Fußball, Cheder und Kaschrut

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Die vergessene jüdische Gemeinde von München-Feldmoching…

Von Jim G. Tobias

Nicht wenige Mitglieder der jüdischen Gemeinde Feldmoching missachteten am 12. Juli 1947 die Schabbatruhe und pilgerten zum örtlichen Sportplatz. Dort fand nämlich ein Meisterschaftsspiel zwischen Makabi Feldmoching und dem Jidiszen Sport Farband Altötting statt. Die Begegnung versprach spannend zu werden: Die Gäste aus Altötting spielten von Beginn an mit hohem Tempo, aber die eisenharte Verteidigung der Heimmannschaft ließ keine Torschance zu. Obwohl Feldmoching schon bald die Defensive lockerte und ebenfall zum Angriff überging, blieb „die erszte halbcajt on a rezultat“, berichtete die Jidisze Sport Cajtung. „Di cwejte helft wert interesanter. In 52. minut gelingt die gest cu szisen dem erszten tojer, di balebatim (Platzherren) blajben nit lang szuldik un in 5 minuten szpeter glajchen zej ojs.“ Die Partie endet mit einem gerechten 1:1 Unentschieden.

Dieses sportliche Ereignis ist in keiner deutschen Zeitung publiziert worden, die Liga in keinem Nachschlagewerk verzeichnet. Wie auch die Existenz der jüdischen Nachkriegsgemeinde im Münchner Stadtteil Feldmoching bislang keinen Niederschlag in der lokalen Geschichtsschreibung fand. Weder die örtliche Israelitische Kultusgemeinde noch das Stadtarchiv oder das Jüdische Museum München wussten bislang von der Existenz der jüdischen Gemeinde. Unterlagen in diversen amerikanisch-jüdischen Archiven dokumentieren jedoch zweifelsfrei die Anwesenheit von bis über 300 osteuropäischen Juden im Münchner Norden. Die Ersten waren Überlebende aus den Konzentrationslagern, wie etwa Max Ribstein und Hermann Selinger, die sich schon Mitte Mai 1945 in Feldmoching ansiedelten. Im Herbst 1945 registrierte man in München rund 2.500 jüdische Displaced Persons (DPs). Dabei handelte es sich nicht nur um ehemalige Gefangene aus den Arbeits- und Konzentrationslagern, sondern um zahlreiche jüdische Flüchtlinge aus Polen und anderen osteuropäischen Ländern, die vor Pogromen in die Sicherheit der US-Zone geflüchtet waren. Für diese Menschen errichtete die Militärregierung eigene DP-Camps, wie sie beispielsweise in der Münchner Funkkaserne oder in der Siedlung Neu-Freimann nachweisbar sind. Zusätzlich wurden Wohnungen und Häuser im gesamten Stadtgebiet beschlagnahmt und den jüdischen Displaced Persons zur Verfügung gestellt.

Wahrscheinlich zum Ende des Jahres 1945 konstituierte sich in Feldmoching eine autonome jüdische Gemeinde, die im März 1946 schon 115 Mitglieder zählte. Zu den Vorsitzenden wurden die bereits erwähnten Max Ribstein und Hermann Selinger gewählt, die sich unverzüglich darum kümmerten, ein großes zentral gelegenes Gebäude für die Verwaltung und als soziales und kulturelles Zentrum zu bekommen. Auch eine eigene Betstube sollte eingerichtet werden. Die Besatzungsbehörden wiesen ihnen ein ansehnliches ehemaliges Bauernhaus in der heutigen Feldmochinger Str. 386 zu. Die Mitglieder der Gemeinde wohnten – mitten unter den Tätern – verteilt auf den gesamten Vorort in verschiedenen Unterkünften.


Ein Hinweis in englischer und hebräischer Sprache befand sich über der Eingangstür zur Koscheren Küche. Repro: jgt/nurinst-archiv

Offensichtlich siedelte sich in Feldmoching eine nicht zu übersehende Gruppe von strengreligiösen Juden an, da eine öffentliche Koschere Küche nachweisbar ist, in der täglich bis zu 300 Mahlzeiten entsprechend der jüdischen Gesetze ausgegeben werden konnten. Über die Einhaltung der Kaschrut wachte der gestrenge Rabbiner Mur, der auch nicht tolerierte, wenn sich Feldmochinger Juden mit christlichen Partnern einließen. Anfang 1947 wurde ein junger Mann aus der jüdischen Gemeinde ausgeschlossen, weil er mit einer deutschen Frau eine Familie gegründet hatte. Im Sommer desselben Jahres traf der Bannstrahl erneut einen jungen Juden wegen seiner Hochzeit mit einer Deutschen. Er war sogar Vorstandsmitglied des jüdischen Komitees. Zwar lebten in der Feldmochinger Gemeinde nicht viele Kinder, die meisten von ihnen erblickten erst in Deutschland das Licht der Welt, doch für 15 Knaben hatte der orthodoxe Rabbiner eigens einen Cheder, eine Talmud-Thora-Schule, aufgebaut, in der er den kleinen Jungen die religiösen Grundlagen des Judentums vermittelte.


Blick in die Koschere Küche Feldmoching. Repro: jgt/nurinst-archiv

Gleichwohl stimmten viele der eher säkular oder liberal-religiös orientierten jüdischen DPs nicht den orthodoxen Vorstellungen des Rabbiners zu, insbesondere da am Schabbat König Fußball regierte, wie etwa am 19. Juli 1947, als Makabi Feldmoching zu einem Auswärtsspiel bei Hapoel München antreten musste. „Ojfn Ostfridhofer sportplac iz forgekumen a matsz fun Minchener Hapoel gegn die manszaft fun Feldmoching. Di szpil iz gewezn zejer a interesante un gefirte fair fun bejde zajtn. Di manszaft fun Feldmoching cejchnt zich ojs mit disciplinirtkajt“, lobte die Jidisze Sport Cajtung. Dennoch verlor Makabi mit 1:2 Toren. Nach fünf Spieltagen in der Saison 1947 belegte die Elf von Feldmoching mit 6:4 Punkten und 13:9 Toren den dritten Tabellenplatz in der Gruppe II der 2. Jüdischen Liga im Rajon München. Hier kickte sie mit den Mannschaften von Altötting, Erding, Starnberg, Freimann, Attel, Pasing, Ainring und Bad Reichenhall um den Aufstieg in die erste Liga. Am Ende der Saison reichte es jedoch nur zum inoffiziellen Titel des Vizemeisters. Für die Aufstiegsrunde qualifizierte sich der Tabellenerste Makabi Erding.

Nach der Gründung des jüdischen Staates im Mai 1948 zerfielen die Fußballmannschaften zusehends und der organisierte Spielbetrieb wurde eingestellt. Viele Sportler gingen nach Israel und verteidigten ihre neue Heimat im Unabhängigkeitskrieg. Auch die jüdischen DP-Gemeinschaften lösten sich auf oder schrumpften auf wenige Mitglieder zusammen. Der Feldmochinger Vorsitzende Max Ribstein wanderte mit Ehefrau Regina und dem in München geborenen 18 Monate alten Sohn Jakob im Juni 1949 nach Israel aus. Zu Beginn des Jahres 1951 zählte die jüdische Gemeinde Feldmoching noch 55 Mitglieder, die wahrscheinlich allmählich der Israelitischen Kultusgemeinde von München beitraten.

Mehr über jüdische Displaced Persons Gemeinschaften in Bayern finden Sie im Internetlexikon http://www.after-the-shoah.org

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