Jonas Kreppel – glaubenstreu und vaterländisch

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„Glaubenstreu und vaterländisch“ – zwei Eigenschaften, die sehr pointiert die Persönlichkeit des Schriftstellers Jonas Kreppel beschreiben und beispielhaft für viele ähnliche Biographien von Juden in der Habsburgermonarchie stehen. Der Mandelbaum Verlag hat nun seinen Lebensweg in einer bemerkenswerten Veröffentlichung einer breiteren Leserschaft zugänglich gemacht…

Von Monika Halbinger

Geboren wurde Jonas Kreppel am 25. Dezember 1874  als Sohn des jüdischen Tuchhändlers Hirsch Kreppel und seiner Frau Heni Leah im galizischen Drohobycz, dessen Sprachenvielfalt und Multikulturalität für Kreppels späteren Lebensweg, für sein weltbürgerlich-polyglottes Selbstverständnis prägend sein sollte. Drohobycz war nicht nur für die größte Synagoge Galiziens bekannt, sondern galt allgemein als ein Zentrum jüdischer Kultur, auch der Schriftsteller Bruno Schulz und der Maler Ephraim Moses Lilien waren berühmte Söhne dieser Stadt. Jonas Kreppel wuchs in einem frommen Elternhaus auf und sollte der Orthodoxie sein Leben lang verpflichtet bleiben.

Eine Lehre zum Schriftsetzer verschaffte ihm ab 1890 Zugang zur Welt der Bücher und des Intellekts. Ein Studium, das seinen Begabungen und Neigungen entsprochen hätte, konnten ihm die Eltern aus finanziellen Gründen nicht ermöglichen. Die praktische Ausbildung aber brachte Kreppel mit dem Journalismus in Kontakt. Ab 1896 redigierte Kreppel die von seinem Lehrherrn herausgegebene deutschsprachige Wochenzeitung „Drohobyczer Zeitung“, die in hebräischen Lettern gedruckt wurde und vor allem von den  Juden, die keine lateinischen Buchstaben lesen konnten, aber die deutsche Sprache verstanden, gelesen wurde. Kreppel eignete sich immer mehr journalistische Fertigkeiten selbst an und übersiedelte nach Krakau, wo er sich im Verlag seines Schwiegervaters, Josef Fischer, einen Namen als wichtiger Verleger machte. 1909 wurde er Herausgeber der jiddischen Zeitung „Der Tag“ in Krakau.

In Wien absolvierte Kreppel als Autodidakt eine erstaunliche Karriere. Trotz fehlender akademischer Bildung arbeitete er ab 1914 als Pressereferent im Außenministerium, 1924 wurde er in gleicher Position  ins Bundeskanzleramt berufen. Neben seiner Tätigkeit als Beamter blieb Kreppel als Publizist tätig. Und trotz seiner Tätigkeit im Staatsdienst blieb Kreppel ein observanter, toratreuer Jude. Von 1915 bis 1920 gab er das Wochenblatt „Jüdische Korrespondenz“ heraus, die der „Agudas Israel“, also der Weltorganisation orthodoxer Juden, nahestand. Er repräsentierte selbstbewusst eine Lebenskultur, die für weite Teile der Juden im Habsburgerreich maßgebend war, verstand er doch das Judentum in erster Linie als konfessionelles Phänomen. „Am Israel“ war für ihn keinesfalls gleichzusetzen mit dem Nationenbegriff des 19. Jahrhunderts, und gerade deshalb umfasste der jüdische Lebensbereich sowohl die Galut als auch Eretz Israel. Zwar unterstützte Kreppel für eine gewisse Zeit den politischen Zionismus, distanzierte sich dann aber von diesem. Mit seiner Schrift „Briefe über Juden und Judentum“ (1920), einer Artikelserie in der „Jüdischen Presse“,  positionierte sich Kreppel als Gegner des politischen Zionismus säkularer Prägung, die jüdische Besiedelung Palästinas lehnte er aber nicht ab.

