum von heute, Zürich u.a. 1925)

Internet:

Zu Jonas Kreppel:

http://ldn-knigi.lib.ru/JUDAICA/Kreppel/Kreppel_Jonas.htm

http://ldn-knigi.lib.ru/JUDAICA/Kreppel/Kreppel-AA.jpg

http://www.augsburger-allgemeine.de/augsburg/Eine-Familie-entdeckt-ihren-juedischen-Zweig-id8173196.html

http://www.haaretz.com/print-edition/news/israelis-germans-unite-to-remember-writer-killed-in-holocaust-1.308052

http://ldn-knigi.lib.ru/JUDAICA/Kreppel/Kreppel_Haarez.jpg

http://www.compactmemory.de/start_p.aspx?ID_0=65

http://davidkultur.at/ausgabe.php?ausg=91&artikel=279

http://muse.jhu.edu/journals/shofar/summary/v019/19.1.sosemann.html

http://www.geni.com/people/Jona-Jonas-Kreppel/6000000006705382469

http://www.worldcat.org/identities/lccn-no98-88181

http://www.idref.fr/112514553

Jonas Kreppel, Der Weltkrieg und die Judenfrage (1915), Download:

http://ia600402.us.archive.org/31/items/derweltkriegundd00krepuoft/derweltkriegundd00krepuoft.pdf

http://de.wikisource.org/wiki/Judaica