Die russische Stimme

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In Israel leben 1,2 Millionen Russisch-Muttersprachler, die gerne ignoriert werden. Im August haben wir der Trajtenberg-Kommission eine Reihe von Vorschlägen gemacht, die dieser Gruppe hätten helfen können, unter anderem die Erstattung der Ausgaben für Menschen, die im Ausland heiraten müssen und eine Anhebung des Solds für Berufssoldaten der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte (ZAHAL)…

Von Alex Tentzer

Auch Entscheidungen der Regierung zum sozialen Wohnungsbau waren darunter. Doch es war uns nicht vergönnt, uns mit der Kommission zu treffen, und in ihrem Abschlussbericht werden die Einwanderer aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion nicht einmal erwähnt.

Die Proteste und die Demonstrationen werden für viele Veränderungen in der israelischen Wirtschaft und Gesellschaft sorgen, doch es besteht keine Chance, dass sie die politische Landkarte verändern, wenn sie nicht die Unterstützung des russischsprachigen Sektors haben, der 20 Mandate wert ist.

In den Medien hat man sich im Sommer schwer damit getan zu verstehen, warum die russischsprachigen Einwanderer sich nicht an den Protesten für mehr soziale Gerechtigkeit beteiligt haben. Vielleicht kam das daher, dass die Einwanderer in den 1990er Jahren versucht haben zu demonstrieren und keine Unterstützung aus der israelischen Gesellschaft erhalten haben. Seitdem glauben sie nicht mehr daran, dass Demonstrationen ihre Situation verbessern könnten. Auch hatten die meisten der Forderungen, die erhoben wurden, keinen Bezug zur „russischen“ Öffentlichkeit. So haben beispielsweise nur ca. 2.000 Familien im Sinne des Wohnungsbauministeriums ein Anrecht auf eine Sozialwohnung – 30.000 Familien sind es, die im Integrationsministerium ein Anrecht haben. Die Probleme der beiden Sektoren sind also verschieden und ebenso die Lösungen dafür.

In einem Gespräch mit Bloggern erklärte vor kurzem der ehemalige US-Präsident Bill Clinton, dass die russischsprachigen Einwanderer in Israel eines der größten Hindernisse auf dem Weg zu einem Friedensabkommen mit den Palästinensern seien. Ist sich Clinton dessen bewusst, dass dieselben Einwanderer, denen er hier Vorwürfe machte, Yitzhak Rabin an die Regierung gebracht haben?

Der russischsprachige Sektor hat zweimal der Arbeitspartei zum Sieg verholfen: 1992 wurde Yitzhak Rabin gewählt (wegen seiner Versprechen zum Wohnungsbau) und 1999 Ehud Barak (wegen seiner Versprechen für eine „zivile Revolution“). Beide Male fühlten sich die Russen anschließend betrogen. Heute erhalten die orthodoxen Parteien mehr Unterstützung seitens der Russen als die Arbeitspartei.

2006 haben die Einwanderer für Kadima gestimmt – vor allem wegen der charismatischen Figur Ariel Sharons und wegen seines Versprechens (das niemals umgesetzt wurde), einen russischen Minister zu ernennen. 2009 unterstützten die meisten ehemaligen Kadima-Wähler den Likud. Seitdem verschlechtert sich die Situation von Kadima ständig: Die Unterstützung der Einwanderer ist gesunken, und heute stellt sie für den Likud und Israel Beiteinu keine Konkurrenz mehr dar.

Im Moment ist der Likud die einzige Konkurrenz für Israel Beiteinu im russischsprachigen Sektor. Die meist jungen Unterstützer des Likud sind die wichtigsten Wähler Binyamin Netanyahus. Mehr als 50% der Russischsprachigen stimmen für Israel Beiteinu, die meisten unter ihnen sind ältere Menschen. Der Motor der Partei ist eine gute Organisation, die auch den Großteil der russischsprachigen Presse dominiert. Die Führung hält Avigdor Lieberman inne. Seit dem Tod des Knessetabgeordneten Yuri Shtern ist die Bearbeitung der Anliegen der Einwanderer zum Schwachpunkt der Partei geworden, doch angesichts des Fehlens einer Alternative kann Israel Beiteinu seine Aktivitäten weiter ausweiten. Die Partei ist immer bereit für einen Wahlkampf unter der Führung Avigdor Liebermans.

Und so findet der Kampf um die russische Stimme ausschließlich zwischen dem Likud und Israel Beiteinu statt. Die übrigen Parteien nehmen an dem Spiel nicht teil. Sie haben darauf verzichtet, um die russische Stimme zu kämpfen, und das heißt letztendlich, dass sie darauf verzichtet haben, den Ministerpräsidenten zu stellen. Die einzige Möglichkeit, dass sich die gegenwärtige Situation ändern könnte, wäre, wenn Lieberman aus irgendeinem Grund nicht mehr antreten könnte und eine andere Spitzenkandidatin oder ein anderer Spitzenkandidat aufgestellt werden müsste. Eine andere Variante wäre, dass eine neue politische Kraft im russischen Sektor aufträte, die die Schwachpunkte der gegenwärtigen Konkurrenten erkennen würde, eine gesellschaftliche Agenda zum Ziel hätte und die weder vor dem Wähler noch vor der Konkurrenz der anderen Parteien Angst hätte.