In erster Linie sah sich Kreppel als kaisertreuer Patriot. Seine Loyalität beruhte vor allem auf seinem Vertrauen in die österreichisch-ungarische Verfassung von 1867, welche Glaubens- und Gewissensfreiheit garantierte und somit auch die volle bürgerliche Gleichberechtigung der jüdischen Bevölkerung beinhaltete.[1] Die Verhältnisse in Österreich wurden von ihm in der schon erwähnten „Jüdischen Korrespondenz“ als vorbildhaft dargestellt. Der transethnisch-österreichische Nationenbegriff war mit dem Selbstverständnis vieler Juden in der Monarchie gut vereinbar. Kaiser Franz Joseph I. sah sich den Nationalitäten und Konfessionen all seiner Untertanen verpflichtet. Jüngste Arbeiten über die Habsburgermonarchie, wie z.B. die viel diskutierte Studie von Pieter M. Judson,[2] haben im österreichisch-ungarischen Nationenverständnis mit seiner Möglichkeit der Koexistenz verschiedenster Bevölkerungsgruppen durchaus positive Bezugspunkte für heutige multiethnische und -kulturelle Staaten entdeckt und die verzerrte Vorstellung vom Habsburgerreich als „Völkerkerker“, als „living anachronism“ zurückgewiesen. Vielmehr wies es in bestimmten Bereichen durchaus progressive Elemente im Umgang mit seinen Minoritäten auf. Es ist bezeichnend, dass sich Jonas Kreppel die gesellschaftliche Gleichstellung von Juden auch im 20. Jahrhundert nur durch den Schutz des Kaisers vorstellen konnte.

Diese Haltung mag mitunter als allzu verklärte Sichtweise auf die Monarchie gesehen werden. Dennoch muss man bedenken, dass dieses Sich-Verlassen auf den großen, gütigen Herrscher, die Vaterfigur par excellence, sicher auch mit dem berechtigen Zweifel zu tun hatte, ob ein demokratischer Staat notwendigerweise Minderheitenrechte schützen würde.[3] Nach dem Zusammenbruch der Monarchie konzentrierte Kreppel sein Engagement auf die österreichische Republik, dessen Unabhängigkeit er stets verteidigte, vor allem nach 1933, als die Angliederung an das Deutsche Reich von den Deutschnationalen immer vehementer verfolgt wurde. Kreppels österreichischer Patriotismus ermöglichte dann auch die Zusammenarbeit mit Kanzler Ignaz Seipel, einem katholischen Theologen im Amt des Regierungsvorsitzenden. Seipels Weltbild war antisemitisch, aber der gemeinsame Glauben an Österreich ließ sogar ein freundschaftliches Verhältnis mit Kreppel zu, der später auch unter den Kanzlern Dollfuß und Schuschnigg  im austrofaschistischen Ständestaat diente und in die Einheitspartei „Vaterländische Front“ aufgenommen wurde. Seine Gegner mutmaßten vor allem opportunistische Motive und Karrierismus für Kreppels Dienst unter den weltanschaulich so konträren, verschiedenen Vorgesetzten. Vermutlich hat hierbei aber laut der Autoren seiner Biographie vor allem sein lange unerschütterlicher Glaube an die Verfassungsmäßigkeit des Staates eine Rolle gespielt. Noch wenige Monate vor dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich wehrte sich Kreppel gegen die Antisemiten in der Vaterländischen Front, die Juden ausschließen wollten. Von 1938 bis zu seiner Ermordung 1940 war Jonas Kreppel Häftling in den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald. Skurrilerweise wurde er nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Judentum in Buchenwald inhaftiert, sondern als Gegner des deutschen Nationalsozialismus und aufgrund seiner Mitgliedschaft in der austrofaschistischen Einheitspartei.