Der Autor ist gesellschaftlicher Aktivist in der russischsprachigen Einwanderer-Community.
Auch die im Newsletter der isr. Botschaft veröffentlichten Kommentare geben nicht grundsätzlich den Standpunkt der israelischen Regierung wieder, sondern bieten einen Einblick in die politische Diskussion in Israel.

8 Kommentare

  1. Erleben wir hier möglicherweise erste hoffnungsvolle Anzeichen eines Wandels in Russland, im so vielfach geschundenen Russland?
     
    http://www.youtube.com/watch?v=f_XF5LkWH3M
     
    Ein Kommentator schreibt dazu:
    Друзья, мы наблюдаем феерический закат хунты Путина. Одновременно его агонию и всё ту же малодушную трусость Путина от публичных свободных дебатов. Этот плешивый карлик знает себе настоящую цену.

  2. „Im Zuge der starken Westwanderung osteuropäischer Juden seit den 1880er-Jahren und der damit verbundenen sozialen Konflikte und Probleme wurden die beschriebenen Unterschiede aus „westjüdischer“ Sicht als Merkmale „ostjüdischer“ Rückständigkeit bewertet, während Fürsprecher des osteuropäischen Judentums dessen kulturelle Eigenständigkeit gegenüber der Angepasstheit und Selbstpreisgabe westeuropäischer Juden betonten. Die in dieser innerjüdischen Auseinandersetzung ausgebildeten Stereotype in Bezug auf die Ostjuden wurden dann in der antisemitischen Propaganda der Zeit der Weimarer Republik in Deutschland und der Ersten Republik in Österreich sowie im Nationalsozialismus weiterentwickelt und umgedeutet zu der Vorstellung, dass sich im „Ostjuden“ diejenige „Minderwertigkeit“ in besonders offensichtlicher und unverschleierter Form manifestiere, die die „jüdische Rasse“ als solche insgesamt kennzeichne.“
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ostjuden_und_Westjuden

  3.  
    Dorogaya ronit,
     
    Antwort fällt mir da nur eine ein: Хватит! Пошёл вон!
     
    Ya soglasen s etim Vot i vsyo.
     
    Jelayu prekrasnix vihodnix, …
     
     

  4. Es ist bedauerlicherweise die Wiederholung der Geschehnisse und Zustände von vor rund einhundert Jahren in Deutschland, bes. in Bayern. Unversöhnlich stehen (Teile der) Juden des Westens, denen des Ostens gegenüber und bekämpfen sich mit härtesten Bandagen, anstatt Gemeinsamkeit zu erkennen und diese zu leben bzw. mit allen Mitteln zu fördern.

  5. Wer vom „Krebsgeschwür“ faselt, offenbart, wessen Geistes Kind er ist. Nachzuvollziehen gibt es da gar nichts, Herr Schlickewitz, vielmehr entlarvt sich Verständnis in diesem Kontext selbst. Nicht zuletzt weil der widerliche Kommentar außer Ressentiment rein gar nichts zeigt. Antwort fällt mir da nur eine ein: Хватит! Пошёл вон!

  6. @sehr geehrter Herr Bloch,
    ich kann Ihre Verbitterung bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen.
    Bedenken Sie aber bitte gleichzeitig welches riesige und unverzichtbare kulturelle Erbe uns (= der ganzen Welt) die russischen Juden gebracht haben. Hier nur eine unvollständige Liste von solchen Persönlichkeiten:
    http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_Jews_born_in_the_former_Russian_Empire
    Auch Israel profitierte von ihnen und ihren bleibenden Werken für die Menschheit.
     
    Sie haben Recht, Herr Bloch, wenn Sie vielen russischen Juden Demokratiemängel vorwerfen. Warum jedoch sollte es diesen Menschen anders ergehen als den Menschen in Russland? Die furchtbaren Jahre der Sowjetdiktatur wirken nach und werden weiter nachwirken. Das einzige Mittel, um dieses schlimme Erbe vergangener Zeiten zu bekämpfen oder gar zu besiegen, liegt gerade nicht in der Exklusion der „Russen“, sondern in einer bewussten Hinwendung an sie und in einer ehrlich gemeinten Inklusion.
     
    Seien Sie daher bitte wieder friedlich und sehen Sie auch die positiven Aspekte dieser Einwanderung aus dem so bitterkalten Norden.
     
    http://www.youtube.com/watch?v=qjCY4pqE3ZA&feature=related
    http://www.youtube.com/watch?v=nOubZaJ0EIM&feature=related
    http://www.youtube.com/watch?v=8Wzapl7eCCg&feature=related
     
     

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