Kreppels Loyalität gegenüber der 1. Republik wurde ihm nicht gedankt. Die österreichische Bevölkerung hatte sich 1938 mehrheitlich jubelnd für den deutschen Nationalsozialismus entschieden. Der eliminatorische Antisemitismus als integraler Bestandteil dieser Ideologie war in Österreich selbst auch davor schon weit verbreitet. Und insofern hatte sich „Habsburg“ im 19. Jahrhundert für Juden im Nachhinein tatsächlich als verlässlicher und sicherer erwiesen. Da Jonas Kreppel die Shoah nicht überlebt hat, wissen wir nicht, wie sein Identitätsverständnis nach 1945 ausgesehen hätte.

Jonas Kreppels publizistische Tätigkeit hat jedoch die Zeit überdauert. Aus seinem Hauptwerk, dem statistischen Handbuch „Juden und Judentum von heute“ aus dem Jahr 1925 wird beispielsweise auch in aktuellen Veröffentlichungen zitiert. Obwohl westlich orientiert blieb er dem ostjüdischen Umfeld, in dem er sozialisiert wurde, verbunden. So veröffentlichte er in den 1920er Jahren vor allem ostjüdische Geschichten und Legenden in jiddischer und deutscher Sprache, eine literaturhistorisch keineswegs unbedeutende Leistung.

Klaus Kreppel, selbst ein Nachfahre dieser großen, heutzutage einen jüdischen wie auch christlichen Zweig aufweisenden Familie Kreppel, ist es zu verdanken, dass das facettenreiche Leben dieses bedeutenden Publizisten im Rahmen einer Monographie im historischen Kontext gewürdigt wird. Dies ist auch der Verdienst der mitwirkenden Ko-Autoren. Evelyn Adunka erstellte eine Kurzbiographie, die in den laufenden Text eingearbeitet wurde. Thomas Soxenberger schrieb vor allem die Abschnitte über Kreppels Tätigkeit als jiddischer Verleger und Schriftsteller und war bei der Erstellung der Bibliographie federführend. Diese laut Untertitel „biographische Skizze“  ist nicht nur familiengeschichtlich-genealogisch bedeutend – z.B. entstammt der bekannte israelische, im Jahr 2003 verunglückte Astronaut Ilan Ramon der Familie Kreppel – , sondern liefert auch eine bedeutende zeitgeschichtliche Studie, die für das Verständnis und die Einordnung aktueller Identitäts- und Loyalitätsdiskurse erkenntnisführend sein kann.

Klaus Kreppel, Jonas Kreppel – glaubenstreu und vaterländisch. Biografische Skizze über einen österreichisch-jüdischen Schriftsteller unter Mitwirkung von Evelyn Adunka und Thomas Soxberger, Wien 2017, Euro 24,90, Bestellen?

Jonas Kreppel über die Juden in China (1925)

[1] Diese Treue muss auch vor dem Hintergrund der weit verbreiteten, antisemitischen Vorstellung, nach der Juden einen Staat im Staate bilden würden, gesehen werden. Damit einher ging der  Vorwurf der Illoyalität. Eine Unterstellung, die bis heute auch andere Minderheitengruppe betrifft, aber vor allem ein essentieller Bestandteil antisemitischer Ideologie ist. In der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts ist die Einforderung eindeutiger Zugehörig- und Ergebenheit vor dem Hintergrund der Realität diverser Identitätsanteile bei jedem Einzelnen ohnehin ein Relikt nationalistischer Ideologie.

[2] Pieter M. Judson: Habsburg. Geschichte eines Imperiums. 1740-1918,  München 2017.
Jonas Kreppel über die Juden in Indien (1925)

[3] Diese Vorstellung ist stark mit dem Konzept der liberalen Demokratie verknüpft. Illiberale Demokratien, wie sie in Polen oder Ungarn entstehen, orientieren sich zwar an demokratischen Mehrheitsbeschlüssen, schränken aber mit Hilfe von Mehrheitsentscheidungen der populistisch-ideologisch beeinflussten Wähler die Rechte von Minderheiten ein.